Hymnische Liebschaften

Von Anatol Stefanowitsch

Wie die öster­re­ichis­che Zeitung Der Stan­dard vor eini­gen Tagen berichtet hat, haben sich SPÖ, ÖVP und Grüne darauf geeinigt, den Sex­is­mus (wenig­stens teil­weise) aus dem Text der öster­re­ichis­chen „Bun­deshymne“ zu ent­fer­nen. Die Hymne begin­nt wie folgt:

Land der Berge, Land am Strome,
Land der Äck­er, Land der Dome,
Land der Häm­mer, zukunftsreich!
Heimat bist du großer Söhne,
Volk, beg­nadet für das Schöne,
Viel­gerühmtes Österreich …

Die dritte Zeile soll nun so umgedichtet wer­den, dass neben den Söh­nen auch die Töchter Erwäh­nung find­en. Dabei ist die Möglichkeit Heimat großer Töchter, Söhne eben­so im Gespräch, wie Heimat bist du großer Töchter und großer Söhne (wobei mir nicht klar ist, wie let­zteres metrisch eingepasst wer­den soll).

Da mich schon an der Mar­gin­al­isierung von Frauen bei Legofig­uren störe, dürfte es nicht über­raschen, dass ich diesen Schritt begrüßenswert finde, allerd­ings mit zwei Einschränkungen.

Die erste dieser Ein­schränkun­gen hat mit Gen­der-Fra­gen nichts zu tun: Ich finde Nation­al­hym­nen über­flüs­sig und ein­er im guten Sinne glob­al­isierten Welt unwürdig. Was man an den kul­turellen Leis­tun­gen der europäis­chen Kul­tur schätzen kann – und das ist, auch wenn man sich durch viel tödliche kolo­niale und neolib­erale Selb­stzufrieden­heit wühlen muss, um es zu find­en – dur­chaus einiges, lässt sich keinem einzel­nen Land zuord­nen. Besten­falls soll­ten Nation­al­hym­nen deshalb als eine Art Erken­nungsjin­gle bei Sportver­anstal­tun­gen dienen, dazu bräucht­en sie aber keinen Text. Denn seien wir ehrlich, wie soll man aus etwas fun­da­men­tal Ver­querem wie nationaler Iden­tität einen guten Text machen?

Die zweite dieser Ein­schränkun­gen bet­rifft den Kern der Gen­der-Prob­lematik: Warum müssen in ein­er Nation­al­hymne Bürg­er über­haupt über ihr Geschlecht iden­ti­fiziert wer­den? „Töchter und Söhne“ ist sich­er bess­er, als nur „Söhne“, aber noch bess­er wäre es, von „Men­schen“ zu reden. Mir ist klar, dass dann der Reim in der näch­sten Zeile nicht mehr passt und dass es notorisch schw­er ist, einen Reim auf Men­sch zu find­en, aber wozu gibt es Dichter, wenn nicht, um diese Prob­leme zu lösen?

Der Änderungsvorschlag hat, wie sollte es anders sein, eine Vielzahl ratio­naler Diskus­sio­nen aus­gelöst — oder wie nen­nt man das noch gle­ich, wenn Män­ner sich durch sprach­liche Gle­ich­be­hand­lung benachteiligt fühlen, sich beschw­eren, dass sie härter arbeit­en und früher ster­ben müssen als Frauen, darüber jam­mern, dass Frauen gar keine echt­en Frauen mehr sind und sie keine echt­en Män­ner mehr sein dür­fen, und uns erk­lären, dass es ohne­hin viel wichtigere Prob­leme gebe, die alle gelöst wer­den müssen, bevor wir uns Fra­gen der Gle­ich­berech­ti­gung zuwen­den kön­nen (Hart­ge­sot­te­nen empfehle ich den Kom­men­tar­bere­ich des oben ver­link­ten Artikels).

Mit diesen Argu­menten will ich mich eben­sowenig auseinan­der­set­zen, wie mit Ein­wän­den, die sich auf die heilige Unverän­der­lichkeit von Tex­ten stützen (was ich von dieser Unverän­der­lichkeit halte, habe ich hier dargestellt und wer das Argu­ment in Bezug auf die öster­re­ichis­che Hymne machen will, dem sei emp­fohlen, sich den ursprünglichen und den aktuellen Text der Hymne anzuse­hen und festzustellen, dass genau die jet­zt zu ändernde Zeile ohne­hin nicht mehr dem Orig­i­nal entspricht).

Stattdessen inter­essiert mich eine Anre­gung der Zeis­chrift Emma, auch die deutsche Nation­al­hymne zu aktualisieren:

[M]al ehrlich: Hierzu­lande wäre es alles andere als kom­pliziert, die Nation­al­hymne für alle umzu­dicht­en. Statt „Vater­land“ hieße es dann z.B. Heimat­land – und statt „brüder­lich“ fre­und­schaftlich. [Emma, 20.7.2011]

Um es gle­ich zu sagen: Ich wäre dafür. Noch bess­er wäre es, den Text ganz abzuschaf­fen (die Tat­sache, dass man zwei der drei Stro­phen des „Deutsch­land­liedes“ ver­bi­eten abschaf­fen musste, hätte ein Hin­weis sein kön­nen, dass auch die dritte nicht viel taugt), aber wenn wir schon darauf beste­hen, uns „Einigkeit und Recht und Frei­heit“ nur für die Deutschen zu wün­schen, dann doch bitte wenig­stens für alle Deutschen.

Nun liegt der Fall hier natür­lich etwas anders als bei der öster­re­ichis­chen Hymne. In der Zeile dort geht es ja tat­säch­lich um konkrete „Söhne“, also männliche Bürg­er des Lan­des. Da sollte es ein­leucht­en, dass man diesen auch konkrete „Töchter“ zur Seite stellen muss. In der deutschen Hymne geht es dage­gen mit den Wörtern Vater­land und brüder­lich nicht um konkrete „Väter“ oder „Brüder“, son­dern die Wörter bedeuten ganz all­ge­mein „Land, aus dem man stammt“ und „ein­trächtig, für einan­der sorgend“.

Beim Vater­land war das nicht immer so, es beze­ich­nete ursprünglich, ana­log zum lateinis­chen patria tat­säch­lich das Land, aus dem der Vater kam (die Grimms spekulieren in ihrem Wörter­buch sog­ar, dass es das Land beze­ich­nete, dass der Vater besaß, kön­nen aber keine Belege für diese Bedeu­tung anführen).

Aber diese ver­all­ge­mein­erte Bedeu­tung macht die Sache eher schlim­mer als bess­er. Fan­gen wir mit brüder­lich an. Die durch und durch sex­is­tis­che Idee, dass es speziell Brüder, nicht Geschwis­ter all­ge­mein, sind, die für einan­der und andere sor­gen, ist eine untrennbare Eigen­schaft dieses Wortes. Sie find­et sich sog­ar in den Def­i­n­i­tio­nen, die die bei­den großen deutschen Wörter­büch­er liefern: „wie ein guter Brud­er han­del­nd, im Geiste von Brüdern“ (Duden) und „in der Art eines (guten) Brud­ers“ (Ber­tels­mann). Das Wort ist damit ein exzel­lentes Beispiel für einen struk­turellen Sex­is­mus, der so tief in unser­er Sprache ver­ankert ist, dass wir ihn kaum bemerken. Das macht ihn deut­lich gefährlich­er als den plumpen Sex­is­mus, der sich in einem Feiern „großer Söhne“ zeigt.

Beim Vater­land gibt es neben dem struk­turellen Sex­is­mus, der die Abstam­mung des Vaters vor die der Mut­ter set­zt, ein weit­eres Prob­lem: In einem mod­er­nen Deutsch­land soll­ten wir Nation­al­ität über­haupt nicht als Abstam­mungs- son­dern als Beken­nt­n­is­frage behan­deln. Deutsch­land ist nicht deshalb mein Heimat­land, weil mein Vater von hier stammt (das tut er nicht), oder weil ich hier geboren bin (das bin ich), son­dern, weil es sich für mich wie eine Heimat anfühlt. Meine Staats­bürg­er­schaft reflek­tiert das nur, sie trägt zu diesem Gefühl nicht kon­sti­tu­tiv bei.

In unserem Land gibt es einen wach­senden Bevölkerungsan­teil, der nicht „von hier ist“. Wenn wir wollen, dass dieser Bevölkerungsan­teil sich mehrheitlich in Deutsch­land daheim fühlt (und das soll­ten wir wollen), dann ist es auch ohne die Gen­der­frage an der Zeit, den Begriff des vater­ländis­chen auf der Müll­halde der Geschichte zu entsor­gen und uns zu einem schö­nen englis­chen Sprich­wort zu beken­nen: Home is where the heart is.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

61 Gedanken zu „Hymnische Liebschaften

  1. Dierk

    Ver­boten ist da gar nichts, als Nation­al­hymne wurde halt expliz­it die dritte Stro­phe gewählt, die bei­den anderen wer­den bei offiziellen Anlässen nicht gesun­gen [da nicht Teil der Hymne].
    Dem schreck­lichen Vater­land ste­ht immer­hin die liebliche Mut­ter­sprache zur Seite.

  2. Konrath

    erste und zweite Strophe
    Ein sehr guter Beitrag, dem ich mich voll anschließen kann.
    aber klein­er Hinweis:
    “die Tat­sache, dass man zwei der drei Stro­phen des „Deutsch­land­liedes“ ver­bi­eten musste”
    diese sind nicht verboten.

  3. Nadine

    Bei der Mut­ter­sprache gibt es neben dem struk­turellen Sex­is­mus, der die Abstam­mung der Mut­ter vor die des Vaters setzt …

  4. ohno

    Dritte Zeile?
    “Land der Häm­mer, zukunftsreich!”
    Das Land, der Ham­mer, die Zukun­ft, das Reich.
    Ist doch ganz aus­geglichen, finde ich.
    😛

  5. Anatol Stefanowitsch

    @Dierk, „Nadine“
    Wo kommt denn in der Nation­al­hymne das Wort „Mut­ter­sprache“ vor? Muss mir ent­gan­gen sein.
    In der Migra­tions- und Mehrsprachigkeits­forschung ver­wen­det man das Wort kon­se­quenter­weise nicht, man spricht dort von Erst-/Zweit-/Drittsprache, dominanter/n Sprache/n, Hin­ter­grund­sprachen, Fam­i­lien­sprachen, usw.

  6. Scai

    Stimme voll und ganz zu. Noch eine Frage: wie gehen Sie selb­st in wis­senschaftlichen Tex­ten mit der Genus-Frage um? Ver­wen­den Sie das ‘gener­ische Maskulinum’ oder schreiben Sie “Ärztin­nen und Ärzte” oder “ÄrztIn­nen”? Oder kom­men Sie gar nicht in die Ver­legen­heit, auf Deutsch zu publizieren?

  7. MCBuhl

    Mut­ter­sprache
    Der Begriff Mut­ter­sprache kommt nicht im Deutsch­land­lied vor. Darum ging es auch gar nicht: es ist wohl eher als Par­o­die auf den “Struk­tur­sex­is­mus” der Wörter “VAter­land” und “brüder­lich” zu sehen.
    Das Wort find­et nicht nur umgangssprach­lich, auch in zig For­mu­la­ren, Ver­wen­dung. Und das wird sich­er so bleiben…
    Allerd­ings finde ich diese Diskus­sion unnötig wie ein Kropf: über die Abschaf­fung ein­er “nation­al­hymne” hätte man disku­tieren kön­nen, ok. Vielle­icht die EU-Hymne puschen?
    Nett finde ich die Idee, die “Hym­nen” als Erken­nungsjin­gle bei Sportver­anstal­tun­gen zu nutzen. Und nur da. Allerd­ings: sin­gen verbindet und der Wun­sch sich als Fan-Gesamtheit durch Sin­gen der Zusam­menge­hörigkeit zu ver­sich­ern ist nicht nur im Fußball­sta­dion weit ver­bre­it­et: fast alle KLubs haben “ihr Lied”…

  8. Dierk

    Das mit der Mut­ter­sprache war mehr so ans Vater­land gerichtet, nicht an dieses fürchter­liche Musikstück.

  9. Helmut Wicht

    Poet­en an die Front!
    (notorische Reim­schwierigkeit­en mit dem Menschen)
    Es war ein­mal ein Men­sch, er
    hiess mit Namen Genscher.
    Pullover trug der Mensch,
    nur sel­ten einen Trench-
    coat. Zudem war er hallens’scher
    Herkun­ft, dieser Genscher.
    Was den Nutzen dieses Gensch-Menschs
    für’n Ösi-Hym­nus sehr begränscht
    — fänd’sch.

  10. Helmut Wicht

    Hym­nus
    ..im übri­gen kann ich mir nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass die Frank­furter Nation­al­hymne eine weib­liche Heldin hat — die Fraa Rausch­er aus de Klabbergass.
    Und im Ernst — ich finde diese Debat­te ziem­lich über­flüs­sig. Es regt sich ja auch kein­er darüber auf, dass die Sym­bol­fig­uren manch­er Natio­nen (Mar­i­anne, Hel­ve­tia, Ger­ma­nia, die römis­che Wölfin) dezi­diert weib­lich sind.

  11. Anatol Stefanowitsch

    Mut­ter­sprache usw
    @Scai: Ich ver­suche auch in wis­senschaftlichen Tex­ten entwed­er, neu­trale Begriffe zu find­en, oder ich ver­wende den Schrägstrich (z.B. Sprecher/innen). Manch­mal wird mir das dann herausredigiert.
    @Dierk, MCBuhl: Das Wort Mut­ter­sprache hat insofern eine Berech­ti­gung, dass die Mut­ter im Nor­mal­fall im frühen Spracher­werb (um den es bei diesem Wort geht), eine her­aus­ge­hobene Rolle spielt. Ist es trotz­dem struk­turell sex­is­tisch? Ja, ist es. Ist es ein notwendi­ges Wort? Nein, siehe die präzis­eren Alter­na­tiv­en. Ist es sin­nvoll, Kri­tik an struk­turellem Sex­is­mus zu Ungun­sten von Frauen durch Beispiele von struk­turellen Sex­is­mus zu Ungun­sten von Män­nern zu kon­tern? Muss jede/r für sich entscheiden.
    @Helmut Wicht: Du bist ein wahrer Poet! (Warum hast du dein Twit­terkon­to gelöscht?).

  12. Martin Huhn

    Ganz toll! Erin­nert mich an eine Diskus­sion von vor Jahren als Fem­i­nistin­nen darüber strit­ten, daß es gefäl­ligst die Mond und der Sonne heißen solle, weil die Frau mehr im Mond ihre Heimat sieht. Im Franzö­sis­chen sei das auch so. Nach ein­er Zeit sagte dann eine Frau, wenn wir über so ein Blödsinn stre­it­en, dann geht es uns schon zu gut.
    Ich kann solch über­flüs­sige Belan­glosigkeit­en nicht mehr ertra­gen. Bald gibt es dann beim Mil­itär neben der Kam­er­ad­schaft auch noch die KameradINNENschaft.

  13. Jim

    Zweier­lei Mass?
    Ich moechte mal dran erin­nern, dass der­jenige der hier so wehe­ment gegen eine nationale Iden­ti­taet zu Felde zieht, vor nicht allzu­langer Zeit noch darue­ber geschrieben hat wie gut er es find­et, dass eine Bib­lio­thek ihre Web­site in Mundart gestal­tet. Ver­ste­he das wer will.

  14. Carsten

    Deutsch­land ist nicht deshalb mein Heimat­land, weil mein Vater von hier stammt (das tut er nicht), oder weil ich hier geboren bin (das bin ich), son­dern, weil es sich für mich wie eine Heimat anfühlt.”
    Kann “Vater­land” nicht genau dieses Gefühl auch aus­drück­en? “Vater” muss ja nicht nur die Per­son ste­hen, son­dern auch die Gefüh­le, welche ich für diese Per­son empfinde. Natür­lich ist es nicht immer so, dass man sich bei seinen Eltern “wie zu Hause” fühlt und diesen pos­i­tives n Gefüh­le ent­ge­gen­bringt, aber ich würde “Vater­land” eben auch so verstehen.
    Würde “Eltern­land” oder “Abstam­mungs­land” hier vielle­icht bess­er passen? Geschenkt, wir wollen doch nicht auf VDS-Niveau sinken.

  15. Helmut Wicht

    @ A.S. — noch eine Nachfrage
    “Men­sch” — das wäre (mal von den Reim­prob­le­men abge­se­hen) wohl die neu­tral­ste Lösung. Lästig ist nur, dass — wenn ich die Ety­molo­gie recht über­schaue — “Men­sch” schon wieder von “Mann” abstammt. Also eher “Töchter und Söhne”. Das sind aber Män­ner und Frauen.
    Was macht man dann mit den Ansprüchen jen­er Gen­der-The­o­retik­er, die reklamieren, dass es viele Men­schen in einem bre­it­en Zwis­chen­bere­ich gäbe? (Ich glaube, man nen­nt die die “Queer”-Denker oder Heteronormativitätskritiker.)
    Lyrisch tät ich dann das Prob­lem qua­si Jandl’sch lösen: ich würde von “Söchtern und Töh­nen”, wahlweise von “Muben und Bädels” oder “Mau und Frann” schreiben.
    Aus dem Blick­winkel des dadais­tis­chen Dichters ist das eigentlich alles hochwillkom­men. Dada eben.

  16. Ky

    Muss man wirk­lich alles in Frage stellen
    @ MCBuhl: haha, wir treiben uns wohl nicht nur auf den gle­ichen Blogs rum, son­dern haben auch dazu die gle­iche Mei­n­ung! 😉 Muss dir wieder zustimmen!
    Ich (weib­lich) finde die Diskus­sion auch unnötig. Noch unnötiger, für die “Kor­rek­tur” von Nation­al­hym­nen, etc. auch noch Geld zu ver­schwen­den. Baut damit doch lieber einen Kinder­garten, statt ein Quatsch-Gremi­um zu finanzieren!
    Vater­land — Mut­ter­sprache – muss man sich als Frau durch son­nen Quatsch wirk­lich unter­drückt fühlen? Also ich finde das nicht. Mich ärg­ert es, dass “Fem­i­nistin­nen” immer so generell sprechen, als würde das alle Frauen ner­ven. Das tut es doch gar nicht. Ich mag meine Sprache, so wie sie ist mit allen Eck­en und Kan­ten. Lasst das doch mal so! Gibt doch echt wichtigeres …

  17. Michael Kuhlmann

    Hym­nen und Vaterländer
    Ich weiß nicht. Sprache ist nun mal im Laufe der Zeit gewach­sen und trägt die Spuren der Zeit mit sich, auch die aus früheren Rol­len­verteilun­gen. Wobei die ja gar nicht mal immer so waren, dass das weib­liche Geschlecht unter­drückt war; wenn in der Land­wirtschaft die Frau das Vieh füt­terte, Haus und Hof bestellte und die Waren auf dem Markt verkaufte, dann war sie wohl kaum das unter­drück­te Weibchen, auch wenn sie nicht als Sol­datin einge­zo­gen wurde.
    Aus solch­er Zeit stammt u.a. das Wort Vater­land. Ist das jet­zt so schlimm? es ist ohne­hin ein alt­back­enes Wort, was wohl kaum jemand im All­t­ag ein­set­zt. Wenn es nun in der Hymne vorkommt, dann ist das wahrlich nicht schlimm, Hym­nen sind ohne­hin sel­ten beson­ders pro­gres­siv (das waren sie früher manchmal).
    In der Türkei, wo so viele Frauen ein Kopf­tuch tra­gen, gibt es eine Mut­ter­landspartei. So what?
    Wer sich über sowas aufregt, muss es ja furcht­bar nötig haben. Ist meine Meinung.
    Aber noch eine Speku­la­tion zur Herkun­ft des Wortes: Früher wurde ein Hof ja in der Regel an den oder die Söhne vererbt, während die Töchter heirateten und weg­zo­gen. (Nicht immer; meine Groß­mut­ter beispiel­sweise hat Anfang des 20. Jahrhun­derts den Hof geerbt, und ihr Mann über­nahm den mit. Zu ihrem Lei­d­we­sen, viel lieber hätte sie einen schick­en Städter geheiratet, aber ihr Brud­er musste ja vorher versterben.)
    Damit war das Land, aus dem der Vater stammte, i.d.R. auch das eigene, denn der Vater als Erb­sohn blieb ja auf der Scholle. Die Mut­ter dage­gen kon­nte auch aus einem anderen Fürsten­tum oder was auch immer einge­heiratet gewe­sen sein.
    Da heutzu­tage Töchter beim Erbe nicht mehr gegenüber den Söh­nen benachteiligt wer­den, kön­nte man das Wort zwar abschaf­fen — man kön­nte es aber auch wie viele andere Wörter mit anachro­nis­tis­ch­er Herkun­ft im Wortschatz behal­ten und beherzt ver­wen­den, da ja der ursprünglich gewe­sene sex­is­tis­che Umstand nicht mehr besteht.

  18. Blaine

    Am besten gle­ich ein neuer Text
    Man muss eine Hymne immer im Kon­text ihrer Zeit sehen. Die Fran­zosen wer­fen ja auch nicht ihre von “unreinem Monar­chen­blut” getränk­ten Äck­er raus, nur weil das heutzu­tage nicht mehr poli­tisch kor­rekt ist. Zur Zeit der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion hat es dur­chaus gepasst.
    Und so ver­hält es sich auch mit der öster­re­ichis­chen Hymne: Mit den “großen Söh­nen” von damals (1946) waren die Kriegs­ge­fan­genen gemeint, von denen viele nicht nach Hause zurück­gekehrt sind. Im his­torischen Kon­text ergeben die großen Töchter also keinen Sinn.

  19. Matthias

    Ode an die Freude
    Wo hier die Europa-Hymne erwäh­nt wurde, was ist eigentlich mit:
    Alle Men­schen wer­den Brüder,
    Wo dein san­fter Flügel weilt
    Ernst gemeinte Fra­gen an den Autor:
    1. Ist “Brüder” hier­bei auch ein “struk­tureller Sex­is­mus”? Die Bedeu­tung dieses Wortes ist ja immer­hin ana­log zum oben besproch­enen “brüder­lich” (“ein­trächtig, für einan­der sor­gend”) zu verstehen.
    2. Falls ja, was ist die Kon­se­quenz daraus? Im Gegen­satz zur öster­re­ichis­chen Hymne han­delt es sich hier­bei ja um den Orig­i­nal­wort­laut, der nicht nur nach Mei­n­ung von Ger­man­is­ten sprach­lich und lyrisch in ein­er anderen Liga spielt. Wür­den Sie Ihren Schiller trotz­dem modernisieren?
    3. Lässt sich dieses Beispiel wirk­lich mit der “Negerprinzessin” aus Pip­pi Langstrumpf ver­gle­ichen? Lind­gren hat­te gewiss keine ras­sis­tis­che Kon­no­ta­tion im Sinn, für sie war der Begriff neu­tral-deskrip­tiv. Ihr Plä­doy­er zur Änderung des Lind­gren­schen Orig­inal­textes fußte darauf, dass sich die Ver­wen­dung des Begriffes “Neger” gewan­delt hat. Das Wort “brüder­lich” wird hinge­gen heute noch genau­so ver­standen wie von Schiller intendiert. Wo ist mein Denkfehler?

  20. flatolino

    So lieben wir ihn, unseren heimat­losen Intellek­tuellen: nir­gend­wo und über­all zuhause, müh­e­los in mehreren Sprachen par­lierend. Ein biss­chen schämt man sich schon, deutsch zu sein, deutsch zu sprechen, gar deutsch zu sin­gen — dann lieber doch englisch oder französich, das klingt welt­män­nisch, ’schuldigung, welt­men­schisch. Wozu auch diese Hym­nen, eh was für unter­be­lichtete Spießer. “Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt” — man hört das Blut her­aus­tropfen aus dieser Wichsvor­lage für Massen­mörder. Klar, dass man sochen Dreck verbieten/abschaffen musste. Und kon­se­quent, dass das zuge­hörige Volk, wie wir in den let­zten Monat­en lesen durften, sich gle­ich mit abschafft.

  21. Helmut Wicht

    Hym­nen-Reparatur
    Oh, ich sehe da ein Art­beits­feld. Wer bezahlt mich für die Reparatur poli­tisch defek­ter Hymnen?
    Ode an die Freude / “fem­i­nis­tis­che” Version
    Freude schön­er Götterfunken
    Tochter (Orig­i­nal!) aus Elysium
    Wir betreten feuertrunken
    Himm­lis­che, Dein Heiligtum.
    Deine Zauber binden fester
    was die Mode streng geteilt.
    Alle Brüder wer­den Schwestern
    wo Dein san­fter Flügel weilt.
    100 Euro bitte, und einen Platz neben Schiller auf’m Podest.

  22. Dietmar Hilsebein

    @ Wicht
    “Alle Brüder wer­den Schwestern”
    Du weißt aber schon, daß im Knast die Her­ren der Schöp­fung als Schwest­ern beze­ich­net wer­den? (jeden­falls, wenn man den Knast­fil­men Glauben schenken will)
    Ich muß mal schauen, ob mein Zipfel noch in der Hose ist oder ob ich schon der Kas­tra­tionsangst zum Opfer fiel…
    *grins*

  23. Helmut Wicht

    @ Hilse­bein
    Knastschwestern?
    Nein, das wusste ich nicht. Aber der Kom­men­tar­bere­ich hier fängt an, mir Spass zu machen. Ich darf dichten!
    Und zack — ein Krüppelschüttelreim:
    Der Globus war ’ne Männerwelt
    jet­zt wird er weib­lich — wenn er hält…
    p.c.!! Der _Schüttelreim_ ist ein Krüp­pel. Er ist gehandikapped. Ge_ha_dikapped. Ihm fehlt ein “h”. Oder ist selb­st dieser Krüp­pel nicht p.c.?

  24. Juliana

    Ach Mut­ti, Mut­ti, Mutti
    @Michael Kuhlmann
    Tja, wo soll man da anfan­gen, wenn jemand behauptet, dass heutzu­tage kein “sex­is­tis­ch­er Umstand” mehr beste­ht, nach ein­er his­torischen Analyse, in der er sagt, dass bei Frauen, die das Vieh füt­terten, Haus und Hof bestell­ten, aber sel­ber in der Regel kein Land erben kon­nten, eigentlich auch früher keine Unter­drück­ung der Frau vorlag?
    Da bleibt auch mir nur noch die Flucht ins Humoris­tis­che (in diesem Fall zu Fun­ny van Dannen):
    “Warum sagen wir Deutschen ‘Mut­ti’
    Von München bis Helgoland?
    Ach Mut­ti, Mut­ti, Mutti
    Was heißt Vaterland?”
    (Fun­ny van Dan­nen: Vaterland)

  25. suz

    Andere Län­der…
    In Aus­tralien hat man 1984, als man offiziell eine eigene Nation­al­hymne ein­führte, “Australia’s Sons” (stammte von ca. 1880) durch “Aus­tralians All” erset­zt, weil es nicht mehr zeit­gemäß war.
    (Nee, die Rede ist *nicht* von Waltz­ing Matil­da :D)

  26. Juliana

    @ Diet­mar Hilsebein
    Schlechte Nachricht­en, Herr Hilse­bein: Wenn Sie nachguck­en müssen, ob Ihr Zipfel noch in der Hose ist, SIND Sie bere­its der Kas­tra­tionsangst zum Opfer gefallen.

  27. Anatol Stefanowitsch

    Brüder
    @ Jim: Ich denke, Sie kom­men selb­st drauf, wenn Sie ein wenig nachdenken.
    @ Matthias: Gute Fra­gen. 1.) Brüder ist hier in der Tat struk­tureller Sex­is­mus, aus dem von Ihnen genan­nten Grund. Dass Herr Wicht und Herr Hilse­bein sich so her­zlich über die schein­bar abwegige Idee freuen, es durch Schwest­ern zu erset­zen, zeigt das doch sehr schön.
    2.) Da die Europahymne keinen Text hat, brauchen wir keine Kon­se­quen­zen aus Schillers Ver­wen­dung von Brüder zu ziehen. Wenn Schillers Text Teil der Hymne wäre, wäre ich in der Tat dafür, ihn zu modernisieren.
    3.) Dass Lind­gren keine ras­sis­tis­chen Kon­no­ta­tio­nen im Sinn hate, wage ich stark zu bezweifeln. Dass sie sich dessen nicht bewusst war, mag sein.
    Dass Brüder/brüderlich so ver­standen wird wie z.B. von Schiller, Hoff­mann von Fall­er­sleben u.a. intendiert, ist ja genau das Prob­lem: Sie lebten in ein­er Welt, in der klar war, dass Men­schen vor allem Män­ner sind. Das sollte heute nicht mehr so sein, und der altherge­brachte Text ein­er Nation­al­hymne ist keine Entschuldigung dafür, diese Tat­sache nicht anzuerkennen.
    @ die Her­ren­runde: Ich danke Ihnen für die im Sinne des Orig­i­nal­beitrags ratio­nale Diskus­sion. Wenn sie noch viel ratio­naler wird, werde ich den Kom­men­tar­bere­ich wohl aus Langeweile schließen müssen.
    @ Juliana: Ein­mal Trolle füt­tern kostet fünf Euro.

  28. Dietmar Hilsebein

    Der Globus war ’ne Männerwelt
    jet­zt wird er weib­lich — wenn er hält…”
    Weißt Du eigentlich was Neues vom Y‑Chromosom? Neulich gab’s ’ne Sendung im Fernse­hen. Sper­mien­zahlen und Penisse schrumpfen ‑bei Men­sch und Tier. Man nimmt an, daß es an den Weich­mach­ern (irgen­deine Hor­mon­vorstufe) oder an den Pes­tiziden in der Land­wirtschaft liegt. Wir soll­ten die Män­ner lieben ‑solange es sie noch gibt…

  29. Karl

    Ein Öster­re­ich­er
    Also wenn ihr die Hymne nicht mehr wollt oder braucht, wir Öster­re­ich­er nehmen sie gerne zurück. Sie entspricht ja auch der Melodie der alten Kaiser­hymne. Unsere derzeit­ige Hymne ist schreck­lich lang­weilig und ich würde mich stel­lvertre­tend für alle Öster­re­ich­er dafür ein­set­zen, um dies in die Real­ität umset­zen zu können.
    Mit fre­undlichen Grüßen aus der kaiser­lich royalen Haupt­stadt Wien.

  30. Michael Kuhlmann

    An Juliana
    Ich habe nicht behauptet, dass Frauen früher nicht unter­drückt waren, son­dern nur, dass nicht nicht grund­sät­zlich immer so war. Eher waren die unteren Schicht­en grund­sät­zlich unter­drückt, egal ob Mann oder Frau. Eine tiefer­ge­hende Analyse wollte ich jet­zt hier aber nicht anstoßen und schon gar nichts ver­harm­losen, vielle­icht hätte ich es auch nicht anstoßen sollen. Es ist für die Beurteilung nicht weit­er wichtig.
    Das frühere Erbrecht war dage­gen dur­chaus struk­turell frauen­feindlich — und in der Form nicht mehr gültig, heute haben weib­liche Erben die gle­ichen Rechte wie die männlichen. Und genau dieser Umstand beste­ht nicht mehr — wenn Du daraus ableit­en willst, ich hätte gesagt, heute bestünde “kein sex­is­tis­ch­er Umstand” mehr, dann soll­test Du nochmal nach­le­sen und darauf acht­en, ob dort “der” oder “kein” steht.
    Aber danke, dass Du einem Troll wie mir geant­wortet hast! Wobei mich diese Ein­schätzung Ana­tols schon ent­täuscht. Auf eine per­sön­liche Mei­n­ung, wie Ana­tol sie hier veröf­fentlicht und expliz­it als solche deklar­i­ert, sollte man doch auch sach­lich und mit der eige­nen Sicht der Dinge antworten dür­fen. Aber vielle­icht ist er doch nicht so kri­tik­fähig, wie ich es dachte? Das wäre dann schade, dann werde ich mich in Zukun­ft halt zurück­hal­ten und mir lieber mein Teil denken.

  31. Martin B.

    Speziezis­tis­che Hymne?

    noch bess­er wäre es, von „Men­schen“

    Elen­der Speziezist, du! Man sollte von “Organ­is­men” sin­gen! Leben den keine Tiere, Pflanzen, Pilze, Algen, Einzeller, Prokary­oten und Archeen in unserem Land? 😉

  32. Ludwig Trepl

    Sprachreinigergeist
    Ich kann mir nicht helfen, aber der Geist, der in diesem Artikel und in der Diskus­sion um ihn west, scheint mir ziem­lich genau der, den Autor und Kom­men­ta­toren doch son­st ganz furcht­bar find­en: Es ist der der Sprachreiniger, die wir vor 100 Jahren hat­ten, zumin­d­est ist er ihm eng ver­wandt. Da wollte man aus Grün­den, die dem heuti­gen Mod­e­wahn der polit­i­cal cor­rect­ness in ihrer Struk­tur gle­ichen wie ein Ei dem andern, den Leut­nant durch den Leit­mann erset­zen, weil ja nicht geduldet wer­den kann, daß man ein Wort nur leicht verän­dert aus der Sprache der­er übern­immt, die totzuschießen man ger­ade als höch­ste patri­o­tis­che Auf­gabe erkan­nt hat­te. Dieser Geist ähnelt dem sehr, der in allen Eck­en herum­schnüf­felt, um alles irgend­wie Verdächtige durch das Neusprech der Gut­men­schen zu erset­zen – mit den schön­sten Blüten, etwa daß man das Fremd­wort für Schwarz­er durch das deutsche Wort Schwarz­er erset­zt und sich damit auf der richti­gen Seite fühlt, so wie man sich auch freige­sprochen vorkommt, weil man ja nun nicht mehr „Einge­borene“ sagt, son­dern „Abo­rig­ines“, also „Einge­borne“ in die Sprache der­er über­set­zt hat, die sie aus­rot­ten wollten.
    Ja, ja – ich weiß schon, der Inhalt der Ide­olo­gie der wil­helminis­chen Sprachreiniger war ein ganz ander­er als der unser­er Anti­ras­sis­ten (die aber trotz­dem meinen, es gebe „Weiße“ und „Schwarze“ als Naturgegeben­heit­en) und gen­der­poli­tisch Kor­rek­ten. Aber Inhalte sind aus­tauschbar, die Struk­tur macht die Sorte aus. Es ist die gle­iche Sorte, die bis vor 20 Jahren im West­en mit Argusaugen darüber wachte, daß ja kein­er „West­ber­lin“ statt kor­rekt „Berlin-West“ sagt, und die im Osten darüber wachte, daß kein­er „Berlin-West“ statt des kor­rek­ten „West­ber­lin“ sagt. Die Unter­schiede in den Ide­olo­gien halte ich ver­glichen mit den Übere­in­stim­mungen im Inqui­si­tion­s­geist für zweitrangig. Ich möchte nicht, daß solche Leute Ein­fluß haben.
    Um nicht mißver­standen zu wer­den: Ich habe nichts dage­gen, die Sprache ide­olo­giekri­tisch zu unter­suchen. Es ist ver­di­en­stvoll, darauf aufmerk­sam zu machen, daß in „brüder­lich“ und in „Her­rgott“ Sex­is­mus steckt. Wenn man sich dessen bewußt ist, kann man diese Wörter weit­er­hin benutzen. Sprach­poli­tik aber, die aus „brüder­lich“ „geschwis­ter­lich“ macht und vorschreibt und aus „Her­rgott“ „Gott, der uns Vater und Mut­ter ist“, ist pein­lich wie ein neu­modis­ch­er evan­ge­lis­ch­er Pfar­rer. Lei­der gehört es zum Wesen von Pein­lichkeit­en, daß die, die sie bege­hen, sie nicht bemerken.
    Schön finde ich die Kon­se­quen­zen des Vorschlags, die Nation­al­hym­nen nur noch ohne Text für den Gebrauch bei Sportver­anstal­tun­gen beizube­hal­ten. Denn ohne Text geht’s nicht, eine Hymne muß gegröhlt wer­den. Doch dann möchte ich unsere Politko­r­rek­tler mal sehen, wenn die Fankur­ven sich den Text sel­ber machen!

  33. Patrick Schulz

    Ich denke, wenn sich nie­mand Gedanken darüber machen würde, ob eine sprach­liche Äußerung, ein Gedanke oder son­st eine Hand­lung sexistisch/rassistisch/unkorrekt ist, würde es all diese „Prob­leme“ nicht geben. Wen inter­essiert es denn, ob das Wort „Men­sch“ von „Mann“ kommt? Wenn es für mich geschlecht­sneu­tral ist, ver­wende ich es entsprechend… Auch „brüder­lich“ ist bei mir neu­tral, auch wenn ein (biol­o­gis­ch­er) Brud­er in der Regel männlichen Geschlechts ist. Wenn mein Gegenüber das genau­so sieht, würde es nie zu einem Kon­flikt zwis­chen uns deswe­gen kommen…
    Ein Dank an all die Leute um mich herum, die mir immer wieder erzählen, dass es Begriffe gibt, die man diskri­m­inierend find­en kön­nte und mich damit zwin­gen, mir Gedanken darüber zu machen…

  34. Mueller

    Fra­gen: Leit­et sich “Geschwis­ter” aus “Schwest­er” her? Falls ja, ist es dann ein (seltenes) Beispiel für eine tradierte Form, in der die Neu­tral­isierung auf der weib­lichen Wurzel beruht? Stimmt es, dass auch “Frau” sprach­his­torisch aus ein­er männlichen Wurzel hergeleit­et wurde? Fol­gt daraus irgendwas?

  35. Dietmar Hilsebein

    @ A.S.
    “Denken Sie immer daran, dass ich nicht gezwun­gen bin, Ihre Kom­mentare zu veröf­fentlichen. Dies ist kein Forum und kein Cha­t­room, son­dern ein Wis­senschafts­blog, auf das ich viel Mühe und einen großen Teil mein­er knapp bemesse­nen Freizeit verwende.”
    Bitte verzei­hen Sie mir. Ich habe mich gehen lassen.

  36. Daniel

    so, nochmal zum The­ma Brüderlichkeit
    Mag mir jemand erk­lären, warum der Begriff „brüder­lich“ gefährlich ist? Ich meine doch aus der Rei­he der Eski­mo-Schneewörter-Artikel her­aus­ge­le­sen zu haben, dass der Lin­guist von heute nicht an eine allzu enge Verknüp­fung von Sprache und Denkweise/Handlung der Sprech­er glaubt. Wie kann ein Wort denn dann gefährlich sein?

  37. Anatol Stefanowitsch

    Geschwis­ter, Sprachpurismus
    @ Lud­wig Tre­pl: Nein, gerechte Sprache und Sprach­puris­mus sind zwei völ­lig unter­schiedliche Dinge, siehe meinen Artikel Gerechte Sprache und Sprach­puris­mus.
    @ Mueller: Ja, Geschwis­ter hieß ursprünglich „Schwest­ern“, ana­log zu Gebrüder. Es ist eins der weni­gen Beispiele im Bedeu­tungswan­del der indoeu­ropäis­chen Sprachen, in denen ein Wort für Frauen zu einem geschlecht­sneu­tralen Wort gewor­den ist. Frau war ursprünglich die fem­i­nine Form von frawan („Herr, Herrsch­er“). Aus keinem dieser Fälle fol­gt zunächst irgen­det­was (vor­sicht vor dem ety­mol­o­gis­chen Fehlschluss).

  38. suz

    Um nicht mißver­standen zu wer­den: Ich habe nichts dage­gen, die Sprache ide­olo­giekri­tisch zu unter­suchen. Es ist ver­di­en­stvoll, darauf aufmerk­sam zu machen, daß in „brüder­lich“ und in „Her­rgott“ Sex­is­mus steckt. Wenn man sich dessen bewußt ist, kann man diese Wörter weit­er­hin benutzen. Sprach­poli­tik aber, die aus „brüder­lich“ „geschwis­ter­lich“ macht und vorschreibt und aus „Her­rgott“ „Gott, der uns Vater und Mut­ter ist“, ist pein­lich wie ein neu­modis­ch­er evan­ge­lis­ch­er Pfar­rer. Lei­der gehört es zum Wesen von Pein­lichkeit­en, daß die, die sie bege­hen, sie nicht bemerken.

    Kann man auch anders sehen:
    Um nicht missver­standen zu wer­den: Ich habe nichts dage­gen, die Sprache kri­tisch zu unter­suchen. Es ist ver­di­en­stvoll, darauf aufmerk­sam zu machen, dass im “Back­shop” und in “Call-a-bike” Anglizis­men steck­en. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man diese Wörter weit­er­hin benutzen. Sprach­puris­mus aber, der aus “Sand­wich” “Klapp­stulle” macht und vorschreibt und aus “E‑Mail” “Net­z­post”, ist pein­lich wie ein neu­modis­ch­er Pfar­rer. Lei­der gehört es zum Wesen von Pein­lichkeit­en, dass die, die sie bege­hen, sie nicht bemerken.
    “Spaß” bei­seite: Ihr Zitat und meins unter­schei­den sich nur in genau der großen Kleinigkeit, wie sie im ver­link­ten Artikel von A.S. auf den Punkt gebracht wird. Gerechte Sprache will das Beze­ich­nete (Sig­nifikat) schützen, Sprach­puris­mus will das Beze­ich­nende (Sig­nifikant) “schützen”. Und selb­st mit “ihrer” Mis­sion (mit Let­zter­er) liegen Sprachkri­tik­er immer irgend­wie daneben.
    (Darüber hin­aus finde ich es einiger­maßen sin­n­frei, darüber zu sin­nieren, ob etwas, das gar nicht existiert, männlich oder weib­lich ist [Richard Dawkins]).

  39. Logiker

    @ Lud­wig Trepl
    Sie schreiben:
    “Schön finde ich die Kon­se­quen­zen des Vorschlags, die Nation­al­hym­nen nur noch ohne Text für den Gebrauch bei Sportver­anstal­tun­gen beizube­hal­ten. Denn ohne Text geht’s nicht, eine Hymne muß gegröhlt wer­den. Doch dann möchte ich unsere Politko­r­rek­tler mal sehen, wenn die Fankur­ven sich den Text sel­ber machen!”
    Tja, dann hat der amtierende Fußballweltmeister/Fußballeuropameister Spanien aber ein gewaltiges Prob­lem.… Oder doch nicht?
    Und wenn Spanien gegen Bosnien spielt, dann wird´s ganz problematisch…

  40. Mona

    Gen­der-Prob­lem gelöst
    Die Mehrheit der Öster­re­ich­er möchte nicht, dass die Hymne verän­dert wird. Abge­spielt wird sie meist nur noch bei Sportver­anstal­tun­gen, deshalb schlug in den “Salzburg­er Nachricht­en” ein(e) Kommentator(in) vor, anstatt “Heimat bist Du großer Söhne”, doch ein­fach “Heimat bist Du großer Töne,” zu sin­gen und das Gen­der­prob­lem wäre gelöst.

  41. Lars Fischer

    Das..

    deshalb schlug in den “Salzburg­er Nachricht­en” ein(e) Kommentator(in) vor, anstatt “Heimat bist Du großer Söhne”, doch ein­fach “Heimat bist Du großer Töne,” zu sin­gen und das Gen­der­prob­lem wäre gelöst.

    …klingt dann aber doch sehr nach Flat­u­lenz, um ehrlich zu sein…

  42. Mona

    @Lars Fis­ch­er
    “…klingt dann aber doch sehr nach Flat­u­lenz, um ehrlich zu sein…”
    Aber geh, in Öster­re­ich nen­nt man so etwas an lei­wandn Schmäh (einen ein­wand­freien Spaß).

  43. Mueller

    Sich­er ist die “Söhne”-Liedzeile diskri­m­inierend. Ob das auch für die Floskel “brüder­lich” (die mit der Wirk­lichkeit eh wenig zu tun hat) gilt, ist nicht so leicht zu sagen, denn eine sex­is­tis­che Wurzel bedeutet eben nicht zwangsläu­fig auch eine eben­solche Gegen­wart — anson­sten sind wir schnell bei jen­em ety­mol­o­gis­chen Fehlschluss, wegen dem kon­ser­v­a­tive Sprachkri­tik­er hier so gerne in die Pfanne gehauen wer­den. Wenn “Frau” auf eine männliche Wurzel zurück­ge­ht — danke für die Bestä­ti­gung -, heißt das eben nicht, dass der Begriff heute noch weib­liche Per­so­n­en diskri­m­iniert. Wenn “brüder­lich” — was nicht zu bestre­it­en ist — his­torisch eine män­ner­bündis­che Kom­po­nente hat — bedeutet das nicht, dass es auch heute noch so sein muss. Das müsste man schon aus dem Sprachge­brauch der Gegen­wart herleiten.
    Es kann übri­gens auch ein Aus­druck von emanzi­pa­torisch­er Sou­veränität sein, wenn man überkommene Rit­uale wie das Absin­gen nicht sel­ten dümm­lich­er, fast immer alt­back­en­er Hym­nen­texte als his­torische Rem­i­niszenz auf sich beruhen lässt — möge sie sin­gen, wer will, solange mich kein­er dazu zwingt. Aus den gle­ichen Grün­den leis­ten sich die Englän­der auch ihren Hof — von dieser Art britis­ch­er Gelassen­heit kön­nte man dur­chaus auch hierzu­lande auch etwas lernen.

  44. Andre P.

    Gle­ich­stel­lung oder Gleichmacherei
    Zuerst: Auch wenn Sie das gern aus­ge­blendet sähen, gibt es in der Tat wichtigere Prob­leme. Wer einen Hin­weis darauf grund­sät­zlich als Polemik abkanzelt, sollte seine Wahrnehmung sehr kri­tisch hin­ter­fra­gen. Allerd­ings fol­gt aus dieser Tat­sache nicht, daß sprach­liche Gle­ich­stel­lung völ­liger Hum­bug ist und daß es keine Gründe gibt, sich über die Gle­ich­stel­lung all­ge­mein Gedanken zu machen — hier und anderswo.
    Dann: Es gibt grundle­gende Unter­schiede zwis­chen den Geschlechtern — zum Glück. Ab und an beschle­icht mich das unan­genehme Gefühl, daß so manch­er die unter­stützenswerten Anliegen Gle­ich­stel­lung (in Bere­ichen, in denen die Geschlechter tat­säch­lich keine Rolle spie­len) und Gle­ich­berech­ti­gung in eine die natür­lichen Gegeben­heit­en ver­leug­nende Gle­ich­macherei verkehrt. Aber auch das möcht­en Sie hier nicht the­ma­tisiert wis­sen, was ich wegen der dro­hen­den Ufer­losigkeit nachvol­lziehen kann. (Verzei­hung, daß ich mich den­noch nicht ganz beherrschen konnte.)
    Sie haben Ihren Twit­ter-Account mit dem Wahlspruch “Alle Sprachge­walt geht vom Volke aus.” verse­hen. Trotz­dem befür­worten Sie hier eine “von oben” verord­nete “sprach­liche Gleichstellung”.
    Kommt dabei nur mir allein die Rechtschreibre­form in den Sinn?
    Da ich der Mei­n­ung bin, daß nicht nur das Denken die Sprache formt, son­dern auch die Sprache das Denken, halte ich den Ansatz, über die Sprache gesellschaft­spoli­tis­che Ziele zu fördern, eigentlich für einen frucht­baren. Ein­er­seits. Ander­er­seits wähne ich mich bei einem Titel wie “Mar­gin­al­isierung von Frauen bei Legofig­uren” auf einem Satire-Blog. (Nein, ich habe den Artikel nicht gele­sen.) Mir fällt dazu “die Kirche im Dorf lassen” ein.

  45. gnaddrig

    @ Andre P. (Gle­ich­macherei)

    Trotz­dem befür­worten Sie hier eine “von oben” verord­nete “sprach­liche Gleichstellung”.

    Eine solche Forderung kann ich in dem Artikel nicht find­en. Was da vorgeschla­gen wird, ist, dass der Staat vielle­icht mit gutem Beispiel vor­ange­hen und im Text der Nation­al­hymne (die ja auch eine Art Sym­bol für den Staat ist und dessen Selb­stver­ständ­nis darstellt) möglichst ohne auch nur latent sex­is­tis­che For­mulierun­gen auskom­men sollte.
    Der Artikel über die Legofig­uren ist lei­der keine Satire. Kurz für Sie zusam­menge­fasst: Es gab 2009 anscheinend genau drei weib­liche Legomän­nchen und gefühlt 999 männliche. Alle coolen Fig­uren, die wichtige, span­nende, inter­es­sante Dinge tun, waren männlich. Die weib­lichen Fig­uren waren spießig, zahm oder kitschig verk­lärt. Welch­es Bild von der Welt wird unseren Kindern da impliz­it vermittelt?
    Legofig­uren und Aus­druck­sweisen wie „brüder­lich“, „großer Söhne Heimat“ usw. mögen für sich genom­men nicht so schlimm sein. Aber steter Tropfen höhlt den Stein, und wenn immer und immer wieder allüber­all impliz­it aus­ge­sagt wird, Men­schen seien im Wesentlichen Män­ner, Frauen seien „irgend­wie mit­ge­meint“ (meis­tens jeden­falls, außer wenn es um wirk­lich inter­es­sante Dinge geht), Jungs dür­fen die inter­es­san­ten Sachen machen, Mäd­chen sollen Haus­frauchen spie­len und den Jungs nicht im Weg ste­hen – dann formt das die Art, wie wir die Welt wahrnehmen und uns selb­st in ihr ver­hal­ten. Das geben wir natür­lich – meis­tens unre­flek­tiert – eins zu eins an unsere Kinder weit­er, und die machen sich das – wie wir selb­st früher – ganz unbe­wusst zu eigen.
    Warum sind denn Mäd­chen in Mathe und Physik bess­er, wenn sie in reinen Mäd­chen­grup­pen unter­richtet wer­den, und schlechter, wenn der Unter­richt in gemis­cht­en Grup­pen stat­tfind­et? Genau, weil „wir alle wis­sen“, dass „Mäd­chen kein Mathe kön­nen“ und „Jungs in sowas bess­er sind“. Komisch, dass das nicht mehr stimmt, wenn keine Jun­gen dabei sind.
    Und das sollte Grund genug sein, darüber nachzu­denken, wie man diese all­ge­gen­wär­tige Gehirn­wäsche zumin­d­est abschwächen kann, wenn man sie in abse­hbar­er Zeit schon nicht ganz wird abschaf­fen kön­nen. Sich darüber lustig zu machen ist let­ztlich menschenverachtend.

  46. Daniel

    @ gnad­drig
    Die Sache mit den Leis­tun­gen in Mathe und Physik ist natür­lich inter­es­sant, aber wodurch kommt denn dieses Bild, dass Frauen in diesen Bere­ichen schlechter wären, zus­tande? Etwa durch unsere Sprache? Ich wüsste nicht, dass es in unserem Sprachge­brauch rund um den Bere­ich Mathe und Physik beson­ders viele „sex­is­tis­che“ Begriffe gibt.
    Wenn unsere so abw­er­tende Sprache tat­säch­lich Ein­fluss auf Selb­st­be­wusst­sein und Leis­tun­gen der Frauen hat, müsste dieses Klis­chee doch auch für alle andere Schulfäch­er zutreffen.

  47. willi wamser

    Töchter­söhne
    Wenn das hier, eine Glosse, schmun­zeln lässt, dann …
    … Die Frau galt in Öster­re­ich nicht viel, sie gewann aber an Statur und Frische, sobald sie sich dem Mann unter­hak­te und mit ihm dezent grüßend die Ringstraße rauf und runter lief. Manche Frauen schrieben zwar auch Gedichte und The­ater­stücke, das waren aber dann keine richti­gen Frauen, son­dern Kun­st­frauen, die auch immer irgen­det­was mit Deutsch­land zu schaf­fen hat­ten. So kam es natür­lich, dass von der Frau in Öster­re­ich nicht viel die Rede war, und die Frauen selb­st waren ja auch zufrieden mit ihrem aparten Leben, das in der alljährlichen Ball­sai­son auf­blühte und anson­sten einem genügsamen Glück verpflichtet war … die Bun­deshymne, welche das Land Öster­re­ich wahrheits­gemäß als Heimat großer Söhne feierte … Nun haben drei Par­la­men­tari­erin­nen erre­icht, dass in der Hymne neben den großen Söh­nen auch die großen Töchter zur Gel­tung kom­men sollen – aber das hört sich jet­zt vielle­icht blöd an. Früher hieß es: „Heimat bist du großer Söhne.“ Ab Jan­u­ar singt die Öster­re­icherin: „Heimat großer Töchter, Söhne“. Heimat großer Töchter­söhne? Da wer­den ja am Ende doch wieder nur die Män­ner besungen…
    SZ, Strei­flicht, 15.7.2011; Seite 1
    Scherz bei­seite: Wird man — bei rein akustis­ch­er Rezep­tion — tat­säch­lich die Lesart “Töchter­söhne” her­aushören. Und wenn nein, warum nicht?
    [Anm.: Das Vol­lz­i­tat, das hier ursprünglich stand, dürfte gegen das Urhe­ber­recht ver­stoßen. Ich habe deshalb so gekürzt, dass nur die hier kom­men­tierten Teile ste­hen bleiben. — A.S.]

  48. Carlo

    Fortschritt?
    Na gut, dann sind die Weiber jet­zt also auch mit von der Par­tie. So schlimm ist das nicht. Das Prob­lem ist nur, dass das schwierig zum Sin­gen wird. Schließlich kommt jet­zt mehr Text auf die gle­iche Melodi­estelle. Das wird für manch einen zu hol­prig werden…

  49. Mona

    Von Frauen und Hym­nen @willi wamser
    Ich finde die Glosse in der SZ zwar auch recht nett, aber so arme Hascherln waren die öster­re­ichis­chen Frauen nun doch nicht. Immer­hin gab es da mal eine berühmte Kaiserin (Maria There­sia), eine berühmte Psy­cho­an­a­lytik­erin (Anne Freud), eine Atom­physik­erin (Lise Meit­ner), eine Kom­pon­istin (Alma Mahler-Wer­fel) und natür­lich auch etliche bekan­nte Schrift­stel­lerin­nen, wie z.B. Inge­borg Bach­mann. Und auch wenn es hier noch nie­mand erwäh­nt hat, die Dich­terin der öster­re­ichis­chen Bun­deshymne war eben­falls eine Frau, sie hieß Paula von Preradovic.
    Im Übri­gen hat in Öster­re­ich jedes Bun­des­land seine eigene Hymne, hier sind die Texte:
    http://www.verwaltung.steiermark.at/…6779799/DE/

  50. Ludwig Trepl

    @ A.S. Geschwis­ter, Sprach­puris­mus 21.07
    Lieber Herr Stefanowitsch,
    Sie rat­en mir, ihren Artikel „Gerechte Sprache und Sprach­puris­mus“ zu lesen, da hät­ten Sie gezeigt, daß „gerechte Sprache und Sprach­puris­mus zwei völ­lig unter­schiedliche Dinge“ seien. Ich hab’s getan, er hat mich aber nicht überzeugt. Ich werde vielle­icht in meinem eige­nen Blog darauf antworten. Hier nur zwei Punkte:
    (1) Gerechte Sprache und Sprach­puris­mus sind natür­lich zwei völ­lig unter­schiedliche Dinge, das eine ist eine Sprache, das andere nicht. Auch die Anhänger bei­der Sorten von Sprach­poli­tik unter­schei­den sich, das schrieb ich ja auch, sehr, näm­lich in den Inhal­ten ihrer poli­tis­chen Weltan­schau­un­gen. Aber in der Art, wie sie Sprach­poli­tik betreiben, unter­schei­den sie sich kaum. Bei­de wollen eine kün­stliche, von allem, was ihnen poli­tisch nicht paßt, gere­inigte Sprache schaf­fen. Die einen wollen die Sprache wie auch die gesamte Kul­tur von allem Frem­den reini­gen, weil sie darin aus Grün­den, die mir nicht ver­ständlich sind, ein großes Übel sehen, die anderen wollen sie von Diskri­m­inierun­gen und Lügen, die sich seit Jahrzehn­ten oder Jahrtausenden in sie einge­fressen haben, reini­gen. Modisch ist ger­ade, auf ras­sis­tis­che und sex­is­tis­che Diskri­m­inierun­gen zu schauen, während der neolib­erale Zeit­geist es erfol­gre­ich ver­hin­dert, die Diskri­m­inierung, die in den Neusprech-Wörtern Orwell’scher Qual­ität „Arbeit­nehmer“ und „Arbeit­ge­ber“ steckt, auch nur zu bemerken. – Daß mir poli­tisch die Auf­fas­sun­gen der Gerechte-Sprache-Puris­ten näher ste­hen als die der nation­al­is­tis­chen Sprach­puris­ten, muß ich hof­fentlich nicht beto­nen, aber das ist eine andere Sache.
    (2) Sie schreiben: „Den ästhetis­chen Geg­n­ern poli­tisch kor­rek­ter Sprache“ – also mir, obwohl mir sel­ten die Neuwörter angloamerikanis­chen Herkun­ft Unbe­ha­gen dieser Art bere­it­en, son­dern meist nur die Sprech­er – „kann ich dage­gen nur fre­undlich rat­en, noch ein­mal in sich zu gehen und zu über­legen, ob ihr ästhetis­ches Empfind­en schw­er­er wiegt als ihr Bedürf­nis, auch Men­schen, die nicht weiß, männlich, het­ero­sex­uell und im mit­tleren Alter sind, sprach­lich gerecht zu behandeln.“
    Sie sind nicht alt genug, um das aus eigen­er Erfahrung zu ken­nen, aber mich amüsiert es sehr, zu sehen, an welchen Eck­en dieses Argu­men­ta­tion­s­muster heute wieder auf­taucht. Weg mit anspruchsvoller Kun­st – für Rev­o­lu­tion­skitsch, denn der ist viel wirk­samer im Dien­ste der guten Sache; „alles andere ist Krampf, im Klassenkampf“ (Degen­hard, glaub ich). – Jet­zt sagen Sie bloß nicht, hier gehe es doch gar nicht um Kunst.

  51. Ludwig Trepl

    Pip­pi
    Lieber Herr Stefanowitsch,
    Sie empfehlen im obi­gen Artikel einen anderen, in dem Sie über Pip­pi Langstrumpf und die Art, wie sie dieses Buch Ihrer Tochter vorge­le­sen haben. Ich habe ihn gele­sen und unter
    http://deutsche-sprak.blogspot.com/…nzessin.html
    kommentiert.

  52. Klausi

    Um mal jeman­den, der sich mit der Sache tat­säch­lich einge­hend auseinan­derge­set­zt hat, zu Wort kom­men zu lassen, dieser Beitrag:
    http://sprachforschung.org/…show=news&id=577
    Ist zwar ein schon etwas älter­er Beitrag, aber die Welt scheint in den Jahren danach nicht viel klüger gewor­den zu sein. Und noch etwas: Da betreibt doch tat­säch­lich der Duden, der sich doch vorge­blich nicht in die Sprachen­twick­lung ein­mis­chen will, auf ein­mal moral­isierende Spracherziehung. Was Schlim­meres, mein­er lieber A.S., als die Moralkeule zu schwin­gen, kann man mir nicht antun. Aber ich habe Sie Gut­men­sch, Weltverbesser­er und Pip­pi-Langstrumpf-Umschreiber trotz­dem immer noch lieb.

  53. Ludwig Trepl

    @ suz Klappstulle
    “Sprach­puris­mus aber, der aus “Sand­wich” “Klapp­stulle” macht …”
    Klapp­stulle ist keine Erfind­ung von Sprach­puris­ten wie beispiel­sweise “Anschrift”, son­dern ein deutsches Dialek­t­wort. Klapp­stulle ist auch kein Syn­onym für Sand­wich. Ein Sand­wich kann man kaufen, eine Klapp­stulle schmiert die Mut­ter. Eine Klapp­stulle ist auch dann eine Klapp­stulle, wenn gar nichts weit­er drauf ist als But­ter, und sie muß eine Stulle sein, aus ein­er Schrippe kann man keine Klapp­stulle machen, ein Sand­wich aber schon.

  54. gnaddrig

    @ Daniel
    Sex­is­tis­ch­er Sprachge­brauch ist nicht alles. Es gibt noch viel mehr Fak­toren, die unsere Welt­sicht prä­gen und bee­in­flussen. Es gibt in den aller­wenig­sten Fällen „die eine Ursache“, fast immer wirken viele ver­schiedene Fak­toren zusam­men, so auch hier.
    Mäd­chen sind in gemis­cht­en Grup­pen sich­er nicht deshalb meis­tens schlechter in Math­e­matik usw. als Jun­gen, weil unsere Sprache stel­len­weise sex­is­tisch ist, son­dern weil das Klis­chee ver­bre­it­et ist, das Mäd­chen kein Mathe kön­nen. Woher dieses Klis­chee kommt, weiß ich nicht. Es ist aber doch so, dass Mäd­chen bis ins 20. Jh. hinein kaum Chan­cen hat­ten, mehr als die Volkss­chule zu absolvieren (die braucht­en nicht so viel Bil­dung, weil sie ja nur Kinder kriegen, Die­len bohn­ern und Kühe melken soll­ten). Natür­lich waren dann die Wis­senschaften, darunter promi­nent Math­e­matik und Physik, Domä­nen der Män­ner­welt, wo Frauen sich nicht auskan­nten. Also ent­stand das Klis­chee, Mäd­chen kön­nten kein Mathe und seien – auch wenn man’s meist anders aus­ge­drückt hat – schlicht zu dumm dafür.
    (Ein ähn­lich­er Mech­a­nis­mus dürfte das Klis­chee vom ver­schla­ge­nen, geldgieri­gen Juden geschaf­fen haben: Juden durften in Europa jahrhun­derte­lang keinen ehren­werten Beruf ausüben. Was ihnen blieb waren die Pfan­dlei­herei und in gewis­sen Gren­zen der Han­del. Also gin­gen über­pro­por­tion­al viele Juden diesen Berufen nach und hat­ten beruf­s­mäßig mit Geld zu tun. Irgend­wann fiel jeman­dem auf, dass Juden ständig mit Geld umgin­gen und fast irgend­wie vers­essen auf Geld zu sein schienen. Und schon hat­te eine anti­semi­tis­che Gesellschaft­sor­d­nung ein anti­semi­tis­ches Klis­chee her­vorge­bracht, das dann natür­lich auch wieder zur weit­eren Diskri­m­inierung von Juden ver­wen­det wurde.)
    Das hat mit sex­is­tis­ch­er Sprache zunächst nichts zu tun. Der sex­is­tis­che Sprachge­brauch schlägt aber in dieselbe Kerbe, ver­stärkt solche Klis­chees und Vorurteile eher als sie abzuschwächen. Eine Umstel­lung auf eine neu­trale Sprache würde nicht sofort alle diese Mis­stände abschaf­fen. Eine nicht sex­is­tis­che Sprache würde sie aber nicht weit­er begün­sti­gen. Die Wirkung mag winzig und noch auf Jahrzehnte kaum mess­bar sein. Aber „Klein­vieh macht auch Mist“, hat meine ost­preußis­che Oma immer gesagt, und mit vie­len kleinen Schrit­ten kommt man let­ztlich auch voran. Langsam zwar, aber immerhin.

  55. Daniel

    @ gnad­drig
    „Die Wirkung mag winzig und noch auf Jahrzehnte kaum mess­bar sein.“
    Tja, so unge­fähr sieht auch meine unqual­i­fizierte Ein­schätzung aus.
    Und für diese neu­trale Sprache (naja, wenn einem ein­gere­det wird, dass mit dem Wort „Wis­senschaftler“ ab jet­zt nur noch Män­ner gemeint sind, finde ich sie auch nicht beson­ders neu­tral) lohnt es sich, das Deutsche der­art umzukrem­peln (→ http://www.bruehlmeier.info/sprachfeminismus.htm )? Ach, ich weiß ja nicht.

  56. gnaddrig

    @ Daniel
    Ich weiß nicht, wie sehr man das Deutsche umkrem­peln müsste. Ich weiß auch nicht, ob man Deutsch über­haupt durchge­hend gen­derneu­tral sprechen kann. Und wenn, dann wäre das sehr gewöh­nungs­bedürftig. Aber deshalb kann man das The­ma Sex­is­mus in der Sprache (“brüder­lich”, “Mannschaft”, “selb­st ist der Mann” usw.) doch nicht ein­fach unter “kann man eh nichts machen” abhak­en. Zumin­d­est die Fest­stel­lung, dass unsere Sprache und unser Sprachge­brauch in viel­er Hin­sicht sex­is­tisch sind, ist kaum von der Hand zu weisen (egal wie Sie, ich und der Rest der Welt das nun im Einzel­nen bew­erten). Und die Über­legung, ob man etwas dage­gen unternehmen sollte, ergibt sich dann eigentlich wie von selb­st. Außer natür­lich, man stellt sich auf den Stand­punkt, dass die Frauen sich nicht wieder so anstellen sollen. (Argu­men­ta­tion unge­fähr so: “Die dür­fen jet­zt wählen, sich — fast — nach Belieben Ker­le ins Bett holen und manch­mal sog­ar Vor­stand von Dax-Unternehmen wer­den, was wollen die noch?. Wenn die sich bei Arzt, Lehrer und Schied­srichter nicht mit­ge­meint fühlen und (böswillig) auf Ärztin, Lehrerin und Schies­rich­terin beste­hen, ist denen auch nicht mehr zu helfen, wie klein­lich kann man denn sein?”)
    Eines ist aber sich­er: Vorschreiben kann man sowas nicht. Jed­er muss selb­st entschei­den, ob und inwieweit er seinen eige­nen Sprachge­brauch ändert und bes­timmte For­mulierun­gen ver­mei­det, wo es geht. Das kann ganz ein­fach damit anfan­gen, dass man keine Frauen­witze mehr macht, sich Sprüche wie “Ein Mann — ein Wort, eine Frau — ein Wörter­buch” spart (genau­so, wie man es sich auch angewöh­nt, die gängi­gen Witze und Sprüche mit ras­sis­tis­chem oder homo­phoben Hin­ter­grund zu ver­mei­den, Haut­farbe, sex­uelle Ori­en­tierung und Behin­derung nicht mehr in Beschimp­fun­gen einzubauen usw.). Da gibt es unheim­lich viel sex­is­tis­chen (und ras­sis­tis­chen und homo­phoben usw.) Bal­last, den man ganz unbe­wusst in der ganz nor­malen Umgangssprache mit sich herum­schleppt. Sich das abzugewöh­nen geht ganz ohne Umkrem­peln der Sprache selb­st, und das ist schon ein großer Schritt.
    Was man darüber­hin­aus tat­säch­lich untern­immt, um z.B. gen­derneu­traler zu sprechen, ist eine ganz andere Frage. Da bin ich selb­st auch rat­los. Ich mag keine Xyz/in­nen-For­mulierun­gen, und viele gen­derneu­trale Aus­drücke sind zunächst sehr gewollt und unnatür­lich. Aber mir ist auch nicht wohl dabei, das ganze so ein­fach auf sich beruhen zu lassen. Das ist alles nicht so ein­fach, wie Sie es sich zu machen scheinen.

  57. Menschenfreund

    Eine Frage
    Gibt es empirische Stu­di­en dazu, ob “struk­tureller Sex­is­mus” in der Sprache (ger­ade solch sub­limer wie “Vater­land”) tat­säch­lich das Wohlbefind­en von Frauen in irgen­dein­er Weise beeinträchtigen?
    Hat er Fol­gen für die Arbeit­splatz­suche? Lenkt er die Wahrnehmungen hin­weg von den Frauen auf die Män­ner? Oder fühlen sich Frauen nach­weis­bar schlechter, wenn im All­t­ag solche Begriffe ver­wen­det wer­den? Oder ist das alles ein Wert an sich, muss Gerechtigkeit in der Sprache ein­fach um ihrer selb­st willen geschaf­fen werden?

  58. Antoninus

    .“My heart” … in nationalen Puschen?
    “Home is where the heart is”, für diesen schö­nen Spruch gibt es noch keine passende, ansprechende, mitreißende Über­set­zung. Kann es sie denn geben, ohne piefig der triv­ial zu wirkeln?
    Son­st sind mir mit dem Herzen leicht auf der Zunge. Aber mehr beim kreuze­len­den Volk­slied Zweit­er Teil, der seit Fred­die-Schnulzen sich auf deutschen Plat­ten­tellern, in deutschen Laut­sprechen und Fernseh-Boxen
    The Englisch mean­ing : “One’s own home is prefer­able to all oth­ers”… ver­hil­ft uns auch nicht aus den vorgewärmten, nationalen, wenn nicht gar regionalen Puschen.
    Wie lautete doch die Kinder‑, ich nenn’ sie die EU-Hymne von Bert Brecht “Anmut sparet nicht noch Mühe…“ – und wozu kön­nte sie uns verpflicht­en, als Deutsche in Europa (vor­erst)?

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