We are all sitting in one boat”

Von Susanne Flach

Derzeit macht sich die deutsche Inter­net­ge­meinde über Gün­ther Oet­tinger lustig, weil er eine Rede auf Englisch hielt.

Mal davon abge­se­hen, dass er nicht mal Deutsch spricht, gibt es genug Gründe, diesen Mann zu has­sen: Der Geschicht­sre­vi­sion­ist ist CDU-Poli­tik­er, Schwabe und Fan des VfB Stuttgart; jedes für sich schon hin­re­ichende Gründe, sich über jedes Fass Häme zu freuen, das über ihm aus­gekü­belt wird. Und wer ver­sucht, aus Hans Fil­binger einen Wider­stand­skämpfer zu machen, hat im öffentlichen Leben nichts mehr verloren.

Die hämis­chen Reak­tion in Blogs und Foren reichen von Belus­ti­gung über Fremd­schä­men bis zu Verärgerun­gen darüber, dass Poli­tik­er “richtig viel Asche vom Steuerzahler bekom­men”. Und dass man für jedes kle­in­ste Prak­tikum “außereu­ropäis­che Sprachken­nt­nisse vor­weisen” müsse. Oet­tinger hat sich in der Ver­gan­gen­heit als Ver­fechter für Englisch als Arbeitssprache etabliert, wofür er vom Vere­in Deutsche Sprache (jaja, unsere Fre­unde vom VDS) 2006 den “Sprach­pan­sch­er des Jahres” für “beson­dere Fehlleis­tun­gen im Umgang mit der deutschen Sprache” ver­liehen bekam. (Der Men­sch hat diesen Preis ver­di­ent, sobald er den Mund aufmacht.)

Und so spiegelt sich das in Inter­ne­treak­tio­nen wider: Wer Fremd­sprachenken­nt­nisse fordere, müsse auch selb­st mit gutem Beispiel voran gehen, schließlich sei das in der freien Wirtschaft auch so. Dort würde man mit Oet­tingers Sprachken­nt­nis­sen keinen Job bekommen.

Ja und nein. Oet­tinger ist Poli­tik­er, und als solch­er maßge­blich an Geset­zen und Poli­tiken beteiligt. Poli­tik sendet Sig­nal­wirkun­gen, und unter­mauert Forderun­gen nach Fremd­sprachenken­nt­nis­sen mit der Umset­zung entsprechen­der Richtlin­ien. Sie lenkt mit öffentlichen Geldern, beispiel­sweise im europäis­chen Mobil­ität­spro­gramm ERASMUS, welche primär dazu da sind, Fremd­sprachenken­nt­nisse und kul­turelles Ver­ständ­nis zu fördern. Man­ag­er tun das nicht. Man­ag­er prof­i­tieren von entsprechen­den Maß­nah­men der Regierungen.

Viel wird jet­zt auch darauf rumgerit­ten, dass ja eigentlich auch nie­mand nach Oet­tingers Englis­chken­nt­nis­sen gefragt hätte, wäre er in Stuttgart geblieben. Aber in Brüs­sel sei die Amtssprache ja Englisch, da müsse er, weil auf einem inter­na­tionalen Par­kett, auch vernün­ftig Englisch sprechen kön­nen. Die, die das fordern, haben die EU nicht verstanden.

Nein, Amtssprache in Brüs­sel ist nicht Englisch, Amtssprachen sind in der EU nicht weniger als 23 Sprachen. Arbeitssprachen hinge­gen sind die Sprachen, die im täglichen Beamte­nap­pa­rat die meist­genutzten sind. Und das sind Deutsch, Franzö­sisch und Englisch. Anmerkun­gen von Kom­men­ta­toren, Oet­tinger käme in der informellen Poli­tik­mache in Brüs­sel ohne entsprechende Englis­chken­nt­nisse zu kurz, sind von ein­er reflexar­ti­gen Angst geprägt, “wir Deutschen” kämen zu kurz. Die EU-Real­ität zeigt doch: Deutsch­land und Frankre­ich regieren das Orchester.

Darüber hin­aus definiert sich die EU über “Ein­heit in Vielfalt” — und ganz beson­ders über ihre Sprachen­vielfalt. Die EU leis­tet sich einen bul­li­gen Über­set­zungsap­pa­rat, der immer­hin mehr als 2% ihres Bud­gets aus­macht. Ob nun in der Hin­terz­im­mer­poli­tik immer ein Dol­metsch­er dabei ist, sei mal ern­sthaft in Frage gestellt, aber daraus eine Forderung abzuleit­en, ein deutsch­er EU-Kom­mis­sar müsse “vernün­ftig Englisch” beherrschen kön­nen, ist falsch und irreführend. Wir kön­nen gerne über Oet­tingers Qual­i­fika­tio­nen disku­tieren — seine Sprachken­nt­nisse zählen nicht dazu. Sein Arbeit­ge­ber — die Europäis­che Union, und damit “wir alle” — legt großen Wert auf Gle­ich­berech­ti­gung. Dies äußert sich eben in ihrem Statut, dass sich jed­er Bürg­er in sein­er Mut­ter­sprache an sie wen­den darf, gle­ich, wie gut und flüs­sig er Englisch spricht. Das ist für die Demokratie in dieser Riesenor­gan­i­sa­tion über­lebenswichtig. Die EU definiert sich viel­sprachig, nicht englischsprachig.

In der Diskus­sion offen­bart sich auch eine eige­nar­tige Schiz­o­phre­nie unser­er Gesellschaft: wir wollen inter­na­tion­al sein und haben Angst vor dem Ver­fall unser­er Sprache. Gui­do West­er­welle bashte man dafür, dass er sich weigerte, auf ein­er deutschen Pressekon­ferenz die Frage eines britis­chen Jour­nal­is­ten auf Englisch zu beant­worten, Gün­ther Oet­tinger amüsiert die Inter­net­ge­meinde, in dem er vor einem inter­na­tionalen Pub­likum der Colum­bia Uni­ver­si­ty in Berlin Englisch spricht. Dass die Rede an sich scheiße war und inhalt­sleer dazu, liegt daran, dass der Men­sch Poli­tik­er ist.

Im Übri­gen: Oet­tingers Englisch (und auch das von Gui­do West­er­welle) ist lediglich von einem starken deutschen Akzent geprägt. Er liest die Rede ab und tappt damit in jede Falle, die die unl­o­gis­che englis­che Orthogra­phie für ihn aufgestellt hat. Das ist bemitlei­denswert, pein­lich ist es nicht. Ich bleibe bei mein­er These: die Mehrheit der­jeni­gen, die das so unglaublich amüsant find­en, hät­ten mit den fraglichen Fremd­wörtern auch ihre Prob­leme und erfahren ver­mut­lich eine unter­be­wusste Befreiung, genau dabei nicht selb­st ertappt wor­den zu sein. Deutsche tendieren dazu, ihre eige­nen Sprachken­nt­nisse zu überschätzen.

Einige Kom­men­ta­toren belusti­gen sich unter anderem über seine Schluss­be­merkung (zumin­d­est sug­geriert uns das das YouTube-Video): “We are all sit­ting in one boat”. Die englis­che Entsprechung heißt zwar “we are all in the same boat” — an der Meta­pher ändert es nichts. Man sollte die Sprache selb­st beherrschen, bevor man sich über die Ken­nt­nisse der­sel­ben ander­er lustig macht.

Um Oet­tinger zu ver­ste­hen, muss man ihm auch zuhören wollen.

3 Gedanken zu „We are all sitting in one boat”

  1. Kristin

    Schön­er Beitrag!

    Ich finde ja, wer sich eigentlich schä­men soll, sind die Leute, die ihm diese Rede geschrieben haben. Man kön­nte fast denken, sie seien darauf aus gewe­sen, ihn zu blamieren. Bei ein­facheren Sätzen und sim­plerer Wort­wahl wäre das alles wahrschein­lich gar nicht so schlimm geworden.
    Was ich eben­falls nicht ver­ste­he ist, dass man ihm das Ganze nicht ein­fach in deutsch­er Schrei­bung aufgeschrieben hat, das hätte wahrschein­lich wesentlich bess­er geklappt. Oder zumin­d­est die betonte Silbe immer unterstrichen.

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    1. suz

      Danke 🙂

      Mit der Redeschrei­bung hast du sicher­lich recht. Zumin­d­est hat­te man nicht den Ein­druck, als hätte er diese Rede mit seinen Schreibern und/oder (Kommunikations)Trainern geübt. Das ist natür­lich eines Men­schens aus dem öffentlichen Lebens unwürdig, also man­gel­nde Vor­bere­itung kön­nte man ihm dur­chaus anlas­ten. Was ich nicht ver­ste­he, weshalb in der Diskus­sion hierüber immer wieder die Phrase “der blamiert uns” fällt. Englis­chmut­ter­sprach­liche wer­fen erfahrungs­gemäß nicht mit Sprachken­nt­nis­steinen um sich und nicht-englis­chsprachige andere Europäer ste­hen Oet­tinger & Co ver­mut­lich in nichts nach. Also zumin­d­est mir, die schon zwei Jahre im englis­chsprachi­gen Aus­land gelebt hat, ist jemals jemand ent­ge­gengekom­men und hätte gesagt: “Du, euer Sowiesomen­sch spricht aber n Scheißenglisch”. Wobei ich natür­lich nicht “wir sollen uns nach dem Niveau der anderen richt­en” meine. Aber ich habe Oet­tinger dur­chaus ver­standen. Das geht, wenn man die Sprache wirk­lich kann, also auch im pas­siv­en Sinn.

      Wie ich mit­tler­weile gese­len habe, hat­te Oet­tinger neun Jahre Latein hat­te und nur vier Englisch — und das liegt 40 Jahre zurück.

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  2. Pingback: » Now sitting in one boat are we? » */ˈdɪːkæf/ – coffee & linguistics

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