Egal was tun

Von Anatol Stefanowitsch

Zur Zeit läuft im Fernse­hen wieder diese Wer­bekam­pagne der Europäis­chen Union, in der Men­schen auf Par­tytröten tröten, damit die Zuschauer sich das Rauchen abgewöh­nen (wer die Spots nicht ken­nt, kann sie hier find­en — allerd­ings nur im Win­dows-Media-For­mat, wie es sich für eine Organ­i­sa­tion gehört, die Microsoft mit hohen Geld­strafen zwin­gen will, offene Stan­dards zu verwenden).

In einem der Spots tröten junge Men­schen gemein­sam auf der Schul­toi­lette und wer­fen dann schnell ihre Tröten weg, als ein Lehrer hereinkommt. Dann sagt eine Stimme aus dem Off:

Es mag dumm erscheinen, aber manch­mal würde man egal was tun, um die anderen zu imi­tieren. Selb­st anfan­gen, zu rauchen. Aber nicht vergessen: Es gibt immer eine Alter­na­tive. Help. Für ein rauch­freies Leben. [Link]

Die ganze Pas­sage hört sich für meine Ohren etwas merk­würdig an, aber der Satz manch­mal würde man egal was tun klingt schlicht falsch. Nach meinem Sprachempfind­en kön­nte man eine der fol­gen­den Sätze sagen:

(1) Manch­mal würde man alles tun, …

(2) Manch­mal würde man alles — egal was – tun, …

Aber egal was kann in diesem Zusam­men­hang nicht alleine stehen.

Es ist ja üblich, bei Merk­würdigkeit­en in der deutschen Sprache reflex­haft einen Ein­fluss des Englis­chen zu ver­muten, und wenig­stens in eini­gen Vari­etäten des Englis­chen kön­nte man tat­säch­lich so etwas sagen, wie some­times one would do no mat­ter what. Aber die englis­che Ver­sion des Werbespots drückt sich hier vier unauf­fäl­liger aus:

This may look stu­pid, yet some­times we would do any­thing to look like our peers. Even start smok­ing. But remem­ber: there is always an alter­na­tive. Help. For a life with­out tobac­co. [Link]

Das Englis­che kann hier also nicht zur Erk­lärung her­hal­ten. Eine kurze Recherche ergab dann auch, dass das die Spots von ein­er franzö­sis­chen Wer­beagen­tur, Lig­aris für die Werbespots ver­ant­wortlich ist. Es bietet sich also die Hypothese an, dass die Spots zunächst in franzö­sis­ch­er Sprache pro­duziert und dann in die Sprachen der anderen Mit­gliedsstaat­en über­set­zt wurden.

Auch die franzö­sis­che Ver­sion ste­ht zum Herun­ter­laden zur Ver­fü­gung, und der Text dort lautet unge­fähr so:1

C’est l’air stu­pide, comme ça. Pour­tant par­fois on ferait n’importe quoi pour ressem­bler les autres, même com­mencer à fumer. Mais il est tou­jours pos­si­ble de resister. Help. Pour une vie sans tabac. [Link]

Wenn man die entschei­dende Pas­sage Wort für Wort über­set­zt, klingt das unge­fähr so:

(3) den­noch manch­mal man täte nicht-wichtig was für ähneln den anderen

Das franzö­sis­che nicht-wichtig was (n’im­porte quoi) scheint also das sprach­liche Vor­bild für das deutsche egal was zu sein. Nun wäre es inter­es­sant, zu wis­sen, ob es sich bei dem Text des Werbespots um einen vere­inzel­ten Über­set­zungs­fehler han­delt, oder ob diese Kon­struk­tion häu­figer in der deutschen Sprache vorkommt. Eine erste Inter­net­suche ist dabei erfol­g­los: die Suchan­frage “egal was tun” ergibt keinen einzi­gen Tre­f­fer mit der gewün­scht­en Struktur.

Allerd­ings wird in der Umgangssprache häu­fig das Verb machen ver­wen­det, wo in der Schrift­sprache tun ste­ht. Suchen wir also noch ein­mal nach “egal was machen”.

Für dieses Such­muster find­en sich ger­ade ein­mal acht Treffer:

  • … der Moti­va­tion und der Bün­delung der Kräfte: worauf kommt es an, was sollen wir tun; daher nicht kopf­los egal was machen , son­dern sich dem Geist öff­nen … [Link]
  • Er darf nicht egal was machen und muss sich an die Regeln hal­ten. Manch­mal macht die Krankheit lei­der Gottes einen Strich durch die Rech­nung. … [Link]
  • DANN aber bitte still lei­den /genießen oder egal was machen, aber NICHT wieder “die gesellschaft” um Hil­fe bit­ten. [Link]
  • Wollte jet­zt aber mal fra­gen ob sich ein­er ausken­nt wie man an dem Motor bzw. Aus­puff auf­bohren egal was machen kann um mehr leis­tung aus dem Ding zu holen. [Link]
  • Es ist eben­so egal, wieviele Händler es gibt, die egal was machen. Es reicht doch, wenn man selb­st weiss worauf zu acht­en ist und das entsprechend umset­zt. [Link]
  • Zudem denke ich, ist es für jeden betrof­fend­en zufrieden­stel­len­der, wenn dieser nicht nur egal was machen soll, son­dern lieber etwas lernt das Sinn macht … [Link]
  • Sie kann mit dem Geld Geschenke machen, einen Detek­tiv bezahlen, egal was, machen. So will es der Geset­zge­ber. Für Dien­streisen im näch­sten Jahr ste­hen ihr … [Link]
  • Da kannst du egal was machen um es zu sich­ern. Die beste Vari­ante ist, seine Soft­ware ein­fach zu verkaufen und zwar unter kein­er Lizenz, die es erlaubt, … [Link]

Einge dieser Tre­f­fer kön­nten auf einen franzöis­chen Ein­fluss zurück­zuführen sein: der erste Tre­f­fer ist von der Web­seite ein­er deutschsprachi­gen Gemeinde im Süden von Bel­gien, wo seit Jahrhun­derten Sprachkon­takt zwis­chen dem Deutschen und dem Franzö­sis­chen beste­ht, und der zweite Tre­f­fer ist aus einem Bericht über ein franzö­sis­ches Atelier.

Es han­delt sich bei der Redewen­dung egal was machen also ver­mut­lich um ein Sprach­muster, dass ab und zu aus dem Franzö­sis­chen entlehnt wird und eventuell kurz davor ste­ht, sich etwas all­ge­mein­er in der Umgangssprache durchzuset­zen. Dazu kön­nte die Wer­bekam­pagne der EU beitra­gen — vom Rauchen wird sie wohl nie­man­den abhalten.

1. Ich habe das so tran­skri­biert, wie ich es höre (die Sprecherin ist für mich schw­er zu ver­ste­hen). Ein offizieller Text find­et sich nir­gends auf der Web­seite der Kam­pagne. Dort find­et sich nur der zweite Satz, der dort als „on ferait n’importe quoi pour ressem­bler à ses potes“ („… um seinen Kumpels zu ähneln“) angegeben wird. Das ist aber nicht das, was ich höre — vielle­icht kann jemand weit­er­helfen, der bess­er Franzö­sisch spricht, aber für unser Argu­ment hier ist es ohne­hin egal.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

16 Gedanken zu „Egal was tun

  1. Wolfgang Hömig-Groß

    Ich glaube, was Laz­erte vorschlug war gemeint, aber die Damen und Her­ren hat­ten ger­ade Wortfind­ungss­chwierigkeit­en. Kenn’ ich nur zu gut, vor allem den Zwang, dann statt dessen ein­fach irgend ein anderes, na, Dings­da, zu nehmen …

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  2. corax

    Mein­er Mei­n­ung nach fehlt dahin­ter lediglich ein „auch immer“. Also als Phrase: egal was auch immer.

    … manch­mal würde man egal was auch immer tun, um die anderen zu imitieren.

    So hört es sich für mich „richtig“ an und bringt auch über 100.000 Treffer.

    In der Phrase lässt sich dann auch das Was durch ein anderes W‑Wort erset­zen, wie bei dem W‑Schema bei der Unfallmeldung.

    Results 117,000 for “egal was auch immer”

    Results 10,500 for “egal wo auch immer”

    Results 9,640 for “egal wie auch immer”

    Results 7,140 for “egal wer auch immer”

    Results 1,290 for “egal warum auch immer”

    Results 1,290 for “egal welche auch immer”.

    Results 703 for “egal wann auch immer”.

    Results 411 for “egal wen auch immer”

    Results 3 for “egal wieviel auch immer”

    Results 3 for “egal wieso auch immer”

    Glück auf!

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  3. indy

    Böse Zun­gen behaupten sog­ar, das Rauchver­bot in Kneipen würde die Rauch­er nicht vom blauen Dun­st abhal­ten. Über die Sinnhaftigkeit dieser Wer­bung kann man sich natür­lich streiten.

    Aber manch­mal tut die EU ja egal was, um Leute vom Rauchen abzuhalten… 🙂

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  4. Steffen Höder

    Es würde sich vielle­icht lohnen, nach par­al­le­len Kon­struk­tio­nen zu suchen: Ich hab’s (noch) nicht getestet, aber ich habe eher Prob­leme mit dem “egal” als mit der Struk­tur X + “was” in ähn­lichen Bedeu­tun­gen, wobei X ein Adverb oder eine kurze Phrase sein kann. Zum Beispiel habe ich keine Schwierigkeit­en mit

    - Ich mach was weiß ich was, um … (= alles Mögliche)

    - Ich mach weiß nicht was (= etwas Beliebiges)

    - Ich mach weiß ich was (= etwas Beliebiges)

    - Ich mach keine Ahnung was (= etwas Beliebiges)

    - Ich mach Wun­der was (= alles Mögliche, viel)

    Nicht zulet­zt fol­gt ja auch “irgend­was” dem­sel­ben Muster. These: Franzö­sis­ch­er Ein­fluss mag sein, aber die Struk­tur entspricht auch einem weit­er ver­bre­it­eten Muster, das in der deutschen Stan­dard­sprache in einem Fall schon gram­matikalisiert ist und sich in der Umgangssprache in noch mehr Fällen zeigt.

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  5. EssWeh

    @Steffen Höder: Ja, das “egal” alleine sorgt schon für umgangssprach­lichen Charakter.

    Kor­rek­tes Schrift­deutsch ist das jeden­falls nicht, eher Ziel­grup­pen­jar­gon. Ana­tol hat ja schon zwei her­vor­ra­gende Alter­na­tiv­en vorgeschlagen.

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  6. Lutz

    Hal­lo Indy (bei mir Nr. 4 der Beiträge): “Sinnhaftigkeit” habe ich nicht im Duden gefun­den!? Allerd­ings ist es nur die PC-Ver­sion des Dudens; vielle­icht ste­ht es in der Papierversion?

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  7. Jens

    Hmmm … Das ver­wen­dete For­mat scheint tat­säch­lich auf Mark­t­macht­mißbrauch seit­ens Microsoft zurück­zuführen sein:

    Hi

    We have no licence due to encode in this format

    And the play­ers are aval­able on the dif­fer­nts plat­forms MSW, MacOS, Linux

    We need to be the most wide­ly com­pat­i­ble with all the OS’s with­out the 

    oblig­a­tion to down­load any spe­cif­ic player

    That’s the rea­son we did­n’t use Quick­Time or DivX for example

    Best regards”

    Wenn ich das richtig ver­ste­he, ist der Encoder von MS lizen­zge­bühren­frei zu ver­wen­den, andere gebräuch­liche For­mate hinge­gen nicht …

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  8. Anatol Stefanowitsch

    Jens, das mit der Lizen­zkosten­frei­heit mag ich nicht so recht glauben. Hier geht es wohl eher darum, dass man eine Win­dows-Media-Lizenz bere­its eingekauft hat und außer­dem der Masse der MS-Win­dows-Nutzer möglichst wenig Unan­nehm­lichkeit­en verur­sachen möchte. Von wegen, „we need to be the most wide­ly com­pat­i­ble with all the OS’s with­out the

    oblig­a­tion to down­load any spe­cif­ic play­er“ — wed­er meine Macs, noch meine Lin­ux-Rech­n­er spie­len das Win­dows-Media-For­mat ab, ohne, dass ich zusät­zliche Codecs oder ganze Play­er instal­lieren muss. Die Ver­ant­wortlichen wis­sen das ver­mut­lich und ver­lassen sich ein­fach darauf, dass Mac- und *nix-Nutzer an das Nachin­stal­lieren von Codecs gewöh­nt sind und sich nicht beschw­eren wer­den. Die offen­sichtliche Lösung wäre, die Film­chen in wenig­stens zwei For­mat­en anzu­bi­eten, von denen min­destens eins ein offen­er Stan­dard sein müsste — vor allem, wenn die EU mit ihrer Anti-Microsoft-Strate­gie glaub­würdig sein möchte.

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  9. Jens

    Ich werde mich nochmal an die Gen­eraldirek­tion Gesund­heit und Ver­brauch­er­schutz, die GD Wet­tbe­werb, die GD Infor­ma­tion­s­ge­sellschaft und Medi­en und vielle­icht noch irgendwelche Abge­ord­neten wenden …

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  10. Hedemann

    Vielle­icht ist “egal was” auch ana­log zu “son­st was” gebildet wor­den, was ja auch umgangssprach­lich ist, aber weitaus gebräuch­lich­er. Weiß der Deibel, was die gerit­ten hat…

    Antworten
  11. Hedemann

    @Jens: Die sind alle in Ord­nung. Evtl. mal im Brows­er mit der Zeichen­codierung exper­i­men­tieren (z.B. auf UTF‑8 oder ISO-8859–15 umstellen).

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  12. Anatol Stefanowitsch

    Jens, Hede­mann, es gab gestern Server­prob­leme, die unter anderem auch die Darstel­lung von Umlaut­en beein­trächtigt haben. Der Serv­er wird in den nähch­sten Tagen irgend­wie PHP-mäßig umgestellt, so dass es sich­er auch noch zu schw­er­wiegen­deren Aus­fällen kom­men kann.

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