Je Ne Regrette Rien

Von Anatol Stefanowitsch

Wie regelmäßige Leser/innen wis­sen, ver­wende ich manch­mal Google-Häu­figkeit­en, um Behaup­tun­gen über die Ver­wen­dung bes­timmter sprach­lich­er For­men zu über­prüfen. Ran­dall Munroe, dessen Car­toons wir hier ab und zu in deutsch­er Über­set­zung posten, zeigt, dass man Google-Häu­figkeit­en auch ver­wen­den kann, um etwas über die Welt und unsere Spezies zu erfahren.

Hier hat er zum Beispiel die Gefährlichkeit unter­schiedlich­er Freizeitak­tiv­itäten anhand ihres Auftretens in der Phrase died in a _____ acci­dent gemessen. Vor ein paar Tagen hat er sich nun mit der Frage beschäftigt, was man mehr bereut — die Dinge, die man getan hat, oder die, die man nicht getan hat:

Google-Suchergebnis für "I ____ have kissed her."

Google-Suchergeb­nis für “I ____ have kissed her.”

Ich bin ja ein erk­lärter XKCD-Fan, aber ich finde, dass er in diesem Fall durch die Zusam­men­fas­sung der Ergeb­nisse für him und her eine Chance ver­tan hat, detail­liert­eres Wis­sen über die men­schliche Natur her­auszufind­en. Ich habe seine Unter­suchung deshalb wieder­holt (da seine Car­toons sich immer schnell im Inter­net aus­bre­it­en, habe ich bei der Google-Suche alle Seit­en aus­geschlossen, auf denen das Wort XKCD vorkommt). Die Ergeb­nisse sind höchst inter­es­sant (Achtung: die Spal­ten für should und should­n’t sind ander­sherum ange­ord­net als bei XKCD):

Die Reue über ver­säumte Küsse ist (im englis­chen Sprachraum) also deut­lich größer, wenn das poten­zielle Objekt der Begierde weib­lich ist (über das Geschlecht des Bereuen­den sagt die Unter­suchung allerd­ings nichts).

Tu es oder tu es nicht, du wirst beides bereuen (Sören Kierkegaard)

Tu es oder tu es nicht, du wirst bei­des bereuen (Sören Kierkegaard)

Die Deutschen bereuen dage­gen stattge­fun­dene und ver­säumte Küsse zu etwa gle­ichen Teilen, allerd­ings sind die Zahlen zu niedrig um ihnen zu trauen (hier die Zahlen für Ich hätte ihn/sie (nicht) küssen sollen):

Das einzige, was ich bereue, ist, dass ich nicht jemand anders bin (Woody Allen)

Das einzige, was ich bereue, ist, dass ich nicht jemand anders bin (Woody Allen)

[Dieser Beitrag ste­ht, wie XKCDs Car­toon, unter ein­er CC-BY-NC‑2.5‑Lizenz].

 

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

5 Gedanken zu „Je Ne Regrette Rien

  1. Andreas H.

    Hmmm, in der direk­ten Ansprache “Ich hätte dich küssen sollen” sind es auch nicht mehr Treffer. 

    Was ist los mit den Deutschen/Schweizern/Österreichern/…?

    Vielle­icht sind sie ja ziel­stre­biger und set­zen alle Vorhaben in die Tat um…

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  2. A.T.

    Die Unter­suchung hat einen Hak­en: Sie geht davon aus, dass Män­ner und Frauen zu gle­ichen Teilen im Inter­net vertreten sind und waren (www gibt es seit 15 Jahren, Google bezieht den gesamten Zeitraum ein) und dann nochmal davon, dass das auch für alle Alters­grup­pen gilt. 

    Wobei der Unter­schied so groß ist, dass man sich fra­gen muss, welche Fak­toren son­st noch eine Rolle spie­len könnten.

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  3. Achim

    Sooo riesig ist der Unter­schied zwis­chen “him”- und “her”-Äußerungen nicht, dass man ihn nicht mit Hypothe­sen zur Inter­net­nutzung im All­ge­meinen und Beson­deren erk­lären könnte:

    Ca. 24.000 Anhänger der Weib­lichkeit (ob die Urhe­ber nun Männlein oder Weiblein sind, wird in den hier unter­sucht­en Sprachen nicht am Per­son­al­pronomen markiert — um den Bogen zur Lin­guis­tik zu schla­gen…) gegenüber 7.000 Männerküsser/inne/n. Ich finde eine dreifache Über­legen­heit der Män­ner (in der Annahme, dass der Anteil homo­ero­tisch mot­viviert­er Äußerun­gen den Gesamt­ef­fekt nicht dominiert) über die gesamte Zeit des WWW hin­weg nicht geson­dert erk­lärungs­bedürftig. Und anson­sten müssen Frauen die Reue über unter­lassene oder durchge­führte ero­tis­che Avan­cen offen­bar nicht im gle­ichen Umfang dem Netz mit­teilen wie wir Männer 😉

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  4. Sabine

    Oh, das ist aber ein schön­er Blo­gein­trag. Gibt es eigentlich schon wis­senschaftliche Unter­suchun­gen zu der Leis­tung, die Google als Kor­pus erbringt? 

    Übri­gens: Ich hätte ihn küssen sollen. Ich mein ja nur.

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  5. P. Frasa

    Wobei sich die Frage stellt, ob “ich hätte XY tun sollen”-Konstruktionen im Deutschen nicht vllt. generell sel­tener sind als die entsprechende englis­che Vari­ante. Aber das ist nur Spekulation.

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