Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Heute geht das Fes­ti­val Die Macht der Sprache zu Ende, das das Goethe-Insti­tut in Berlin aus­gerichtet hat und das diese Woche die sprach­wis­senschaftliche Berichter­stat­tung in den Online-Medi­en dominiert hat.

Die Berlin­er Lit­er­aturkri­tik berichtet zum Beispiel über den Fortschritte bei der sprach­lichen Gle­ich­berech­ti­gung:

Nicht nur im Deutschen wird wenn 99 Sän­gerin­nen und ein Sänger sich zusam­men­tun von 100 Sängern gesprochen. Der gram­matikalis­che Grund dafür ist das „gener­ische Maskulinum“. Um dies zu ändern wur­den 1980 zum ersten Mal deutschen Richtlin­ien für einen „nicht-sex­is­tis­chen Sprachge­brauch“ veröf­fentlicht. … Heute sei „Gen­der­sen­si­ble Sprache“ selb­stver­ständlich gewor­den, meint die die Sprach­wis­senschaft­lerin Stephanie Thieme von der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V.

Ich sehe das etwas weniger opti­mistisch. Es ist richtig, dass Geset­zes­texte und Stel­lenauss­chrei­bun­gen heute im Nor­mal­fall geschlecht­sneu­tral for­muliert sind. Aber in der All­t­agssprache hat das bis­lang keinen großen Ein­druck hin­ter­lassen. Zwar verur­sacht das gener­ische Maskulinum inzwis­chen vie­len Men­schen Bauch­schmerzen (ich zucke jedes Mal zusam­men, wenn ich es hier im Sprach­blog ver­wende), aber eine echte Alter­na­tive gibt es in vie­len Fällen nicht, wenn man nicht klin­gen möchte wie — nun ja, wie ein Geset­zes­text oder eine Stellenanzeige.

Eröffnet hat die Ver­anstal­tung übri­gens uner­gründlicher­weise ein Kun­sthis­torik­er und Reli­gion­sphilosoph (der ehe­ma­lige rumänis­che Kul­tur- und Außen­min­is­ter Andrei Ple­su) mit ein­er Rede im Deutschen Bun­destag. Die WELT ONLINE hat die Rede Auszugsweise abge­druckt. Ein klein­er Auszug:

Die Macht des Wortes ist umfassender als sein lin­guis­tis­ch­er Wert — sie ist trans-lin­guis­tisch. Das Wort ist nicht nur sig­nifikant, son­dern auch erbaulich und stärk­end. Es kann das Unkom­mu­nizier­bare kom­mu­nizieren, eine Tat­sache, die von der Forschung eher sel­ten berück­sichtigt wird, aber von den Schrift­stellern aller Zeit­en als eine Offenkundigkeit. …

Ja, den Schuh müssen wir uns wohl anziehen. Die Kom­mu­nika­tion des Unkom­mu­nizier­baren kommt in unser­er Forschung nicht vor. Woran das liegt, weiß ich auch nicht. Vielle­icht daran, dass alles, was man kom­mu­niziert, per Def­i­n­i­tion nicht Unkom­mu­nizier­bar ist und wir für verquaste Pseudopara­dox­ien keine Zeit haben?

Wahrschein­lich habe ich diese Woche ein­fach stress­be­d­ingt schlechte Laune (die Uni­ver­sität Bre­men hat vor eini­gen Jahren die Pfin­gst­fe­rien abgeschafft, so dass Lehren­den und Studieren­den im Som­merse­mes­ter eine drin­gend benötigte Atem­pause fehlt). Aber trotz­dem: Warum muss eine Ver­anstal­tung zum The­ma Sprache von jeman­dem eröffnet wer­den, der schon von Amts wegen keine Ahnung davon hat?

Später in sein­er Rede sagt Ple­su noch:

Wir lei­den auf plan­e­tarisch­er Ebene an ein­er Infla­tion der Wörter. Es wird enorm viel gere­det. … Die ver­bale Askese, die restau­ri­erende Diszi­plin des Schweigens, der hygien­is­che Rück­zug aus dem inkon­ti­nen­ten Fluss des alltäglichen Geschwätzes kön­nte uns möglicher­weise helfen, die ursprüngliche Frische des Aus­drucks, den wahren Wert eines jeden gesproch­enen Wortes wiederzufinden…

Ein wahres Wort! Hätte er sich nur selb­st daran gehal­ten. Ich folge seinem Rat und melde mich für das Woch­enende ins hygien­is­che Schweigen ab.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Ein Gedanke zu „Presseschau

  1. Frank Oswalt

    Ich finde es mit der Geschlechterg­erechtigkeit in der Sprache auch schwierig. Viele mein­er Kun­den (vor allem älteren Jahrgangs) reagieren belustigt bis unwillig auf den Ver­such, über­all gerecht zu sein. Und der/die Kun­de/-in ist nun mal König/in.

    [Hin­weis des IAAS-Admin­is­tra­torenteams: Nach einem Daten­bank­fehler wurde dieser Kom­men­tar am 24. Juni 2007 aus dem Google­cache wiederhergestellt.] 

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