Crowdfunding [Anglizismus 2012]

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Crowd­fund­ing ist eine direk­te Entlehnung des englis­chen crowd­fund­ing. Wie im Englis­chen beze­ich­net es auch im Deutschen eine Art der Kap­i­talbeschaf­fung, bei der sehr viele Einzelper­so­n­en jew­eils eine kleine Summe beis­teuern und dafür je nach Höhe der Summe eine Gegen­leis­tung erwer­ben — diese kann von ein­er Danksa­gung auf der Fir­men­web­seite oder ein T‑Shirt über ein oder mehrere Exemplar/e des finanzierten Pro­duk­ts bis hin zu einem per­sön­lichen Tre­f­fen mit den Schöpfer/innen des Pro­duk­ts (z.B. Musiker/innen o.ä.) reichen. Typ­is­cher­weise find­et das Crowd­fund­ing über spezielle Web­seit­en, soge­nan­nte Crowd­fund­ing-Plat­tfor­men statt.

Beim Crowd­fund­ing han­delt es sich um ein rel­a­tiv neues Phänomen. In Deutsch­land gin­gen die ersten großen Crowd­fund­ing-Plat­tfor­men 2011 ans Netz, sodass auch das Wort Crowd­fund­ing, (abge­se­hen von drei vere­inzel­ten Tre­f­fern 2009 und 2010) erst 2011 mit 68 Tre­f­fern einen nen­nenswerte Häu­figkeit im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus aufweist, die sich für das Jahr 2012 noch ein­mal min­destens ver­dop­peln dürfte (da die zweite Jahreshälfte 2012 im Kor­pus bis­lang nicht durch Texte vertreten ist, lässt sich das nicht genau sagen). Google Trends zeigt, dass das Inter­esse an dem Such­wort Crowd­fund­ing 2011 erst­mals mess­bar war und ab Ende 2011 drastisch anstieg, der bish­erige Höch­st­stand wurde im April 2012 erre­icht. Auch 2013 nimmt das Inter­esse weit­er zu.

Die ersten zwei Bedin­gun­gen unseres Wörter­wet­tbe­werbs sind damit erfüllt: Das Wort beste­ht aus englis­chem Sprach­ma­te­r­i­al und es bre­it­ete sich im Jahr 2012 erst­mals im all­ge­meinen Sprachge­brauch in Deutsch­land aus. Aber wie wichtig ist die Lücke, die es füllt?

Zunächst ist festzuhal­ten, dass es über­haupt eine Lücke füllt, denn eine deutsches Wort kon­nte sich bish­er nicht auf bre­it­er Ebene durch­set­zen: Crowd­fund­ing ist etwa 4 Mal (Deutsches Ref­eren­zko­r­pus) bis 5 Mal (deutsche Web­seit­en im Google-Index) häu­figer als die aus­sicht­sre­ich­ste deutsche Alter­na­tive, die Lehnüber­set­zung Schwarm­fi­nanzierung. Das kön­nte sich in Zukun­ft ändern, denn im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus deutet sich ein Häu­figkeit­sanstieg des Wortes Schwarm­fi­nanzierung an — während das Ver­hält­nis zu Crowd­fund­ing im Jahr 2011 nur 1:10 war, stieg es im Jahr 2012 auf 1:5 an. Da Schwarm­fi­nanzierung in ein­er Rei­he mit dem gut etablierten Schwarmintel­li­genz ste­ht, wäre es eine gut motivierte Alter­na­tive zum Crowd­fund­ing, das allerd­ings sein­er­seits zum eben­falls gut etablierten Lehn­wort Crowd­sourc­ing passt, für das sich keine deutsche Alter­na­tive durch­set­zen kon­nte. ((Das Wort Schwarmintel­li­genz scheint übri­gens im Abstieg begrif­f­en zu sein: Es erre­ichte im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus in 2011 mit 150 Tre­f­fern seinen bish­eri­gen Höch­st­stand, stürzte aber in der ersten Jahreshälfte 2012 auf nur 15 Tre­f­fer ab. Möglicher­weise ist das etwas neck­ische Schwarm- also schon verbraucht.))

Dass die Lücke wichtig ist, ist anzunehmen, denn alles deutet darauf hin, dass das Crowd­fund­ing als Form der Kap­i­talbeschaf­fung nicht so bald wieder ver­schwinden wird — die Zahl der Crowd­fund­ing-Pro­jek­te und die Summe des ins­ge­samt ein­genomme­nen Geldes scheint eher zu- als abzunehmen. Das Crowd­fund­ing passt außer­dem zu ein­er nach­halti­gen Form des Wirtschaftens, da eine Ware nur und erst dann pro­duziert wird, wenn sich genü­gend Abnehmer/innen gefun­den haben, die sie auch wirk­lich haben wollen. Die direk­te Finanzierung eines Pro­duk­ts durch seine Kun­den kön­nte außer­dem ein erster Schritt zu ein­er Demokratisierung der Wirtschaft sein, hin zu einem Sys­tem, in dem nicht Inve­storen oder Mar­ketingabteilun­gen, son­dern die Verbraucher/innen selb­st entschei­den wofür Ressourcen über­haupt einge­set­zt wer­den sollen.

Ein Hin­weis darauf, dass das Wort Crowd­fund­ing sich bere­its bestens in die deutsche Sprache inte­gri­ert hat, ist (wie auch im Falle von Frack­ing) die Exis­tenz eines daraus abgeleit­eten Verbs — crowd­fun­den. Da es sich dabei poten­ziell um ein kom­plex­es Verb aus crowd und fun­den han­delt, ist die span­nende Frage, wie die Sprachge­mein­schaft das Par­tizip Per­fekt bildet. Es kön­nte, wie bei Lehn­wörtern oft der Fall ist, als ein­fach­er Stamm crowd­fun­den behan­delt wer­den — das Par­tizip Per­fekt wäre dann gecrowd­fun­det. Da aber bere­its das Verb crowd­sourcen existiert, kön­nte es auch als Kom­bi­na­tion aus ein­er Verb­par­tikel crowd und einen Wort­stamm fun­den behan­delt wer­den — das Par­tizip wäre dann crowdge­fun­det. Und tat­säch­lich existieren bei­de For­men, wobei die erste Möglichkeit (gecrowd­fun­det) etwa fünf Mal häu­figer ist als die zweite (crowdge­fun­det).

Wegen sein­er weit­er ansteigen­den Häu­figkeit und der weit­er­hin wach­senden Bedeu­tung dessen, was es beze­ich­net, ist Crowdfunding/crowdfunden ein sehr stark­er Kan­di­dat für den diesjähri­gen Anglizis­mus des Jahres. Nicht zulet­zt, weil er zeigt, dass das Inter­net nicht nur neg­a­tive kul­turelle Prak­tiken wie den let­ztes Jahr siegre­ichen Shit­storm her­vor­brin­gen kann.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

7 Gedanken zu „Crowdfunding [Anglizismus 2012]

  1. Erbloggtes

    Allerd­ings kann man das Wort noch nicht als gän­zlich angekom­men betra­cht­en, wenn die Süd­deutsche es nicht ken­nt. Dort heißt es:
    “Die Pla­giat­suche funk­tion­iert nach dem Prinzip des Crowd­sourc­ing: Die Nutzer über­weisen Hei­d­ings­felder einen bes­tim­men Betrag auf sein Kon­to. Dabei geben den Namen des Kan­di­dat­en an, der über­prüft wer­den soll. Min­dest­ge­bot: 20 Euro.
    Kommt genü­gend Geld auf eine Per­son zusam­men, begin­nt die die Über­prü­fung”.[1]

    Sehr inter­es­sant finde ich auch die Bemerkung zum Nieder­gang der Schwarmintel­li­genz. Ich sehe deut­liche Ressen­ti­ments in der Main­stream­presse, die mich ver­muten lassen, dass kün­ftig vielle­icht neg­a­tiv­er kon­notierte Begriffe statt Schwarm oder Crowd Ein­satz finden.

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  2. troglodyt

    Defin­i­tiv ein würdi­ger Kandidat. 

    Jedoch gibt es an Ihrer Beschrei­bung der wirtschaftlichen Seite des Crowd­fund­ings einiges auszusetzen:

    Crowd­fund­ing ist nicht unbe­d­ingt an den Erwerb oder die Kon­sum­ierung des herzustel­len­den Pro­duk­tes gebun­den. Als Bonus für beson­ders großzügige Spender/Anleger wird die kosten­lose Bere­it­stel­lung des Pro­duk­tes als eine Art “Kap­i­tal­ren­dite” in Aus­sicht gestellt. Auf der ein­fach­sten Ebene ist Crowd­fund­ing jedoch ein massen­basiertes Mäzenatentum. 

    Damit ein­herge­hend ist das Ver­sprechen nach­halti­gen Wirtschaftens nicht zwin­gend ein­halt­bar. Ein Pro­jekt mag zwar genug Investoren/Mäzenaten für eine Anschub­fi­nanzierung gefun­den haben, nie­mand garantiert aber, von den oben beschriebe­nen Aus­nah­men abge­se­hen, die Abnahme des Endproduktes. 

    Mit der Demokratisierung des wirtschaftlichen Prozess­es ist es auch nicht weit her, da es immer noch die Ver­mö­gen­den sind, von denen let­ztenen­des alles abhängt.

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  3. klappnase

    Mit der Demokratisierung des wirtschaftlichen Prozess­es ist es auch nicht weit her, da es immer noch die Ver­mö­gen­den sind, von denen let­ztenen­des alles abhängt.”

    Fast noch wichtiger scheint mir der Ein­wand, dass — voraus­ge­set­zt das Crowd­fund­ing­we­sen käme aus sein­er derzeit­i­gen Nis­che her­aus und würde zu einem gesamtwirtschaftlich gese­hen rel­e­van­ten Fak­tor wer­den — sich ver­mut­lich ziem­lich schnell zeigen würde, dass ein Pro­jekt um erfol­gre­ich gecrowd­fun­det zu wer­den zuerst ein­mal beträchtlich in die Eigen-PR investieren müsste, um in ein­er Masse konkur­ri­eren­der Pro­jekt vom “Pub­likum” über­haupt noch wahrgenom­men zu werden.
    Das spricht jet­zt zwar nicht gegen das Crowd­fund­ing an sich, aber der grosse Enthu­si­as­mus, den viele dieser Form der Pro­jek­t­fi­nanzierung ent­ge­gen­brin­gen und ins­beson­dere die Hoff­nun­gen betr­e­f­fend ihrer Auswirkun­gen auf unser Wirtschaftssys­tem, scheinen mir doch etwas — par­don — naiv.

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  4. Nicola Wessinghage

    Ich halte das Wort auch für einen guten Kan­di­dat­en! Und glaube, dass selb­st wenn das Crowd­fund­ing wirtschaftlich nicht erfol­gre­ich sein sollte, die Prax­is doch unsere kul­turellen Gewohn­heit­en prä­gen wird. Und so wird der Begriff sicher­lich noch viele Ableitun­gen, Weit­er­en­twick­lun­gen oder Über­tra­gun­gen erfahren. 

    @klappnase: Ich stimme der Notwendigkeit der Eigen-PR abso­lut zu. Sicher­lich wer­den die erfol­gre­ich­er sein, die schon einen Namen haben. Aber vielle­icht kön­nen sie so eher Pro­jek­te vorantreiben, die sie wirk­lich inter­essieren. Und dass (Eigen-)PR Teil des Prozess­es sein muss, muss nicht das K.O. des Crowd­fund­ing bedeuten. Im Gegen­teil wird diese Ein­sicht die befeuern, die sich bis dahin vielle­icht gegen (Eigen-)Marketing gewehrt haben.

    @slowtiger: Eine weit­ere Ein­deutschung find­et sich bei dem Pro­jekt Krautreporter. 

    Die Abnei­gung gegen den Begriff der Schwarmintel­li­genz habe ich im Übri­gen auch bei Wis­senschaftlern beobacht­en können.

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  5. Pingback: sharen [Anglizismus 2012] | Texttheater

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