Sprachbrocken: Der Shitstorm ist Establishment

Von Anatol Stefanowitsch

Da aktu­al­isiert die Duden-Redak­tion ihr Wörter­buch mit über 5000 Wörtern, darunter urdeutsche (und her­vor­ra­gend zueinan­der passende) Schön­heit­en wie Schulden­bremse und Vollp­fos­ten, und alles, was die inter­na­tionale Presse inter­essiert, ist – der Shit­storm. Nicht ganz unschuldig an dem inter­na­tionalen Medi­en­in­ter­esse: Die Sprachlogger/innen, unter deren Fed­er­führung Shit­storm zum „Anglizis­mus des Jahres“ 2011 gewählt wurde. Kaum ein Artikel, der diese Wahl nicht als Aufhänger nimmt (unser Jurymit­glied Michael Mann hat es über den dama­li­gen Bericht auf The Local sog­ar in den Bericht der BBC geschafft).

Die BBC inter­essiert an dem Wort vor allem die Tat­sache, dass dem deutsche Lehn­wort seine Herkun­ft als Fäkalaus­druck offen­bar nicht nach­hängt – sog­ar die Kan­z­lerin ver­wende es, berichtet der wegen seines exzes­siv­en weg­piepens vul­gär­er Sprache auch als „Aunt Beep“ verspot­tete Fernsehsender (und das tut sie tat­säch­lich). Aber immer­hin buch­sta­biert die BBC das anstößige Wort aus – anders als beispiel­sweise der INDEPENDENT, der ver­schämt titelt ‘S***storm’ adopt­ed into Ger­man equiv­a­lent of the Oxford Eng­lish Dic­tio­nary und, wie auch THE TELEGRAPH, die Sternchen­schrei­bung auch im Artikel selb­st kon­se­quent durchhält.

Der GUARDIAN ist eins der weni­gen inter­na­tionalen Medi­en, das über den Shit­storm hin­wegkommt und auch andere Wörter nen­nt, die mit der Aktu­al­isierung den Sprung in den Duden geschafft haben – darunter cross­dress­ing, dig­i­tal native, social media, flash­mob, e‑book Read­er, app und Face­book. Let­zteres musste sich vier Jahre länger gedulden als der Konkur­rent Twit­ter, der bere­its seit 2009 mit dem Sub­stan­tiv Twit­ter und dem Verb twit­tern im Wörter­buch ste­ht. „Wir woll­ten nur sich­er gehen, dass das Wort sich auch tat­säch­lich etabliert”, zitiert der GUARDIAN einen Duden-Sprech­er, der damit hof­fentlich nur trock­e­nen britis­chen Humor beweisen wollte. In der Mei­n­ungss­palte „Com­ment is free“ beschäftigt sich GUARDIAN-Autor Philip Olter­mann außer­dem mit der Frage, warum die Deutschen es angesichts ihrer sprich­wörtlichen Obses­sion mit Exkre­menten über­haupt nötig haben, ein Wort wie Shit­storm aus dem Englis­chen zu entlehnen.

Eine sch… ver­dammt gute Frage. ((Die ich hier schon ein­mal beant­wortet habe.))

[Sprach­brock­en 26/2013]

3 Gedanken zu „Sprachbrocken: Der Shitstorm ist Establishment

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  2. Richard

    Unter “Die BBC inter­essiert…” ist der Inde­pen­dent verlinkt. 

    Aber wirk­lich erstaunlich, dass ein so klangvolles Wort wie Vollp­fos­ten nicht schon früher aufgenom­men wurde.

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  3. Daniel

    Über “hin­wegkommt” bin ich gle­ich gestolpert. Die Bedeu­tung hier ist wed­er in meinem Kopf noch im Duden vorzufinden:
    “Bedeu­tun­gen und Beispiele
    a. überstehen
    Beispiel
    über Notzeit­en hinwegkommen
    b. über­winden, verwinden
    Beispiel
    sie ist über den Ver­lust nicht hinweggekommen
    c. es fer­tig­brin­gen, sich über etwas hinwegzusetzen”

    Ich schlage vor, “hin­wegkommt und” durch “hin­aus” zu ersetzen.

    Warum übri­gens heisst der Titel “SPRACHBROCKEN: DER SHITSTORM IST ESTABLISHMENT”? Warum nicht “SPRACHBROCKEN: DER SHITSTORM IST IM ESTABLISHMENT ANGEKOMMEN” oder “SPRACHBROCKEN: DER SHITSTORM IST ESTABLIERT”?

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