Sprachliche Heimaten: Mein Dialekt ist meine Burg

Von Anatol Stefanowitsch
Bloggewitter Heimat und Identität

Blogge­wit­ter Heimat und Identität

Nichts ist so wichtig für unser Gefühl von Heimat und Iden­tität, wie die Sprache, mit der wir aufwach­sen. Wer schon ein­mal län­gere Zeit in einem frem­den Land gelebt hat, ken­nt das Gefühl der Ver­trautheit, das man in der Fremde fast automa­tisch jedem ent­ge­gen­bringt, der einen in der eige­nen Sprache anspricht. Als ich vor vie­len Jahren zum Pro­movieren nach Texas gegan­gen bin, standen gle­ich am zweit­en Abend nach mein­er Ankun­ft drei öster­re­ichis­che Kom­mili­tonin­nen vor der Tür meines Wohn­heimz­im­mers und luden mich ein, Mit­glied des öster­re­ichis­chen Stammtis­ches zu wer­den — dass ich Ham­burg­er war und öster­re­ichis­ches Brauch­tum nur aus „Der dritte Mann“ und den Wieder­hol­un­gen von „Zeit im Bild“ auf 3sat kan­nte, störte dabei eben­so wenig wie die Tat­sache, dass ich Sprach­wis­senschaftler war, während Rest des Stammtis­ches aus Mathematiker/innen und Naturwissenschaftler/innen bestand. Die drei wussten ja ohne­hin nichts über mich, außer eben, dass ich ihre Sprache (bzw. eine ihrer Sprache ähn­liche Sprache) sprach. Der Stammtisch wurde für mich ein wichtiger Rück­zug­sort, bei dem ich den andauern­den tex­anis­chen Kul­turschock bekämpfen und Heimat­ge­fühl — mit Wiener und Salzburg­er Akzent — tanken konnte.

Wäre ich zum Pro­movieren nach Wien gegan­gen (was ich übri­gens sofort getan hätte, wenn ich ein entsprechen­des Ange­bot bekom­men hätte), wäre man mir dort ver­mut­lich zwar eben­falls fre­undlich, aber doch deut­lich Wiener­isch dis­tanziert­er begeg­net. Denn sprach­lich­es Heimat­ge­fühl lässt sich fast beliebig nach oben und nach unten skalieren.

In der Sozi­olin­guis­tik und der Sozialpsy­cholo­gie unter­sucht man die Ein­stel­lung gegenüber Sprachen und  Dialek­ten, indem man Ver­suchsper­so­n­en Tonauf­nah­men unter­schiedlich­er Sprecher/innen vor­spielt und sie auf­fordert, diese nach Kri­te­rien wie Intel­li­genz, beru­flichem Erfolg, Ausse­hen, Ver­trauenswürdigkeit, Fre­undlichkeit, u.ä. zu bew­erten. Der Trick dabei: Zwei der Auf­nah­men stam­men von der­sel­ben Per­son, die aber jew­eils eine unter­schiedliche sprach­liche Vari­etät ver­wen­det (z.B. zwei ver­schiedene regionale Dialek­te oder ein­mal einen regionalen Dialekt und ein­mal eine stan­dard­sprach­liche Vari­etät). Zwis­chen den anderen Auf­nah­men fällt den Ver­suchsper­so­n­en das nicht auf, wenn man aber die Bew­er­tung der bei­den anson­sten iden­tis­chen Auf­nah­men ver­gle­icht, kann man sehen, wie die jew­eilige Vari­etät wahrgenom­men wird.

Ein Ergeb­nis dieser Forschung ist, dass regionale Dialek­te für ihre Sprech­er die Heimat der Gefüh­le sind: Sprech­er des eige­nen Dialek­ts wer­den als attrak­tiv­er, fre­undlich­er, liebenswert­er und ver­trauenswürdi­ger wahrgenom­men, als Sprech­er der Stan­dard­sprache (oder „Hochsprache“). Let­ztere wer­den dafür häu­fig für intel­li­gen­ter, beru­flich erfol­gre­ich­er und führungsstärk­er gehalten.

Lässt man die Stan­dard­sprache außen vor und ver­gle­icht zwei Dialek­te direkt miteinan­der, so wird der eigene Dialekt auf ganz­er Lin­ie pos­i­tiv­er bew­ertet als der fremde, auch wenn es sich bei let­zterem um nur um den Dialekt der näch­st­gele­ge­nen Stadt han­delt, der für Außen­seit­er vom eige­nen nicht zu unter­schei­den ist.

Lässt man dage­gen die Dialek­te außen vor und ver­gle­icht zwei Stan­dard­sprachen miteinan­der (in Gesellschaften, in denen ein gewiss­er Grad an Zweis­prachigkeit nor­mal ist, etwa in Kana­da oder Israel), so wird die eigene Sprache durch­weg pos­i­tiv­er bew­ertet, bekommt also den Stel­len­wert der gefühlten Heimat, der vorher dem eige­nen Dialekt vor­be­hal­ten war.

Und wenn wir eines Tages in Wel­traumhabi­tats mit Außerirdis­chen zusam­men­leben, wer­den wir ver­mut­lich auch eine uns fremde men­schliche Sprache pos­i­tive bew­erten als die Ton­fol­gen, Pheromon­stöße oder Leuchtze­ichen, mit denen die Aliens kommunizieren.

Die Ergeb­nisse der Forschung zu Sprache­in­stel­lun­gen sind im Detail natür­lich wesentlich kom­plex­er als ich es hier darstelle — die Bew­er­tung von Dialek­ten und Sprachen ist zu einem beträchtlichen Maß von der speziellen Ein­stel­lung abhängig, die eine Sprach- oder Dialek­t­ge­mein­schaft gegenüber ein­er anderen hegt. So bew­erten z.B. Schot­ten das schot­tis­che Englisch im Ver­gle­ich zum englis­chen Englisch umso pos­i­tiv­er, je stärk­er sie sich eine poli­tis­che Unab­hängigkeit Schot­t­lands wün­schen [Abrams und Hogg 1987].

Nun kön­nte man denken, dass solche Sprache­in­stel­lun­gen ober­fläch­liche Geschmacks­fra­gen ohne echte Kon­se­quen­zen sind. Dass das nicht so ist, zeigen der Dialek­tologe Alfred Lameli und die Ökonomen Oliv­er Fal­ck, Stephan Heblich, und Jens Südekum in ein­er aktuellen Studie. Auf der Grund­lage detail­liert­er Sprachat­lanten berech­nen sie für jeden Land­kreis der Bun­desre­pub­lik (genauer gesagt, für jede NUTS3-Region) den Grad der Ähn­lichkeit zwis­chen dem dort gesproch­enen Dialekt und dem aller anderen Land­kreise. Dann unter­suchen Sie den Ein­fluss der Dialek­tähn­lichkeit auf Wohn­sitzwech­sel in den Jahren 2000 bis 2006 und fan­den einen starken Ein­fluss, der selb­st dann beste­hen bleibt, wenn man Fak­toren wie Ent­fer­nung oder Wirtschaft­skraft her­aus­rech­net. Mit anderen Worten: Wenn Men­schen umziehen, dann vorzugsweise in Regio­nen, in denen ein Dialekt gesprochen wird, der ihrem eige­nen ähn­lich ist.

Dialek­te sind also nicht nur im über­tra­ge­nen Sinne Heimat, son­dern ganz wörtlich.

ABRAMS, Dominic und Michael A. HOGG (1987) Lan­guage atti­tudes, frames of ref­er­ence, and social iden­ti­ty: A Scot­tish dimen­sion. Jour­nal of Lan­guage and Social Psy­chol­o­gy 6.3–4, 201–213.

FALCK, Oliv­er, Stephan HEBLICH, Alfred LAMELI, Jens SÜDEKUM (2010) Dialects, cul­tur­al iden­ti­ty, and eco­nom­ic exchange. Beiträge zur Jahresta­gung des Vere­ins für Socialpoli­tik 2010: Ökonomie der Fam­i­lie. Ses­sion: Cul­tur­al Influ­ences on Eco­nom­ic Behav­iour C13-V1. [Link (PDF)]

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

29 Gedanken zu „Sprachliche Heimaten: Mein Dialekt ist meine Burg

  1. Joe Dramiga

    Standardeutsch/Dialekte
    Ich habe am Sam­stag eine lustige Geschichte gehört: Eine Deutsche bekam von einem Fran­zosen, der sich zur Zeit in Deutsch­land aufhält, ein Kom­pli­ment wegen ihres “schö­nen” Deutsch. Die Frau war erst ein wenig ver­wun­dert — dann klärte sich die Sache auf. Der Fran­zose besuchte einen Deutschkurs und war außer­halb des Klassen­raums bish­er nur Deutschen begeg­net die “so stark” Dialekt sprachen, dass ihm sein Deutschkurs nut­z­los schien, da er nicht soviel ver­stand. Der Fran­zose lebte in ein­er deutschen Kle­in­stadt und hat­te die Frau nach dem Weg zu einem bes­timmten Ort gefragt. Also, Dialekt ist schön, aber man muss auch “switchen” kön­nen, denn son­st schafft man mit dem Dialekt eine schw­er über­wind­bare Mauer die Men­schen (bewußt/unbewußt) den sozialen Zutritt verwehrt.

  2. Dierk

    Aha, der Herr Dok­torand hat also in Texas fröh­lich mit anderen sein­er Par­al­lelge­sellschaft gefrönt! 😉

  3. T.

    uncan­ny valley”
    Gibt es ein analoges in der Sprache? Sind die Imp­lika­tio­nen (z.B. für den Spra­chunter­richt für Migranten etc.) schon unter­sucht wor­den? (Zitat aus der New Sci­en­tist über virtuelle Gesichter):“For years, ani­ma­tors have strug­gled with a prob­lem dubbed the “uncan­ny val­ley”, in which a com­put­er-gen­er­at­ed face looks almost, but not quite, life­like, trig­ger­ing a sense of revul­sion among human observers. “Sys­tems which look close to real but not quite real are very creepy to peo­ple,” says Dmitri Williams of the Uni­ver­si­ty of South­ern Cal­i­for­nia in Los Angeles.”

  4. Anatol Stefanowitsch

    @Joe: Naja, vielle­icht stimmt auch mit dem Deutschunter­richt etwas nicht, wenn es dort nicht gelingt, die Deutschlern­er auf das Deutsch vorzu­bere­it­en, das tat­säch­lich gesprochen wird.
    @Dierk: Ja, wir waren ein Haufen inte­gra­tionsun­williger Fundamentalrationalisten…
    @T.: Ein biss­chen werde ich in einem Nach­fol­ge­beitrag über die Wahrnehmung aus­ländis­che Akzente schreiben, vielle­icht ergeben sich da Anknüpfungspunkte

  5. Gerhard

    Die erwäh­nte Studie…
    … habe ich gele­sen und ich habe ein paar Prob­leme damit. Zunächst mal gebe ich zu, dass ich den math­e­ma­tis­chen Teil nicht ver­ste­he. Das ist aber sicher­lich auch nicht nötig, um die Aus­sage der Studie zu ver­ste­hen. Dann irri­tiert mich, dass ich nir­gends genaue Angaben zum ver­wen­de­ten Zahlen­ma­te­r­i­al find­en kann. Und drit­tens irrtieren mich ganz konkrete Ergeb­nisse. Beispiel­sweise dass der Land­kreis Goslar zu zwei völ­lig ver­schiede­nen Dialek­t­ge­bi­eten gehört. 90 Prozent der Bevölkerung lebt im Vorharz und sprach vor dem (dort weit­ge­hend abgeschlosse­nen) Dialek­t­ster­ben Ost­fälisch, vul­go Plattdeutsch. Etwa 10 Prozent der Bevölkerung lebt im Ober­harz und sprach vor dem Dialek­t­ster­ben eine erzge­bir­gis­che Mundart. Wenn also die dor­tige Bevölkerung sig­nifikant häu­figer nach, z.B. Chem­nitz als nach Göt­tin­gen zieht, dann wider­legt das die Studie, weil ja eigentlich das Umgekehrte zu erwarten wäre. Und wenn ich dann noch auf ein­er Karte sehe, dass der Dialekt von Wald­shut dem­jeni­gen von Flens­burg genau­so ähn­lich sein soll wie dem von Rot­tweil, dann ver­liere ich jeglich­es Ver­trauen in die Aus­sagekraft der Studie.

  6. Gerhard

    Ach ja,
    wenn man das Geschrieben nicht nochmal durch­li­est, passiert sowas:
    Es sollte heißen: Beispiel­sweise wird nicht berück­sichtigt, dass der Land­kreis Goslar zu zwei völ­lig ver­schiede­nen Dialek­t­ge­bi­eten gehört.

  7. mathias

    Studie
    @Gerhard:
    die Studie überascht mich auch grade etwas..
    Es wäre mir neu, dass sich die flämis­chen Land­kreise sig­nifkant unter­schieden würden.
    in südlichen Tel­tow Fläming spricht man keinen anderen Dialekt, bzw sprach ihn vor dem Dialek­te ster­ben nicht, als in den anderen flämis­chen Land­kreisen wie im Südlichen Pots­dam-mit­tel­mark, oder um Zerb­st, Dessau, Luther­stadt Wit­ten­berg herrum.
    Allen ist die starke Flämisch/niederländische Aus­rich­tung gemein, und eben­so auch die derzeit­ige Migra­tions­be­we­gung geht ver­mehrt rich­tung Nieder­lande, oder aus Nieder­lande in die Region.
    Vor dem Dialek­tester­ben sprach man flämingis­ch­platt, und wird teil­weise immer­noch von den Älteren gesprochen.
    Die Gemein­samkeit­en sind so frapierend, dass grade bei den Flämisch-flämis­chen Begeg­nun­gen kaum große Sprach­schwierigkeit­en auftret­ten, die es nun wieder ver­stärkt gibt, wo selb­st Hob­by­his­torik­ern es gelingt mehr als 1.500 Worte zusam­men zu bekom­men, die man hier und in Flan­dern, aber auch Nieder­lande genau­so schreibt und spricht.
    Vor dem Dialek­tester­ben sah das sog­ar noch schlim­mer aus..
    Die Studie kommt aber zu dem Schluß, dass sich PM und TF stark unter­schei­den wür­den, was ich als Fläminger ehr nicht glaube..
    http://reese.linguist.de/…/ostniederdeutsch.html
    http://robertlindsay.wordpress.com/…-low-ger­man/
    “Flämingisch is a Mark­ish dialect spo­ken in Jüter­bog and Buchen­wald in Bran­den­burg south of Berlin near the bor­der with Sax­ony-Anhalt and in Sax­ony-Anhalt in areas north of Wit­ten­berg. Flämingisch is tran­si­tion­al between Low Ger­man and Mid­dle German.”

  8. Gareth

    Also mit Deutsch geht mir das im Aus­land auf keinen Fall so. Inner­halb Deutsch­lands ist es mir schon sym­pa­thisch, wenn jemand meinen Dialekt bzw. meinen Akzent teilt (Essen), aber wenn ich im Aus­land bin, finde ich doch nicht Deutsche automa­tisch net­ter als ander­sherum. Ich fahre doch nicht ins Aus­land, um Leute zu tre­f­fen, die ich vor der Haustür auch hätte tre­f­fen können.

  9. nömix

    Das Hemd ist einem näher als der Rock
    »Die Hochsprache ist ein Anzug,
    der Dialekt ist das Hemd.«
    sagt Peter Turrini.
    Einen Anzug zieht ein­er für bes­timmte Anlässe an und legt ihn wieder ab, aber das Hemd trägt er stets am Leib.

  10. Anatol Stefanowitsch

    @Gerhard
    @Gerhard: Die Studie nen­nt sowohl die Quellen für die Dialek­t­in­for­ma­tio­nen (S. 6) als auch die für die Migra­tions­be­we­gun­gen (S. 14) und die anderen getesteten Variablen.
    Wie die Zuord­nung von Dialek­ten zu Land­kreisen vorgenom­men wurde, wird eben­falls detail­liert beschrieben: Wenn in einem Land­kreis zwei ver­schiedene Dialek­te gesprochen wer­den (bzw. wur­den), wird der zahlen­mäßig über­legene Dialekt zugewiesen (S. 8). Das führt natür­lich zu einem vere­in­facht­en Mod­ell der deutschen Dialek­t­land­schaft, aber das beein­trächtigt die Ker­naus­sage der Studie nicht.
    Was die Ähn­lichkeit der Dialek­te von Rot­tweil und Flens­burg zu dem von Wald­shut ange­ht, so nen­nt die Studie diese nicht. Die Karte, die Sie meinen, bezieht sich auf Ähn­lichkeit­en in der Reli­gion­szuge­hörigkeit der Bevölkerung in den Landkreisen .

  11. Gerhard

    @ A.S.
    Die Studie macht, wenn ich nichts überse­hen habe, nur extrem ober­fläch­liche Angaben zu den Dat­en, die sich auf Migra­tions­be­we­gun­gen beziehen. Das­selbe gilt für alle anderen Dat­en außer den lin­guis­tis­chen. Was die Abb. 2 zeigt, ste­ht auf Seite 9: “The map on the left in Fig­ure 2 illus­trates the region­al sim­i­lar­i­ties to the dialect
    spo­ken in Wald­shut, a dis­trict locat­ed in the south­west of Ger­many (Baden-Würt­tem­berg).” Zur Frage der Gewich­tung kann ich nur wieder­holen dass rund 90% der Bevölkerung des Land­kreis­es Goslar gar nicht im erzge­bir­gis­chen (wenige Orte im Ober­harz) son­dern im ost­fälis­chen Dialek­traum wohnen. Die nicht nachvol­lziehbaren Dialek­tähn­lichkeit­en in Abb. 2 und die Behaup­tung, das Migra­tionsver­hal­ten der “Goslar­er” stütze die Kern­these, weckt doch erhe­bliche Zweifel an der Seriosität dieser Untersuchung.

  12. Wentus

    Dialek­te im Sprachunterricht
    Ich bin der Mei­n­ung, dass die Bedeu­tung von Dialek­ten im Spra­chunter­richt völ­lig unter­schätzt wird. Das zeigt der erste Beitrag von Joe Drami­ga sehr hübsch.
    Natür­lich müssen die Sprach­schüler es ler­nen, sich in der Hochsprache auszu­drück­en. Das man ihnen aber nicht die paar sim­plen Regeln beib­ringt, mit denen man die meis­ten Dialek­te ver­ste­hen kann, ist sträflich.
    Die meis­ten Dialek­te gehorchen nur eini­gen weni­gen fun­da­men­tal­en Regeln, die aus­re­ichen, um sie zu ver­ste­hen. Dazu gehören vor allem Lautver­schiebun­gen und Unter­drück­ung bes­timmter Buch­staben in der Aussprache.
    Warum kann man den armen Aus­län­dern nicht den Umgang mit der Real­ität erleichtern?

  13. Gareth

    Warum kann man den armen Aus­län­dern nicht den Umgang mit der Real­ität erleichtern?

    In gutem Spra­chunter­richt wird das mit Sicher­heit auch gemacht. Man hat auch lange Zeit im Englis­chunter­richt an deutschen Schulen ein hybrides, kon­stru­iertes Englisch unter­richtet, das nie­mand sprach und nie­man­dem geholfen hat. Und das war beileibe nicht RP. Regionale Vari­anten rück­ten da eher in den let­zten Jahren in den Fokus und sind jet­zt auch in Unter­richtswerken enthalten.

  14. Armin

    Dialek­te im Sprachunterricht?
    Ich weiss nicht, da habe ich so meine Zweifel dran dass das viel hil­ft, geschweige denn wirk­lich moeglich ist.
    Ich arbeite seit 15 Jahren in weltweit taeti­gen grossen Fir­men mit amerikanis­ch­er Mut­ter, wo dann nat­uer­lich die Konz­ern­sprache (Amerikanis­ches) Englisch ist. Sehr viele nicht-Mut­ter­sprach­ler haben da schon genue­gend Prob­leme sich tag­taeglich zu ver­staendi­gen, selb­st zwis­chen Briten und Amerikan­ern gibt es manch­mal Prob­leme (eine Redewen­dung, zwei Bedeutungen…).
    Das duerfte generell nicht so furcht­bar viel anders sein, die meis­ten haben generell schon Prob­leme eine Sprache aus­re­ichend zu ler­nen. Wenn man dann noch Dialek­te rein­bringt duerfte das die meis­ten vol­lkom­men ueber­fordern, sich das auch noch zu merken.
    Wie sollte das denn ueber­haupt prak­tisch ausse­hen? Die vie­len Ver­sio­nen des Englis­chen, da kann man mit dem Zaehlen kaum aufho­eren. Faengt mit dem sim­plen British ‑vs- Amer­i­can an. Inner­halb des Amerikanis­chen hoert sich ein Tex­an­er schon ziem­lich anders an als ein Kali­fornier oder New York­er. Im UK kann man ja schon mal mit Essex Boys, Mancs, Scousers, Geordies anfan­gen und dann mit den ver­schiede­nen Ver­sio­nen des Schot­tis­chen weit­er­ma­chen (ja, da gibt’s ziem­liche Unter­schiede zwis­chen z.B. Glaswe­gian und dem Nor­dosten). Wer soll sich das alles merken und ler­nen wenn er schon Prob­leme hat sich den Unter­schied zwis­chen since und for zu merken?
    Mal davon abge­se­hen, viel wichtiger halte ich es eher den Schuel­ern ein biss­chen Slang beizubrin­gen. Was nuet­zt es einem Aus­tauschschuel­er der in der Schule irgend­was ueber Lautver­schiebun­gen gel­ernt hat oder Shake­speare lesen kann wenn er keine Ahnung hat was die suesse Blonde meint wenn sie ihn fragt if he wants to snog?

  15. Anatol Stefanowitsch

    Quel­lenangaben etc.
    @Gerhard: Die Autoren nen­nen als Quelle für die Migra­tions­dat­en das Sta­tis­tis­che Bun­de­samt. Sta­tis­tiken zu Wohnortwech­seln wer­den im Sta­tis­tis­chen Jahrbuch in Fach­serie 1, Rei­he 1 (Gebi­et und Bevölkerung) veröf­fentlicht. Das ist unter Sozial­wis­senschaftlern all­ge­mein bekan­nt, aber die Autoren hät­ten die betr­e­f­fend­en Aus­gaben des Sta­tis­tis­chen Jahrbuchs vielle­icht tat­säch­lich in das Lit­er­aturverze­ich­nis aufnehmen sollen.
    Was die Ähn­lichkeit der Dialek­te von Rot­tweil und Flens­burg zu dem von Wald­shut ange­ht, so ver­ste­he ich jet­zt, auf welche Karte Sie sich beziehen. Hier muss man genau lesen, um nicht zu vor­eili­gen Schlüssen zu kom­men: Laut Studie beträgt die Ähn­lichkeit in bei­den Fällen zwis­chen 31,01 und 38 Prozent. Es ist also keineswegs gesagt, dass der eine genau­so ähn­lich ist, wie der andere — zwis­chen ihnen kön­nten knapp acht Prozent liegen. Außer­dem wäre selb­st dann, wenn bei­de z.B. genau 34 Prozent Ähn­lichkeit zum Dialekt von Wald­shut aufwiesen, nichts darüber gesagt, wo diese Ähn­lichkeit­en jew­eils liegen. Die Autoren haben 66 Vari­ablen auf ihre Aus­prä­gung in den jew­eili­gen Dialek­ten hin kodiert und dann die Über­schnei­dung bei diesen Vari­ablen gemessen. Das ist ein objek­tives Ver­fahren, das nicht unbe­d­ingt Ihren sub­jek­tiv­en Ähn­lichkeit­sein­druck wiedergeben muss, diesem aber vorzuziehen ist, eben weil es objek­tiv ist.
    @Wentus, Gareth, Armin:: Ja, es wird tat­säch­lich immer üblich­er, Dialek­te im (schulis­chen) Spra­chunter­richt zu behan­deln, zumin­d­est für den Englis­chunter­richt schreiben es viele Rah­men­lehrpläne vor, und in der Aus­bil­dung von Englischlehrer/innen wird inzwis­chen auch an vie­len Uni­ver­sitäten darauf geachtet, die notwendi­gen Kom­pe­ten­zen zu ver­mit­teln. Es ist gar nicht so schw­er, Dialek­te ohne großen Zusatza­ufwand auch in den Spra­chunter­richt im Rah­men von Fort­bil­dun­gen o.ä. einzubauen, z.B. in Form von Hörverständnisübungen.

  16. Gareth

    Armin,
    der Schu­lun­ter­richt ist kein Phonetik/Phonolo­gie-Kurs für Anglis­ten. Die Schüler an deutschen Gym­nasien ler­nen nicht die Lautver­schiebun­gen und sie tran­skri­bieren nichts. Es ist auch kein Sprech­train­ing, bei dem man lernt, unter­schiedliche Akzente zu imitieren.
    Stattdessen begin­nt man grund­sät­zlich mit britis­chem Englisch (was übri­gens in der Rechtschrei­bung und Gram­matik kon­se­quent fort­ge­führt wird und erst in höheren Klassen­stufen vari­iert), ab der 7. oder 8. Klasse haben die meis­ten Lehrw­erke dann The­men­bände, wo man dann ein Jahr oder ein Hal­b­jahr lang nur Ameri­ka oder nur Aus­tralien behan­delt. Bei den dazuge­höri­gen Hörver­ständ­nisübun­gen sprechen dann amerikanis­che und aus­tralis­che Jugendliche ihre Stan­dard­vari­ante. Dies dient dazu, den ersten “Schock­ef­fekt” abzu­mildern, wenn die Schüler mit Akzen­ten in Kon­takt kom­men, die nicht wie der sind, den sie gewöh­nt sind. Das klappt erstaunlich gut.
    Dass nicht alle Vari­anten behan­delt wer­den, ist ja klar. Es kom­men aber die Vari­anten mit großen Sprecherzahlen vor, d.h. das Englisch, das grob in Südeng­land gesprochen wird (also near-RP), Amerikanis­ches Englisch (Stan­dard) und Aus­tralis­ches Englisch. Dass die Schüler in Texas, Glas­gow oder Cork Prob­leme haben kön­nten, ist doch logisch, das haben ja Mut­ter­sprach­ler des Englis­chen auch.
    Lexikalis­che Unter­schiede wer­den übri­gens auch oft the­ma­tisiert, so gibt es z.B. Übun­gen, in denen eine amerikanis­che Schü­lerin ein­er britis­chen eine E‑Mail schickt und die Schüler müssen dann die “Amerikanis­men” her­aus­find­en und durch britis­che Wörter erset­zen (stroller vs. pushchair, paci­fi­er vs. dum­my, dia­per vs. nap­py etc.).
    Sie soll­ten sich mod­erne Schul­büch­er mal anguck­en, da wird auch viel mit Umgangssprache gear­beit­et. Ob snog jet­zt vorkommt, weiß ich nicht, aber man arbeit­et dur­chaus mit aktueller Sprache. So wer­den auch Lied­texte von z.B. Bey­on­cé abge­druckt etc. Es ist nicht mehr alles nur Nick & Deb­bie, die gerne Tee trinken und Coro­na­tion Street gucken.

  17. Wentus

    Kom­mu­nika­tion unwichtig?
    Es geht ja bei der Ver­mit­tlung von Dialek­ten nicht nur darum, Schulkindern in Deutsch­land Schot­tisch beizubrin­gen. Wichtig sind z.B. auch übliche Verkürzun­gen wie “them” zu [em].
    Beson­ders gilt das für Sprach­schulen im Land selb­st, z.B. Inte­gra­tionskurse für Araber in Neukölln. Hier wird auf dem Kon­junk­tiv I rumge­hackt, während die armen Schüler nicht mal auf der Straße den Satz ver­ste­hen: [tele­fo­ni­an­wa?]
    Alle meine Franzö­sis­chkurse haben mich nicht darauf vor­bere­it­et, dass man in Que­bec [po] sagt statt “pas”. Wie soll ich also die eine Hälfte von TV5 im Fernse­hen richtig verstehen?

  18. Gerhard

    @A.S.
    Also ich bitte Sie, das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein. Sie wollen mir sagen, dass die Dialek­tolo­gie seit ihren Anfän­gen einen Irrweg gegan­gen ist und dass es tat­säch­lich denkbar ist, dass das Plattdeutsch von Flens­burg dem Hochale­man­nis­chen ähn­lich­er ist als dem Schwäbis­chen? Viel eher würde ich sagen, dass die Vari­ablen schlecht gewählt wur­den und ein ganz und gar verz­er­rtes Bild der Lage geben. Dialek­trometrische Karten, und um diese han­delt es sich nach meinem Ver­ständ­nis, bieten nor­maler­weise ein klares Bild, das mit den Befun­den der klas­sis­chen Dialek­t­forschung weit­ge­hend übere­in­stimmt (s. z.B. hier: http://www.dialectometry.com/frankreich/index.php).
    Auf welche Karte ich mich beziehe, habe ich doch geschrieben: The map on the left of fig­ure two, die zu allem Über­fluss auch noch eine irreführende Über­schrift trägt, die Sie zu dem Fehlschluss ver­leit­et hat, es gehe hier um die Verteilung von Reli­gio­nen (aber selb­st dann wäre die Karte ekla­tant und offen­sichtlich falsch).
    [Dass die Dialek­tolo­gie einen „Irrweg“ gegan­gen ist, behaupten wed­er die Autoren der Studie noch ich. Es musste eine objek­tive Oper­a­tional­isierung her, und die liefert die Studie. Über Oper­a­tional­isierun­gen kann man stre­it­en und man kann dabei eine Vielzahl von Argu­menten hinzuziehen. Per­sön­liche Ungläu­bigkeit ist aber kein legit­imes Argu­ment. — A.S.]

  19. Gerhard

    @A.S.
    … und um noch etwas hinzuzufü­gen: Wäre die linke Karte in Abb. 2 brauch­bar und wür­den die Migra­tionszahlen tat­säch­lich die These der Verff. stützen, würde das heißen, dass auf­grund ein­er jahrhun­derte­lang gewach­se­nen und qua­si unter­be­wusst bekan­nten (denn bewusst dürfte der nor­male Wald­shuter über das Flens­burg­er Platt abso­lut nix wis­sen) Dialek­tähn­lichkeit zwis­chen Wald­shut und Flens­burg die Wald­shuter lieber nach Flens­burg ziehen als nach Rottweil.
    Sie haben ja in ihrem ersten Kom­men­tar selb­st geschrieben, dass Sie das math­e­ma­tis­che Mod­ell der Autoren nicht ver­ste­hen. Da kann man Ihnen auch verzei­hen, dass Ihnen das Konzept der Kor­re­la­tion nicht ver­traut ist. Um die Behaup­tung aufzustellen, dass zwei Vari­ablen zusam­men­hän­gen, muss man keinen per­fek­ten Zusam­men­hang nach­weisen. Ihre Kri­tik ist unge­fähr auf dem Niveau „Aber ich habe einen Tante aus Wald­shut, und die ist nicht nach Flens­burg gezo­gen.“ Die Wald­shuter kön­nten geschlossen nach Tim­buk­tu auswan­dern, ohne dass der grund­sät­zliche Zusam­men­hang zwis­chen Dialek­tähn­lichkeit und Wohnortwech­sel dadurch infrage gestellt würde.– A.S.]

  20. Gerhard

    Danke für den Kom­men­tar in rot.
    Die Studie hält sich ja sehr bedeckt, wenn es konkret wird. Sie ver­schweigt z.B. welche Dialek­t­merk­male über­haupt unter­sucht wer­den. Wenn aber eine Karte, die veröf­fentlicht wird, nicht im ent­fer­n­testen mit den Befun­den der Dialek­tolo­gie zusam­men­passt, dann kann man doch sehr wohl Zweifel anmelden. Mein Argu­ment ist nicht per­sön­liche Ungläu­bigkeit son­dern eine Karte, die Dialek­tähn­lichkeit­en ausweist, die man nur absurd nen­nen kann. Ich kann nicht begreifen, wie ein Sprach­wis­senschaftler das nicht sehen kann. Mein zweites Argu­ment zum Land­kreis Goslar muss ich sich­er nicht wieder­holen. Es ist jeden­falls auch keine per­sön­liche Mei­n­ung son­dern auf über­prüf­bare Tat­sachen gegrün­det. Andere konkrete Fälle nen­nt die Studie nicht, also enthält sie auch nichts, was die Zweifel zer­streuen könnte.
    [Ger­hard, Ihre Behaup­tun­gen wer­den durch ständi­ge Wieder­hol­ung nicht plau­si­bler. Die Studie hält sich nir­gends bedekt, sie nen­nt alle Daten­quellen. Wenn Sie wirk­lich wis­sen woll­ten, welche einzel­nen Merk­male bei der Berech­nung der Dialek­tähn­lichkeit­en zugrun­degelegt wur­den, müssen Sie eben in die entsprechende Quelle hinein­schauen. Wenn Sie meinen, auch ohne einen Blick in diese Quellen und ohne Ver­ständ­nis des math­e­ma­tis­chen Mod­ells die Ergeb­nisse der Studie abtun zu kön­nen, bleibt Ihnen das selb­stver­ständlich unbenom­men. Aber disku­tieren Sie dann doch lieber mit Ihren Fre­un­den im VDS-Forum, die von ihrer intu­itiv­en Fähigkeit, dialek­tometrische Absur­ditäten zu erken­nen, sich­er beein­druck­ter sind als ich. Was den Land­kreis Goslar bet­rifft, so beziehen die Autoren sich hier auf die Ober­harz­er Mundart, deren Ver­wand­schaft zu erzge­bir­gis­chen Mundarten unstrit­tig ist und deren Ver­bre­itungs­ge­bi­et nun ein­mal der Land­kreis Goslar ist/war, ob Sie das nun ein­se­hen oder nicht. — A.S.]

  21. Gareth

    Alle meine Franzö­sis­chkurse haben mich nicht darauf vor­bere­it­et, dass man in Que­bec [po] sagt statt “pas”. Wie soll ich also die eine Hälfte von TV5 im Fernse­hen richtig verstehen?

    Auch hier kann ich Schul­büch­er der neuesten Gen­er­a­tion in Schutz nehmen, denn es gibt mit­tler­weile auch Werke, die einen Band oder Teil­band zu Québec veröf­fentlichen und die Aussprache­un­ter­schiede etc. the­ma­tisieren. Damit ist also eigentlich alles abgedeckt.

  22. Kai

    Umzug
    Ich bin vor etwas mehr als zwei Jahren aus dem Rhe­in­fränkischen Dialek­traum nach München umge­zo­gen. Und ger­ade gestern in einem ober­bayrischen Region­alzug habe ich so bei mir gedacht: 1) Bayrisch ist doch eigentlich ein ziem­lich schön­er Dialekt.
    2) Wenn ich ein Dialek­trank­ing auf­stellen müsste, so wäre mein eigen­er Heimat­di­alekt aber den­noch an erster Stelle mein­er per­sön­lichen Beliebtheitsskala.
    3) Aber eigentlich sind ja alle deutschen Dialek­te eine musikalis­che Bere­icherung und ich möchte keinen mis­sen. Nicht ein­mal Säch­sisch, von dem der Sachse Erich Käst­ner mal geschrieben hat: “Wenn man die deutsche Sprache mit einem Haus ver­gle­ichen wollte, so müsste man fest­stellen, dass es in Sach­sen durch’s Dach gereg­net hat.”

  23. Gerhard

    Lieber Herr S.,
    Sie zeigen große Defizite im Lesev­er­ständ­nis, weshalb es offen­sichtlich zweck­los ist, auf Ihre Erwiderun­gen einzuge­hen. Bitte lassen Sie sich den­noch nicht von weit­eren her­ablassenden Kom­mentaren abhal­ten — Sie scheinen das drin­gend für Ihr Ego zu brauchen.

  24. suz

    [Er hat EGO gesagt…]
    Ger­hard, aus Ihrer Per­spek­tive und wenn man polemisch und hypo­thetisch annehmen würde, dass A.S. Ihnen tat­säch­lich mit “her­ablassenden Kom­mentaren” antwortet, haben Sie ihn übri­gens ger­ade mit seinen eige­nen Waf­fen geschlagen.
    Sach­lich gese­hen: Sie haben einige Punk­te der Studie nicht ver­standen, was Ihnen hier nie­mand vor­wirft. Man hat Ihnen aber auch Erk­lärun­gen an die Hand gegeben, die einige Punk­te für Sie klar­er machen soll­ten. Wenn man diese nicht ver­ste­ht (auch mir fällt es schw­er, den Argu­menten math­e­ma­tisch zu fol­gen), dann hil­ft es nicht, sich bock­ig jedem Erk­lärungsver­such zu wider­set­zen. (Anders gesagt: wenn man ver­ste­hen will, muss man auch zuhören.)
    Im übri­gen wider­spricht die Annahme der genetis­chen Evo­lu­tion von Sprache nicht notwendi­ger­weise ein­er höher aus­geprägten Dialek­tähn­lichkeit zwis­chen Wald­shut und Flens­burg. Geografis­che Ent­fer­nung muss ja nicht zwangsläu­fig bedeuten, dass sich die Dialek­te in ALLEN unter­sucht­en Vari­ablen unter­schei­den müssen bzw. dass geografis­che Nähe allein auss­chlaggebend für Dialek­tähn­lichkeit­en ist.
    Nur als Beispiel: ich höre hier in Nord­deutsch­land nicht sel­ten den wie-Kom­par­a­tiv, der üblicher­weise süd­deutschen Dialek­ten zugeschrieben wird. Wird er hier “oben” benutzt oder bre­it­et sich möglicher­weise sog­ar aus, muss das nicht unbe­d­ingt am aus­geprägten Kon­takt zu Süd­deutschen liegen — son­dern kann auch eine innerge­mein­schaftliche Entwick­lung sein.
    suz
    [vom Wahlkreis Wald­shut-Tien­gen nach Ham­burg migriert]

  25. Gerhard

    @suz
    Die Grun­daus­sagen der Studie habe ich sehr wohl ver­standen. Wenn Sie sich ganz unvor­ein­genom­men die Karte zwei anschauen, müssen Sie eigentlich zu dem Schluss gelan­gen, dass bei der Auswahl der lin­guis­tis­chen Vari­ablen etwas nicht stim­men kann. Vielle­icht mögen ja die Baden­er keine Schwaben, aber dass in Nord­deutsch­land, im niederdeutschen Sprachge­bi­et, mehr als ein Dutzend Land­kreise auf­tauchen, deren Dialekt dem Süd­badis­chen so ählich sein sollen, wie das Schwäbis­che, das muss doch einem Wald­shut-Tien­gener selt­sam vorkom­men? Wenn ein Sprach­wis­senschaftler einen solchen Befunde für völ­lig kor­rekt erk­lärt, dann ist das schlichtweg Rechthaberei.
    Desweit­eren hat der Herr S. gar nicht gemerkt (Lesev­er­ständ­nis), dass ich von Anfang an gesagt habe, dass im Land­kreis Goslar eine Exklave mit erzge­bir­gis­ch­er Mundart liegt, die jedoch nur einen gerin­gen Bevölkerungsan­teil, näm­lich etwa 10 Prozent, stellt. Der Rest spricht Ost­fälisch. Wenn jet­zt aus­gerech­net der Land­kreis Goslar die These stützt, wonach das Migra­tionsver­hal­ten von Dialek­tähn­lichkeit­en bee­in­flusst wird, dann sollte doch zumin­d­est Mis­strauen aufkom­men, da der Land­kreis ja dem falschen Dialek­traum zuge­ord­net wurde.

  26. suz

    @Gerhard
    Wenn Sie sich ganz unvor­ein­genom­men einen PC anse­hen, müssen Sie diesen für Hex­erei hal­ten. (Unvor­ein­genom­men­heit ist also eine lei­dlich hil­fre­iche Strate­gie, Prozesse zu verstehen.)
    Ich stre­ite gar nicht ab, dass mich die Karte im ersten Moment auch über­rascht hat. Das schmälert aber die Aus­sagekraft der­sel­ben nicht, wenn man sich bewusst macht, dass Dialek­tähn­lichkeit an vie­len Vari­ablen fest­gemacht wer­den kann. Und genau das sehen Sie nicht.
    Wenn sich im Ale­man­nis­chen und im Nieder­ländis­chen die Wort­stel­lung in Kon­struk­tio­nen mit zwei Hil­fsver­ben ähnelt (heeft huiswerk mogen maak­en / hätt hüsuf­gabe mösse mache vs. hat Hausauf­gaben machen müssen), dann “teilen” sich diese bei­den Dialek­träume eben ein nicht unwichtiges lin­guis­tis­ches Phänomen. Punkt. Es ist eine Ähn­lichkeit, die nicht durch Nach­barschaft erk­lärt wer­den kann. Dazwis­chen liegen ja genü­gend Land­kreise ohne dieses Phänomen.
    Ergo: lin­guis­tis­che Ähn­lichkeit­en müssen sich mit dem sub­jek­tiv­en Empfind­en, welch­es noch dazu oft auf Phonolo­gie reduziert wird, nicht decken.

  27. TMP

    @Gerard
    Ihr Argu­ment lässt sich meis­tens zusam­men­fassen als “Ich glaube nicht, dass es nicht stimmt, also muss es falsch sein.”
    Ein paar Beispiele:
    “Wenn Sie sich ganz unvor­ein­genom­men die Karte zwei anschauen, müssen Sie eigentlich zu dem Schluss gelan­gen, dass bei der Auswahl der lin­guis­tis­chen Vari­ablen etwas nicht stim­men kann.”
    “[…] das muss doch einem Wald­shut-Tien­gener selt­sam vorkommen?”
    “[…] eine Karte, die Dialek­tähn­lichkeit­en ausweist, die man nur absurd nen­nen kann.”
    Ich lese da “absurd”, “selt­sam” oder “nicht stim­men kann”, aber sach­lich fundierte Argu­mente eher weniger.
    Ich lege Ihnen Nahe, sich ein­mal die “list of cog­ni­tive bias­es” auf der englis­chen Wikipedia anzuschauen, ins­beson­dere “Con­fir­ma­tion bias” und “Bias blind spot”. Um solche Wahrnehmungsverz­er­run­gen zu ver­mei­den hat sich die Wis­senschaft in den meis­ten Fällen ein­er gewis­sen Methodik unter­wor­fen, dazu gehört nun­mal auch etwas Math­e­matik. So, jet­zt gibt es nor­maler­weise zwar immer Details die man irgend­wie kri­tisieren kann, allerd­ings benötigt man dafür ein Ver­ständ­nis für die ver­wen­dete Methodik. Diese haben Sie nicht (was selb­stver­ständlich kein Ver­brechen ist), und damit scheit­ern Sie daran Prob­leme spez­i­fisch zu benen­nen. Ide­al­er­weise soll­ten Sie sog­ar sagen wie man, um etwas konkreter zu wer­den die Ähn­lichkeit von Dialek­ten denn bess­er messen kann. Das sind Sie aber von Anfang an schuldig geblieben, und haben nur mit dif­fuser Ablehnung (s.o.) reagiert.

  28. Gerhard

    @suz
    Natür­lich ist die Karte “richtig”. Es sei denn, die Verff. hät­ten sich ver­rech­net, was ich nicht nach­prüfen kann. Ich kann auch Dialek­t­merk­male, die ver­wen­det wur­den, nicht über­prüfen, weil sie schlichtweg nicht genan­nt wer­den. Das ist das, was ich meinte, als ich sagt, die Verff. leg­en nicht allzu­viele Fak­ten auf den Tisch. Der Karte liegt aber nur eine rel­a­tiv geringe Anzahl an Vari­ablen zugrunde. Wenn ich die richti­gen — oder falschen — Vari­ablen her­anziehe, entste­ht aber ein Ein­druck, der das Erstaunen erzeugt, von dem Sie auch sprechen. Süd­badisch und Schwäbisch sind rel­a­tiv eng ver­wandte Dialek­te; Süd­badisch und Niederdeutsch sind durch eine Unzahl von Unter­schieden voneinan­der getren­nt. Davon kön­nen Sie sich leicht überzeu­gen, indem Sie etwa im Dig­i­tal­en Wenker­at­las blät­tern oder auch den dtv Atlas zur Deutschen Sprache her­anziehen. Wenn ich durch Unter­suchung ein­er bes­timmten Zahl von Vari­ablen zu dem Schluss komme, dass das Süd­badis­che genau­so nah am Schwäbis­chen wie am Niederdeutsch von Flens­burg (immer­hin 1000 Straßenkilo­me­ter ent­fer­nt) ist, dann habe ich natür­lich gewisse Ähn­lichkeit­en gefun­den. Ich habe aber ganz offen­sichtlich eine große Menge an Unähn­lichkeit­en nicht beachtet, die dazu führen, dass hier zwei Mundarten wesentlich enger miteinan­der ver­wandt zu sein scheinen, als das die Dialek­tolo­gie bis­lang angenom­men hat. Wie eine solche Ähn­lichkeit von extrem weit auseinan­der­liegen­den Mundarten irgendwelche Auswirkun­gen auf das Migra­tionsver­hal­ten haben soll, müsste erst erk­lärt wer­den. Die Erk­lärung aus dem Artikel jeden­falls (Kap. 5), wonach die Mundarten “were shaped by past inter­ac­tions, pri­or mass migra­tion waves, reli­gious and polit­i­cal divi­sions, ancient routes and trans­porta­tion net­works, and so forth” greift nicht, denn irgendwelche tief­er­en Beziehun­gen von Wald­shut zu ca. 15 bis 20 über Nord­deutsch­land ver­streuten Land­kreisen gab es nie.
    Wenn ich ver­suche festzustellen, ob die Erde flach oder kugelför­mig ist und ich beschränke mich darauf, jew­eils ein paar Quadratk­ilo­me­ter Meere­sober­fläche zu ver­messen, dann komme ich mit 1a Mess­meth­o­d­en zu einem völ­lig falschen Ergeb­nis. Wenn ich aber klare Indizien dafür habe, dass die Erde vielle­icht doch nicht flach ist, kann ich natür­lich auf meinen pri­ma Mess­meth­o­d­en herum­re­it­en. Das bringt mich aber nicht weiter.

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