Wortwahlplaner, Teil 2

Von Susanne Flach

Da wir Exper­tin­nen für Wörter­wahlen sind und einen aus­geprägten Ser­vicegedanken in die Tat umset­zen wollen, erweit­ern wir unseren tra­di­tionellen Wort­wahlplan­er um den Blick über die Gren­ze. Auf­grund der kul­turellen Notwendigkeit („zu stark­er Deutsch­land­bezug der Urwahl“) und des durch­schla­gen­den Erfol­gs emanzip­ieren sich unsere Nach­bar­län­der seit 1999 (Öster­re­ich), 2002 (Liecht­en­stein) und 2003 (Schweiz) auch lexiko­grafisch mit eige­nen Wörter­wahlen. ((Was möglicher­weise von eini­gen etwas despek­tier­lich inter­pretiert wer­den kön­nte, hat aber einen ganz beza­ubern­den Neben­ef­fekt: die Würdi­gung der Idee ein­er Sprachge­mein­schaft, und das unab­hängig davon, ob Schweiz­er, Öster­re­ichis­ches oder Liecht­en­stein­er Stan­dard­deutsch jew­eils eigene Aus­baus­prachen sind oder Vari­etäten ein­er Sprache.))

In Öster­re­ich macht man mit Wörter­wahlen eher kurzen Prozess: dort gibt die Forschungsstelle Öster­re­ichis­ches Deutsch an der Uni­ver­sität Graz „Wort des Jahres“, „Unwort des Jahres“ und „Jugend­wort des Jahres“ Anfang Dezem­ber in einem Abwasch bekan­nt. Seit 2002 ergänzt die Jury ihre Arbeit um die Auswahl eines „Spruch des Jahres“ und seit 2006 um einen „Unspruch des Jahres“. Das sind dann so Phrasen, die für Tra­di­tion­al­is­ten bess­er bekan­nt sind als „Geflügelte Worte“ (für Net­zaffine: fast so was wie Meme). 2012 waren die Gewin­ner: Ret­tungs­gasse, Unschuldsver­muteter, Ich trete nicht zurück, ich mache den Weg frei., Das ist mir nicht erin­ner­lich!, und lei­der geil (aufge­führt in der Rei­hen­folge der Jurykat­e­gorisierung, falls Sie sich das vielle­icht fragen).

Kri­te­rien: ja (Aktu­al­ität, beson­dere Bedeu­tung, häu­fige Ver­wen­dung und „beson­dere sprach­liche Qual­ität“); Ein­hal­tung: hmjana­ja, mal so mal so, aber immer­hin nicht fehlen darf die Ein­stu­fung als „gen­uin öster­re­ichisch“. Bonus: das Pub­likum darf auch mit nominieren und abstim­men. Sehr über­sichtlich darge­boten bekommt man das auf ein­er hüb­schen Inter­net­seite. Drin­gende War­nung: fürs Jugend­wort dür­fen Sie nur abstim­men, wenn Sie unter 25 Jahre alt sind.

Die lexiko­grafis­che Emanzi­pa­tion der Schweiz vol­l­zog sich 2003 — ob’s daran liegt, dass 2002 sowohl in Deutsch­land, als auch im bere­its unab­hängi­gen Öster­re­ich Teu­ro zum „Wort des Jahres“ ernan­nt wurde? Naja. Immer­hin startete man dort mit Konko­r­danz in die Wortkür — wobei wir unsere kor­puslin­guis­tis­che Freude ob des sprach­lich-kul­turell eher hel­vetis­chen Grundtenors der Fol­ge­jahre völ­lig ver­früht gezeigt haben: Ald­isierung, Rauchver­bot, Ster­be­touris­mus, Minarettver­bot und Auss­chaf­fung. (Das war eine Auswahl der Siegerworte zum „Wort des Jahres“, um Missver­ständ­nis­sen aus dem Weg zu gehen.) Aber­aber­aber: die Schweiz wählte 2012 Shit­storm zum Wort des Jahres. Jaja, richtig. Man fol­gte den 2011er Empfehlun­gen der Jury der besten Wörter­wahl der Welt.

Die Schweiz kürt regelmäßig auch einen „Satz des Jahres“. Und wenn es die Sprachge­mein­schaft ein­fordert, gibt es Son­der­preise für „Mundart­wort des Jahres“, „Abkürzung des Jahres“ oder „Neues Wort des Jahres“. Seit 2009 gibt es auch ein Jugend­wort — der inau­gu­rale Gewin­ner, sbeschte­wosjehetsgitz, sollte jedes Lin­guistin­nen­herz höher schla­gen lassen. Denn wenn es kein dankbares Kom­merzmem ist, son­dern echt­en Sprachge­brauch wider­spiegelt, dann sind die fett markierten Stellen mor­phol­o­gisch nicht unspannend.

Während in Öster­re­ich aktive Sprachwissenschaftler/innen in der Jury sitzen, lädt man in der Schweiz etwas bre­it­er ein, der Vor­sitz liegt beim Radiosender DRS3Die Kri­te­rien in der Schweiz sind verdächtiger­weise nahezu iden­tisch mit denen in Öster­re­ich. Und auch bei der Verkün­dung dap­pen sich Öster­re­ich und Schweiz gegen­seit­ig auf den Füßen rum — 2012 gaben sie alle (Un)Wörterphrasensätzesprüche am gle­ichen Tag bekan­nt (etwas unglück­lich für die Gültigkeit unser­er Prog­nose ist der Schweiz­er Ter­min­plan 2013).

Beson­deren Humor beweisen die Liechtensteiner/innen mit Gewin­nern wie Dual­is­mus, Sou­veränität (dual gekürt 2003 und 2006), Mobil­funksteinzeit oder Steuer­af­färe (in Liecht­en­stein!). Unwortwürdig find­et man im Fürsten­tum Dinge wie The­ol­o­gis­ch­er Son­der­müll und Auberginen­fürze. Mit der Wahl zur „Pressemit­teilung des Jahres“ (2012: „Wäschestän­der beschädigt“) hat man sich dann aber endgültig einen Thron im Phrasen­wahlolymp gesichert. Das macht fast die Tat­sache vergessen, dass die Web­seite ver­al­tet ist, wir nicht wis­sen, wer sich hin­ter der Wort­wahlgueril­la ver­birgt und nicht genau sagen kön­nen, wann mit Pro­duk­ten aus der Humorindus­trie 2013 zu rech­nen ist (ver­mut­lich aber zwis­chen den Jahren).

Lesen Sie in Teil 3: Andere Sprachge­mein­schaften, andere Sit­ten! Bis dahin schauen Sie mal, was der Anglizis­mus des Jahres für kul­tur­in­ter­na­tionale Kreise zieht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.