Jugend spricht

Von Anatol Stefanowitsch

Wir haben ja hier bere­its vor einiger Zeit Zweifel an der Authen­tiz­ität dessen geäußert, was sich in Lan­gen­schei­dts Wörter­buch der Jugend­sprache find­et. Jet­zt kom­men auch die tra­di­tionellen Medi­en langsam darauf, dass da irgen­det­was nicht stim­men kann. Auf FAZ.net find­et sich in der Rubrik „Jugend schreibt“ ein Artikel, in dem Jugendliche selb­st über ihren Sprachge­brauch nach­denken. Darin kommt auch das Lan­gen­schei­dtsche Meis­ter­w­erk vor:

Christi­na Roth schaut das kleine gelbe Heftchen mit dem „L“, das man eigentlich von Fremd­sprachen­lexi­ka ken­nt, inter­essiert an. Als sie beim Herum­blät­tern aber das Wort „Güf­fel“ für „Idiot“ ent­deckt oder „jam­mern“ für „essen“, lacht sie laut los. So etwas würde sie nie sagen. Sie blät­tert die kleinen, fes­ten Seit­en durch, lacht immer wieder, liest beson­ders komis­che Worte laut vor und amüsiert sich mit Anna Schwendler sehr über die zum Teil vol­lkom­men frem­den Aus­drücke. „Das soll Jugend­sprache sein? Von der Hälfte hab’ ich noch nie was gehört.“ Am Entste­hen des Buch­es arbeit­eten Schü­lerin­nen und Schüler der 8. bis 10. Klasse mit. Mit deren Worten kann sich Christi­na nicht iden­ti­fizieren. Das liegt wahrschein­lich am Alter­sun­ter­schied, außer­dem ändert und entwick­elt sich die Sprache der Jugend so schnell wie ihre Erfind­er selbst.

Die Autorin Sarah-Maria Goer­litz, sel­ber noch Schü­lerin, ist hier sehr großzügig mit den Wörter­buch­mach­ern. Ja, der Sprachge­brauch unter Jugendlichen ändert sich: als ich jung war, haben wir krass und fett/phat noch gar nicht ver­wen­det, meine neun­jährige Tochter hält sie heute für nor­male, stilis­tisch unmarkierte Wörter. Irgend­wann in dem Viertel­jahrhun­dert dazwis­chen waren sie Jugend­sprache. Aber dass sich der jugendliche Sprachge­brauch so schnell ändert, dass die Zwölftk­läss­er die Zehn­tk­lässler nicht mehr ver­ste­hen, wäre dann doch überraschend.

Isabel Ernst geht auf der Web­seite der Deutsche Welle in ihrer Kri­tik deut­lich weit­er und trifft den Kern des Problems:

[W]as für eine Sprache benutzen Jugendliche eigentlich genau, wenn sie sich untere­inan­der unter­hal­ten? Man kön­nte an Wörter wie cool, krass und Alta denken. […] Doch Lan­gen­schei­dt hat sich stattdessen dafür entsch­ieden, kreative Wort­neuschöp­fun­gen wie Zorn­röschen (zick­iges Mäd­chen) oder Gam­melfleis­ch­par­ty (Par­ty für Leute über 30) als Jugend­sprache zu verkaufen. Ob der­ar­tige Begriffe tat­säch­lich die Sprache von Jugendlichen heutzu­tage repräsen­tieren? Nun, darüber lässt sich streiten.

Sie fragt dann bei Eva Neu­land nach, und die wup­per­taler Pro­fes­sorin für Sozi­olin­guis­tik, die seit über zwanzig Jahren Jugend­sprache erforscht,

… ist zumin­d­est skep­tisch: „Unseren Unter­suchun­gen zufolge sind Jugendliche heute wirk­lich kreativ, aber man kann wohl kaum sagen, dass Jugendliche solche Wörter erfind­en und auch unter sich benutzen, jeden­falls nicht in so einem Umfang, wie diese Aktion vielle­icht jet­zt nahe legt.“ […]

Doch woher kom­men Wörter wie Stock­ente als Beze­ich­nung für Nordic Walk­er oder Heuch­lererb­sen für Blu­men­strauß dann? Die Ger­man­istin glaubt, „dass dies Erfind­un­gen von Leuten sind, die so was vielle­icht auch pro­fes­sionell machen. Denn man muss natür­lich zugeste­hen, dass die oft mit einem gewis­sen Witz ver­bun­den sind. Man kann darüber schmun­zeln, allerd­ings nutzt sich der Witzef­fekt rel­a­tiv schnell ab.“

Ein wahres Wort.

Frühere Beiträge zum The­ma Jugendsprache:

Jugend­wort

Würde­lose Jugend

For­ev­er Young

Jugend ohne Syntax

Sprach­liche Erziehungsprobleme

Ent­fes­selte Sprachpfleger

Türk­endeutsch Reloaded

Sprachver­wirrun­gen

Kleine Anleitung zum geistre­ichen Fluchen

Dieser Beitrag wurde unter Bremer Sprachblog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

10 Gedanken zu „Jugend spricht

  1. Wentus

    Bei solchen Sprach­neuschöp­fun­gen muss man natür­lich bedenken, dass sie nicht nur von ein­er bes­timmten gesellschaftlichen Grup­pierung gesprochen wer­den, son­dern auch vor­erst örtlich eng begren­zt. Das kann soweit gehen, dass (gemäß ein­er franzö­sis­chen Unter­suchung) Jugendliche im Osten von Mar­seille diejeni­gen im West­en nicht ver­ste­hen (dort haben sich ver­schiedene Herkun­ftswörter aus Ein­wan­der­ersprachen eingebürgert).

    Die Logik von Sprach­neuschöp­fun­gen ist leicht ein­sichtig: Wenn sich ein Wort aus seinem Ursprung ver­bre­it­et, tritt es in Konkur­renz mit anderen neuen oder beste­hen­den Wörtern und wird entwed­er akzep­tiert oder ersetzt.

    Im Fall des Jugend­wörter­buchs heißt das wohl, dass sich einige Teile davon nur an manchen Schulen des Bun­des­ge­bi­etes gebrauchen lassen. Dann ist es natür­lich ver­früht, es als gesamt­deutsches Werk zu verkaufen.

    Antworten
  2. Jan

    Der topographis­che Aspekt ist mir in dem Beitrag jet­zt auch ein wenig unterge­gan­gen. (Meine schwäbis­chen Fre­unde sind immer wieder entset­zt, wenn ich hin und wieder ein frank­furter-türkisches Wort fall­en lasse.) Aber ins­ge­samt muss man schon sagen, dass Stock­ente oder Gam­melfleis­ch­par­ty ver­mut­lich höch­stens lokale Bedeu­tung erlan­gen kön­nen, die seman­tis­che Ver­schiebung bei diesen Kon­struk­ten ist ein­fach zu kom­plex. Tat­säch­lich klin­gen sie sehr “erfun­den”.

    Antworten
  3. Thomas Müller

    @#1

    Selb­st das halte ich noch für eine zu pos­i­tive Bemerkung. Nach mein­er Erfahrung beschränken sich solche regionalen “Neu­bil­dun­gen” doch primär auf Dialekt-Aus­drücke und davon abgeleit­ete jugend­sprach­liche Begriffe. In Zeit­en des Inter­net dürften Schul­hof­sprach­va­ri­etäten einen sehr schw­eren Stand haben.

    Wenn es solche lokalen Neu­bil­dun­gen doch gibt: fördern mod­erne Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel die Ver­bre­itung solch­er Neol­o­gis­men oder däm­men sie sie ein? Sie sprechen sich schneller herum, aber vielle­icht ver­lieren sie sich auch in der großen weit­en Welt — wenn Klein-Michi merkt, dass das neue Wort, dass er kür­zlich gehört hat, von kein­er Sau ver­wen­det wird außer von den zwei, drei Gestal­ten an sein­er Schule, dann wird er es wom­öglich lieber nicht benutzen wollen. Klingt spon­tan bei­des einleuchtend.

    Antworten
  4. David Marjanović

    Im Fall des Jugend­wörter­buchs heißt das wohl, dass sich einige Teile davon nur an manchen Schulen des Bun­des­ge­bi­etes gebrauchen lassen. Dann ist es natür­lich ver­früht, es als gesamt­deutsches Werk zu verkaufen.

    Ver­früht? Kom­plett unmöglich, weil es keine gesamt­deutsche Jugend­sprache gibt. Wo ich herkomme, wird krass von allen Alters­grup­pen ver­achtet, weil es mit, äh, “dem Bun­des­ge­bi­et” iden­ti­fiziert wird. Es kommt im Sprachge­brauch nicht vor, nicht ein­mal in dem mein­er 16jährigen Schwester.

    Antworten
  5. Frank Rawel

    Ein wenig erin­nern mich die erwäh­n­ten Begriffe an die zum Glück etwas nachge­lasse­nen pub­lizis­tis­chen Behaup­tun­gen über den Berlin­er “Volksmund”, er würde “Telespargel” zum Fernse­hturm sagen oder “Gold­else” zur Siegessäule. Ich habe noch nie einen Berlin­er das frei­willig sagen hören. Es sind Erfind­un­gen der Presse, die es als “abge­lauscht” aus­gibt. Ähn­lich scheint mir das auch um die “Jugend­sprache” zu stehen.

    Antworten
  6. guckstuda

    > Bei solchen Sprach­neuschöp­fun­gen muss man natür­lich bedenken, dass sie nicht nur von ein­er bes­timmten gesellschaftlichen Grup­pierung gesprochen wer­den, son­dern auch vor­erst örtlich eng begrenzt

    Und vor allem nur in sehr speziellen Situationen.

    > Tat­säch­lich klin­gen sie sehr “erfun­den”.

    Sind sie auch. 

    Lan­gen­scheid geht so vor:

    - Sprach­lehrer anschreiben wg. Teilnahme

    - Die (idR Deutsch-)Lehrer sam­meln die Aus­drücke in ein­er (mehreren?) Unterrichtsstunde(n?)

    - Fremd­sprachen­lehrer lassen die Schüler geeignete Über­set­zun­gen erarbeiten

    - Ein­sendung an den Verlag

    - Dort wer­den nur Mehrfachein­sendun­gen berücksichtigt.

    => Das ist eine hochgr­a­dig kün­stliche Sit­u­a­tion in der die Worte gesam­melt wer­den, gesät­tigt mit der lustvollen Konkur­renz sich gegen­seit­ig mit For­mulierun­gen zu über­bi­eten und dem Spaß daran Sprache mal wild wuch­ern zu lassen. Ein kreatives Hochschaukeln pro­duziert aber keine Ergeb­nisse die dem All­t­ags-Sprechen ähneln. Dem Jungvolk aufs Maul geschaut? — Nixda!

    Das so kol­lab­o­ra­tiv erar­beit­ete Vok­ab­u­lar ist eher mit pro­duziertem Humor zu ver­gle­ichen (etwa Neue Frank­furter Schule, Brain­pool-Com­e­dy) als mit ein­er gesproch­enen (Jugend-)Sprache mit einem Min­dest­maß an alltäglichem Sprachgebrauch. 

    Lan­gen­scheid sollte man hier nicht ernst nehmen, und wis­sen was bei diesem Ver­lag neben dem Wörter­buch der Jugend­sprache noch im im sel­ben Regal steht.

    Antworten
  7. Wolfgang Hömig-Groß

    @Frank Rawel: Das deckt sich mit mein­er Beobach­tung, aber z.B. “Schwan­gere Auster” für die Kon­gresshalle habe ich tat­säch­lich in vivo schon gehört. Aber das ist “ver­damp lang her”.

    Antworten
  8. Christian Kaul

    @guckstuda: Wenn die Leute bei Lan­gen­schei­dt wirk­lich dem Jungvolk aufs Maul geschaut haben, dann ist ihr Wörter­buch aber mit­tler­weile mehr als veraltet. 😉

    Antworten
  9. guckstuda

    @Christian Kaul

    Ver­al­tet auch. Allein schon wegen der kurzen Halb­w­ert­szeit bei allen Ich-bin-so-cool-Merk­malen und ‑Ver­hal­tensweisen.

    Antworten
  10. Andre

    Böse, da wird also ein polemis­ch­er Aus­druck geschöpft, der witzig ist und L verkauft das. 

    Ich meine, guck­en wir doch mal was die seman­tis­che Stelle ist, die diese Jugend­sprach­wörter ein­nehmen. Da gibt es immer ein Wort für gut, schlecht, Mäd­chen usw. Welch­es Wort da in ein­er jew­eili­gen Zeit diese Rolle ein­nimmt, das ist doch eigentlich wumpe. Meine Oma sprach immer von “fün­sch” wer­den, alter­na­tiv ganz “römisch-katholisch”. Ob ich nun “rasend”, “aufge­dreht”, “aufgeregt” usw. sage, das spielt doch gar keine Rolle. Es wird aber mit solchen Wort­feldern ein Bere­ich abgesteckt, es wird ein Stil gepflegt. 

    So genan­nte Jugend­sprache von Erwach­senden erzählt und aufgenom­men ist immer daneben. Dazu fällt mir dann auch nur das englis­che Wort “moron” ein und wahrschein­lich gibt es für den Sozia­lid­ioten in jed­er Gen­er­a­tion und in jedem Bezirk ein eigenes Wort. Ein Wort, das für etwas steht.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Wolfgang Hömig-Groß Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.