No Headlines

Von Anatol Stefanowitsch

Die Aktion Lebendi­ges Deutsch hat natür­lich auch im let­zten Monat wieder zwei Neube­wor­tungsvorschläge vorgelegt. Zunächst war ein deutsch­er Begriff für das Spot­light gesucht, und die Aktioneure haben eine wenig über­raschende Wahl getroffen:

Beim Such­wort „Spot­light“ hat sich die Jury für „Punk­tlicht“ entsch­ieden — genau das­selbe in der sel­ben Kürze.

Wenig über­raschend, weil dies die deutsche Über­set­zung für spot­light ist, die sich in jedem deutsch-englis­chen Wörter­buch find­et. Auch der WAHRIG betra­chtet bei­de Begriffe als Syn­onyme, wie die Ein­träge für Spot­light und Punk­tlicht zeigen:

Spot|light [spɔt­laıt] n. 9 gezielt aus­gerichtete Beleuch­tung, Punk­tlicht, Spot

Punkt|licht n. 3 gebün­deltes, gezielt auf einen Gegen­stand gerichtetes Licht, z. B. in Ausstel­lungsvit­ri­nen, auch Spotlight

Was die wörtliche Bedeu­tung der Wörter ange­ht, mag tat­säch­lich eine Bedeu­tungs­gle­ich­heit vor­liegen (obwohl ich eine Leuchte in ein­er Vit­rine nie als Spot­light beze­ich­net hätte).

Allerd­ings wer­den die Begriffe nicht bedeu­tungs­gle­ich ver­wen­det. Unter einem Spot­light ver­ste­hen Sprech­er des Deutschen wörtlich fast auss­chließlich einen Büh­nen­schein­wer­fer und im über­tra­ge­nen Sinne die Aufmerk­samkeit der Öffentlichkeit. Unter einem Punk­tlicht ver­ste­hen sie — wenn sie das Wort ken­nen — tat­säch­lich ein eng fokussiertes Licht (etwa bei Taschen­lam­p­en oder Schein­wer­fern für Fotografen).

Nun kann man natür­lich das Wort Punk­tlicht auf die über­tra­gene Bedeu­tung ausweit­en — schließlich sprechen wir ja auch davon, dass jemand im Scheinwerferlicht/Rampenlicht ste­ht. Nur, was gewin­nen wir dabei? Auf jeden Fall ver­lieren wir eine Dif­feren­zierung unseres Wortschatzes, die es uns, anders als den Sprech­ern des Englis­chen, von denen wir uns das Wort Spot­light geborgt haben, zwis­chen ein­er Beleuch­tungsquelle mit bes­timmten Eigen­schaften ein­er­seits und ein­er Bühnenbeleuchtung/dem öffentlichen Inter­esse ander­er­seits zu unterscheiden.

Der eigene Vorschlag der vier Sprach­nör­gler ist ähn­lich problematisch:

Und die „Head­line“ kön­nten wir natür­lich wieder „Schlagzeile“ nen­nen, wie schon drei Jahrhun­derte lang vor der Inva­sion der Anglizismen.

Auch hier brauchen wir die Aktion Lebendi­ges Deutsch nicht — ein Blick ins Wörter­buch hätte gere­icht. Aber auch hier täuscht dieser Blick ins Wörter­buch eine größere Bedeu­tungs­gle­ich­heit vor, als wir sie im Sprachge­brauch tat­säch­lich finden.

Ich habe mir 150 zufäl­lig aus­gewählte Tre­f­fer für Schlagzeilen auf deutschen Web­seit­en ange­se­hen. Diese beziehen sich auss­chließlich auf die Bedeu­tung „sofort in die Augen fal­l­ende Überschriftzeile[n] ein­er Zeitung“ (Ber­tels­mann-Wörter­buch). Bei ein­er entsprechen­den Stich­probe für Head­lines auf deutschen Web­seit­en sieht das anders aus. Nur etwa die Hälfte bezieht sich auf Schlagzeilen. Ein weit­eres Drit­tel bezieht sich auf ganz nor­male Über­schriften und der Rest auf Werbe­sprüche auf Plakat­en oder großflächi­gen Anzeigen:

Bedeutungen des Wortes Headline

Rel­a­tive Häu­figkeit­en der Bedeu­tun­gen des Wortes Head­line

Nun gibt es natür­lich auch für diese Ver­wen­dun­gen deutsche Wörter, näm­lich eben Über­schrift und Werbe­spruch (wobei let­zteres unge­nau ist, da es nicht die in der Wer­be­branche übliche Unter­schei­dung zwis­chen Claim und Head­line macht). Aber die hätte man wenig­stens erwäh­nen müssen.

Aber auch dort, wo die Bedeu­tun­gen sich über­schnei­den, gibt es Unter­schiede zwis­chen ein­er Schlagzeile und ein­er Head­line. Hier ist es näm­lich die Schlagzeile, die eher im über­tra­ge­nen Sinne ver­wen­det wird. Die häu­fig­sten Ver­wen­dungszusam­men­hänge sind näm­lich die fol­gen­den (unter „Son­stige“ sind hier Zusam­men­hänge zusam­menge­fasst, die jew­eils nur ein­mal in der Stich­probe vorkommen):

Verwendungszusammenhänge des Wortes Schlagzeilen

Ver­wen­dungszusam­men­hänge des Wortes Schlagzeilen

Die fest­ste­hen­den Wen­dun­gen Schlagzeilen machen, in die Schlagzeilen ger­at­en, (mit etw.) für Schlagzeilen sor­gen, für Schlagzeilen gut sein, es in die Schlagzeilen schaf­fen, in den Schlagzeilen (sein), in die Schlagzeilen kom­men, die Schlagzeilen beherrschen kön­nen sich dur­chaus auf tat­säch­liche Schlagzeilen beziehen, aber sie beziehen sich dabei auf die Aufmerk­samkeit, die mit diesen Schlagzeilen ver­bun­den ist. Und tat­säch­lich kann auch jemand Schlagzeilen machen usw., ohne dass er tat­säch­lich in der Schlagzeile ein­er Zeitung erwäh­nt wird — es reicht, dass in den Medi­en aus­führlich über ihn/sie berichtet wird.

Das Wort Head­lines kommt dage­gen in der Stich­probe in kein­er einzi­gen der in der Grafik aufge­führten Redewen­dun­gen vor. Dies ist außer­dem ein deut­lich­er Hin­weis darauf, dass die bei­den Wörter nicht in direk­ter Konkur­renz ste­hen, das Wort Schlagzeile also nicht etwa mas­siv ver­drängt wird.

Das alles zeigt wieder ein­mal eins: Die Sprech­er des Deutschen sind keines­falls so verblödet, wie die vier alten Her­ren von der Aktion Lebendi­ges Deutsch das offen­sichtlich glauben. Die Sprech­er aller Sprachen wis­sen, dass strenge Syn­onyme (also voll­ständig bedeu­tungs­gle­iche Wörter) über­flüs­sig sind. Sie entlehnen deshalb sel­ten Wörter aus ein­er anderen Sprache um ein bere­its vorhan­denes zu erset­zen, und selb­st da, wo kurzfristig eine Bedeu­tungs­gle­ich­heit beste­ht, wird diese schnell durch eine Aus­d­if­feren­zierung der Bedeu­tun­gen beseitigt.

Ich bezwei­fle, dass die Aktioneure das jemals begreifen wer­den. Wir wer­den das natür­lich weit­er­hin beobacht­en. Allerd­ings nicht mehr hier im Bre­mer Sprach­blog — aber dazu mor­gen mehr…

10 Gedanken zu „No Headlines

  1. Gareth

    Da bin ich ja mal ges­pan­nt, was mor­gen dazu kommt. Ich jeden­falls kenne das Wort Punk­tlicht über­haupt nicht und müsste mir das — im Gegen­satz zum Spot­light — erst kün­stlich aneignen. Und ich dachte, das passiere nur bei inva­siv­en Anglizismen!

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  2. kreetrapper

    Ich muß zugeben, daß ich “Head­line” gar nicht in meinem deutschen Wortschatz habe. Hat zufäl­lig jemand Zugang zu einem repräsen­ta­tiv­en Kor­pus und kann mal die rel­a­tive Häu­figkeit dieses Wortes nach­schauen? Also zum Beispiel im Ver­gle­ich zu Über­schrift oder Schlagzeile oder meinetwe­gen auch Werbe­spruch. Mit Google geht das ja schlecht.

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Kree­trap­per (#3),

    ich sage mal so, es beste­ht kein Grund, die Sprach­feuer­wehr zu rufen:

    Die Google-Häu­figkeit­en auf deutschen Web­seit­en unter­schei­den sich übri­gens nicht stark von denen im let­zten Jahrze­ht des repräsen­ta­tiv­en DWDS-Kern­cor­pus: 3830000 für Schlagzeilen zu 454000 für Head­lines, also 8,44 zu 1 bei Google, 51 bzw. 6, also 8,5 zu 1 im DWDS (1990er). Wenn man nun noch bedenkt, dass Head­lines auch auf ‑Web­seit­en häu­fig in englis­chen Tex­ten auf­taucht, sieht es nicht so aus, als ob ger­ade eine lin­guis­tis­che Inva­sion im Gange ist…

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  4. suz

    Zu head­line ist mir spon­tan der head­lin­ER einge­fall­en, also der Haupt­in­ter­pret, meist auf einem Musik­fes­ti­val. Dafür (und für die grafis­che Darstel­lung auf entsprechen­den Wer­be­plakat­en) haben wir doch keine Entsprechung (äh, Haup­tact? 🙂 ). Da passt “Schlagzeil­er” ja nun denkbar schlecht.

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  5. Wolfgang Hömig-Groß

    Auch ich kan­nte das Wort Punk­tlicht bish­er noch nicht, zum The­ma “Head­line” kann ich aber beitra­gen, dass das in jedem Fall ein Fach­wort in der (Werbe)Agentursprache ist und das dick­ste Über­schriftele­ment ein­er Seite kennze­ich­net und sich somit etwa von der Sub­line (häu­fig zu find­ende 2. Über­schrift­szeile, meist in kleiner­er Type) der Ein­leitung (fett) und dem Copy­text (Fließ­textblöcke) unter­schei­den lässt. Die Beze­ich­nun­gen sind hier, wie vieles in der Wer­bung, sich­er aus der englis­chen Fach­sprache über­nom­men und lösen das Prob­lem, die häu­fig in großer Zahl anzutr­e­f­fend­en (und dementsprechend zu betex­ten­den) Gestal­tungse­le­mente ein­er Seite (Dachzeilen gibt’s z.B. auch noch …) einiger­maßen präzise zu benen­nen. Außer­halb der Agen­tur­sprache ist mir dieses Wort außeror­dentlich sel­ten begeg­net, woran man sieht, dass den alten Her­ren offen­bar langsam die echt­en Feinde ausgehen.

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  6. Wolfgang Hömig-Groß

    Anleser hab ich auch noch vergessen, die ste­hen meist über der Head­line — was ich jet­zt nur noch nach­trage, weil mir ger­ade das kun­ter­bunte Deutsch/Englisch-Gemisch auf­fällt. Aber das war vielle­icht eher Prax­is des Haus­es, in dem ich gear­beit­et habe. Gibt’s bes­timmt auch Buzz­words für …

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  7. Nörgler

    Die “Sprach­nör­gler” kön­nen es nie recht machen: entwed­er kom­men sie zu spät und ver­suchen “sprach­liche Phänomene immer erst dann zu unterbinden, wenn sie für die Mehrheit der Sprachge­mein­schaft zu einem fes­ten Bestandteil der Sprache gewor­den sind”; oder sie kom­men zu früh, und “es beste­ht kein Grund, die Sprach­feuer­wehr zu rufen”.

    Was denn nun? Kom­men sie immer zu spät oder nicht?

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  8. Dierk

    @Nörgler

    Sie kom­men. Das ist das Prob­lem; ein weit­eres beste­ht in Ihrem fehlen­den Lesev­er­ständ­nis — sie haben hier schlicht die Per­spek­tive [und daraus fol­gen­den Ironie] übersehen.

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  9. physik

    Zum The­ma “Spot­light” wun­dere ich mich, dass bish­er ein schönes deutsches Wort noch nicht gefall­en ist, näm­lich “Ver­fol­ger”. Im Gegen­satz zu Spot­light beze­ich­net der Ver­fol­ger eher das Gerät und nicht den Licht­strahl. Trotz­dem kann ich bestäti­gen, dass der Begriff (Ver­fol­ger) im Show­busi­ness aus­ge­sprochen häu­fig ver­wen­det wird (“kannst Du mal den Ver­fol­ger auf mich richt­en!”). Spot­light hinge­gen höre ich so gut wie nie. Außer­dem kommt mir per­sön­lich dieser Begriff ein bißchen alt­modisch vor, was vielle­icht daran liegen mag, dass die Satire­sendung mit gle­ichem Namen schon lange abge­set­zt ist — was sich vielle­icht noch nicht über­all herumge­sprochen hat 😉

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