Wickie und der starke William

Von Susanne Flach

Vor zwei Wochen sorgte ein Artikel im Forschungs­magazin APOLLON der Uni­ver­sität Oslo für kollek­tives Aufhorchen inner­halb der Sprach­wis­senschaft. Der nor­wegis­che Lin­guist Jan Ter­je Faar­lund von der Uni­ver­sität Oslo und sein amerikanis­ch­er Kol­lege Joseph Emonds von der Palacký-Uni­ver­sität in Olo­mouc (Tschechien) behaupten, dass Englisch auf­grund der „fun­da­men­tal“ ähn­lichen Struk­tur von Englisch und Nor­wegisch eigentlich eine skan­di­navis­che Sprache sei. Damit stellen sie die bish­erige Klas­si­fizierung des Englis­chen als west­ger­man­is­che Sprache mit Friesisch und Nieder­ländisch als eng­ste „Ver­wandte“ in Frage.

Potzblitz, das ver­hallte natür­lich nicht unkom­men­tiert. Die amerikanis­che Lin­guistin und Exper­tin für Sprachkon­takt, Sal­ly Thoma­son, stellte let­zte Woche im Lan­guage Log unter Eng­lish or Engel­sk? dementsprechend tre­f­fend fest: „Außergewöhn­liche Behaup­tun­gen ver­lan­gen außergewöhn­liche Evi­denz“. Wird die uns präsen­tiert? Ums vor­weg zu nehmen: Nein. Und es ist schon reich­lich ungewöhn­lich, so etwas Grundle­gen­des in die Welt zu posaunen, ohne gle­ichzeit­ig mit ein­er aus­führlichen Studie und einem ganzen Sack voller wirk­lich guter Belege z.B. in Form ein­er begutachteten Pub­lika­tion aufzuwarten.

Der Artikel begin­nt mit der etwas banalen Fest­stel­lung (wer mag: mit ein­er Sug­ges­tivfrage), dass bzw. warum es für Nor­wegerIn­nen sehr leicht sei, Englisch zu ler­nen. Dass Nor­wegerIn­nen gegenüber vie­len anderen EuropäerIn­nen bess­er Englisch sprechen, ist sicher­lich richtig, muss aber nicht notwendi­ger­weise an struk­turellen, also sprach­in­ter­nen Fak­toren liegen. Im Gegen­teil: diese Beobach­tung kann min­destens genau­so plau­si­bel mit bzw. auf keinen Fall los­gelöst von sprachex­ter­nen Umstän­den erk­lärt wer­den. Nor­we­gen ist ein Land mit ein­er ver­gle­ich­sweise kleinen Sprachge­mein­schaft, für welche eine aus­geprägte Mehrsprachigkeit zur Kom­mu­nika­tion bei enger Nach­barschaft oder im Han­del schlicht eine Notwendigkeit ist. So wun­dert es wenig, dass das Niveau des Englis­chen (oder der jew­eili­gen Lin­gua Fran­ca ein­er Region) meist umso höher ist, je klein­er die Sprachge­mein­schaft ist. Woher das ger­ade in skan­di­navis­chen Län­dern kommt, wird oft auch darauf zurück­ge­führt, dass Kinder und Jugendliche dort durch Film, Funk und Fernse­hen bere­its sehr früh mit Englisch aufwach­sen (gilt in Abstrichen auch z.B. für die Nieder­lande); zusät­zlich ist in einem reichen Land auch die Schul­bil­dung dementsprechend umfang(erfolg)reich, auch bei anderen Sprachen. Aber darum soll’s nicht gehen.

Das Leichtlernar­gu­ment kön­nte noch als gewollt laien­ver­ständlich­er Ein­stieg in eine kom­plexe Fach­frage durchge­hen. Und triv­ialer­weise lässt sich vor­ab noch fest­stellen, dass sich alle ger­man­is­chen Sprachen struk­turell ohne­hin sehr ähn­lich sind — was kein Wun­der ist, da sie (mut­maßlich) auf eine urg­er­man­is­che Sprache zurück­ge­hen. Prob­lema­tis­ch­er ist die Behaup­tung aber auf den Analy­seebe­nen, wo hal­b­gare lexikalis­che, mor­phol­o­gis­che und syn­tak­tis­che Argu­mente ins Feld geführt werden.

Der Rei­he nach. Die bei­den Forsch­er wer­den wie fol­gt zitiert:

We can show that wher­ev­er Eng­lish dif­fers syn­tac­ti­cal­ly from the oth­er West­ern Ger­man­ic lan­guages — Ger­man, Dutch, Frisian — it has the same struc­ture as the Scan­di­na­vian lan­guages. … The only rea­son­able expla­na­tion then is that Eng­lish is in fact a Scan­di­na­vian lan­guage, and a con­tin­u­a­tion of the Nor­we­gian-Dan­ish lan­guage which was used in Eng­land dur­ing the Mid­dle Ages.

[Wir kön­nen zeigen, dass Englisch dort die gle­iche Struk­tur wie die skan­di­navis­chen Sprachen aufweist, wo Englisch syn­tak­tisch von den anderen west­ger­man­is­chen Sprachen — Deutsch, Nieder­ländisch und Friesisch — abwe­icht. … Die einzige vernün­ftige Erk­lärung ist deshalb, dass Englisch tat­säch­lich eine skan­di­navis­che Sprache ist und eine Weit­er­führung der nor­wegisch-dänis­chen Sprache ist, die in Eng­land während des Mit­te­lal­ters gesprochen wurde.]

Die … im Zitat oben ste­hen etwas sehr verkürzt für eine Rei­he wenig überzeu­gen­der Beispiele. Lehn­wörter? Naja. Diese sind das erste, was im Sprachkon­takt geborgt wird und deshalb eher unspek­takulär. Per­son­al­pronomen? Ja, es ist richtig, dass they, their und them auf das Alt­nordis­chen zurück­ge­führt wer­den kön­nen und somit als entlehntes gram­ma­tis­ches Mate­r­i­al auf einen sehr viel inten­siv­eren Sprachkon­takt hin­deuten, als man durch leak­en und Shit­storm je befürcht­en müsste. Aber Pronomen wie I, you, he, it, we, mine, his, oder her sowie die gesamte Palette an Demon­stra­ti­va kom­men recht zweifels­frei aus dem Altenglis­chen, auch wenn sie nordger­man­is­che Kog­nate haben (sowas wie lexikalis­che Cousins und Cousi­nen). Mor­phosyn­tak­tis­che Struk­turen? Im Deutschen und Nieder­ländis­chen kommt das Verb am Ende des Satzes (Ich habe Altenglisch nie richtig gel­ernt), im Englis­chen und Nor­wegis­chen hinge­gen nicht (mehr). Naja gut, aber ob das so zwin­gend ist? Im Irischen Englisch beispiel­sweise hat sich das soge­nan­nte Medi­al-Object-Per­fect (I have the din­ner eat­en) aus früheren Sprach­stufen des Englis­chen gehalten.

Aber worum geht’s im Kern genau? Die englis­che Sprache, so Faar­lund, ging nicht aus Altenglisch her­vor (das „starb ein­fach aus“), son­dern ist eine direk­te Nach­fol­gerin des Alt­nordis­chen unter „starkem Ein­fluss des Altenglis­chen“. Es geht also um die hypo­thetis­che Bewe­gung im fol­gen­den Stammbaum:

Vere­in­fachter Sprach­stamm­baum west-/nordge­man­is­ch­er Sprachen. Es fehlen Zweige/Sprachen.

[NB: Not drawn to chrono­log­i­cal scale.]

Die direk­te Verbindung zwis­chen Alt- und Mit­te­lenglisch wird also abgeschwächt bzw. gän­zlich wegar­gu­men­tiert, Englisch wan­dert in der Abstam­mung zu Alt­nordisch, der Sprache der skan­di­navis­chen Siedler in Großbri­tan­nien im 9. und 10. Jahrhun­dert. Das ist erstens laaaaange her und  zweit­ens reden wir so neben­bei von ein paar Jahrzehn­ten lokal begren­zter skan­di­navis­ch­er Herrschaft, nicht von Jahrhunderten.

Stamm­bäume wie diese sind zwar nicht unprob­lema­tisch, aber eigentlich weniger, weil die Klas­si­fika­tio­nen in Kern hochum­strit­ten wären, son­dern weil sie direk­te und „eindi­men­sion­ale“ Ver­wandtschafts­beziehun­gen (lin­eages) sug­gerieren, die auf­grund von Migra­tions­be­we­gun­gen und dem resul­tieren­den Sprachkon­takt nicht halt­bar sind: der zweifel­los mas­sive mor­phol­o­gis­che Ein­fluss des Franzö­sis­chen aufs Englis­che ist bei der Kat­e­gorisierung in Ger­man­isch bzw. Roman­isch gar nicht abgedeckt (roman­is­che Wort­bil­dungsaf­fixe wie z.B. de-, re-, mal-, non-, -ment, -ion, -ify, -ity). Aber zur groben Ein­teilung sind diese Bäum­chen weit­ge­hend anerkan­nt — wären sie es nicht, wäre die Behaup­tung nicht so außergewöhn­lich und dann hörte man jet­zt nicht so ein Gegrum­mel inner­halb der Disziplin.

Denn: Wie kann es sein, dass nie­man­dem aufge­fall­en ist, dass Englisch in diesem Baum auf der falschen Stelle ste­ht? Jahrhun­derte­lang? Englisch ist schrift­sprach­lich eine der am besten belegte und sicher­lich am aus­führlich­sten beschriebene Sprache. Natür­lich wurde uns die Klas­si­fika­tion nicht auf Stein­plat­ten gere­icht — ist aber eben auch nicht das Ergeb­nis ein­er Insti­tutswei­h­nachts­feier. Hier sei deshalb noch auf den exzel­len­ten deutschsprachi­gen Ein­wurf auf swanrad.ch ver­wiesen. Auch dort gibt’s Ent­war­nung: „an der These ist nichts dran“.

Nun ist Englisch vom Altenglis­chen bis heute ver­gle­ich­sweise gut doku­men­tiert — bis auf eine Peri­ode im frühen Mit­te­lenglis­chen. Denn die der Schrift­sprache mächti­gen neuen Ange­höri­gen von Admin­is­tra­tion und Klerus sprachen, nun­ja, kein Englisch (son­dern Franzö­sisch, schriftlich war auch Latein eine Option). Wir wis­sen also nicht unbe­d­ingt, was genau am lin­guis­tis­chen Über­gang nach 1066 sprach­lich so genau alles los war, weil die Doku­men­ta­tion­slage dünn ist; die Ein­teilung in Alt- zu Mit­te­lenglisch hat deshalb eher gut begrün­dete his­torisch-kul­turelle Gründe (wie vieles im indo-europäis­chen Sprach­stamm­baum). Was wir aber beispiel­sweise wis­sen, ist, dass späte Texte des Altenglis­chen und frühe Texte des Mit­te­lenglis­chen nicht aus densel­ben Regio­nen stam­men und schon im Altenglis­chen von stark­er dialek­taler Vari­a­tion geprägt waren, also auf dieser Ebene method­isch nicht direkt ver­gle­ich­bar sind (zumin­d­est nicht, wenn man es qua­si als Auss­chluss­be­leg inner­halb eines DNA-Tests her­anziehen will). Kein Wun­der also, dass die Unter­schiede markant sind, was Faar­lund aber zu der falschen Annahme ver­leit­et, Altenglisch sei eigentlich aus­gestor­ben und qua­si durch Alt­nordisch „erset­zt“.

Die Unter­schiede zwis­chen Alt- und Mit­te­lenglisch sind, so denn man das so sagen kann und will, aus einem anderen Grund gravierend. Der mas­sive Sprachkon­takt zwis­chen Altenglisch, (nor­man­nis­chem) Franzö­sisch und alt­nordis­chen Resten (weil sich die Phasen ja auch zeitlich nicht 1:1 über­schnit­ten haben) hat zu einem inten­siv­en Mul­ti­lin­gual­is­mus sowie zu mas­siv­en Anpas­sungsmech­a­nis­men geführt. Es ist richtig, dass Alt- und Mit­te­lenglisch sich sehr unter­schei­den — z.B. wurde fast das kom­plette Kasus- und Flex­ion­ssys­tem abge­baut. In der unmit­tel­baren Folge bzw. in Kom­bi­na­tion dazu reduzierten sich Wort­stel­lung­sop­tio­nen; etwas, was Deutsch nach wie vor mit am deut­lich­sten vom Englis­chen unter­schei­det. Der Kasus­ab­bau ist aber eine kross-lin­guis­tisch robuste Ten­denz in vie­len Sprachen, ganz beson­ders — aber nicht nur — in inten­siv­en Sprachkon­tak­t­si­t­u­a­tio­nen (Mot­to: „Verzichte auf das, was der Ver­ständi­gung in mul­ti­lin­gualen Sit­u­a­tio­nen nicht förder­lich ist und drücke es anders aus“, z.B. durch Fix­ierung der Wort­stel­lung). Nichtzulet­zt haben auch die skan­di­navis­chen Sprachen vom Alt­nordis­chen bis in ihre mod­er­nen Ableger Nor­wegisch, Dänisch und Schwedisch ihre Kasus weit­ge­hend ver­loren. Die enge Ver­wandtschaft zwis­chen Deutsch und Nieder­ländisch bezweifelt nie­mand, weil sich bei­de Sprache im Fortschrittssta­tus beim Kasus­ab­bau von einan­der abweichen.

Das Prob­lem mit Faar­lunds These ist, so stellen Thoma­son und swanrad.ch fest, dass er wed­er par­al­lele Entwick­lun­gen, noch ver­gle­ich­bare, aber voneinan­der unab­hängige Inno­va­tio­nen in struk­turell sehr ähn­lichen Sprachen in Betra­cht zieht. (Das kön­nen Sie in den jew­eili­gen Artikeln sehr gut nach­le­sen.) Und wer vom „Ausster­ben“ des Altenglis­chen spricht, lässt nicht ger­ade die Option zu, dass es sich um eine Art — vere­in­facht gesagt — zeitlich und sprach­lich vielschichtige Zusam­men­führung han­deln kön­nte (eher sowas wie „ganz oder gar nicht“). Also mit anderen Worten: Was Faar­lund und Kol­lege hier annehmen, ist ein sprung­hafter, sprach­in­tern nicht erk­lär­bar­er Sprach­wan­del bzw. ‑wech­sel. Aber auch wenn der Wan­del im Englis­chen ungewöhn­lich flott erfol­gte, war er trotz­dem gradu­ell, motiviert und nicht unerk­lär­bar — und von einem Sprach­wech­sel zu sprechen ist in der Tat gewagt.

Was in Faar­lunds Argu­men­ta­tion zusät­zlich keine Beach­tung find­et, ist erstens die Möglichkeit, dass sich sprach­liche Struk­turen im Sprachkon­takt selb­st her­aus­bilden kön­nen („kon­tak­tin­duziert­er Wan­del“ [Heine & Kute­va 2005]), sei es auf der Grund­lage von Ele­menten in ein­er oder mehrerer Geber­sprachen oder als tat­säch­liche Inno­va­tion. Dazu gehört beispiel­sweise das oben genan­nte Medi­al-Object Per­fect im Irischen Englisch: die Kon­struk­tion kön­nte auf seman­tisch-funk­tionale Äquiv­a­lente in bei­den Mod­ell­sprachen Irisch und Englisch auf­bauend eine inno­v­a­tive Entwick­lung inner­halb der Kon­tak­t­si­t­u­a­tion sein (Pietsch 2009).

Faar­lund zieht zweit­ens nicht in Betra­cht, was nicht im Englis­chen zu find­en ist, worin nordger­man­is­che Sprachen sich aber von west­ger­man­is­chen unter­schei­den. Um auf­grund mein­er eingeschränk­ten Ken­nt­nisse skan­di­navis­ch­er Sprachen nur ein Beispiel zu nen­nen: suf­figierte Definitheits­mark­er (dagen, ‚der Tag’) gab es bere­its im Alt­nordis­chen, sog­ar dis­tinkt von Artikeln (Faar­lund 2004). (Alt-)SkandinavistInnen unter unseren LeserIn­nen haben da sicher­lich noch mehr auf Lager.

Die Fest­stel­lung, dass „wan­nim­mer“ (wher­ev­er) Englisch von Deutsch und Nieder­ländisch abwe­icht, im Nor­wegis­chen aber Entsprechun­gen hat, lässt sich auch dann aufrecht erhal­ten, wenn beispiel­sweise 9 von 10 Eigen­schaften auf west­ger­man­is­chen Ursprung zurück­zuführen wären und eine auf den nor­wegisch-dänis­chen. Soll heißen: Das ist eine Argu­men­ta­tion, die beina­he volk­se­t­y­mol­o­gis­che Züge aufweist, erst recht, weil dieser Her­leitung auch noch jegliche sprach­in­terne und ‑externe Sys­tem­atik fehlt.

Die Behaup­tung muss nicht per se falsch sein — aber die vorgelegten Belege sind zu schwach, empirisch und/oder numerisch nicht aus­re­ichend unter­mauert und in der Rela­tion zu den son­sti­gen sprach­lichen und kul­turellen Über­schnei­dun­gen inner­halb der west­ger­man­is­chen Sprachen zu klein und zu unsys­tem­a­tisch. Vor allem aber kann man sie plau­si­bel mit herkömm­lichem Sprach­wan­del und Sprach­di­ver­genz in der Zwis­chen­zeit erk­lären — was natür­lich den bestens doku­men­tierten und unter­sucht­en, aber eben gesamt­sprach­lich gese­hen gerin­gen Ein­fluss des Alt­nordis­chen auf die Englis­che Sprache nicht ausschließt.

Ergo: Wick­ie kam, sah und siegte (natür­lich) — aber nicht sprachlich.

Literatur

Faar­lund, Jan Ter­je. 2004. The Syn­tax of Old Norse. Oxford.

Heine, Bernd & Tania Kute­va. 2005. Lan­guage Con­tact and Gram­mat­i­cal Change. Cambridge.

Heine, Bernd & Tania Kute­va. 2008. Con­straints on Con­tact-Induced Lin­guis­tic Change. Jour­nal of lan­guage con­tact THEMA 2: 57–90.

Pietsch, Lukas. 2009. Hiber­no-Englisch medi­al-object per­fects recon­sid­ered: A case of con­tact-induced gram­mat­i­cal­iza­tion. Stud­ies in Lan­guage 33: 528–568.

13 Gedanken zu „Wickie und der starke William

  1. Martin

    Um auf­grund mein­er eingeschränk­ten Ken­nt­nisse skan­di­navis­ch­er Sprachen nur ein Beispiel zu nen­nen: suf­figierte Definitheits­mark­er (dagen, ‚der Tag’) gab es bere­its im Alt­nordis­chen, sog­ar dis­tinkt von Artikeln (Faar­lund 2004). (Alt-)SkandinavistInnen unter unseren LeserIn­nen haben da sicher­lich noch mehr auf Lager.”

    Da fällt mir als weit­eres Beispiel spon­tan die Adjek­tivdek­li­na­tion ein: im Englis­chen wer­den Adjek­tive ja gar nicht (mehr) dek­lin­iert, im Deutschen nur noch attribu­tiv und auch nur noch vor dem Nomen (vgl. “Hän­schen klein” usw.). Im Schwedis­chen und Nor­wegis­chen dage­gen sowohl prädika­tiv als auch attribu­tiv (gibt’s im Nor­wegis­chen nachgestellte Adjeik­ti­vat­tribute?). Ist jet­zt das Deutsche mit dem Nor­wegis­chen direk­ter ver­wandt als mit dem Englis­chen? Ich bin verwirrt! 😉

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Martin: Ja, richtig, ich erin­nere mich an eine entsprechende Diskus­sion im Schwedis­chkurs bei den Adjek­tiv­en. Danke!

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  2. Anatol Stefanowitsch

    Sel­ten so einen Schwachsinn gele­sen“, möchte ich angesichts der Faar­lund-Emonds-These fast sagen, wenn mich nicht meine kol­le­giale Loy­al­ität und die Tat­sache daran hin­dern wür­den, dass ähn­liche Ideen ja immer wieder mal von Leuten geäußert wer­den, die es eigentlich bess­er wis­sen müssten.

    So zum Beispiel Bai­ley und Maroldt (1977), die behaupten, Mit­te­lenglisch sei eigentlich ein Kre­ol mit einem alt­franzö­sis­chen Super­stra­tum und einem altenglis­chen Substratum.

    Oder Warn­er (1982), der das­selbe Szenario mit einem latein­sichen Super­stra­tum annimt.

    Oder, im vor­liegen­den Kon­text beson­ders rel­e­vant, Pous­sa (1982), die Mit­te­lenglisch für ein skan­di­navis­ches Kre­ol hält.

    Diese Hypothe­sen erweisen sich bei näherem Hin­se­hen natür­lich alle als falsch, und alle, die sich mit der Geschichte der englis­chen Sprache beschäftigt haben, hät­ten das den jew­eili­gen Autor/innen auch vorher sagen kön­nen. Es beste­ht eine gut doku­men­tierte Kon­ti­nu­ität zwis­chen dem Altenglis­chen und dem Mit­te­lenglis­chen — der schein­bare Bruch, den solche Hypothe­sen erk­lären sollen, existiert nicht, und das, was an Verän­derun­gen stattge­fun­den hat, ist plau­si­bel und prob­lem­los als sprach­in­tern­er Wan­del beschreibbar.

    Im Prinzip steckt hin­ter all diesen Hypothe­sen immer nur der irra­tionale Glaube, dass eine Sprache sich in fünfhun­dert Jahren unmöglich so stark verän­dern könne, wie es zwis­chen dem Alt- und dem Mit­te­lenglis­chen der Fall war. Dabei wird, wie Susanne ja schon schreibt, zusät­zlich überse­hen, dass es sich beim Alt- und Mit­te­lenglis­chen nicht nur um zwei Sprach­stufen, son­dern auch um zwei unter­schiedliche regionale Dialek­te handelt. 

    Die Kre­olisierung­shy­pothe­sen haben aber immer­hin einen klaren Vorteil gegenüber der reich­lich naiv­en Faar­lund-Emonds-Hypothese: Sie nehmen die Art von Sprachver­mis­chung ernst, die bei einem inten­siv­en Sprachkon­takt wie dem zwis­chen Englisch und Dänisch im Danelaw oder Englisch und Franzö­sisch während der nor­man­nis­chen Besatzung entste­hen kann.

    Dass keine „klas­sis­che“ Kre­olisierung stattge­fun­den hat, ist inzwis­chen klar (wie gesagt, die sprachgeschichtliche Kon­ti­nu­ität ist viel zu groß), aber die deut­lichen Spuren, die der inten­sive Sprachkon­takt im Englis­chen hin­ter­lassen hat, ähneln wenig­stens prinzip­iell dem, was bei ein­er Super­stra­tum-Sub­stra­tum-Sit­u­a­tion geschieht.

    Ein gewiss­er Grad an Sprachver­mis­chung erk­lärt auch, warum das Englis­che ein paar Ähn­lichkeit­en mit den skan­di­navis­chen, aber eben auch viele mit den west­ger­man­is­chen Sprachen hat. Die Faar­lund-Emonds-Hypothese erk­lärt das nicht: sie beruht ja auf der Behaup­tung, dass Gram­matik nicht entlehnt wer­den könne, und dass der skan­di­navis­che Ein­fluss deshalb nur durch direk­te Abstam­mung vom Skan­di­navis­chen zu erk­lären sei. Nur: Wenn Gram­matik nicht entlehnt wer­den kann, wie kom­men dann die west­ger­man­is­chen Eigen­schaften in das vom Alt­nordis­chen abstam­mende Englisch (auf diesen Wider­spruch hat auch Sal­ly Thoma­son im Lan­guage Log hingewiesen).

    Es bleibt also nur ein Kopf­schüt­teln und die Frage, ob Faar­lund und Emonds über­haupt keine Ahnung von der umfan­gre­ichen Lit­er­atur zum Sprachkon­takt all­ge­mein und zum englisch-skan­di­navis­chen Sprachkon­takt im Beson­deren haben. Ich weiß ja, dass Press­es­tellen von Uni­ver­sitäten sich über Auf­sätze mit spek­takulären Behaup­tun­gen freuen, aber den Gefall­en soll­ten wir Wissenschaftler/innen ihnen nicht tun, wenn wir ern­stgenom­men wer­den wollen.

    Lit­er­atur
    – Bai­ley, Charles J und Karl Maroldt (1977) The French lin­eage of Eng­lish. In Jür­gen Meisel (Hg.), Langues en con­tact – Pid­gins – Cre­oles. Tübin­gen: Narr, 21–53.
    – Pous­sa, Patri­cia (1982) The evo­lu­tion of ear­ly stan­dard Eng­lish: the cre­oliza­tion hypoth­e­sis. Stu­dia Angli­ca Pos­nanien­sia 14: 69–85.
    – Warn­er, Antho­ny (1982) Com­ple­men­ta­tion in Mid­dle Eng­lish and the Method­ol­o­gy of His­tor­i­cal Syn­tax: A Study of the Wycli­fite Ser­mons. Lon­don: Croom Helm.

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  3. Evanesca Feuerblut

    Danke für den sehr aus­führlichen Artikel und die Kom­mentare dazu.
    Ich habe das sogle­ich mit meinen Komili­to­nen geteilt, mit denen ich englis­che Syn­tax belege, da es in der heuti­gen Sitzung unter anderem um (gram­ma­tis­che) Änderun­gen im Laufe der Zeit­en gehen soll.

    Außer­dem las ich erst gestern abend in einem englis­chen Geschichts­buch sehr viel über die Zeit, auf die hier ange­sprochen wird und belegte let­ztes Semes­ter einen Kurs in Altenglisch.
    Klar hat das Altenglis­che viele Gemein­samkeit­en mit skan­di­navis­chen Sprachen — aber sog­ar eine Lehramtsstu­dentin wie ich erken­nt, wie weit herge­holt Faar­lunds These ist.

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  4. DrNI

    Die Finnen, die sich eher nicht als Skan­di­navier sehen, kön­nen recht gut Englisch. Zumin­d­est die, die ich bish­er im uni­ver­sitären Umfeld ken­nen gel­ernt habe. Muss wohl daran liegen, dass sich Finnisch und Englisch doch recht… ähn­lich sind? Erm. Irgend­was kommt mir komisch vor. 🙂

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      Ja, mir auch.

      Wobei ich einen Punkt gar nicht erwäh­nt habe, den du anschnei­dest: Wenn “Ange­hörige der und der Gesellschaft” beson­ders gut Englisch sprechen, dann beziehen wir das meist auf Erfahrun­gen und Begeg­nun­gen mit ten­den­ziell sehr gebilde­ten und/oder weltof­fe­nen Men­schen (Reise, Uni, etc.). So gese­hen kön­nen auch sehr viele Deutsche sehr, sehr gut Englisch. Also je nach dem, wo man so Urlaub zu machen pflegt.

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  5. Fenja

    Ich hat­te dazu bere­its den völ­lig über­spitzten Artikel in der Aften­posten (größte nor­wegis­che Zeitung) gele­sen. Amüsant finde ich es schon. In Deutsch­land wird auf “allen” Kanälen über Sprachver­fall und Anglizis­men gejam­mert, in Nor­we­gen kat­e­gorisiert man ein­fach die englis­che Sprache um… 😉

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Fenja: Hast du zu dem Aften­posten-Artikel einen Link? Ich meine, irgend­wo in der Kette auch eine Kri­tik an Anglizis­men im Nor­wegis­chen aus­gemacht zu haben, dass dort auch Men­schen über zu viele der­sel­ben jammern.

      Obwohl ein faszinieren­der Gedanke, ist der Hak­en an dein­er ‚ver­muteten‘ Moti­va­tion für Umkat­e­gorisierung lei­der, dass es in der deutschen Debat­te ja auch nicht hil­ft, dass Englisch natür­lich eine west­ger­man­is­che Sprache ist (siehe hier).

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  6. Michael Allers

    Die Fest­stel­lung, dass „wan­nim­mer“ (wher­ev­er) Englisch von Deutsch und Nieder­ländisch abweicht …

    Nur ein Detail:
    — wan­nim­mer“ (when­ev­er)
    — woim­mer“ (wher­ev­er)
    wird doch (mit Leerze­ichen) auch im Deutschen ver­wen­det. Mag sein, dass dies eine der bösen Lehnüber­set­zun­gen ist — aber sind wir Indoeu­ropäer nicht sprach­lich alle mehr oder weniger ver­wandt? Who cares?

    Antworten
    1. Susanne Flach Beitragsautor

      Es ist im Zweifel eine Über­gen­er­al­isierung mein­er­seits — ich stamme aus einem „wo“-Dialektraum und habe trau­ma­tis­che Erfahrun­gen außer­halb des­sel­ben gemacht. „Woim­mer“ kenne ich nicht 🙂 (Deshalb wäre es auch die Frage, ob die wirk­lich 1:1‑Entsprechungen sind. Was ver­mut­lich berechtigt ist, ist die Kri­tik an der Zusam­men­schrei­bung, aber das wäre wohl eine Lehnorthografie, nehme ich an.)

      Antworten
  7. Kristin Kopf

    @Suz: Fen­jas Artikel kön­nte dieser gewe­sen sein. Scheint eine nor­wegis­che Fas­sung des Apol­lon-Textes zu sein, die Autorin ist identisch.

    Antworten
  8. Jakub Bortlik

    Da ich nicht alle hier erwäh­n­ten Artikel und alle Diskus­sions­beiträge gele­sen habe (und dazu jet­zt lei­der auch nicht genug Zeit habe), bin ich mir nicht sich­er, ob hier nur der Artikel im Mag­a­zin APOLLON analysiert wird, oder ob man sich auch mit einem län­geren Text von Faar­lung und/oder Emonds auseinandersetzt.

    Ohne die Hypothese unter­stützen oder bestre­it­en zu wollen möchte ich auf einen früheren Artikel von Emonds aufmerk­sam machen, der zu der Debat­te wohl mehr Mate­r­i­al bietet als die skizzen­hafte Darstel­lung in APOLLON:
    Emonds, J. 2011. “Eng­lish as a North Ger­man­ic Lan­guage: From the Nor­man Con­quest to the Present” in The­o­ries and Prac­tice: Pro­ceed­ings of the Sec­ond Inter­na­tion­al Con­fer­ence on Eng­lish and Amer­i­can Stud­ies, Seit­en 13–26. http://conference.uaa.utb.cz/TheoriesAndPractice2010.pdf.

    Antworten
    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Jakub: Vie­len Dank für den Link! Und nein, der Blog­beitrag befasst sich in der Tat (lei­der) nur mit dem Artikel in den Zeitun­gen und Forschungs­magazi­nen. Die Pub­lika­tion, die Sie ver­linken, ist aber — abge­se­hen von ein, zwei ganz kurz behan­del­ten ‚spezielleren‘ Phänome­nen — im Prinzip nur eine detail­liert­ere Fas­sung des Artikels bzw. der Argu­mente in APOLLON. Soll heißen: Die Forderung „außergewöhn­liche Behaup­tun­gen erfordern außergewöhn­liche Belege“ ist erneut nicht erfüllt. Die größte Schwäche ist und bleibt die aus­geprägte Igno­ranz gegenüber der gesamten Lit­er­atur der Sprach­wan­del- und Sprachkon­tak­t­forschung (s. Link zu Sal­ly Thoma­sons Artikel). Und die Argu­men­ta­tions­führung ist alles andere als in sich stim­mig und überzeugend.

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