Jugendwort 2009

Von Anatol Stefanowitsch

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und wir dür­fen uns neben triefend­en Jahres­rück­blick­en auch auf eine Rei­he von Wörtern und Unwörtern des Jahres gefasst machen.

In den USA hat das New Oxford Amer­i­can Dic­tio­nary vor ein paar Tagen das Wort unfriend zum „Word of the Year“ ernan­nt, in Deutsch­land eröffnet der Ver­lag Lan­gen­schei­dt den Reigen der Wort­wahlen mit dem „Jugend­wort 2009“. Die Top 5:

  1. hartzen
  2. bam
  3. Bankster
  4. Rudel­guck­en
  5. Pisaopfer

Die Lan­gen­schei­dt-Jury ist von ihrer eige­nen Wahl so begeis­tert, dass sie sich zu fast poet­is­chen sozialkri­tis­chen Aus­führun­gen hin­reißen lässt:

Beson­ders inter­es­sant war für die diesjährige Jury, dass vier Begriffe aus den Top 5 eng mit aktuellen gesellschaftlichen The­men ver­woben sind. So zeige sich die ständi­ge Kreativ­ität der Jugend, die aktuelle Geschehnisse und Prob­lematiken beobachtet, einord­net und dann in ihre Sprache „über­set­zt“. Ganz beson­ders beim Wort „hartzen“, das sich in der Ursprungs­form „Hartz IV“ im Sprachge­brauch der Erwach­se­nen und der öffentlichen Diskus­sion fest­ge­set­zt hat und nun in abge­wan­del­ter Form und mit zusät­zlichen Bedeu­tun­gen in die Jugend­sprache über­nom­men wurde, komme dies zum Aus­druck. „Der Begriff „hartzen“ set­zt sich mit einem poli­tis­chen und gesellschaftlichen Sachver­halt auseinan­der, der inzwis­chen auch in der Lebenswelt der Jugendlichen angekom­men ist. Hier zeigt sich, wie sehr sich Jugendliche mit dem The­ma Arbeit­slosigkeit kon­fron­tiert sehen beziehungsweise auseinan­der­set­zen. Die sprach­liche Kreation des Verbs „hartzen“ aus „Hartz IV“ impliziert durch die neg­a­tive Grundbe­set­zung des ursprünglichen Aus­drucks per se Kri­tik“, so die Jury. [Pressemel­dung]

Ja, das mag sein. Alter­na­tiv beste­ht natür­lich auch die nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit, dass die Jury hier ihre Vorurteile in weit­ge­hend erfun­dene Wörter hinein­phan­tasiert. Wie Lars Fis­ch­er zum Wort hartzen lakonisch anmerkt: „Bei uns hieß das was anderes“ (wobei ich vor­sor­glich darauf hin­weise, dass ich nie inhaliert habe).

Beein­druck­ender als die Wörter­suche der Lan­gen­schei­dts fand ich das, was Sprach­blog­ger diese Woche für die Beobach­tung und Entwick­lung des deutschen Wortschatzes getan haben.

Klaus Jar­chow deckt in seinem Stil­stand die Bedeu­tung des Wortes Part­nerange­bot auf.

Wortis­tik­er Detlef Gürtler erfind­et für den Vor­sitzen­den des VDS das Wort Spruch­pan­sch­er. Ob das Wort eben­so erfol­gre­ich wird wie seine Wortschöp­fung Sprach­nör­gler, bleibt abzuwarten. Let­zteres hat es in nur zwei Jahren zum geflügel­ten Wort auf sprachkri­tik-kri­tis­chen Blogs entwick­elt und dank meines Gast­beitrags im Ham­burg­er Abend­blatt kür­zlich den Sprung in die tra­di­tionellen Print­me­di­en geschafft.

Die meis­ten Wörter find­et (nicht erfind­et!) natür­lich wieder ein­mal mein Kol­lege Lothar Lem­nitzer von der Wort­warte. Allein am let­zten Sam­stag waren das: Analog­bahn, Angst­sam­mel­stelle, Autoin­di­vid­u­al­isierung, Beat­tep­pichknüpfer, Dig­i­talflitzer, Dig­i­tal­isierungskit, Eigen­marken­strate­gie, Gedanken­miliz, Holper­woche, Kom­pe­ten­zadel, Moleku­larmeis­ter, Mor­phwolf, Rad­klaubranche, Rol­lo­mat, Sonst­wie­sex­uelle, Trans­gen­der­men­sch, Über­flugvideo, Warm­luft­pi­rat, und Zivilopfer­kauf.

Das Wort hartzen hat er übri­gens in den zehn Jahren seit Grün­dung der Wort­warte nicht gefun­den — die Jugendlichen haben es wohl nur offline ver­wen­det. Es taucht in sein­er Samm­lung aber in einem Beleg zum Wort Nocharbeitsplatzbesitzende/r vom 22. Novem­ber 2005 auf, inter­es­san­ter­weise in ein­er tran­si­tiv­en Verwendung:

Arbeit­slose und erwerb­s­fähige Sozial­hil­feempfänger wer­den nach­haltig gequält, um allen Nochar­beit­splatzbe­sitzen­den zu sig­nal­isieren: Nehmt die zunehmende Dereg­ulierung des Arbeits­mark­tes gefäl­ligst kla­g­los hin, oder ihr ver­liert eure Jobs und werdet im näch­sten Jahr sel­ber gehartzt.

Bei soviel Wörter­suche will ich nicht zurück­ste­hen und habe schnell eine eigene Aktion ins Leben gerufen: ab sofort suche ich hier im Bre­mer Sprach­blog das Schön­ste Fremd­wort des Jahres 2009. Bitte weitersagen!

8 Gedanken zu „Jugendwort 2009

  1. Adrian

    Kleine Info am Rande: Wenn ein Tweet (das ist eine Twit­ter-Nachricht) mit ‘RT @name’ begin­nt, dann han­delt es sich um einen Retweet, das ist eine Art Zitat, wobei @name auf den Urhe­ber des Inhalts verweist.

    Dem­nach hat nicht Lars Fis­ch­er ange­merkt, das “har(t)zen” bei ihm andere Assozi­a­tio­nen her­vor­ruft, son­dern er hat lediglich eine Anmerkung des Twit­ter-Nutzers “ebel” (Alexan­der Ebel, http://twitter.com/ebel) geretweet­et, d.h. zitiert und repub­liziert, damit auch seine Gefol­gschaft (seine Fol­low­er) etwas davon hat.

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  2. Detlef Guertler

    Da möchte ich doch gle­ich “twit­tern” nominieren. Endlich mal eine mod­erne Kom­mu­nika­tion­s­meth­ode, die sich nach allen Regeln von Gram­matik und Syn­tax beu­gen und streck­en lässt, zudem laut­ma­lerisch so fluffig und bedeu­tungs­los wie das Medi­um selb­st. Wobei ich es kon­se­quenter fände, den Twit­ter-Nutzer “Twit­ter­er” zu nen­nen und statt vom Tweet vom “Twitt” zu reden, äh, zu twittern.

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Adri­an (#1), der Retweet geht bis zum senkrecht­en Strich. Der Teil danach, den ich zitiert habe, stammt von Lars Fis­ch­er. Ich bin zwar alt, aber nicht zu alt, um Twit­ter-Kon­ven­tio­nen zu durchschauen. 😉

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  4. tacke

    Son­st stets mit dem Blog übere­in­stim­mend, muss ich allerd­ings anmerken, dass in meinem 25–27jährigen Fre­un­deskreis dur­chaus ver­wen­det wird. Zwar wis­sen wir auch nicht, wo es auf ein­mal herkommt ob es sich (wie beim Jugend­wort üblich (laut diesem Blog zumin­d­est)) Atze Schröder aus­gedacht hat, allerd­ings wird dieses mein­er Ansicht nach dur­chaus Ver­wen­dung find­en. Fasst ein­fach (ohne die rein­in­ter­pretierte gesellschaftliche Auseinan­der­set­zung) alles schön zusammen.

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  5. Gareth

    Wenn bam die Inter­jek­tion aus dem Englis­chen sein soll, dann kann ich per­sön­lich auch deren Gebrauch im Deutschen bestätigen.

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  6. Adrian

    @Anatol Ste­fanow­itsch, das stimmt. Da hätte ich wohl mal genauer hin­schauen sollen… Ich bin zwar auch nicht mehr ger­ade jung aber ver­bringe doch einige Zeit mit dem bedeu­tungslosen Medi­um Twit­ter. Allerd­ings ist die “Pipe” (der senkrechte Strich) zum abgren­zen von Zitat und Kom­men­tar nicht unbe­d­ingt ver­bre­it­et. Häu­figer wird der Kom­men­tar vor den Retweet geschrieben oder eck­ige Klam­mern und Spiegel­striche wer­den zur Abgren­zung genutzt, wodurch der Kom­men­tarteil sich m.E. visuell auch bess­er abgren­zt und nicht so leicht überse­hen lässt wie es mir passiert ist.

    @Detlef Guertler, Sie sind, wenn ich das richtig sehe, in ihrer Kri­tik der Twit­ter-Tech­nolo­gie auf Stufe 5c ange­langt (vgl. diesen sehr schö­nen Beitrag im Merkur von Kathrin Pas­sig: http://www.online-merkur.de/seiten/lp200912adz.htm , auf den ich übri­gens über Twit­ter gestoßen bin).

    Gerne wüsste ich allerd­ings, wie sich “eine Kom­mu­nika­tion­s­meth­ode … nach allen Regeln von Gram­matik und Syn­tax beu­gen und streck­en lässt”? Soll das eine Twit­ter-Kri­tik sein? Dann hätte viel­lecht bess­er gepasst: “…gegen alle Regeln von Gram­matik und Syn­tax…”. Oder hal­ten sie Gram­matik­treue bei gle­ichzeit­iger Kreativ­ität (was ja eigentlich die Funk­tion­sweise jed­er Sprache aus­macht) für kri­tik­würdig? Oder ist das nur ein weit­eres Beispiel für den taz-üblichen lax­en und unverbindlichen Umgang mit der Sprache?

    Mein Tipp, wenn Sie dem Wort “twit­tern” für sich Bedeu­tung ver­lei­hen wollen. Pro­bieren Sie es doch ein­fach mal aus…

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  7. Frank Rawel

    Sehr schön sagt sich auch: “Heute gab es ein heftiges Getwitter.” 

    Will sagen, dass der Gebrauch neuer Wörter (nicht nur mich) immer gern zum kreativ­en Kalauern einlädt.

    Twit­ter­we­sen, Twit­ter­par­tie, Twitterwochen…

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  8. Peer

    Wollte nur bericht­en: Vorhin haben sich meine Schüler über die Jugen­worte unter­hal­ten. Die kan­nten die nicht.

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