Bei Familie Kistenpfennig

Von Kristin Kopf

2009-08-Kistenpfennig

Vor zwei Wochen bin ich durch ein Indus­triege­bi­et ger­adelt (roman­isch, was?) und habe dabei die Fir­ma Kistenpfen­nig ent­deckt. (Es scheint ihr da aber auch nicht so gut zu gefall­en, denn im Sep­tem­ber zieht sie um.)

Kistenpfen­nig ist ein­er der schillern­deren Fam­i­li­en­na­men des Deutschen – und zwar ganz beson­ders, wenn man sich anschaut, wo er herkommt. Spon­tan ver­muten wohl die meis­ten Men­schen, dass es etwas mit ein­er Kiste zu tun hat – vielle­icht eine Schatztruhe oder sowas – aber dem ist nicht so.

Was hat Bleibtreu mit Kistenpfennig zu tun?

Kistenpfen­nig ist ein soge­nan­nter “Satz­name”, also ein Name, der ursprünglich ein richtiger Satz war. Satz­na­men sind rel­a­tiv sel­ten, dazu gehören z.B. Diene­gott, Bleib­treu, Nährdich, Lach­nitt ‘lach nicht’, Thu­dichum, Sprin­gins­feld, Kehrein, Flick­en­schild ‘flick den Schild’. Ich habe hier Beispiele aus­gewählt, die heute noch recht gut ver­ständlich sind (übri­gens alle aus Kun­ze, S. 152). Viele dieser Satz­na­men haben aber laut­liche Verän­derun­gen mit­gemacht oder sind dialek­tal geprägt, sodass man heute nicht mehr so klar sehen kann, woher sie kommen.

So ist das auch mit Kistenpfen­nig. Der Name bein­hal­tet das Verb küssen, wörtlich heißt er also ‘küss den Pfen­nig’ (kis ten pfen­nig). Dass ein i- statt eines ü-Lautes benutzt wird, ist dialek­tal gar nicht so sel­ten. Man nen­nt das Phänomen “Entrun­dung”, weil der einzige Unter­schied zwis­chen den bei­den Laut­en darin beste­ht, dass beim ü die Lip­pen gerun­det wer­den, beim i aber nicht. (Ein­fach mal pro­bieren: Wenn Ihr ein i aussprecht und dann langsam die Lip­pen zu einem Kuss­mund formt, wird automa­tisch ein ü draus.)

Es gibt den Namen auch in der gerun­de­ten Vari­ante, näm­lich als Küssenpfenig (in Öster­re­ich). Olschan­sky gibt auch noch Küstenpfen­nig an, aber da finde ich zumin­d­est keine Tele­fon­buchein­träge, muss also sehr sel­ten (oder schon aus­gestor­ben) sein.

Kistenpfen­nigs gibt’s aber auch nicht ger­ade viele. Eine Abfrage mit Geogen, ein­er Kartierungssoft­ware für Fam­i­li­en­na­men, ergibt 37 Tele­fo­nan­schlüsse in Deutschland:

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Und wer heißt so?

Wie kam man über­haupt auf die Idee, jeman­den Kistenpfen­nig zu nennen?

Der Name ist ein soge­nan­nter “Über­name”. Über­na­men beschreiben eine charak­ter­is­tis­che Eigen­schaft oder das Ausse­hen der benan­nten Per­son. So kann jemand mit schwarzem Haar Schwarz genan­nt wer­den, jemand von eher unter­durch­schnit­tlich­er Kör­per­größe Klein, eine unan­genehme Per­son wird zum Greulich. Und ein Kistenpfen­nig ist ein Geizhals – ein­er, der jeden Pfen­nig küsst.

Es gibt noch einige weit­ere Satz­na­men mit dieser Bedeu­tung, z.B. Wehrenpfen­nig ‘vertei­di­ge den Pfen­nig’, Zip­penpfen­nig ‘spare den Pfen­nig’ und Wrief­pfen­nig ‘reib Pfennig’.

Es gibt auch noch weit­ere Fam­i­li­en­na­men mit Pfen­nig. Men­schen, die geschickt mit Geld umge­hen kön­nen, heißen Wucherpfen­nig, Win­nepfen­nig. Wer es nicht schafft, sein Geld gewinnbrin­gend einzuset­zen, ist ein Schim­melpfen­nig oder Sulzepfen­nig (von salzen, also ein­pökeln). Und wer ver­schwen­derisch lebt wird Zehrenpfen­nig (von zehren, früher in der Bedeu­tung ‘ver­prassen’) oder Schmeltzpfen­nig genannt.

Wie konnte das passieren?

Fam­i­li­en­na­men gab es nicht immer. Im Früh­mit­te­lal­ter und vorher tru­gen die Men­schen Ruf­na­men (Sigfried, Kriemhilt, …) und, wenn das nicht aus­re­ichte (weil z.B. jemand anders auch so hieß), Beina­men. Gab es also zwei Sigfrieds im Dorf, kon­nte ein­er Klein und der andere Groß genan­nt wer­den, oder nach den Berufen ein­er Müller und der andere Schnei­der, … man war sehr kreativ, es gab auch Benen­nun­gen nach dem Wohnort, dem Herkun­ft­sort oder dem Vater.

Nun spitzte sich allerd­ings die Lage immer weit­er zu, und zwar weil die Städte immer weit­er wuch­sen, also immer mehr Men­schen den sel­ben Ruf­na­men tru­gen, und weil man sich bei der Benen­nung tra­di­tions­be­wusst zeigte: Die Nach­be­nen­nung war in Mode. Kinder wur­den auf den Namen der Eltern, der Pat­en oder der Großel­tern getauft, auch Herrsch­er­na­men waren sehr beliebt. Und Schutzheilige – und mit ihnen die bib­lis­chen Namen. Im Spät­mit­te­lal­ter hießen 23% aller Frauen Mar­gare­ta, 18% Katha­ri­na. Bei den Män­nern hieß fast jed­er dritte Johannes.

Schließlich wur­den die Beina­men “fest”: Sie wur­den auf die Kinder weit­er­vererbt und somit zu Fam­i­li­en­na­men. Sigfrid Klein hieß noch so, weil er klein war, aber sein Sohn Johannes Klein war vielle­icht der größte Junge der Straße – trug aber trotz­dem den Namen des Vaters. Man geht davon aus, dass dieser Prozess im 12. Jahrhun­dert in Süd­deutsch­land begann und nach und nach das ganze deutsche Sprachge­bi­et erfasste. Als Gründe dafür sieht man neben Bevölkerungswach­s­tum und Nach­be­nen­nung die Sicherung von Erbansprüchen und die zunehmende Bürokratie (Steuerlis­ten, Urkunden, …).

Und so ste­hen heute die armen Kistenpfen­nigs mit ihrem Namen da, obwohl sie wom­öglich sehr großzügig sind. Also vielle­icht ein Segen, dass man die Herkun­ft des Namens nicht mehr direkt erkennt …

4 Gedanken zu „Bei Familie Kistenpfennig

  1. Achim

    Wucherpfen­nig” heißt eine Ham­burg­er Autover­mi­etung. Es gibt sie schon sehr lange, geschäftss­chädi­gend kann der Name also nicht gewe­sen sein…

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  2. Monika

    Ich kann mich dunkel erin­nern, dass es als ich klein war, ein Tep­pich­haus mit dem unpassenden Namen “Tep­pich Eier­stock” gab… woher kommt denn so ein Name?

    Da käme ich nicht auf eine Her­leitung, wie du so schön gabst. 

    Die andere “unmögliche Kom­bi­na­tion” von Geschäft und Namen aus mein­er Knd­heit war “Frieseurslon Knaben­re­ich”, da hab ich allerd­ings eine Vorstel­lung, wie der Name ent­stand, nur die wun­der­bare Kom­bi­na­tion ließ es in meinem Hirn bis heute verharren :))

    Zu Wuch­er: Ich hörte irgend­wo, dass dies das alte Wort für “zin­sen” sei?! 

    Dann wär Wucherpfen­nig vielle­icht jemand, der Zin­sen gab/nahm, also ein Geld­ver­lei­her… paßt zum Autoverleiher 😉

    Her­zliche Grüße, 

    Moni­ka

    Antworten
    1. Kristin Beitragsautor

      Ja, Wuch­er hieß ursprünglich ein­fach ‘Ertrag, Zins’. Wucherpfen­nig musste meines Wis­sens kein Geld­ver­lei­her sein, es kon­nte auch son­st jemand sein, der gut wirtschaftete und dadurch sein Geld ver­mehrte. (Wie die bib­lis­che Geschichte mit den drei Söh­nen und den Talenten …)

      Nach dem Eier­stock habe ich mal ein bißchen gegooglet, dazu gibt es eine Erk­lärung in Lud­wig Steubs Die oberdeutschen Fam­i­li­en­na­men (München 1870). “S. des …” heißt “Sohn des …”:

      Toc­co = Tiudger, wovon auch die Toggen­burg benan­nt, bildet jet­zt in vie­len Namen den zweit­en Theil. Hopfen­stock ist schon oben S. 81 aufge­führt. Fern­er beispiel­weise: Birken­stock, Dörr­stock = Toc­co, S. des Beri­go, des Toro; Eier­stock = Toc­co, S. des Iring, wie ja auch die alte Irings­burg an der Loisach jet­zt Euras­burg heißt; Mat­ter­stock, Rosen­stock = Toc­co, S. des Mahtheri, des Rozo 

      Irings Toc­co (ähn­lich wie heute Hubers Maria) wurde also zu Iringstoc­co ver­bun­den. Falls das i am Anfang lang war, wurde es ganz reg­ulär vom Mit­tel­hochdeutschen zum Früh­neuhochdeutschen zu ei (“Früh­neuhochdeutsche Diph­thongierung”), der Rest wurde dann wohl ver­ball­hornt zu Eier­stock.

      Ich werde bei Gele­gen­heit mal an der Uni in ein mod­erneres Namen­buch rein­schauen, ob die noch andere Vorschläge haben.

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  3. Monika

    Ah, das macht mehr Sinn als alles, was ich mir vorher zusam­men­reimte… Toc­co hat­te also seine Fin­ger dirn 😉

    Endlich mal wieder eine neue Namenser­schaf­fung erfahren… klasse, danke!!

    Ich stellte mir als Kind das immer eher anatomisch vor und wun­derte mich ständig… eier­legende Tep­pich­pro­duzen­ten oder so… *kich­er*

    Rosen­stock, einst Name enes Chefs von mir, dachte ich in die Richting,“der, der einen großen Rosen­busch hat” oder so…

    Als jemand, der sprach­lich kreativ ist und gerne Namen erfind­et, wird deine Antwort sicher­lich in meinem Werkzeugkas­ten der buch­stäblichen Art landen!!!

    Her­zliche Grüße, 

    Moni­ka

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