Amtskollegen

Von Anatol Stefanowitsch

Ein klein­er Nach­trag zur Sil­ben­jagd, die ich hier kom­men­tiert habe. Kurz vor Schluss kramt Welt-Online-Textchef Sönke Krüger dort noch diese olle Kamelle hervor:

Und dann ist da noch der Amt­skol­lege, der von dpa über „Welt am Son­ntag“ bis zum „Spiegel“ flächen­deck­end vertreten ist, obwohl er eine Tau­tolo­gie, eine Dop­pel­mop­pelung ist: Denn „Kol­lege“ heißt schon „Amts­brud­er“, also ist der „Amt­skol­lege“ ein „Amt­samts­brud­er“. Weniger wäre auch hier mehr.

Diese Behaup­tung habe ich schon öfter gele­sen — wenn mich meine Erin­nerung nicht trügt, ist sie mir zum ersten Mal 1982 in Wolf Schnei­ders „Deutsch für Profis“ begeg­net. Sie ist aber, wie eigentlich alles, das die Sprach­nör­gler so von sich geben, kom­plet­ter Blödsinn.

Kol­lege bedeutet keineswegs „Amts­brud­er“, es bedeutet schlicht „jemand, mit dem man zusam­men arbeit­et“. Das weiß jed­er Sprech­er der deutschen Sprache, aber befra­gen wir zur Sicher­heit ein Wörter­buch. Richtig, das Ber­tels­mann-Wörter­buch gibt die Def­i­n­i­tion „Beruf­sgenosse, Mitarbeiter“.

Wie kommt Krüger auf die absurde Über­set­zung? Nun, ver­mut­lich hat er ein ety­mol­o­gis­ches Wörter­buch befragt (oder er hat von jeman­dem abgeschrieben, der ein ety­mol­o­gis­ches Wörter­buch befragt hat). In solchen Wörter­büch­ern wird die ursprüngliche, lateinis­che Bedeu­tung häu­fig mit „Amtsgenosse“ oder „Amts­ge­hil­fe“ und wahrschein­lich auch mal „Amts­brud­er“ angegeben.

Aber spielt diese ursprüngliche Bedeu­tung, zumal aus ein­er anderen Sprache, heute noch eine Rolle? Natür­lich nicht, vor allem, da sie sich nicht aus der Struk­tur des Wortes selb­st ergibt: com- „mit“ und legare „(aus)wählen“, „ernen­nen“, also „jemand, der mit jeman­den zusam­men ausgewählt/ernannt wurde“. Das Wort Amt bildet also keinen Teil des Wortes Kol­lege und deshalb spricht nichts dage­gen, die bei­den Wörter zu kombinieren.

Über­haupt muss man sich wieder ein­mal über die igno­rante Selb­st­sicher­heit der Sprach­nör­gler wun­dern — wie Krüger selb­st beobachtet, wird das Wort Amt­skol­lege von der dpa über die Welt am Son­ntag bis zum Spiegel ver­wen­det — von lauter jour­nal­is­tis­chen Schw­ergewicht­en also. Kann es tat­säch­lich sein, dass die alle nur von ihrer Lust an lan­gen Wörtern getrieben werden?

Nein. Sie wer­den von einem klar nachvol­lziehbaren kom­mu­nika­tiv­en Bedürf­nis geleit­et: es ist manch­mal nötig, von Men­schen zu sprechen, die zwar nicht „Kol­le­gen“ im nor­malen Sinne des Wortes sind, die aber von Zeit zu Zeit zusam­men arbeit­en, weil sie das­selbe Amt bek­lei­den (etwa in ver­schiede­nen Parteien oder in ver­schiede­nen Län­dern). Die öster­re­ichis­che Außen­min­is­terin Ursu­la Plass­nik und der deutsche Außen­min­is­ter Frank Wal­ter Stein­meier, zum Beispiel, sind keine „Kol­le­gen“ — sie leit­en unter­schiedliche Außen­min­is­te­rien in unter­schiedlichen Län­dern. Trotz­dem beste­ht zwis­chen den bei­den auf­grund ihres Amtes eine beson­dere Beziehung, und was wäre logis­ch­er, als diese Beziehung mit dem Wort Amt­skol­lege zu beze­ich­nen. Auch ety­mol­o­gisch ist diese Wort­bil­dung ein­wand­frei: „jemand, der für das­selbe Amt gewählt wurde“ — tre­f­fend­er geht es doch gar nicht.

Aber um Logik oder Ety­molo­gie geht es den Sprach­nör­glern ja nicht. Es geht ihnen ums Nörgeln.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

7 Gedanken zu „Amtskollegen

  1. Ulf Runge

    Schön! Danke.

    Und wenn wir schon bei Ämtern sind, frage ich mich, ob ich noch unge­niert vom Post­amt sprechen darf, so es doch nach AMTieren­der Mei­n­ung keines mehr ist.

    Viele Grüße, Ulf Runge

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  2. Chat Atkins

    Don­ner­wet­ter — wenn du jet­zt den Wolf Schnei­der in das Sick’sche Sprachrata­touille mit hineinziehst, dann greif­st du gewis­ser­maßen Deutsch­lands Jour­nal­is­ten an die Kronjuwelen!

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  3. Karsten

    Jour­nal­is­ten: Leute, die von vielem wenig wissen.

    Wis­senschaftlich­er: Leute, die von wenigem viel wissen. 😉

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  4. Anatol Stefanowitsch

    Chat Atkins, ob sich da gle­ich alle Jour­nal­is­ten Deutsch­lands ange­grif­f­en fühlen? Bei vie­len dürfte doch auch heim­liche Freude herrschen…

    Und ich will Wolf Schnei­der gar nicht grund­sät­zlich angreifen. Anders als Sick hat er ja ein ern­sthaftes Anliegen: ver­ständlich­es Schrift­deutsch. Viele sein­er Vorschläge dazu sind ja auch recht nüt­zlich (wenig­stens für Leute, die gerne solche Vorschläge hören).

    Wenn man ihm etwas vor­w­er­fen möchte, dann kön­nte man darauf hin­weisen, dass sein Wis­sen über sprach­liche Struk­turen sich fast auss­chließlich aus sein­er jour­nal­is­tis­chen Erfahrung zu speisen scheint und damit an bes­timmten Stellen per­spek­tivisch etwas einge­gren­zt ist. Seine guten Absicht­en schießen deshalb manch­mal über das Ziel hin­aus — so dürften seine Ratschläge zum Abhack­en von Prä­fix­en oder sein Prob­lem mit dem Amt­skol­le­gen zus­tande gekom­men sein.

    Ob ich mich mit Schnei­ders Ideen ein­mal direkt und grund­sät­zlich auseinan­der­set­zen möchte, werde ich mir noch in Ruhe über­legen. Es wäre auf jeden Fall inter­es­san­ter Stoff fürs Sprach­blog. Solange aber andere Leute seine Ideen in sprach­pflegerischen Kolum­nen drittver­w­erten, kann ich meine Energie ja auf die konzentrieren…

    Karsten, na ja. Ich kenne zwar solche Jour­nal­is­ten und auch solche Wis­senschaftler, aber ob die jew­eils die Mehrheit ihrer Zun­ft darstellen…

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  5. Wolfgang Hömig-Groß

    Meines Wis­sens hat Schnei­der aber seinen Erfahrung­shor­i­zont und sein Ziel — Jour­nal­is­ten­deutsch zu verbessern bzw. zu präzisieren — stets deut­lich benan­nt. So hat er in sein­er Kri­tik etwa klar zwis­chen Wer­be­tex­tern und Jour­nal­is­ten unter­schieden. Die Abhack­erei ist also möglicher­weise seinem Hang zur kürzest­möglichen und dabei immer noch präg­nan­ten Über­schrift zu ver­danken. Seit um Seit in seinem Werk “Die Über­schrift” nachzuprüfen.

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  6. Chat Atkins

    Gegenrede, Wolf­gang, ein Wer­be­tex­ter zählt auch die Buch­staben, wenn er einen ‘Claim’ für seinen Kun­den entwick­elt. In dem Punkt gibt es also gar keinen Unter­schied zwis­chen den Berufsgruppen …

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  7. Wolfgang Hömig-Groß

    At Chat (he, das reimt sich): So sah das auch Schnei­der; er hat den Jour­nal­is­ten die Wer­be­tex­ter als gutes Beispiel ans Herz gelegt, weil sie in die Kürze mehr Würze leg­en. Und weil sie, häu­fig im Gegen­satz zu Jour­nal­is­ten, darauf angewiesen sind, schnell und richtig ver­standen zu werden.

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