Wissenschafts(unterrichts)sprache Deutsch

Von Susanne Flach

Anfang Dezem­ber machte wieder mal die Panikmache vor dem Aus des Deutschen als Wis­senschaftssprache die Runde (z.B. hier in einem Beitrag auf DRa­dio). Darin wird in einem Neben­satz des Argu­ments „fehlen­der Mehrsprachigkeit“ mal wieder gemault, dass beim Ausster­ben des Deutschen in der Wis­senschaft gle­ich auch die Hochschu­lun­ter­richtssprache Deutsch bedro­ht ist.

Das fand ich schon länger faszinierend. Diese Behaup­tung, dass die Lehre „nur noch auf Englisch“ stat­tfinde (was natür­lich abhängig ist vom Moll­ge­halt des Klageliedes). Denn außer­halb meines eige­nen Fach­bere­ichs war Englisch in reingeschnup­perten Fäch­ern BWL, VWL, Sprach­lehrforschung und Sinolo­gie die Aus­nahme. Allen­falls in Poli­tik­wis­senschaft hat­ten wir über­haupt ein nen­nenswertes Sem­i­narange­bot in englis­ch­er Sprache. Das Argu­ment ist ja meist eine Ver­sion des Apoka­lypsege­fälles von Deutsche Wissenschaftler/innen pub­lizieren nicht mehr auf Deutsch > unter­richt­en nicht mehr auf Deutsch > Deutsch an Unis stirbt aus > Wis­senschaft aus Deutsch­land stirbt aus/wird nicht mehr beachtet > Wis­senschaft (generell) verküm­mertdie deutsche Sprache verküm­mert > Tod (oder so ähn­lich). Ana­tol hat die schräge Logik eines irra­tional kon­stru­ierten Zusam­men­hangs an dieser Stelle vorzüglich entlarvt.

Heute widme ich mich mal kurz und ober­fläch­lich dem Argu­ment „es wird nicht mehr auf Deutsch unter­richtet“ (bzw. seinen Vari­anten). Dafür habe ich das Vor­lesungsverze­ich­nis der Freien Uni­ver­sität Berlin für das Win­terse­mes­ter 2012/13 durch­sucht (hier), auch, weil die FU gegen den Ver­dacht immun ist, wenig für inter­na­tionale Spitzen­forschung zu tun.

So schaut‘s da aus, nach Fach­bere­ichen sortiert und unter der drin­gen­den War­nung, dass da nix method­isch wasser­fest ist, son­dern nur eine Ein­schätzung unter der Annahme, dass die Vor­lesungs­daten­bank irgend­wie Ten­den­zen der Unter­richtssprachen wider­spiegelt (von Lehrver­anstal­tun­gen, die über­haupt eine Unter­richtssprache ausweisen):

Fach­bere­ich Deutsch Englisch %EN
Biolo­gie, Chemie, Pharmazie 405 62  13,3%
Erziehungswis­senschaft & Psychologie 111 8 6,7%
Geowis­senschaften 252 12 4,5%
Geschichts- & Kulturwissenschaften 487 20 3,9%
Math­e­matik & Informatik 258 14 5,1%
Philoso­phie & Geisteswissenschaften 419 70 14,3%
Physik 82 41 33,3%
Poli­tik- & Sozialwissenschaften 55 67 54,9%
Rechtswis­senschaft 138 21 13,2%
Vet­er­inärmedi­zin 162 1  0,6%
Wirtschaftswis­senschaften 153 19  11,0%
—-
Gesamt:  2522 335  11,7% 

Anzahl an Lehrver­anstal­tun­gen mit aus­gewiesen­er Unter­richtssprache in deutsch­er und englis­ch­er Sprache nach Fach­bere­ichen, sowie der Anteil von englis­chsprachi­gen Ver­anstal­tun­gen an allen Ver­anstal­tun­gen mit aus­gewiesen­er Unter­richtssprache. Einige Fach­bere­iche (z.B. FB Char­ité) sowie die Zen­tralein­rich­tun­gen (z.B. Sprachen­zen­trum, Zen­trale Daten­ver­ar­beitung) sind aus Grün­den fehlen­der Dat­en bzw. Möglichkeit der Verz­er­rung aus­geklam­mert. ((In ein­er früheren Ver­sion drück­ten die Prozentzahlen das Ver­hält­nis EN/DE aus. Danke an Axel für den Hin­weis. Damit wäre die englis­che Unter­richtssprache für Poli­tik-/Sozial­wis­senschaften etwas, öhöm, bess­er weggekommen.))

Die genaue Gesam­tan­zahl an Lehrver­anstal­tun­gen lässt sich über die Such­funk­tion lei­der nicht ohne weit­eres fest­stellen; nach FU-Angaben sind es aber etwa 5000 für ein Win­terse­mes­ter. Es ist deshalb gut möglich, dass die fehlen­den Ver­anstal­tun­gen den Anteil englis­chsprachiger Lehrver­anstal­tun­gen noch sinken lassen würde, da offen­bar nicht jedes Dozierende eine Unter­richtssprache angegeben hat (bzw. über­haupt die Notwendigkeit zur Angabe sah). Die Ver­mu­tung ist hof­fentlich nicht allzu weit herge­holt, dass Deutsch dann Stan­dard ist, ohne in der Daten­bank aus­gewiesen zu wer­den. ((Die Möglichkeit, dass es andere Unter­richtssprachen als Deutsch und Englisch gibt, lässt sich wie fol­gt min­imieren: Im Fach­bere­ich Philoso­phie & Geis­teswis­senschaften, wo fast alle Philolo­gien unterge­bracht sind und dementsprechend die meis­ten anderen Sprachen ver­mutet wer­den, sind das: Franzö­sisch (0), Ital­ienisch (2), Nieder­ländisch (4), Per­sisch (0), Pol­nisch (0), Por­tugiesisch (1), Rus­sisch (0) und Spanisch (3).))

Der geringe Anteil englis­chsprachiger Lehrver­anstal­tun­gen hat selb­st mich über­rascht. Haben mich die Wehk­la­gen auf ein viel extremeres Ergeb­nis vor­bere­it­et? (Offen­bar.) Aus der Tabelle ist klar: es ist nichts klar. Außer vielle­icht, dass das Lehrange­bot mit­nicht­en auf Englisch „umgestellt“ ist. (Die 70 Lehrver­anstal­tun­gen für Philoso­phie & Geis­teswis­senschaften wer­den laut Vor­lesungsverze­ich­nis wenig über­raschend alle in der Anglis­tik ange­boten.) Irgend­wie will ich daraus gar kein Bild lesen. Naja, außer vielle­icht, dass der Englis­chanteil im Aus­reißer­fach­bere­ich Poli­tik- und Sozial­wis­senschaft dort offen­bar die gute Rep­u­ta­tion der dor­ti­gen Forschungsin­sti­tute run­ter­wirtschaftet? Kön­nte es am Übel eines Fokus auf 12 forschungsin­ten­sive inter­na­tionale Mas­ter­stu­di­engänge (bei nur einem Bach­e­lor ((Wobei keine Aus­sagen über das Ver­hält­nis von Anzahl BA-Studierende zu MA-Studierende möglich ist bzw. abgeleit­et wer­den sollte.))) liegen? Das Ende ist nah!

Ich weiß nicht, wie repräsen­ta­tiv diese kleine Unter­suchung ist. Ich fürchte: mal so, mal so und kommt drauf an. In Abwe­sen­heit besser­er Stu­di­en sollte man das auch nicht so ernst nehmen. Denn die These ist, dass an kleineren und/oder tech­niklastigeren Uni­ver­sitäten sowie an prax­isori­en­tierten Fach­hochschulen und Beruf­sakademien häu­figer auf Englisch unter­richtet wird, als an tra­di­tionellen Vol­lu­ni­ver­sitäten. Aber die wis­senschafts­fernere Aus­bil­dung an prax­isori­en­tierten Ein­rich­tun­gen (BA, FH) ist dann ja eher sel­ten Inhalt der Klagelieder, wenn der Unter­gang der Wis­senschaftssprache Deutsch her­beigere­det wird (irra­tionale Angst und krude Argu­men­ta­tion­slogik, siehe oben). Vielle­icht liege ich auch daneben — auf sach­liche Kom­mentare freue ich mich ganz besonders.

Vielle­icht ist es nicht repräsen­ta­tiv, aber die Panik vor dem Unter­gang der Unter­richtssprache Deutsch ist zumin­d­est für eine große Uni­ver­sität und für jet­zt unbe­grün­det. Und das ist dur­chaus gut so — denn wir fan­gen offen­bar nach wie vor in der Mut­ter­sprache an, fachüber­greifend. Auch das ist gut so. Es ist so hüb­sch  „mehrsprachig“, eben ganz wie gewünscht.

16 Gedanken zu „Wissenschafts(unterrichts)sprache Deutsch

  1. Axel

    Schau dir mal Deine Prozente nochmal genau an. Ich glaube, das wird ein­leuch­t­en­der, wenn du den Anteil an allen jew­eils mit Sprache aus­gewiese­nen Sem­i­naren angib­st, also statt:

    Poli­tik– & Sozial­wis­senschaften 55 67 121,8%

    bess­er

    Poli­tik– & Sozial­wis­senschaften 55 67 54,9%

    Viele Grüße,
    Axel.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Axel: Danke, ist eingear­beit­et — bei den meis­ten macht das keinen sub­stantiellen Unter­schied, aber das ist natür­lich weniger verzerrend.

      @Evanesca: warum kon­trapro­duk­tiv? Man muss zwis­chen Meta- und Objek­t­sprache unter­schei­den. In welch­er Metasprache unter­richtet wird (oder pub­liziert, for that mat­ter), ist nicht abhängig von der Objek­t­sprache (bei Anglis­tik und Ger­man­is­tik fall­en sie jedoch meist zusam­men). Ich kön­nte, wenn sowohl meine Studieren­den und ich diesen Sprachen mächtig wären, auf Esperan­to, Klin­go­nisch oder Math­e­matik unterrichten.

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  2. Evanesca Feuerblut

    Ich finde es sog­ar pos­i­tiv, dass Ver­anstal­tun­gen der Anglistik/Romanistik größ­ten­teils in der jew­eili­gen Sprache gehal­ten wer­den. Alles andere empfände ich als kontraproduktiv.
    Wenn man Gast­dozen­ten aus dem Aus­land hat, die kein Deutsch sprechen, ist es selb­stver­ständlich, dass sie auf Englisch unterrichten.
    Anson­sten ist Englisch als Unter­richtssprache an der Uni­ver­sität außer­halb von Anglistik/Englisch Lehramt und teil­weise wirtschaftswis­senschaftlichen Fäch­ern immer noch eher ein Exot.

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  3. Simone

    Das kommt aber stark auf die Fachrich­tung an. Eine kurze Suche an der Tech­nis­chen Hochschule Zürich (http://www.vvz.ethz.ch/Vorlesungsverzeichnis):

    Alle Kurse: 242 Seit­en mit Lerneinheiten
    Englis­che Kurse: 131 Seit­en mit Lerneinheiten.

    Natür­lich sind das keine präzisen Dat­en und werten möchte ich das Resul­tat auch nicht, bloss fest­stellen, dass es da Unter­schiede gibt.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      Ohne Frage, aber genau das hab ich auch gesagt (bzw. bestätigt meine These): tech­niklastige Unis, prax­isori­en­tierte Unis/FHs/BAs -> mehr auf Englisch. Wenn man deine Angaben „hochrech­net“, kommt man auf etwa n biss­chen mehr als n Drit­tel — wobei ich jet­zt auf die Schnelle auch nicht sagen kön­nte, ob da nicht auch noch Sprachkurse mit drin sind (scheint aber nicht so zu sein). Danke für den Link, da kann man ggf. was mit anfan­gen. Wird in der Schweiz auch über den Nieder­gang der Wis­senschaftssprache Deutsch diskutiert?

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  4. Sven

    Ger­ade die Stu­den­ten an Fach­hochschulen mit einem hohen Anteil von Quere­in­steigern ohne Spracher­fahrung (wg. Aus­bil­dung, Beruf) hät­ten wahrschein­lich Schwierigkeit­en, dem Unter­richtsstoff in Englisch zu ver­fol­gen. Ich habe an der TFH Berlin „Tech­nis­che Infor­matik“ studiert und keine einzige Vor­lesung war auf Englisch. (nur die dick­en Fachbücher 🙂

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  5. Vilinthril

    FYI, auch an der TU Wien wird kaum etwas auf Englisch gelehrt.

    Die Sem­i­nar­vorträge und Pre-/Post-Doc-Sachen sind eher auf Englisch, aber davor (BSc/Dipl.-Ing.)? Qua­si niente.

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  6. Leon Friederichs

    Noch ein klein­er Fehler in den Prozen­ten: Bei der Vet­er­inärmedi­zin müsste es “<1%” heißen, aber “<0,1%” ist zuwenig. Jaja, net­ter Ver­such, diese sprach­mor­den­den Vets in Schutz zu nehmen!

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  7. AnneTanne

    Also die einzi­gen Lehrver­anstal­tun­gen, die ich auf englisch mit­gemacht habe (Kul­tur­an­thro­polo­gie an der Uni Göt­tin­gen), waren auch welche von Gast­dozentin­nen (ein­er in Finn­land lehren­den Amerikaner­in und ein­er Bul­gar­in). Was mir aufge­fall­en ist, war der hohe Anteil an aus­ländis­chen (Gast-)Studierenden, die da mit­gemacht haben. Für die war die englis­che Sprache offen­bar ein echter Anreiz.
    Ins­ge­samt waren das aber nur vier Ver­anstal­tun­gen in *hust* fast zehn Jahren Uni…

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  8. Pechmarie

    @Simone & Susanne Flach
    Ich habe in der Schweiz studiert und meines Wis­sens ist der ange­bliche Nieder­gang der (hoch-)deutschen Sprache als Wis­senschaftssprache in der Schweiz kein Thema.
    Mein­er Erfahrung nach empfind­en viele junge Schweiz­er das Hochdeutsche als Fremd­sprache und fühlen sich häu­fig sog­ar wohler, wenn sie englisch oder franzö­sisch sprechen.
    Insofern ist es also wenig ver­wun­der­lich, wenn an der ohne­hin recht inter­na­tion­al aus­gelegten ETH Zürich viele Kurse auf englisch ange­boten werden.
    Allerd­ings kann ich mich nur auf meine per­sön­liche Erfahrung stützen, mir sind keine Stu­di­en zu diesen The­men bekannt.

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  9. Thomas

    Warum wurde mein Kom­men­tar gelöscht?

    Also hier noch etwas zum Inhalt: Die 14 Ver­anstal­tun­gen in der Math­e­matik und der Infor­matik scheinen mir zu niedrig. Wie hast du die Angabe »Englisch/Deutsch« bzw. »Deutsch/Englisch« gezählt?

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      Inter­es­sant — ich hätte eher damit gerech­net, dass hier massen­weise Links zu englis­chsprachi­gen Vor­lesungsverze­ich­nis­sen auftauchen.

      @Sven: Das ist ein inter­es­san­ter Punkt, Quereinstieg.
      @Pechmarie: Dass Hochdeutsch für viele Schweiz­erIn­nen als Zweit­sprache gesprochen wird (und/oder als Fremd­sprache emp­fun­den wird), ist klar — allerd­ings erk­lärt der Zweit­sprach­sta­tus nicht die Präferenz für Englisch oder Franzö­sisch, das für Deutschschweiz­erIn­nen dann ja üblicher­weise auch nur Zweit- bzw. Fremd­sprache ist.
      @Thomas: „Deutsch/English“ ist in der Aufzäh­lung nicht enthal­ten — weil die Daten­bank der Onli­ne­suche dafür keine Ver­anstal­tun­gen auswirft (und ver­mut­lich nicht funk­tion­iert), übri­gens für keinen Fach­bere­ich. Das bedeutet natür­lich nicht unbe­d­ingt, dass keine Ver­anstal­tun­gen mehrsprachig ange­boten wird. Genau­so fehlen natür­lich Ver­anstal­tun­gen, die eine Sprache angegeben haben, aber in ein­er anderen ange­boten werden.

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  12. Max

    Ich glaube, dass es in 90 Jahren immer noch die deutsche Sprache geben wird. Allerd­ings wird sie dann wohl keine Wis­senschaftssprache mehr sein(auch wenn die hier vorgestellte Sta­tis­tik dass noch nicht bestätigt), denn die Elite und damit auch die Akademik­er wer­den dann Englisch oder eine andere Welt­sprache sprechen und Deutsch wird besten­falls nur noch zur Ver­ständi­gung im pri­vat­en Umfeld dienen. Teil­weise ist das ja auch jet­zt schon in der Wirtschaft der Fall. Das kann bedauern wer will…

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