Keine macht den Drogen

Von Kristin Kopf

Vor ein paar Monat­en habe ich meinen Klei­der­schrank durchge­se­hen und eine Menge Zeug zum Roten Kreuz gebracht. Dieses Klei­dungsstück lag lange auf dem Weg­gabestapel, aber schließlich habe ich es aus nos­tal­gis­chen Grün­den doch behalten.

KEINE MACHT DEN DROGEN

Ja, genau, da gabs mal so ne Kam­pagne. Ich war in der ersten Klasse, wir beka­men alle diese T‑Shirts, mussten damit für Presse­fo­tos auf dem Schul­hof herum­laufen und sahen aus wie kleine Gespen­ster. Die näch­sten zehn Jahre benutzte ich das Ding als Nachthemd, heute passt es halb­wegs (siehe links). Und die ganze Zeit über war ich jedes Mal, wenn ich den Slo­gan sah, leicht irritiert.

Hätte man für das Logo (das heute sehr teleko­mar­tig anmutet, aber damals war die Post ja noch gelb) keine Block­buch­staben genutzt, hätte ich die mir damals unbekan­nte Kon­struk­tion “Keine Macht dem/den/der …” gel­ernt und gut wär’s gewe­sen. So aber war meine per­sön­liche Analyse Keine macht den Dro­gen, was ich für höchst kurios hielt, müsste es doch Keine macht die Dro­gen heißen. Nicht, dass das dann irgen­deinen Sinn gehabt hätte, denn wer sollte diese Keine eigentlich sein und warum war es so bemerkenswert, dass sie nicht an der Dro­gen­pro­duk­tion beteiligt war?

Ich glaube so gegen Ende mein­er Schulzeit wurde mir irgend­wann klar, wie der Spruch gemeint war.

Die Keine Macht+Dativ-Kon­struk­tion scheint mir durch diese Kam­pagne ziem­lich beliebt gewor­den zu sein, so find­et sich in der Buch­suche bei Google recht gut als direk­te Anspielung erkennbar:

Keine Macht den Drö­gen, Keine Macht den Proben, Keine Macht den Doofen

Und weit­ere Beispiele, die sich nicht sich­er auf die Kam­pagne zurück­führen lassen (erste 300 Suchergeb­nisse ausgewertet):

Keine Macht den Richtern, Keine Macht den Unter­gang­spropheten, Keine Macht den Dialern, Keine Macht den Gute-Laune-Dieben, Keine Macht den Dieben, Keine Macht den Schmerzen, Keine Macht den Sor­gen, Keine Macht den Neben­wirkun­gen, Keine Macht den Frauen, Keine Macht den Quoten, Keine Macht den Marken, Keine Macht den Tätern, Keine Macht den Ärzten, Keine Macht den Ordi­nar­ien, Keine Macht den Insti­tu­tio­nen und PR-Maschi­nen, keine Macht den Ressourcenpools

Sucht man hinge­gen vor 1990, so sind die Ergeb­nisse sehr, sehr mager. Im Fol­gen­den eine voll­ständi­ge Aufzäh­lung der gefun­de­nen 6 Beispiele:

  • Keine Macht den Stu­den­ten”, for­mulierte der Medi­zin­er Chris­t­ian Got­tfried Gruner, und der His­torik­er Hein­rich sprach von „aus Frankre­ich gekomme­nen Frei­heit­sideen und Rev­o­lu­tion­stoll­heit­en”. (1983, ähn­lich 1962)
  • Um Gottes willen, nein, keine Macht den Gew­erkschaften. (1971)
  • Keine Macht den Kam­mern (1973)
  • Mit dieser Bun­desregierung schaf­fen wir eine Exeku­tivdemokratie: die Herrschaft der Beamten, alle Macht den Beamten, keine Macht den Par­la­menten. Das wollen wir nicht als Zukun­ft der Europäis­chen Union. (1976)
  • Keine Bürokratie und keine Macht dem Vor­stand! (1982) – das einzige Ergeb­nis der entsprechen­den Suche nach “keine Macht dem”
  • Nina Grunen­berg, Keine Macht den Enke­lin­nen, in: DIE ZEIT vom 21. 2. 1986. (1987)

Es ist möglich, dass sich hier so wenig find­et, weil ein­fach weniger Büch­er aus dem Zeitraum 1500–1989 erfasst sind als aus dem Zeitraum 1990–2010. Die früheren Beispiele beschränken sich aber auch alle recht ein­deutig auf poli­tis­che Macht und kön­nen damit in Bezug zu einem anderen Slo­gan geset­zt wer­den, nämlich

Alle Macht den Räten – Keine Macht der Partei

dem Mot­to des Kro­n­städter Matrose­nauf­s­tands (1921).

Natür­lich han­delt es sich dabei um eine deutsche Über­set­zung, auf Rus­sisch riefen die Rebellen laut Wikipedia Власть Советам, а не партиям! (in lateinis­ch­er Schrift: vlast’ sov­je­tam, a ne par­ti­jam). Wörtlich heißt das Macht den Räten, und nicht den Parteien.

Gut möglich also, dass die Keinemacht­den­dro­genkam­pagne die Kon­struk­tion ent­poli­tisiert hat. Lei­der lässt sich das nicht so schnell klären, da sie generell sel­ten auf­taucht (bei DWDS find­en sich z.B. im Kernko­r­pus grade mal 3 Tre­f­fer, alle nach 1990) und außer­dem jed­er Tre­f­fer einzeln über­prüft wer­den muss, um Fälle wie die fol­gen­den – und die sind in der über­wälti­gen­den Mehrzahl – auszuschließen:

  • Ein Konzil hat keine Macht, den Chris­ten neue Zer­e­monien als heil­snotwendig zu befehlen.
  • … weil ihm keine Macht den Krieg erk­lärt habe

Ach übri­gens, diese T‑Shirts … das wär doch was für den näch­sten Diskobe­such? Hier kann man sie noch kaufen, den Klas­sik­er für 8,70 Euro!

18 Gedanken zu „Keine macht den Drogen

  1. janwo

    Au Backe, jet­zt muss ich glatt mal stöbern, ob ich meins noch habe. Rein­passen werd ich nicht mehr, dafür liegen zu viele Jahre und Kilos dazwischen :/

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  2. janwo

    P.S.: Das Logo hat’s in par­o­diert­er Form (Keine Macht den Affen) auch mal bis zur stuTS geschafft, “damals”, als in mar­burg der Affen­mann sein Unwe­sen trieb…

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  3. lukas

    (in lateinis­ch­er Schrift: blast’ sov­je­tam, a ne partijam)

    Klein­er Tran­skrip­tions­fehler, es muss vlast’ heißen.

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  4. ke

    Ja! Ja! Ja! Ging mir als Kind genau so. Hab’s zwis­chen­durch mal als fem­i­nis­tis­chen Slo­gan inter­pretiert. Dass Frauen weniger zum Dro­gen­miss­brauch neigen als Männer.

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    1. D.A.

      Jaa, da schließe ich mich an, auch für mich wars früher immer “Keine macht den Dro­gen” und somit ein großes Frageze­ichen … mag 1.) daran gele­gen haben, dass ich mit dem Wort “Dro­gen” wenig anfan­gen kon­nte (dass es “einen Dro­gen” gibt, hielt ich dur­chaus für plau­si­bel), und 2.) an dem Logo, das mit dem großen “KEINE” und dem mit dem kleinen Artikel auf ein­er Stufe ste­hen­den “MACHT” schon irgend­wie sug­geriert, dass Ersteres das Sub­jekt und Let­zteres das Verb ist …

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  5. jtereick

    In der “Zeit” gibt’s noch zwei andere Belege vor 1990, die bei­de recht ein­deutig den Bezug zum Slo­gan “Alle macht den Räten” herstellen:
    * “Keine Macht den Räten” (1986): http://www.zeit.de/1986/20/keine-macht-den-raeten
    * “Um Gottes willen, nein, keine Macht den Gew­erkschaften. […] Alle Macht den Räten” (1968): http://www.zeit.de/1968/11/wogegen-sie-kaempfen-das-wissen-sie?page=all

    Alle Macht den Räten” / “Alle Macht den Arbeit­er- und Sol­daten­räten” / “Alle Macht den Arbeit­ern und Bauern” ist schon vor Kro­n­stadt — und nicht als Über­set­zung — ein geläu­figer sozial­is­tis­ch­er Wahlspruch [http://bit.ly/gb1920raete u.ö. Ernst Toller beklagt 1925 den Wan­del der Prioritäten:
    “1918: Alle Macht den Arbeit­ern und Bauern!
    1925: Alle Macht den Indus­triellen und Agrari­ern!” (http://bit.ly/toller25)]

    Über­haupt gibt es in Google Books vor 1990 sehr viele Hits für “Alle Macht den …”, teils mit klaren Bezug zum Räte-Spruch (“Alle Macht den Dräht­en”, “alle Macht den Gartengeräten”), teils ohne: “Alle Macht den (Frauen|Spionen|Richtern|Nanas|Eierköpfen|Lesern|Kindern| Intellektuellen|Technikern|Heiligen|usw.) — hier ist die “Ent­poli­tisierung” schon lange durchgesetzt.

    Erstaunlich, dass “Keine Macht den …!” so sel­ten auftaucht.
    OMG! Es kann nur an einem liegen: Die neue “Dage­gen-Kul­tur” ist schuld!! Und mit der Anti-Dro­gen-Kam­pagne hat alles angefangen!!1! ;p

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  6. DrNI

    In der Grund­schule war ich noch nicht so lin­guis­tisch verseucht, aber der Slo­gan hat zeitlebens für Ver­wirrung in meinem Kopf gesorgt, weil “macht” eben immer als Verb­form herumfunkte. 

    Wenn ich heute so drüber nach­denke fehlt mir was in dem Satz. Da müsste noch ein Argu­ment hin. Etwas wie “Keine macht den Dro­gen Spaß” — aber mir fällt keine sin­nvolle Ergänzung dieser Art ein.

    Aber Dro­gen hätte sowieso kein­er von uns genom­men. Na klar, später dann mit 13 haben einige schon ger­aucht, und mit 15 waren alle blau oder bek­ifft. Aber Dro­gen? Niemals. Das hat­te doch nichts mit uns zu tun.

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    1. gnaddrig

      Ich fand den Slo­gan auch immer etwas merk­würdig. Mir wollte damals nicht in den Kopf, was für eine Macht da gemeint sein sollte. Genau­sogut hätte man fordern kön­nen “Keine Macht den Lakritzsch­neck­en” oder so.

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  7. inaun

    Beste­ht evtl. ein größer­er Zusam­men­hang zu ähn­lichen Kon­struk­tio­nen? Ich denke zum Beispiel an “Friede den Hüt­ten, Krieg den Palästen”.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Ja, hab ich auch schon über­legt. Muss mal ein bißchen herum­grü­beln, wie man an solche Dinger her­ankom­men kann, wenn sie nicht schon feste Wen­dun­gen sind, das ist ja schon eine recht abstrak­te Kon­struk­tion. Mir fällt auch noch Tod den …, Kampf den …, Heil den … ein, natür­lich alles auch im Sin­gu­lar möglich.
      Scheint sich ja immer um Wün­sche zu han­deln, vielle­icht mit Wurzeln in ein­er alten Fluch- und Segensformel?

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  8. wolfgang.steinmetz

    Lustig war auch immer die Ban­den­wer­bung beim Fuss­ball damals:
    Warstein­er, Jäger­meis­ter, Veltins, Under­berg, Kloster­frau, Brinkoffs, Keine Macht den Dro­gen!, Krombacher…

    Das hat­te allerd­ings schlimme Auswirkungen:
    Keine Macht den Drogen!

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