Einhällig und aufwendig

Von Kristin Kopf

Ich habe eben einen (übri­gens aus­geze­ich­neten!) Blog­beitrag von Ana­tol Ste­fanow­itsch zum iPad gele­sen und darin fol­gende Schrei­bung entdeckt:

Schon damals habe ich mich darüber gewun­dert, dass die Presse hier so ein­häl­lig einen Humor pflegt (oder auf­greift), der auf der krampfhaften Suche nach anstößi­gen Dop­peldeutigkeit­en beruht und der mir seit der sech­sten Klasse nicht mehr begeg­net ist.

Ein großar­tiger Satz, ganz neben­bei. Mir geht’s aber um das <ä> in ein­häl­lig. Das ist zwar ein Rechtschreibfehler, aber er deutet auf etwas span­nen­des hin: eine gelehrte Volk­se­t­y­molo­gie, denn hier wurde ein­hel­lig wahrschein­lich an hallen angeschlossen und entsprechend mit <ä> geschrieben.

In Wirk­lichkeit stammt’s vom althochdeutschen Verb hel­lan ‘tönen’. Das ist heute aus­gestor­ben, an sein­er Stelle hat sich hallen durchge­set­zt, das seit dem 15. Jahrhun­dert belegt ist und vom mit­tel­hochdeutschen Sub­stan­tiv hal ‘Hall’ abgeleit­et wurde (welch­es wiederum doch auf hel­lan zurück­ge­ht, aber den Schlenker ers­pare ich euch lieber).

ä‑tymologische Schreibung

Dass man Wörter an ver­wandte Wörter mit <a> anschließt und entsprechend <ä> statt <e> schreibt, ist eine beliebte Prax­is. Ihr erin­nert euch vielle­icht dran, wie’s bei der Rechtschreibre­form hieß, dass man jet­zt <aufwändig> mit <ä> schreibt, weil es von <Aufwand> kommt und <Stängel> wegen <Stange>. Das Prinzip, das man damit ver­fol­gt, heißt “Mor­phemkon­stanz” – zusam­menge­hörige Wörter sollen auch durch die Schrei­bung als solche markiert werden.

Das ist ganz deut­lich bei den Umlaut­plu­ralen, wo man niemals <Hand> – <Hende> schreiben würde (aber dur­chaus mal getan hat), oder bei den Verkleinerungs­for­men, wo’s kein <Rad> – <Redchen> gibt. Das <ä> sieht dem <a> ein­fach ähn­lich­er als das <e> und ist damit bestens geeignet, den Zusam­men­hang schriftlich zu markieren.

Das war nicht immer so – in den Anfangszeit­en der deutschen Schrift­sprach­lichkeit waren die <Gäste> noch <geste> und die <Lämmer> <lembir>. Ich habe mal ange­fan­gen, die Entste­hung der Umlaut­grapheme für’s Sch­plock aufzu­bere­it­en, der Artikel liegt irgend­wo unter “Entwürfe” und har­rt sein­er Fer­tig­stel­lung. Hier sei nur gesagt, dass man ursprünglich für umge­lautetes a das <e> benutzte, dann Lig­a­turen wie <ae> oder das dem <a> übergestellte, kleine <e>. Allerd­ings nie kon­se­quent und sehr abhängig von lokalen Schreibungen.

Schließlich set­zte sich <ä> für umge­lautete Wörter (die auf altes a zurück­ge­hen) und <e> für das alte, west­ger­man­is­che e durch.

fertig zur Fahrt

Bei vie­len Wörtern war aber nicht mehr ein­deutig zu erken­nen, dass sie Umlaute waren, z.B. weil ihr umlaut­los­es Gegen­stück aus­gestor­ben war oder weil es sich, inhaltlich oder äußer­lich, weit von seinen a-Ver­wandten ent­fer­nt hatte.

So geht z.B. fer­tig auf fahrt+ig zurück, das i in -ig löste den Umlaut aus. Es hieß ursprünglich so etwas wie ‘zur Fahrt gerüstet’, hat aber durch seine  Bedeu­tungsver­schiebung heute nichts mehr mit Fahrt zu tun. Man hätte bei der Rechtschreibre­form also auch <fär­tig> ein­führen kön­nen (wie es übri­gens in <hoffär­tig> steckt).

Eltern kommt von alt+iro, wobei -iro die Kom­par­a­tiven­dung war (heute -er) – ety­mol­o­gisch geschrieben müssten es also die <Ältern> sein.

Quäntchen und Quantum?

Andere Wörter gehen auf ein ererbtes e zurück, aber man hielt sie für Umlaut­pro­duk­te und ver­passte ihnen entsprechend ein <ä>, so wie im Sprachlog bei <ein­häl­lig> oder in der Rechtschreibre­form bei <Quäntchen> (an Quantum angeschlossen). Quäntchen besaß näm­lich schon immer ein i oder e im Stamm. Kluge sagt, es gehe auf spät­mit­tel­hochdeutsch quin­tîn zurück, also ein ‘Fün­f­tel’ (was man aus dem Frühro­man­is­chen hat­te: quin­tinius – lustiger­weise hat­te es aber, so der Kluge, im Mit­tel­hochdeutschen die Bedeu­tung ‘viert­er Teil eines Lots’). Hier bleibt der Wech­sel vom i zu e unklar. Der Duden (und diverse Inter­netquellen) führen es hinge­gen auf Quent zurück.

Egal wie, Quäntchen hat­te nie ein <a>, das heutige <ä> ist “unor­gan­isch” und die alte Schrei­bung Quentchen war his­torisch kor­rek­ter. Der Duden vertei­digt das <ä> mit der Begründung

Trotz­dem wird Quäntchen in neuer Rechtschrei­bung nicht mit e, son­dern mit ä geschrieben, da der sprach­his­torische Hin­ter­grund nicht all­ge­mein bekan­nt ist und das Wort deshalb mit Quan­tum in Verbindung gebracht wird.

Das müsste dann eigentlich auch der Schrei­bung <ein­häl­lig> Vorschub leis­ten, oder?

… einhällig an wolklang stets und bewegung

Ein Blick auf ein­hel­lig im Deutschen Wörter­buch ver­rät, dass es gele­gentlich tat­säch­lich mit <ä> geschrieben wurde. Der Zusam­men­hang zu hall wurde also auch schon zu früheren Zeit­en hergestellt (Quel­lenangaben zur besseren Les­barkeit entfernt):

EINHELLIG, unisonus, con­sonus, ahd. ein­hël­li, mhd. ein­hël­lic, VOSS schreibt ein­häl­lig, von ein­hall. 1) mit ein­hel­liger stimm sprachen sie.; sie schrien alle mit ein­hel­li­gen stim­men.; růften mit ein­hel­li­gen stim­men.; nach ein­hel­liger gegeben­er stimm der cardinälen.;
eur wahl und ein­hel­lige stimm. 
wahre musik, ein­häl­lig an wolk­lang stets und bewegung.

Eine Google­suche fördert auch beson­ders viele ältere Belege zutage:

  • Ein­häl­lig rief ihm das ver­sam­melte Volk nach … (1791)
  • Sie waren alle ein­häl­lig der Mei­n­ung … (1808)
  • Und als sie nun uff den markt kom­men wur­den sie gefragt, warumb ihrer also wenig, legten sie als­bald Wehr und Waf­fen von sich und nider, sprachen ein­häl­lig: … (auch alt)
  • … fassten die drey Natio­nen Mon­tag nach Lucä auf dem Land­tage zu Klausen­burg ein­häl­lig den Entschluss … (1824)
  • Led­er­schuhe macht man häu­fig ein­häl­lig, d.h. es ist der einzelne S[chuh] genau nach der Gestalt jedes der bei­den Füße ein­gerichtet; sie kön­nen daher nicht gewech­selt wer­den, gewähren aber einen beque­meren Gang. (1857)
  • Z.E. im Theuer­dank ste­ht gle­ich von Anfang beschaf­fen für geschaf­fen, (nach welch­er Form auch unsere Canzel­lis­ten noch beschehen für geschehen, zu set­zen pfle­gen,) Gema­hel für Gemahlinn, Künigein für König­inn, Befilh für Befehle, bestet für bestat­tet, von nahen­den für nahen, ein­hel­ligk­lich für ein­häl­lig, … (1730)

… und so weit­er. Auf den ersten Seit­en sind – mit Aus­nahme des Sprachlogs – auss­chließlich his­torische Quellen zu find­en, erst Tre­f­fer 27 ist aktuell:

  • Weit­ere Steuersenkun­gen rein auf Pump sind nicht vernün­ftig. Das bemän­geln ein­häl­lig alle. (2009)

<ein­häl­lig> hat also Tradition.

Die 2. Orthographische Konferenz

Wann und warum war Schluss mit dem Nebeneinan­der von <ein­hel­lig> und <ein­häl­lig>? Mein Ver­dacht fiel auf ein ein­schnei­den­des Ereig­nis im Jahre 1901: Die 2. Orthographis­che Kon­ferenz. (Bei der ersten hat­te man nicht viel erre­icht.) Da traf man sich in Berlin und stan­dar­d­isierte die deutsche Rechtschrei­bung. Damals beschäftigte man sich auch mit den Umlaut­en – stellte aber eher den Sta­tus quo fest:

ä und äu schreibt man als Beze­ich­nung des Umlautes
1. regelmäßig mit den Wörtern, die in ihrer Grund­form a oder au zeigen, z.B. älter, Län­der; Räume, läuft;
2. gewöhn­lich auch in solchen Wörtern, denen ein ver­wandtes Wort mit a oder au zur Seite ste­ht, z.B. rächen, Ärmel; räu­men, gläubig.
In vie­len Wörtern erscheint aber auch ä und äu, ohne daß eine ver­wandte Form mit a oder au vorhan­den ist oder nahe liegt, z.B. Ähre, jäten, räuspern.
Umgekehrt schreibt man in machen Wörtern e, obwohl ein ver­wandtes Wort mit a nicht fern liegt, z.B. behende, edel, Eltern, Sten­gel, Wild­bret, stets, fertig.

Der Mor­phemkon­stanz wird also in 1. und 2. Rechen­schaft getra­gen. Die Ähre-Beispiele sind solche, bei denen man entwed­er das ety­mol­o­gisch kor­rek­te <ä> bewahrt wurde, obwohl keine stützen­den Wörter (mehr) existieren (Ähre), oder bei denen man ein <ä> schreibt, obwohl man nie eine <a>-Form hat­te (jäten). Die behende-Beispiele sind solche, die eigentlich ein <ä> bräucht­en, weil sie z.B. mit Hand, Adel, alt, Stange, Brat­en, statt und Fahrt ver­wandt sind. Diese nachge­tra­ge­nen Fest­stel­lun­gen scheinen keine wirk­liche Begrün­dung zu haben, son­dern eher die bish­eri­gen Schrei­bun­gen festzuschreiben – wahrschein­lich hat man sich nicht an Wörter herange­traut, bei denen der bish­erige Gebrauch ein­hel­lig war.

Schaut man sich ein bißchen im ange­hängten Wörter­verze­ich­nis um, so find­et man dort auch das heute <ein­hel­lig> – ich schätze also, damit war das Ende der <ä>-Schreibungen aus vororthographis­ch­er Zeit gekom­men. (Hier auf Seite 16.)

So, jet­zt ist aber gut mit <e> und <ä>. Euch allen schöne Ostern!

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