Deutsch ins Grundgesetz?

Von Anatol Stefanowitsch

Der „Vere­in Deutsche Sprache“ ver­sucht seit Jahren, Deutsch als Staatssprache im Grundge­setz festschreiben zu lassen. Wir haben Sinn und Unsinn dieses Begehrens hier schon ein­mal disku­tiert und auch erk­lärt, warum der aktuelle rechtliche Sta­tus des Deutschen nichts zu wün­schen übrig lässt.

Nun haben die Sprach­nör­gler vom VDS sich mit dem Deutschtüm­lern vom „Vere­in für Deutsche Kul­turbeziehun­gen im Aus­land“ zusam­menge­tan, um wieder ein­mal einen Anlauf zu machen. Kurios sind dabei die Begrün­dun­gen, die sie in ihrer gemein­samen Presseerk­lärung nennen:

Wir müssen einem schle­ichen­den Bedeu­tungsver­lust der deutschen Sprache ent­ge­gen­wirken. Eine im April diesen Jahres durchge­führte repräsen­ta­tive Bevölkerung­sum­frage des Insti­tuts für Demoskopie Allens­bach zeigt: 65 Prozent der Bun­des­bürg­er sind der Ansicht, dass die deutsche Sprache zu verkom­men dro­ht! Nicht nur Ältere sor­gen sich dabei um einen Ver­fall der deutschen Sprache, son­dern auch in der jün­geren Gen­er­a­tion sieht dies jed­er Zweite so.

[…]

Die Lan­dessprache bietet die geistige Lebens­grund­lage, um Kul­tur und Werte der Gesellschaft zu ver­ste­hen und weit­erzuen­twick­eln, auch in Ver­ant­wor­tung für kün­ftige Gen­er­a­tio­nen. Ein nach­haltiges Mit­tel gegen deren Zer­fall und zugle­ich ein wichtiges Sig­nal an alle, die aus anderen Län­dern dieser Welt nach Deutsch­land kom­men, wäre zweifel­los ein neuer Artikel 22 a im Grundge­setz: „Die Sprache der Bun­desre­pub­lik ist Deutsch!“.

Mal davon abge­se­hen, dass die deutsche Sprache nicht verkom­men wird, egal, wie lange und laut der VDS das her­beizuschreien ver­sucht — glauben die Her­ren von VDS und VDA tat­säch­lich, dass sich das durch ein Gesetz aufhal­ten lassen würde?

Übri­gens, die Mehrheit von 65 Prozent, die in der Presseerk­lärung genan­nt wird, ist durch die lächer­lich­ste Sug­ges­tivfrage zus­tande gekom­men, die ich je in ein­er Mei­n­ung­sum­frage eines ser­iösen Insti­tuts gele­sen habe. Allens­bach fragte damals:

Wenn jemand sagt: ‚Die meis­ten Men­schen bei uns in Deutsch­land leg­en nur noch wenig Wert auf eine gute Aus­druck­sweise. Die deutsche Sprache dro­ht immer mehr zu verkom­men.‘ Sehen Sie das auch so, oder sehen Sie das nicht so?“

So bekommt man absolute Mehrheit­en — über die Mei­n­ung der Befragten lernt man ver­mut­lich nichts.

Aber lassen wir VDS und VDA den Spaß. Sie ver­ste­hen zwar nicht viel von Sprache oder Kul­tur, aber Unter­halt­sam sind sie alle­mal. Und abhal­ten kann man sie ohne­hin nicht, denn sie kön­nen sich bei all ihren Clownereien auf das Grundge­setz berufen. Artikel 9, Abs. (1) besagt ganz klar: „Alle Deutschen haben das Recht, Vere­ine und Gesellschaften zu bilden.“

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

18 Gedanken zu „Deutsch ins Grundgesetz?

  1. gyokusai

    Aus der Seele! Diese per­fide Umfrage war bei mir ganz ähn­lich angekom­men, was ich auf Falks Nör­glerblog auch entsprechend kommentierte.

    Prag­ma­tisch gedacht wäre aber immer­hin pos­i­tiv zu ver­merken, daß sich ent­lang dieses Tandems aus Grundge­setz-Non­sens und Scheinum­frage hochin­ter­es­sante sozial­wis­senschaftliche und indi­vid­u­alpsy­chol­o­gis­che Phänomene ver­fol­gen und doku­men­tieren lassen.

    ^_^J.

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  2. Lazerte

    Ein nach­haltiges Mit­tel gegen deren Zer­fall und zugle­ich ein wichtiges Sig­nal an alle, die aus anderen Län­dern dieser Welt nach Deutsch­land kommen”

    Poli­tisch über­aus kor­rekt aus­ge­drückt. Und trotz­dem möchte ich fra­gen, ob wir nicht vielle­icht zwis­chen zwei Posi­tio­nen der “Sprachret­ter” unter­schei­den sollten.

    Die bösen Sprachein­drin­glinge, die von der “Aktion Lebendi­ges Deutsch” beson­ders gerne als undeutsch gegeißelt wer­den, sind ja nicht “Dön­er” und “Kebab” und “Piz­za”, nein, es sind vor allem Anglizis­men, die unter Ein­satz aller sprach­lichen Kreativ­ität “über­set­zt” wer­den müssen: “Pub­lic View­ing”, “Cof­fee to go” oder “Can­celn”. Diese englis­chen (teil­weise in der Tat denglis­chen) WÖRTER, möchte ich behaupten, kom­men aber haupt­säch­lich über öffentliche Medi­en hier in Deutsch­land an: Funk, Fernse­hen, Kinofilme, Musik, Inter­net, natür­lich auch über Busi­ness Eng­lish und Fach­sprachen. Sie ste­hen nicht früh­mor­gens plöt­zlich mit einem schäbi­gen ana­tolis­chen Köf­ferchen auf dem Rhein-Main-Flughafen, son­dern kom­men abends als Homer Simp­son, Mr. Tim­ber­land und Dr. House und zu mir ins Wohnz­im­mer. Ein medi­aler kul­tureller Glob­al­isierungsef­fekt also. 

    Nur, wie ver­hält sich dazu die For­mulierung des VDS: “an alle, die aus anderen Län­dern dieser Welt nach Deutsch­land kom­men”? Sind da alle WÖRTER und Sprach­fig­uren gemeint, die aus anderen Län­dern zu uns kom­men? Nein, hier geht es wohl eher um den Migra­tionsh­in­ter­grund von MENSCHEN. Sprich wir sind hier nicht bei “Ernie’s Back-Shop”, son­dern plöt­zlich auf ein­er “Spracht­ests für Einwanderer”-Schiene.

    Nun meine gar nicht rhetorisch son­dern ernst gemeinte Frage: Sind das zwei voneinan­der getren­nte Posi­tio­nen, oder wird hier ganz bewusst ein Dop­pel­pass zwis­chen “keine Wörter rein” und “keine Men­schen rein” gespielt?

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  3. Jens

    Den 22a haben die exakt so vorgeschla­gen? Ohne jet­zt nachgeschaut zu haben, würde ich sagen, daß im GG nicht allzu­viele weit­ere Aus­rufeze­ichen vorkom­men. Da scheint das mit der Sprache ja wichtig zu sein.

    Aber ein bißchen exak­ter kön­nte man schon sein — Amtssprache? Staatssprache?

    Und die For­mulierung ist auch Murks. Warum nur “Bun­desre­pub­lik”, und nicht “Bun­desre­pub­lik Deutsch­land”? Vielle­icht sollte der Satz auch an eine passendere Stelle. Ich schlage “Die Staatssprache [wahlweise Amtssprache] ist Deutsch.” als Art. 20 Abs. 1a oder Art. 22 Abs. 3 vor.

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  4. Anatol Stefanowitsch

    Jens, im Grundge­setz kommt natür­lich tat­säch­lich kein einziges Aus­rufeze­ichen vor, obwohl das dem Ganzen vielle­icht hier und da Nach­druck ver­lei­hen kön­nte: „Die Würde des Men­schen ist unan­tast­bar!“, „Män­ner und Frauen sind gle­ich­berechtigt!“, „Jed­er hat das Recht, seine Mei­n­ung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu ver­bre­it­en und sich aus all­ge­mein zugänglichen Quellen unge­hin­dert zu unter­richt­en!“ — so wür­den es vielle­icht auch die let­zten begreifen.

    Amtssprache der Bun­desre­pub­lik ist auch jet­zt schon Deutsch. Das ste­ht nicht im Grundge­setz, son­dern im Ver­wal­tungsver­fahrens­ge­setz, wo es ja auch hinge­hört, da dort der Umgang zwis­chen den Men­schen und dem Staat geregelt wird. Und nur da kann und sollte der Staat, wenn über­haupt, sprach­liche Vorschriften machen. Dem VDS geht es tat­säch­lich darum, deutsch zur Staatssprache zu machen. Ich habe in den oben ver­link­ten früheren Beiträ­gen schon disku­tiert, warum das ein äußerst frag­würdi­ges und auch gar nicht prak­tik­ables Ziel ist:

    Alle Sprachge­walt geht vom Volke aus

    Amtssprache Deutsch

    Laz­erte, diese Dop­pel­strate­gie ist bes­timmt kein Zufall. Ich empfehle eine sorgfältige und kri­tis­che Lek­türe der Haus­pos­tille des VDS, die da noch einiges in dieser Rich­tung zutage fördert und zitiere hier ein­fach noch ein­mal ganz wert­frei den Vor­sitzen­den des VDS:

    Pid­gin ist ja eine Sprache mit ein­er reduzierten Gram­matik, einem reduzierten Vok­ab­u­lar­i­um, 500 Wörter, einige sim­ple Regeln, mit denen man in der Karibik Fis­che kaufen kann, oder auch Bana­nen ver­laden kann irgend­wo im Hafen, aber keine Gedichte schreiben und auch keine physikalis­chen Abhand­lun­gen ver­fassen kann. Das heißt, indem wir diese Pid­gin­sprache benutzen begeben wir uns auf das Niveau von Bana­nen­händlern hinab, und wer will denn dass?

    Gyoku­sai, „Tan­dem aus Grundge­setz-Non­sens und Scheinum­frage“ — bess­er kann man es nicht zusammenfassen.

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  5. buntklicker.de

    Schwieriges The­ma. Aus­nahm­sweise wäre ich bere­it, darüber nachzu­denken, daß Deutsch (natür­lich in den Gren­zen von 1995!) als die amtliche Sprache in Deutsch­land grundge­set­zmäßig fest­gelegt wer­den sollte, genau­so wie daß die Bun­de­shaupt­stadt Berlin ist und daß der Tag zwis­chen Fre­itag und Son­ntag “Sonnabend” heißt.

    Im Ernst … es ging bish­er ohne und wird auch weit­er ohne gehen. 🙂

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  6. gyokusai

    Laz­erte sagt:

    Für mich seit heute: VDS = Niveau von Bananenhändlern.

    Vielle­icht ver­ste­he ich ja hier irgen­det­was falsch, oder den Witz nicht, aber mein­er Ansicht nach repro­duziert diese Aus­sage exakt die frag­würdi­gen Ideen­wel­ten, auf die Ana­tol Ste­fanow­itsch mit dem Zitat aufmerk­sam macht …

    ^_^J.

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  7. Lazerte

    @ gyoku­sai

    Zugegeben, Pauschalierun­gen sind nicht hil­fre­ich, und eine dif­feren­zierte Aus­druck­sweise verträgt sich schlecht mit Gle­ich­heit­sze­ichen. Aber mir wer­den beim Stich­wort VDS in Zukun­ft unweiger­lich freigiebig verteilte For­mulierun­gen wie “Bana­nen­händler” und “in der Karibik Fis­che kaufen” für andere Kul­turkreise in den Sinn kom­men. Dies­mal klar ausgedrückt?

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  8. Thomas Müller

    Der eigentliche Witz an der Umfrage ist mE, dass sie sich schon im ober­fläch­lis­ten Ergeb­nis selb­st zu wider­sprechen scheint. Wenn fast 2/3 der Sprech­er den Ver­fall fürcht­en, kön­nen, sollte man meinen, nur 1/3 für eben diesen Ver­fall ver­ant­wortlich sein. Bei diesen Ver­hält­nis­sen kann es ja eigentlich nicht sooo schlimm sein…

    Das Pid­gin-Zitat ist lustig. 😀

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  9. Hans W. Fedder

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,

    Sie schreiben im Sprach­blog, daß die deutsche Sprache ” nicht verkom­men wird”.

    Sie irren: sie ist lei­der schon verkommen. 

    Schuld daran ist unsere Wohl­stands­ge­sellschaft mit ihrem Hedo­nis­mus und ein man­gel­ndes Selb­st­be­wußt­sein der Deutschen. Und lei­der geht die Entwick­lung unser­er Sprache nicht vom Volke aus, son­dern von den Medi­en, der Wer­bung, der Wirtschaft und ein­er falschen Schulpolitik.

    Die Deutschen wollen eigentlich gar keine Anglizis­men, sie wäre froh, wenn sie wenig­stens ihre Mut­ter­sprache richtig sprechen, schreiben, lesen und — noch wichtiger — ver­ste­hen kön­nten. Die Medi­en und Wer­bung über­bi­eten sich aber ger­adezu, neue Angliszis­men und dumme, nicht­sagende Sprüche in unsere Sprache einzuführen und damit die Men­schen weit­er zu verunsichern.

    Das lächer­lich­ste Wort ist tat­säch­lich “Pub­lic View­ing” für öffentlich­es Fernse­hen Kein Men­sch in Deutsch­land hat es vorher gekan­nt hat. Der größte Schwachsinn ist, das dazu noch deutsche Fäh­nchen geschwenkt wer­den sollen!

    Machen Sie ein­mal ein Volk­sum­frage, wie viele Men­schen “Pablick Fju­ing” auf Anhieb schreiben kön­nen. Schon dies wird den ganzen Unsinn ent­lar­ven. Daß bei ein­er Umfrage für einen Ersatzbe­griff auch Unsin­niges zu Tage kommt, ist doch ganz klar und spricht für die Ein­sender: offen­sichtlich sind sie der deutschen Sprache noch ganz gut mächtig.

    Meine generelle Mei­n­ung über Ihren Sprach­blog möchte ich bess­er nicht schreiben, aber Sie haben diese sich­er schon herausgelesen.

    Mit fre­undlichen Grüßen

    Hans W. Fedder

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  10. D.A.

    Herr Fed­der, die lusti­gen roten unter­strich­enen Zeichen sind dazu da, dass man sie anklickt. Und hät­ten Sie das getan, hät­ten Sie Ihren Kom­men­tar vielle­icht unter­lassen. Denn so schw­er ist es nicht zu ver­ste­hen, dass die deutsche Sprache in abse­hbar­er Zeit nicht verkom­men wird (geschweige denn dass sie natür­lich auch noch NICHT verkom­men ist — in welch­er Sprache schreiben Sie denn?).

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  11. Mister Bernie

    Ich find es immer noch erheit­ernd, dass die Ver­fechter der deutschen Sprache immer nur gegen die Anglizis­men hadern und nichts an Wörtern wie “Hedo­nis­mus, Medi­en, Schulpoli­tik, Anglizis­men, generelle” auszuset­zen haben.

    Vielle­icht sollte ich aber auch anfan­gen, Jupiter­logik zu ver­wen­den, und alles wird so viel einfacher!

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  12. Thomas

    Die deutsche ist wichtig und ihr haben wir nicht zu let­zt zu verdanken

    dass wir wirtschaftlich da sind wo wir heute stehn.

    Auch der Ruf “Land der Dichter und Denker” ist dur­chaus der Sprache

    zu ver­danken.

    Wer daran nicht glaubt dem sei gefragt wie wir es zum Wirtschaftswunder

    in den 60ern geschafft hat­ten, ganz ohne Englisch!

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  13. David Marjanović

    Die deutsche [Sprache] ist wichtig[,] und ihr haben wir nicht zu[…]letzt zu ver­danken[,] dass wir wirtschaftlich da sind[,] wo wir heute steh[e]n.

    Wieso? Wie soll die Sprache mit der Wirtschaft zusammenhängen?

    Auch der Ruf “Land der Dichter und Denker” ist dur­chaus der Sprache

    zu ver­danken.

    Wieso?

    Eng­lish is a rich lan­guage, because it has bor­rowed so many words. Romani is a poor lan­guage, because it has bor­rowed so many words.”

    Wer daran nicht glaubt[,] dem sei gefragt [sic], wie wir es zum Wirtschaftswun­der in den 60ern geschafft hat­ten [nach­dem wir was erledigt hat­ten?], ganz ohne Englisch!

    Ohne Deutsch hät­tet ihr es auch geschafft.

    Und über­haupt ste­ht die fort­ge­set­zte Exis­tenz der deutschen Sprache über­haupt nicht zur Debat­te! Die ist dadurch nicht gefährdet, dass sie ein paar Wörter aufnimmt!

    Solche Unlogik kenne ich son­st nur von Kreationisten.

    Übri­gens braucht man nicht Enter zu drück­en, wenn man am Ende eine Zeile angekom­men ist. Anders als eine Schreib­mas­chine bricht ein Com­put­er die Zeile selb­st um. Enter braucht man nur, um Absätze zu beenden.

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