Sexting [Kandidaten für den Anglizismus 2014]

Von Anatol Stefanowitsch

Der let­ze Wortkan­di­dat auf der Short­list für unseren Anglizis­mus des Jahres 2014 beze­ich­net die schön­ste Neben­sache der Welt 2.0: Sex­ting – das Versenden von Tex­ten und ero­tis­chen Self­ies. Sehen wir uns an, ob dieses Wort den Ansprüchen unseres Wet­tbe­werbs stand­hält und vielle­icht sog­ar in let­zter Minute an Social Freez­ing, Phablet, Big Data, Inter­net of ThingsSmart­watch, Pho­to­bomb­ing, Black­fac­ing, Self­ie und Emo­ji vorbeizieht.

Englische Vorgeschichte

Die englis­che Vorgeschichte ist so kurz, dass das Wort noch nicht im Oxford Eng­lish Dic­tio­nary verze­ich­net ist (Online-Wörter­büch­er wie das Cam­bridge Advanced Learn­ers Dic­tio­nary und Mer­ri­am-Web­sters haben es aber schon aufgenom­men, wobei das CALD die Def­i­n­i­tion auf Textnachricht­en begren­zt, die „von Sex han­deln oder jeman­den sex­uell erre­gen sollen“, während Mer­ri­am-Web­sters auch das Ver­schick­en von Bildern einschließt.

Mer­ri­am-Web­sters nen­nt als Jahr der ersten Ver­wen­dung 2007, gibt aber keinen tat­säch­lichen Beleg. Der erste Beleg, den ich durch eine Suche im Cor­pus of Cur­rent Amer­i­can Eng­lish und bei Google Books find­en kon­nte, stammt von 2009 aus einem Artikel, der bei Newsweek und Slate erschien. Die Ein­führung des Wortes in diesem Artikel legt aber nahe, dass dies nicht der Erst­be­leg ist, da die Autorin eine „Jour­nal­ist/in­nen-schreiben-über-Sex­ting-Epi­demie“ diagnostiziert:

Sex­ting is the clever new name for the act of send­ing, receiv­ing, or for­ward­ing naked pho­tos via your cell phone. I was­n’t ful­ly per­suad­ed that Amer­i­ca was fac­ing a sex­ting epi­dem­ic, as opposed to a jour­nal­ists-writ­ing-about-sex­ting epidemic…

Das Jahr 2007 kön­nte also dur­chaus das Geburt­s­jahr des Wortes Sex­ting sein.

Struk­turell ist Sex­ting ein soge­nan­ntes Kof­fer­wort (oder eine „Kon­t­a­m­i­na­tion“) aus den Wörtern Sex und Tex­ting („SMSen“). Gesellschaftlich bestand seine Funk­tion von Anfang an haupt­säch­lich darin, über die Gefahren des Ver­schick­ens sex­uell expliziter Bilder zu sprechen – im amerikanis­chen Kon­text ging es dabei zunächst um etwa um die unge­woll­ten Schwanger­schaften, die aus dem Sex­ting her­vorge­hen kön­nten, und um die Gefahr, dass Min­der­jährige, die Nack­tauf­nah­men von sich selb­st ver­schick­en, sich damit der Ver­bre­itung von Kinder­pornografie straf­bar machen kön­nten. In jün­ger­er Zeit geht es eher um die Gefahr, dass Nack­tauf­nah­men zum Zweck des Bul­ly­ings und/oder des „Revenge Porn“ miss­braucht wer­den kön­nten (dazu gle­ich mehr). Die neben diesen – dur­chaus realen – Gefahren ver­mut­lich auch existieren­den schö­nen Seit­en des Sex­ting wer­den dage­gen kaum thematisiert.

Entlehnung ins Deutsche

Der Erst­be­leg des Wortes Sex­ting im Deutschen stammt eben­falls aus dem Jahr 2009, aus einem (online nicht ver­füg­baren) Artikel in der Süd­deutschen Zeitung mit dem viel­sagen­den Titel „Die gefährliche Ent­deck­ung der eige­nen Lust“ (28.02.2009, S. 13). Die Gefahren sind dabei die, in denen es auch in den zeit­gle­ich erscheinen­den amerikanis­chen Tex­ten geht:

Aber wenn es um „Sex­ting” geht, sind die Gefahren sowohl für die Geset­ze und den Kampf gegen Kinder­pornogra­phie, wie für die freie Rede und die Sex­u­al­ität des Kindes enorm. Und sie wer­den in näch­ster Zeit nicht weniger werden.

Es han­delt sich bei Sex­ting also um ein ganz klas­sis­ches Lehn­wort, das eine Lücke im Wortschatz füllt, die durch ein neues gesellschaftlich­es Phänomen ent­standen ist. Inter­es­sant ist dabei, dass mit dem Wort auch der Gefahrendiskurs direkt aus der Geber­sprache (dem amerikanis­chen Englisch) über­nom­men wird.

Nach der Entlehnung steigt die Ver­wen­dung­shäu­figkeit des Wortes zunächst rel­a­tiv langsam an – das Inter­esse an dem Wort (gemessen anhand der Suchan­fra­gen in Google Trends) durch­läuft aber zunächst eine kleine Spitze und flacht dann wieder ab:

Sexting

Die Häu­figkeit von Sex­ting im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus (pro Mil­lio­nen Wörter) und in Google-Suchan­fra­gen, jew­eils als Anteil rel­a­tiv zur häu­fig­sten Verwendung

Das ist wohl damit zu erk­lären, dass das Wort eben neu war und viele Sprecher/innen sich zunächst genauer informieren woll­ten, was es wohl bedeuten mag, denn da das Wort Tex­ting im Deutschen ja nicht existiert (wir sag(t)en hier „sim­sen“), ist das Kof­fer­wort Sex­ting nicht auf dieselbe Weise trans­par­ent, wie dies im Englis­chen der Fall war.

Wie die Grafik zeigt, steigt die Häu­figkeit dann 2014 sprung­haft an, wom­it neben der Bedin­gung ein­er Entlehnung aus dem Englis­chen auch die eines Schubs in der Aus­bre­itung des Wortes klar erfüllt ist. Woran dieser Anstieg liegt, ist auch nach ein­er Analyse der konkreten Ver­wen­dungszusam­men­hänge im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus nur schw­er zu sagen. Inter­es­san­ter­weise steigt das Such­in­ter­esse schon ab 2011 deut­lich wieder an, was mit dem Skan­dal um den amerikanis­chen Poli­tik­er Antho­ny Wein­er Mitte 2011 zusam­men­hän­gen kön­nte, der per Twit­ter unge­beten Nack­t­bilder von sich an ver­schiedene Frauen und dann aus Verse­hen öffentlich an seine über 50 000 Fol­low­er geschickt hatte.

Über diesen Skan­dal wurde auch in den deutschen Medi­en bre­it berichtet, allerd­ings führte das noch nicht zu einem deut­lichen Anstieg der Worthäu­figkeit von Sex­ting. Die kam eben erst 2014, und der beste Grund, den ich für dieses plöt­zliche Inter­esse aus­machen kon­nte, ist, dass es zunehmend im Zusam­men­hang mit Cyber­mob­bing auf­taucht. In ein­er von ver­schiede­nen Zeitun­gen aufge­grif­f­e­nen Agen­turmel­dung Anfang 2014 wurde das Wort sog­ar direkt als „unge­wollte Ver­bre­itung“ von Nack­t­bildern definiert:

Eine neue Vari­ante des Cyber­mob­bings ist das soge­nan­nte Sex­ting – der Aus­tausch und die unge­wollte Ver­bre­itung per­sön­lich­er Intim-Fotos und Videos via Inter­net. „Sex­ting ist ein großes Prob­lem gewor­den“, sagte Wock­en­fuß. Die Dunkelz­if­fer der Betrof­fe­nen sei hoch. Wahrschein­lich seien Tausende Jugendliche in Deutsch­land Opfer von Cyber­mob­bing und „Sex­ting“. [Mannheimer Mor­gen, 24.01.2014]

Wen­ngle­ich diese auss­chließliche Def­i­n­i­tion von Sex­ting als „unge­wollte Ver­bre­itung per­sön­lich­er Intim-Fotos“ sich­er zu eng ist, trifft sie doch sehr genau die Per­spek­tive, unter der das Wort und die damit beze­ich­nete Prax­is 2014 in den Medi­en disku­tiert wurde. Insofern hat das Wort möglicher­weise einen sub­tilen Bedeu­tungswan­del hin zu einem auss­chließlich neg­a­tiv kon­notierten Wort durchlaufen.

Gram­ma­tisch ist es her­vor­ra­gend in die deutsche Sprache inte­gri­ert. Als Sub­stan­tiv tritt es unprob­lema­tisch in allen Zusam­men­hän­gen auf, in denen ein Sub­stan­tiv eben ste­hen kann. Laut­lich stellt es keine Beson­der­heit dar, da das Lehn­wort Sex (mit dem für das Stan­dard­deutsche ungewöhn­lichen „schar­fen“ S am Wor­tan­fang) bere­its seit langem Teil des deutschen Wortschatzes ist und die Endung -ing im Deutschen so ver­traut ist, dass sie sog­ar an Wörter ange­hängt wird, die im Englis­chen so gar nicht ver­wen­det wer­den (wie im Fall von Black­fac­ing von Englisch Black­face.

Aber es wird nicht nur als Sub­stan­tiv ver­wen­det: per Rück­bil­dung ist auch ein Verb daraus ent­standen: sex­ten, in Sätzen wie wann „Señor Gefahr“ denn nun wirk­lich zum let­zten Mal gesex­tet hätte (Ham­burg­er Mor­gen­post, 25.7.2013) und Nicht nur Außen­seit­er sex­ten (Zeit Online, 26.6.2014).

Fazit

Das Wort beste­ht aus englis­chem Sprach­ma­te­r­i­al, ist aus dem Englis­chen entlehnt, hat einen spek­takulären Häu­figkeit­sanstieg hin­ter sich, und füllt eine Lücke im Wortschatz, die es unge­füllt sowohl schw­er machen würde, sich kul­turpes­simistisch über sexbe­sessene Jugendliche zu ereifern, als auch über die vie­len echt­en Gefahren des Ver­schick­ens von Nack­tauf­nah­men zu sprechen. Es ist bestens inte­gri­ert und wird so schnell wed­er ver­schwinden, noch durch eine deutschere Alter­na­tive erset­zt wer­den. Ich würde sagen: ein in jed­er Hin­sicht heißer Kan­di­dat für den Kampf um den Titel „Anglizis­mus 2014“.

6 Gedanken zu „Sexting [Kandidaten für den Anglizismus 2014]

  1. Pingback: Kandidaten für den Anglizismus 2014: Sexting | ANGLIZISMUS DES JAHRES

    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      Inter­es­san­ter­weise nicht, da im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus die zweite Jahreshälfte 2014 im Moment noch gar nicht abge­bildet ist. Am Ende wird sich also möglicher­weise zeigen, dass der tat­säch­liche Anstieg noch größer aus­fällt als gedacht, aber schon ohne den Pho­to­hack oder irgen­dein anderes beson­deres Ereig­nis gab es einen Anstieg.

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  2. Dilettant

    ging es dabei zunächst um etwa um die unge­woll­ten Schwanger­schaften, die aus dem Sex­ting her­vorge­hen könnten”

    Jet­zt inter­essiert es mich aber doch, wie man per Tele­fon schwanger wer­den kann. 😉

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