Intelligentes Sprachdesign

Von Anatol Stefanowitsch

Über den Ursprung men­schlich­er Sprache(n) lässt sich nur spekulieren: Wir wis­sen wed­er, wann unsere Spezies zu sprechen ange­fan­gen hat, noch wis­sen wir, ob Sprache nur ein­mal ent­standen ist, also alle heute existieren­den Sprachen von ein­er einzi­gen Ursprache abstam­men, oder ob Sprache an ver­schiede­nen Orten ent­standen ist, nach­dem unsere Vor­fahren die biol­o­gis­chen Voraus­set­zun­gen dafür entwick­elt hatten.

Über­legun­gen dazu müssen nicht völ­lig im luftleeren Raum stat­tfind­en, sie kön­nen sich auf ein paar Rah­men­dat­en stützen. So wis­sen wir, dass Sprachen ständig im Wan­del sind, und dass ein paar Hun­dert Jahre reichen kön­nen, um eine Sprache so stark zu verän­dern, dass sie kaum wiederzuerken­nen ist (was, wie Susanne vorgestern beschrieben hat, manch­mal selb­st Linguist/innen zu absur­den The­o­rien veleit­en kann). Wir wis­sen auch, dass unsere Spezies seit etwa hun­dert­tausend Jahren in ihrer mod­er­nen Form existiert und dass seit etwa vierzig- bis fün­fzig­tausend Jahren eine Beschle­u­ni­gung kul­tureller Inno­va­tio­nen und damit ver­bun­den auch eine Aus­d­if­feren­zierung der kul­turellen Eigen­heit­en unter­schiedlich­er Pop­u­la­tio­nen zu beobacht­en ist.

Die biol­o­gis­chen Voraus­set­zun­gen für Sprache dürften also in den let­zten hun­dert­tausend Jahren ent­standen sein, es liegt nahe, das Aufkom­men von Sprache spätestens mit der Beschle­u­ni­gung kul­tureller Inno­va­tio­nen in Zusam­men­hang zu set­zen. Das ergäbe eine Zeitspanne von min­destens vierzig­tausend Jahren, mehr als genug, um die gesamte Sprachvielfalt durch natür­lichen Sprach­wan­del aus ein­er einzi­gen Ursprache entste­hen zu lassen, und so gehen die meis­ten Sprachwissenschaftler/innen von diesem Szenario aus. ((Wenn Sie sich über­haupt mit der Frage befassen: Die erzwun­gene Speku­la­tiv­ität des The­mas führt dazu, dass es häu­fig nur Achselzuck­en her­vor­ruft. De Soci­eté Lin­guis­tique de Paris ver­bot ihren Mit­gliedern bei ihrer Grün­dung 1866 sog­ar die Beschäf­ti­gung damit: „Die Gesellschaft akzep­tiert keine Mit­teilun­gen über den Ursprung der Sprache oder die Erstel­lung (kün­stlich­er) Uni­ver­sal­sprachen“, lautet Artikel 2 der Satzung.))

Lucas Van Valckenborch: Tour de Babel (Detail)

Lucas Van Val­ck­en­borch: Tour de Babel (Detail)

Es gibt aber eine Hand­voll Hob­bylin­guis­ten, für die dieses Szenario abso­lut inakzept­abel ist, unter ihnen auch der Aus­tralier Carl Wieland und der Nieder­län­der Klaas-Jan Duurs­ma. Als evan­ge­likalis­che Chris­ten sind die bei­den ein­er wortwörtlichen Inter­pre­ta­tion der Bibel verpflichtet. Und die erk­lärt die Entste­hung der heute zu beobach­t­en­den Sprachvielfalt nicht durch natür­lichen Sprach­wan­del, son­dern durch göt­tliche Intervention.

Die Bibel stellt zunächst klar, dass bis zur Sint­flut und auch noch einige Zeit danach nur eine Sprache gesprochen wurde: „Es hat­te aber alle Welt ein­er­lei Zunge und Sprache.“ (1. Mose, 11:1). ((Die Geschichte vom Turm­bau zu Babel wider­spricht übri­gens dem direkt vor­ange­hen­den Kapi­tel des 1. Buch Mose, das zu beschreiben scheint, wie die Nachkom­men Noahs sich nach der Sint­flut über die Erde aus­bre­it­en und sich dabei in Stämme mit unter­schiedlichen Gebräuchen und Sprachen aufteilen — ein Szenario, das bess­er zu ein­er Aus­d­if­feren­zierung durch natür­lichen Sprach­wan­del passt.)) Sie liefert dann mit der Geschichte vom Turm­bau zu Babel eine Erk­lärung für die heute existierende Sprachvielfalt.

Zunächst beschreibt sie, wie eine Gruppe von Men­schen sich im Land Sin­ear nieder­lässt und einen schick­salss­chw­eren Plan fasst:

Und sie sprachen untere­inan­der: Wohlauf, laß uns Ziegel stre­ichen und bren­nen! und nah­men Ziegel zu Stein und Erd­harz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Him­mel reiche, daß wir uns einen Namen machen! denn wir wer­den son­st zer­streut in alle Län­der. (1. Mose, 11:2–4).

An diesem Punkt erken­nt der bib­lis­che Schöpfer die Kon­se­quen­zen, die dieses Bau­vorhaben für das Selb­stver­ständ­nis sein­er Krea­turen haben kön­nte und han­delt schnell:

Da fuhr der HERR hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Men­schenkinder baut­en. Und der HERR sprach: Siehe, es ist ein­er­lei Volk und ein­er­lei Sprache unter ihnen allen, und haben das ange­fan­gen zu tun; sie wer­den nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenom­men haben zu tun. Wohlauf, laßt uns hernieder­fahren und ihre Sprache daselb­st ver­wirren, daß kein­er des andern Sprache ver­ste­he! Also zer­streute sie der HERR von dort alle Län­der, daß sie mußten aufhören die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, daß der HERR daselb­st ver­wirrt hat­te aller Län­der Sprache und sie zer­streut von dort in alle Län­der. (1. Mose, 11:5–9).

Für diejeni­gen, die die Bibel als Samm­lung von Alle­gorien betra­cht­en, ist die Geschichte häu­fig ein Sinnbild für men­schlichen Hochmut, obwohl ich sie eher als Sinnbild für das Poten­zial ein­er gemein­same Sprache und des dadurch ermöglicht­en freien Aus­tauschs von Ideen sehen würde (und für die Notwendigkeit, diesen freien Aus­tausch zu unter­drück­en, wenn man die Kon­trolle über die Sprecher/innen behal­ten will).

Aber für evan­ge­likalis­che Chris­ten ist es eben eine wörtlich zu nehmende Beschrei­bung eines his­torischen Ereigniss­es. Das kann man respek­tieren, wie man jede per­sön­liche Überzeu­gung respek­tieren kann, und es wäre nicht weit­er erwäh­nenswert. Was es inter­es­sant macht, ist, dass einige überzeugte Evan­ge­likale — wie der oben erwäh­nte Carl Wieland, Vor­sitzen­der der Cre­ation Min­istries Inter­na­tion­al und Klaas-Jan Duurs­ma, Pfar­rer in ein­er kreation­is­tis­chen Kirchenge­meinde — es nicht bei ein­er per­sön­lichen Überzeu­gung belassen, son­dern ver­suchen, wis­senschaftlich anmu­tende The­o­rien um die Geschichte vom Turm­bau zu Babel herum zu kon­stru­ieren. ((Vgl. Wieland, Carl (1999) Tow­er­ing change. Cre­ation 22(1): 22–26; und Duurs­ma, K.J. (2002) The Tow­er of Babel account affirmed by lin­guis­tics. Jour­nal of Cre­ation 16(3): 27–31.))

Bei­de begin­nen diesen Ver­such zunächst damit, anzuerken­nen, dass Sprachen sich verän­dern und dass es Sprachen gibt, die miteinan­der ver­wandt sind und aller Wahrschein­lichkeit nach von ein­er gemein­samen älteren Sprach­stufe abstam­men. Das ist klug, denn es lässt sich angesichts offen­sichtlich­er Ähn­lichkeit­en etwa zwis­chen dem Deutschen, Englis­chen und Nieder­ländis­chen oder dem Spanis­chen, Ital­ienis­chen und Franzö­sis­chen schlecht bestre­it­en. Sie erken­nen also Sprach­wan­del an –– obwohl Wieland sich beeilt, klarzuste­len, dass Sprach­wan­del keine „Evo­lu­tion“ sei, da er durch men­schliche Kreativ­ität und Erfind­ergeist entste­he, und dass Sprachen außer­dem mit der Zeit ein­fach­er, und nicht kom­plex­er wür­den (bei­des ist übri­gens falsch).

Damit haben sie aber nun das Prob­lem, dass die Bibel keinen Sprach­wan­del, son­dern eben die göt­tliche Inter­ven­tion in Baby­lon für die heutige Sprachvielfalt ver­ant­wortlich sei. Für dieses Prob­lem schla­gen bei­de im Prinzip die gle­iche Lösung vor; ich konzen­triere mich hier auf Duurs­mas Argu­men­ta­tion, da sie detail­liert­er ist.

Duurs­ma beschreibt zunächst die Meth­o­d­en der ver­gle­ichen­den Sprachrekon­struk­tion, zwar extrem verkürzt, aber nicht grund­sät­zlich falsch. Er stellt dann fest, dass sich die Sprachen der Welt mit rel­a­tiv großer Sicher­heit in eine Rei­he größer­er Sprach­fam­i­lien einord­nen lassen, für die sich jew­eils eine gemein­same Vor­läufer­sprache rekon­stru­ieren lässt, dass diese Rekon­struk­tio­nen aber besten­falls etwa zehn­tausend Jahre in die Ver­gan­gen­heit reichen. Danach wird es unmöglich, mit den Meth­o­d­en der ver­gle­ichen­den Sprachrekon­struk­tion noch belast­bare Aus­sagen darüber zu machen, ob und wie diese Sprach­fam­i­lien zusam­men­hän­gen (es gibt Sprach­wis­senschaftler, die es ver­suchen, sie müssen dabei aber sehr impres­sion­is­tisch vorge­hen und die Ergeb­nisse sind höchst spekulativ).

Kreationistisches Modell der Sprachvielfalt (Duursma 2002)

Kreation­is­tis­ches Mod­ell der Sprachvielfalt (Duurs­ma 2002)

Das, so Durs­ma, passe ja nun her­vor­ra­gend zur Geschichte vom Turm­bau zu Babel, die nach kreation­is­tis­ch­er Zeitrech­nung keines­falls vor mehr als zehn­tausend Jahren stattge­fun­den haben könne, da die Erde ins­ge­samt nach dieser Zeitrech­nung aller­höch­stens zehn­tausend Jahre alt sei. Sein­er Mei­n­ung nach spricht die Beweis­lage ein­deutig dafür, dass es eine gemein­same Sprache gab, die zu einem Zeit­punkt kurz nach der Sint­flut durch einen göt­tlichen Akt sehr plöt­zlich in mehrere Sprachen aufgeteilt wurde, die sich dann jew­eils zu ein­er ganzen Sprach­fam­i­lie aus­d­if­feren­zierten (siehe Duurs­mas Grafik, die sog­ar die Möglichkeit vor­sieht, dass vor der Sint­flut schon eine Diver­si­fizierung stattge­fun­den hat, die durch die Aus­löschung der Men­schheit mit Aus­nahme von Noahs Fam­i­lie aber wieder verschwand).

Dies ist im Prinzip eine Über­tra­gung der pseudo­bi­ol­o­gis­chen The­o­rie des „Intel­li­gen­ten Designs“ auf die Sprache: Die Intel­li­gentes-Design-The­o­rie erken­nt die Möglichkeit von „Mikroevo­lu­tion“ inner­halb ein­er Gat­tung von Organ­is­men an, nicht aber die Möglichkeit von „Makroevo­lu­tion“, also die Entste­hung neuer Gat­tun­gen. Die heuti­gen Gat­tun­gen sind nach dieser The­o­rie aus den Organ­is­men ent­standen, die Noah auf der Arche mit­führte. Duurs­ma disku­tiert sog­ar die Eigen­schaften von Sprache, die sie sein­er Mei­n­ung nach als Ergeb­nis eines bewussten Designs charakterisieren.

Und wie die The­o­rie des „Intel­li­gen­ten Designs“ hat auch Duurs­mas „The­o­rie“ den Nachteil, dass sie ihr eigenes Gege­nar­gu­ment in sich trägt. Wenn wiele kleine Verän­derun­gen dazu führen kön­nen, dass inner­halb ein­er Gat­tung oder Sprach­fam­i­lie neue Arten oder Sprachen entste­hen, dann kön­nen solche Verän­derun­gen in einem aus­re­ichend lan­gen Zeitraum auch neue Gat­tun­gen oder Sprach­fam­i­lien her­vor­brin­gen. Wie die The­o­rie des Intel­li­gen­ten Designs muss Duurs­ma also die zusät­zliche Annahme machen, dass kein aus­re­ichend langer Zeitraum zur Ver­fü­gung stand, er muss also einen Junge-Erde-Kreation­sis­mus vertreten.

Außer­dem beruht seine The­o­rie eben grundle­gend auf der Tat­sache, dass sich Sprachen nur etwa zehn­tausend Jahre zurück rekon­stru­ieren lassen. Das liegt aber natür­lich nicht daran, dass wir dort auf eine magis­che Gren­ze, eine Art sprach­lichen Urk­nall stoßen, son­dern daran, dass die Meth­o­d­en umso unge­nauer wer­den, je weit­er wir uns von der tat­säch­lichen Evi­denz doku­men­tiert­er Sprachen ent­fer­nen. Duurs­mas The­o­rie ist damit ein Argu­men­tum ad Igno­ran­ti­am, ein Argu­ment, das aus der Abwe­sen­heit von Beweisen auf einen Beweis für Abwe­sen­heit (in diesem Fall die Abwe­sen­heit ein­er lan­gen Entwick­lungs­geschichte men­schlich­er Sprachen) schließt.

21 Gedanken zu „Intelligentes Sprachdesign

  1. Rob

    Hat schon mal jemand die Migra­tionswege des Men­schen aus Afri­ka her­aus mit dem Ver­wand­schafts­grad der ver­schiede­nen Sprachen ver­glichen? Wenn es da viele Überin­stim­mungen gibt, dann läge ja nahe, dass Sprache vorher ent­standen ist und ein­fach mit exportiert wurde. Das ganze wäre dann aber auch etwas länger her.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Rob, etwas ent­fer­nt Ähn­lich­es ist schon ver­sucht wor­den; wie ich hier beschrieben habe, ist das Ergeb­nis aber nur mit­telmäßig überzeu­gend. Ihren Vorschlag direkt umzuset­zen scheit­ert daran, dass sich die Sprach­fam­i­lien eben nur bis besten­falls 10 000 Jahre zurück rekon­stru­ieren lassen — das ist lange nach der Migra­tion aus Afri­ka heraus.

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  2. Evanesca Feuerblut

    Danke für diesen Artikel. Dass sich die (für mich absur­den) Ideen des ID sich sog­ar auf die Sprache erstreck­en, wusste ich nicht.
    Ich werde diesen Beitrag in meinem Diskus­sions­fo­rum zum The­ma “Reli­gio­nen” verlinken.

    Es gibt allerd­ings in der Tat intel­li­gent designte Sprachen. Sie wur­den beispiel­sweise von J.R.R. Tolkien erschaf­fen, als dieser inner­halb von mehr als sieben Tagen Mit­tel­erde schuf :). Er hat meinen aller­höch­sten Respekt.

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  3. Michael Pleyer

    Im Oxford Hand­book of Lan­guage Evo­lu­tion gibt es übri­gens einen Artikel von Johan­na Nichols zu der Frage “ob Sprache nur ein­mal ent­standen ist, also alle heute existieren­den Sprachen von ein­er einzi­gen Ursprache abstam­men, oder ob Sprache an ver­schiede­nen Orten ent­standen ist,” — Ihre Antwort, “[P]rinciples of lin­guis­tic geog­ra­phy and palaeode­mog­ra­phy indi­cate that lan­guage orig­i­nat­ed grad­u­al­ly over a diverse pop­u­la­tion of pre-lan­guages and pre-lan­guage fam­i­lies. There was no sin­gle ances­tral language.”

    Zur Fußnote 1 ist es inter­es­sant anzumerken, dass die Soci­eté Lin­guis­tique de Paris das The­ma der Sprachevo­lu­tion laut Yamauchi et al. 2010 nicht etwa wegen der Speku­la­tiv­ität des The­mas ver­bot, son­dern aus beson­ders aus soziopoli­tis­chen Grün­den, unter anderem weil es ein “heißes The­ma” war und sie sich von den Mate­ri­al­is­ten abgren­zen wollen:

    Yamauchi, Hajime, Ter­rence Dea­con and Kazuo Okanoya. 2012. The Myth sur­round­ing the ban by Société de Lin­guis­tique de Paris. In T. C. Scott-Phillips, M. Tama­riz, E. A. Cart­mill und J. R. Hur­ford (eds.): The Evo­lu­tion of Lan­guage. Pro­ceed­ings of the 9th Con­fer­ence on the Evo­lu­tion of Lan­guage. 569–570. Sin­ga­pore: World Scientific.

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  4. Muriel

    Und wie die The­o­rie des „Intel­li­gen­ten Designs“ hat auch Duurs­mas „The­o­rie“ den Nachteil, dass sie ihr eigenes Gege­nar­gu­ment in sich trägt. 

    So darf man das nicht sehen. Es ist doch offen­sichtlich, dass man zu Fuß von der Möncke­bergstraße zum Jungfern­stieg gehen kann (Mikro­mo­bil­ität), dass es aber völ­lig unmöglich ist, zu Fuß von Ham­burg nach Bre­men zu gelan­gen (Makro­mo­bil­ität).
    Ähm, ja.

    Noch mal was ganz anderes: Gibt es einen Unter­schied zwis­chen evan­ge­likal und evagelikalisch‘?

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  5. gnaddrig

    @ Muriel: Nach Bre­men kann man schon gehen, das ist noch Mikro­mo­bil­ität, aber nicht nach Lon­don. Da ist eine Gat­tungs­gren­ze namens Ärmelka­nal dazwis­chen. Unge­fähr so würde man das aus Sicht des ID wahrschein­lich sehen.

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  6. Tomo

    @Muriel
    der Unter­schied zwis­chen evan­glisch (im deutschen Sinne) und evan­ge­likal ist riesig.
    Das reicht von so weltlichen Din­gen wie der Finanzierung über die Ansicht­en bezüglich der Bibel (Kreation­is­ten z.B. sind mein­er Erfahrung nach eher bei den evan­ge­likalen zu find­en) bis hin zu Ansichtn über Men­schen­rechte, beson­ders in Bezug auf Kom­mu­nis­ten, Schwule, Ehe­brecherin­nen usw. … Auch deuten die Evan­ge­likalen, die ich kenne, das Geschehn in ihrem Umfeld viel stärk­er auf “Das war Gott” und “Das war Satan”, “Das ist Sünde”, so das ins­ge­samt ein sehr star­res Welt­bild entste­ht, welch­es nicht offen für andere Ansicht­en und Mei­n­un­gen ist.
    Sich­er gibt es solche Extremen Leute auch bei den Evan­ge­lis­chen, aber ins­ge­samt habe ich die als wesen­tich objek­tiv­er und aufgek­lärter erlebt.

    Das schließt auch ein, dass man anerken­nt, dass die heuti­gen Über­set­zun­gen alter Texte nicht Wort für Wort stim­men müssen

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  7. Evanesca Feuerblut

    Quote:Noch mal was ganz anderes: Gibt es einen Unter­schied zwis­chen evan­ge­likal und evage­likalisch‘? Outquote

    Jep — evan­ge­likal beze­ich­net im Volksmund die oft­mals radikal-christlichen Strö­mungen aus den USA. Zu den Evan­ge­likalen zählen u.a. die “Sieben-Tage-Adven­tis­ten” und andere religiöse Gruppierungen.

    Mit “evan­ge­lisch” im Sinne von “Mar­tin Luther” haben diese Grup­pen meist nichts oder nur wenig gemeinsam.

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  8. smal grameere

    evan­ge­likalisch” gibt es über­haupt nicht, das hat Ana­tol Ste­fanow­itsch erfun­den. Entwed­er “evan­ge­lisch” — im wesentlichen ein Syn­onym für protes­tantisch eher lutherisch­er Prä­gung — oder “evan­ge­likal” — der Wikipedia-Artikel dazu ist gar nicht übel, wenn auch sehr aus­führlich. Es ist halt nicht alles so ein­fach im Land der From­men, wie sich das die medi­ale Öffentlichkeit gerne vorstellt.

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    1. Susanne Flach

      @smal grameere: Das ist so nicht ganz richtig. Auf rein quan­ti­ta­tiv­er Basis ist evan­ge­likal deut­lich häu­figer, als evan­ge­likalisch (Cos­mas II: etwa 2,800 zu 1, bei ein­er sehr ober­fläch­lichen Suche. Wobei das Auftreten ungewöhn­lich schief verteilt ist: etwa 90% der Tre­f­fer für evan­ge­likal find­en sich im Cos­mas II in Wikipedia-Artikeln und ‑Diskus­sio­nen [Kor­rek­tur: es sind sog­ar 98%, SF]; wasim­mer das jet­zt heißen mag, lassen wir mal offen).

      Vor­sicht ist deshalb, aber auch grund­sät­zlich, bei der Beurteilung ‚erfun­den‘ geboten. Denn evan­ge­likalisch kann man auch als Ergeb­nis eines nor­malen Wort­bil­dungsmusters inter­pretieren, bei dem vom Adjek­tiv evan­ge­likal ein weit­eres Adjek­tiv evangelikal+isch abgeleit­et wird, wobei das X-isch etwa die Bedeu­tung ‚Eigen­schaften von X zeigend, ohne unbe­d­ingt X im engeren Sinne zu sein‘ haben kön­nte. Wenn sich evan­ge­likal bere­its so lexikalisiert auf eine recht gut ein­grenzbare Gruppe anwen­den lässt, die gewisse Eigen­schaften in sich vere­inen, dann kön­nte man mit evan­g­likalisch z.B. jene Grup­pen charak­ter­isieren, die sich nicht notwendi­ger­weise Evan­ge­likalen im engeren Sinne oder in all ihren Facetten zurech­nen lassen (wollen), die aber in der Wahrnehmung der Sprecherin entschei­dende Eigen­schaften evan­ge­likaler Grup­pen aufweisen. (Das wäre eine mögliche Analyse, aber sicher­lich nicht die einzige. Dazu wäre eine detail­liert­ere kon­textbasierte Recherche zum Muster notwendig, ob man -isch bei noch nicht lexikalisierten Ableitun­gen also generell in dieser Bedeu­tung wahrn­immt bzw. wahrnehmen könnte.)

      Ob Ana­tol das im Sinn hat­te, müsste er uns selb­st sagen — aber frei erfun­den hat er es nicht.

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  9. smal grameere

    Aber wenn ein Wort so ver­wen­det wird, als beze­ichne es eine bes­timmte Gruppe von Men­schen, es aber bis­lang keine als solche beze­ich­net, dann mag es ein nach den Regeln der Sprache gebildetes Wort sein, zeigt aber, das die Per­son, die es benutzt, von den Grup­pen, über die sie schreibt, wenig Ahnung hat. 

    Ana­tol würde ver­mut­lich auch schmun­zeln, wenn er als “Sprachen­wis­senschaftler” beze­ich­net würde, und diejenige, die sein Berufs­bild so nen­nt, erst mal nicht sehr ernst nehmen.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      Evan­ge­likalisch ist eine übliche Vari­ante von evan­ge­likal. Die Form evan­ge­likalisch mag die sel­tenere sein, sie find­et sich aber in allen sprach­lichen Reg­is­tern, ein­schließlich bil­dungssprach­lich­er, und sie find­et sich sog­ar in Fach­tex­ten über fun­da­men­tale Chris­ten in den USA. Im Übri­gen muss man meine Blog­beiträge schon sehr unaufmerk­sam bis über­haupt nicht gele­sen haben, um zu glauben, dass ich ein­er präskrip­tiv­en Diskus­sion meines (oder irgend­je­man­des) Sprachge­brauchs viel abgewin­nen könne.

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  10. m'r

    Ana­tol, gen­der­st du mit Absicht nur manch­mal (Linguist/innen, Sprachwissenschaftler/innen vs. Hob­bylin­guis­ten, evan­ge­likalis­che Chris­ten)? Wenn ja, mit welcher?

    Antworten
    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      Ich ver­wende Dop­pelfor­men in gener­ischen Zusam­men­hän­gen – im Fall von Linguist/innen, Sprachwissenschaftler/innen sind alle Vertreter/innen dieser Diszi­plin gemeint. In spez­i­fis­chen Zusam­men­hän­gen ver­wende ich dage­gen die jew­eils angemessene Form — Hob­bylin­guis­ten und evan­ge­likalis­che Chris­ten bezieht sich auf spez­i­fis­che Per­so­n­en — Wieland und Duurs­ma (und ein paar andere) — die alle Män­ner sind. Manch­mal rutscht mit aber auch ein gener­isches Maskulinum durch, denn auch ich bin natür­lich nicht immun gegen struk­turellen Sexismus.

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  11. smal grameere

    Evan­ge­likalisch ist eine übliche Vari­ante von evangelikal. 

    Nein, ist es nicht. Bitte her mit den “Fach“artikeln, bei denen die Ver­wen­dung des Wortes keinen Über­set­zungs­fehler darstellt. 

    http://www.dwds.de/?qu=evangelikalisch&submit_button=Suche&view=1

    Oder mal die Google-Suche bemühen, die kor­rigiert das Wort gleich.

    Es ist doch wohl nicht eine Frage der Präskrip­tiv­ität, wenn ich mir wün­sche, dass Fach­be­griffe richtig ver­wen­det wer­den. Sie sind doch an ein­er Uni­ver­sität, fra­gen Sie doch eine Theologin.

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  12. Kristin Kopf

    @smal grameere:
    Ich selb­st kenne auch nur evan­ge­likal und würde das auch bevorzu­gen, aber die Frage nach soli­den Quellen weckt meinen Rechercheehrgeiz …

    Bei Google­Books tauchen zwar ins­ge­samt wenige Tre­f­fer (62) auf, aber Tre­f­fer aus nicht über­set­zen Werken scheinen mir z.B. dieser, dieser und dieser zu sein (habe nur die ersten 5 Tre­f­fer durchgeschaut). Natür­lich wird in allen Fällen Bezug auf die USA genom­men, aber ohne Bezug auf die USA hät­ten wir ja wed­er die for­mal mit dem Englis­chen fast iden­tis­che Form evan­ge­likal noch das hier so heiß umkämpfte evan­ge­likalisch.

    Erweiterun­gen von Lehnad­jek­tiv­en auf -al gab es übri­gens schon immer, nicht alle haben sich gehal­ten (sakra­men­tal­isch, spezialisch).
    Ich zitiere hierzu aus Fleischer/Barz (“Wort­bil­dung der deutschen Gegen­wartssprache”, 3. Aufl., S. 260):

    Als adjek­tivis­che Basis sind (…) Fremd­wörter anzuse­hen, neben denen ein­deutschende ‑isch-Derivate existieren: antik-isch, autark-isch, hybrid-isch, per­fekt-iv-isch. In älter­er Zeit waren die ‑isch-Derivate offen­bar weit­er ver­bre­it­et (kol­le­gial — kol­le­gialisch noch “gle­ich üblich” nach PAUL 1920 §67).”

    Dass DWDS nicht für alles Ein­träge besitzt, ist übri­gens nicht weit­er verwunderlich.

    Antworten
  13. smal grameere

    @Kristin, es geht doch gar nicht darum, ob das Wort so gebildet wer­den kön­nte. Kön­nte es natür­lich, aber nie­mand, der sich in irgen­dein­er ken­nt­nis­re­ichen Art mit den ver­schiede­nen Strö­mungen auseinan­der­set­zt, würde das Wort ver­wen­den — und zwar nicht, weil es der Gram­matik oder Wort­bil­dung, nicht ein­mal der Polit­i­cal Cor­rect­ness, zuwider­läuft. Son­dern, ganz ein­fach, weil es so nicht ver­wen­det wird. Wer Veg­an­er doof find­et, wird trotz­dem nicht sagen, dass sie “veg­an­is­che” Kost doof find­en. Täte sie oder er das, läge der Ver­dacht nahe, dass es auf­grund von Igno­ranz geschieht.

    @Herr Ste­fanow­itsch, Sie soll­ten Ihre eige­nen Vorurteile mal gründlich über­prüfen. Es ist wirk­lich außeror­dentlich ärg­er­lich, wie Sie mit Kri­tik an unpräzis­er Sprachver­wen­dung Ihrer­seits umge­hen — ich habe Sie nach Bele­gen für Ihre Behaup­tun­gen gefragt, und anstatt entwed­er welche zu liefern, oder halt zuzugeben, dass Sie es nicht genau wis­sen, dif­famieren Sie mich als eine, die an Fak­ten nicht inter­essiert sind. 

    Sie ver­muten in mir, so scheint Ihr let­zter Absatz zu sug­gerieren, eine religiöse Spin­ner­in, die selb­st daran glaubt, dass die Erde in sechs Tagen erschaf­fen wurde, und dif­famieren mich gegenüber anderen Postern eben­so. Woher wollen Sie denn das wissen?

    Es ste­ht Ihnen ja frei, bes­timmte gesellschaftliche Grup­pen blöd zu find­en oder gar mit Ver­ach­tung zu strafen, auch wenn das wie ein Ven­til für die son­st so akribisch geübte poli­tis­che Kor­rek­theit wirkt. Aber bitte, bitte, nen­nen Sie diese Grup­pen doch wenig­stens mal beim richti­gen Namen und ver­schwen­den Sie vielle­icht mal ein paar Minuten auf die Lek­türe eines Lexikonar­tikels, um nicht gar so unbe­darft über eine große Anzahl Men­schen, die keineswegs alle ein­heitlich denken, zu reden.

    Antworten
  14. Kristin Kopf

    @Anatol: Najaaa, so drama­tisch finde ich smal grameeres Ein­wände zur Sprachver­wen­dung hier nicht. (Und ich selb­st finde Nach­denken über Adjek­tive ja immer span­nend, von daher war’s für mich auch per­sön­lich gewinnbringend.)
    Aber ja, an diesem Punkt scheint nichts Neues mehr hinzuzukommen.

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