Nachgedanken zum Jugendwort 2014

Von Anatol Stefanowitsch

Da ich für den Lon­don­er Radiosender Mon­o­cle (der mich immer anruft, wenn in Deutsch­land etwas sprach­lich Sig­nifikantes passiert) noch ein­mal den Siegern von Lan­gen­schei­dts Jugend­wort-Wet­tbe­werb hin­ter­her recher­chieren musste, hier noch ein paar Fak­ten und Nachgedanken zu unserem gestri­gen Leak (die Radiosendung selb­st gibt es als Pod­cast hier, ich komme ganz am Schluss).

Erstens: Das Siegerwort Babo stammt wahrschein­lich nicht aus dem Türkischen. Matthias Heine ver­mutet in der WELT, dass es aus dem Zaza­ki stammt, ein­er Indo-Iranis­chen Sprache, die in Ostana­tolien gesprochen wird und mit dem Kur­dis­chen, nicht aber mit dem Türkischen ver­wandt ist. Er kön­nte da richtig liegen – tat­säch­lich find­et sich das Wort mit der Bedeu­tung „Vater“ auch in anderen indo-iranis­chen Sprachen, vom Shi­na aus dem nördlichen Pak­istan bis zu Vari­etäten des Romani, die auf dem Balkan gesprochen wer­den. Auch in Dialek­ten des Aramäis­chen (ein­er semi­tis­chen Sprache) in der südöstlichen Türkei find­et sich das Wort, was darauf hin­weist, dass es sich aus den indo-iranis­chen Sprachen in andere im Osten der Türkei gesproch­ene Sprachen aus­ge­bre­it­et haben kön­nte – inklu­sive der regionalen türkischen Dialekte.

Das ist ja eigentlich inter­es­sant, denn Lan­gen­schei­dt hätte hier die Gele­gen­heit nutzen kön­nen, der inter­essierten Öffentlichkeit zu erk­lären, auf was für ver­schlun­genen Wegen Wörter von ein­er Sprache in die andere gelan­gen und was für Bedeu­tungsverän­derun­gen sie dabei durch­machen kön­nen. Aber darum geht es Lan­gen­schei­dt ja lei­der nicht, weshalb man sich damit beg­nügt, es als „Türkisch“ zu beze­ich­nen. Das klingt dann so, als ob türkische Gang­ster­rap­per die deutsche Jugend­kul­tur dominieren und ist damit vielfach anschlussfähig an Diskurse, die vom Kul­turpes­simistis­chen über das Exo­tisierende bis zum Mul­ti­kul­turell-Verk­lären­den gehen. Über Sprache oder Sprachen ler­nen wir dabei lei­der nichts.

Zweit­ens: Die Liste der fünf Top-Wörter ist ein ziem­lich­es Durcheinan­der aus Wörtern, die in bes­timmten Sub­kul­turen gesprochen wer­den (eben Babo, das am ehesten unter Hip-Hop-Fans gebräuch­lich ist), Aus­drück­en, die schon lange ein Rand­da­sein fris­ten (Haku­na Mata­ta aus dem Dis­ney-Film „König der Löwen“, der 1994 zum ersten Mal aus­ges­trahlt wurde), und Wörtern, die tat­säch­lich von jun­gen Men­schen sehr ver­schieden­er Grade der Jugendlichkeit ver­wen­det wer­den (fame, gediegen, in your face.

Auch das ist ja eigentlich inter­es­sant, denn alle diese Wörter und Phrasen wer­den und/oder wur­den ja irgend­wo von irgendwem ver­wen­det. Lan­gen­schei­dt hätte die Liste also zum Anlass nehmen kön­nen, um der (hof­fentlich immer noch inter­essierten) Öffentlichkeit zu erk­lären, wie vielfältig sich Sprache inner­halb ein­er Sprachge­mein­schaft aus­prä­gen kann und woher die Inspi­ra­tion für diese Aus­prä­gun­gen kommt. Aber auch darum geht es Lan­gen­schei­dt nicht – man hält krampfhaft an der absur­den Idee fest, alles, was irgend­wie nicht nach etabliertem Schrift­deutsch klingt, als „Jugend­sprache“ zu beze­ich­nen (der Duden-Ver­lag macht das bess­er und sam­melt Slang und Jar­gon in einem Wörter­buch der Szene­sprachen, sortiert den Wortschatz also sehr viel real­is­tis­ch­er nach Subkulturen).

Ich habe nichts gegen Wörter­wahlen, die aus kom­merziellen Motiv­en abge­hal­ten wer­den. Das Oxford Dic­tio­nar­ies Word of the Year wird sich­er auch abge­hal­ten, um Wer­bung für Wörter­büch­er zu machen – aber die Lexiko­grafen des Oxford Eng­lish Dic­tio­nary geben sich bei ihrer Wörter­auswahl und bei der Begrün­dung der Sieg­wörter sehr viel Mühe, sprach­lich­es Wis­sen zu ver­mit­teln. Bei Lan­gen­schei­dt bezieht man lexiko­grafisch bewan­derte Men­schen oder gar Expert/innen für den Sprachge­brauch junger Men­schen gar nicht erst mit ein, son­dern lässt eine beliebig zusam­mengestellte Jury beliebige Wortlis­ten zusam­men­stellen und set­zt auf Platz Eins zum drit­ten Jahr in Folge ein Wort aus einem Youtube-Hit. Damit soll das alljährliche Buch zur Jugend­wort­wahl verkauft wer­den (es lohnt sich nicht, es ist eine schlampig gemachte Zusam­men­stel­lung von ange­blichen Jugend­wörtern und deren ange­blichen englis­chen Über­set­zun­gen, illus­tri­ert mit Beispiel­sätzen, die unfrei­willig komisch sein kön­nten, wenn sie nicht so furcht­bar lust­los wären).

Ich wün­sche Lan­gen­schei­dt, dass das Buch sich gut verkauft, denn Wer­bung für die lexiko­grafis­che Qual­ität des übri­gen Ver­lagssor­ti­ments ist die Jugend­wort­wahl ganz sich­er nicht.

5 Gedanken zu „Nachgedanken zum Jugendwort 2014

  1. Julian von Heyl

    Der Duden-Ver­lag ver­fol­gt sein Szene­sprachen-Pro­jekt offen­bar nicht aktiv weit­er. Das im Artikel erwäh­nte Wörter­buch stammt von 2009, und die zuge­hörige Web­site szenesprachenwiki.de wirkt etwas vernachlässigt.

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  2. Andreas Domberg

    Unter­stützung für Matthias Heines Aus­sage aus dem ersten Satz der Wikipedia-Seite des Rappers:

    Haft­be­fehl (* 16. Dezem­ber 1985 in Offen­bach; bürg­er­lich Aykut Anhan) ist ein deutsch­er Rap­per kur­dis­ch­er-zazais­ch­er Abstammung.”

    Aber ja, sind ja alles Türken. Erin­nert an einen Film aus 2004, “A day with­out a Mex­i­can”, in dem “Mex­i­can” auch nur als Sam­mel­be­griff der WASPs ist für alle Lateinamerikan­er im Land.

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  3. Daniel

    Über Sinn und Unsinn ein­er Jugend­wort­wahl lässt sich stre­it­en. Die ver­wen­dete Sprache dürfte zeitlich und räum­lich viel stärk­er vari­ieren als die nor­male Umgangssprache, so dass ein Sprachraum mit gegen 100 Mio Sprech­ern wohl nicht vernün­ftig abgedeckt wer­den kann.

    Ein Buch über die Jugend­sprache des Jahres 2014 her­auszugeben, bevor 2014 über­haupt erst ange­fan­gen hat, erscheint mir auch etwas blödsin­nig (mal abge­se­hen davon, dass ich den Sinn des Buch­es sowieso nicht sehe), ist aber vielle­icht mar­ket­ingtech­nisch ideal.

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  4. karl

    @Julian von Heyl: Diese “Wiki”-Seite wirk­te damals schon wenig zukun­fts­fähig. Zuerst musste man sich reg­istri­eren (tolles Wiki), dann war es eigentlich kein Wiki, son­dern eine Daten­bank und dann wurde jedes vorgeschla­gene Wort von irgen­dein­er Sekretärin begutachtet und meis­tens abgelehnt (wahrschein­lich weil sie es nicht kan­nte). Und dann kon­nte man irgend­wie keine Kor­rek­turen für “falsche” Wörter (bzw. Alter­na­tiv-Bedeu­tun­gen) anbrin­gen (zumin­d­est hab ich das nie geschafft). Das _musste_ floppen.

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  5. Susanne

    Das lustig­ste an der ganzen Jugend­sprachen-Angele­gen­heit ist, dass ver­mut­lich kein einziger im entsprechen­den Alter und mit dem entsprechen­den Hin­ter­grund daran beteiligt ist. Die Jugend hat wahrschein­lich wichtigeres zu tun…

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