Von thun zu tun: Orthographie bei Ngrams

Von Kristin Kopf

In den let­zten Tagen sind mir noch tausend Spiel­ereien einge­fall­en, die man mit Ngrams machen kann. Unter anderem lässt sich damit recht gut sicht­bar machen, wie schnell orthographis­che Stan­dar­d­isierung und Änderung sich in Büch­ern durch­set­zen konnten.

Wichtige Zeit­punk­te sind dabei zum einen die II. Orthographis­che Kon­ferenz (1901, dazu im Sch­plock hier und hier), bei der erst­mals eine verbindliche Rechtschrei­bung fest­gelegt wurde, und zum zweit­en die Rechtschreibre­form von 1996.

Standardisierung 1901

1901 wurde z.B. das <h> aus <th> in deutschen Erb­wörtern beseit­igt: Von <Thal> zu <Tal>, von <Muth> zu <Mut> usw. (Während es in Fremd­wörtern wie <Orthogra­phie> bleiben durfte.) Bis dahin gab es keine ein­heitliche Regelung, es kamen also bei­de For­men vor.

Bei manchen Wörtern stand es zum Zeit­punkt der Kon­ferenz fast unentsch­ieden, so z.B. bei <Rath> und <Rat>: Schon im Jahr 1900 hat­te <Rat>, das seit 1880 stete Zunahme zu ver­buchen hat­te (vielle­icht infolge der ins­ge­samt wenig erfol­gre­ichen I. Orthographis­chen Kon­ferenz), seinen <h>-Kollegen knapp über­holt. Hier schrieb die Kon­ferenz also die mod­ernere Form fest, die sich ger­ade durchge­set­zt hat­te. (Ähn­lich ver­hält sich auch <Mut(h)>.)

Bei anderen Wörtern war die II. Kon­ferenz wohl auss­chlaggebend. So set­zt der Wech­sel von mehrheitlich <thun> zu <tun> erst Mitte 1901 ein. Der ganze Prozess dauerte nicht ein­mal zwei Jahre, spätestens 1903 hat die neue Form die alte zurückgedrängt:

Eine ver­wick­elte Sache ist die <ss/ß>-Schreibung. Bei <muß> vs. <muss> zeigt sich zwis­chen 1860 und 1900 eine tem­poräre Vorherrschafft von <muss>. Ähn­lich, aber schwäch­er, bei <Haß> und <Hass>.(Die Such­be­griffe <mufz> und <mufs> deck­en die Tex­terken­nungs­fehler ab, bei denen das lange ſ als <f> analysiert wurde. Das per­ma­nente niedrige <ss> von 1920 bis 1996 ist wahrschein­lich schweiz­erischen Tex­ten geschuldet.)

Schon damals konkur­ri­erten zwei Mod­elle zur <ss/ß>-Schreibung, näm­lich das von Adelung (<daß>) und das von Heyse (<dass>). Im entsprechen­den Wikipedi­aein­trag ste­ht, dass die Hey­seregel von 1879 bis 1901 in Öster­re­ich in der Schule unter­richtet wurde (Es würde mich jedoch wun­dern, wenn alle <ss>-Fälle daher kämen, die Schweiz scheint ja auch nicht so stark zu Buche zu schla­gen.), Adelung son­st aber dominierte. 1901 set­zte sich dann auf der Kon­ferenz die adelungsche Regelung duch.

Die Inte­gra­tion von frem­dem <c>mit <k> oder <z> sieht man auch schön als Kon­feren­z­folge: <cen­tral> zu <zen­tral> und <Accent> zu <Akzent>. Bei <Cognac> und <Kog­nak> hat sich heute lustiger­weise wieder die alte Schrei­bung durchge­set­zt (wer­be­wirk­sam und frankophil).

Natür­lich gab’s solche Anpas­sun­gen auch schon vor der Kon­ferenz, <Redak­teur> hat­te 1901 das Ren­nen schon längst für sich entschieden.

Neue Rechtschreibung

Beim oben ver­link­ten <muss/ß> und <Hass/ß> ist am Ende des Zeitraums zu erken­nen, dass sich die jet­zt (wieder) aktuelle Schrei­bung mit <ss> allmäh­lich durch­set­zt. Allerd­ings doch etwas zöger­lich: Für <muss> so Mitte 2001, für <Hass> ca. 2003. Auch das super­fre­quente <dass> war übri­gens nicht schneller, es ist seit 2002 die häu­figere Variante.

Die neue <ss/ß>-Schreibung – als wohl unum­strit­ten­stes Ele­ment der Reform – set­zt sich also zwar zöger­lich, aber doch sich­er durch und dominiert Anfang des 21. Jahrhunderts.

Super sieht’s auch für das oblig­a­torische <platzieren> und <num­merieren> aus, bei denen die Schrei­bung des Verbs an die des Sub­stan­tivs angepasst wurde. Bei der Getren­nt- und Zusam­men­schrei­bung hat sich das mit­tler­weile allein mögliche <Rad fahren> ganz schön breitgemacht.

Dort, wo man die Schreib­weise freis­tellt, ist natür­lich eine zöger­lichere Zunahme zu betra­cht­en. So sind <aufwändig> und der <Delfin> zwar im Kom­men, ihre Vor­reformkonkur­renten sind aber momen­tan noch häu­figer. Andere Ange­bote, meist aus dem Fach­wortschatz, wer­den völ­lig ablehnt, so z.B. das <Fonem>. Was auch irgend­wo zu erwarten war.

Meine ganzen Beispiele hier sind alle ziem­lich willkür­lich gewählt, ger­ade aus denen von 1996 sollte man daher keine Schlüsse zum Durch­set­zungs­stand der Reform in Büch­ern ziehen.

Dass die Kon­ferenz von 1901 so schnellen Nieder­schlag im Buch­druck gefun­den hat, liegt wahrschein­lich daran, dass man eine ein­heitliche Regelung wirk­lich wollte und bis dahin keine Alter­na­tive hatte.

Gegen die Reform von 1996 gab es hinge­gen große Wider­stände, die sich z.B. auch darin zeigten, dass bes­timmte Autoren oder gar ganze Ver­lage zunächst an der alten Rechtschrei­bung fes­thiel­ten. Das erk­lärt, denke ich, die etwas verzögerte Sichtbarkeit.

3 Gedanken zu „Von thun zu tun: Orthographie bei Ngrams

  1. lexikographieblog

    Hal­lo Kristin,
    das sind ja teil­weise wirk­lich schöne Dia­gramme und Ergeb­nisse, alle Achtung! Und die Sache mit der ß/ss-Schrei­bung, etwa bei daß/dass, zwis­chen 1860 und 1900 ist schon inter­es­sant … werde bei Gele­gen­heit auch ein­mal ver­suchen, die Gründe dafür herauszufinden.
    Viele Grüße
    Michael

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  2. Pingback: grafen grafisch « lexikographieblog

  3. steffen

    Ich bin zufael­lig auf diese Seite gestossen.
    Ich habe vor kurzem eine Arbeit zum The­ma der Rechtschreibre­form von 1996 ver­fasst, die in Kuerze erscheinen wird und deren Ergeb­nisse sich doch ein wenig von den hier beschriebe­nen Akzep­tanz-Ver­laeufen unter­schei­den (insb. Schnel­ligkeit der Durch­set­zung des ‑ss‑, Trend bei aufwändig, etc.)
    Allerd­ings hat­ten wir als Daten­grund­lage Zeitung­s­texte. Das preprint ste­ht hier: http://www.adiuvaris.eu/publications/spellingReform_final.pdf

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