Schlagwort-Archive: Althochdeutsch

Falsche Freunde und wahre Worte

Von Kristin Kopf

2009-04-25-fauxamisKür­zlich habe ich eine schöne Liste mit falschen Fre­un­den aus dem Mit­tel­hochdeutschen gefun­den. “Falsche Fre­unde” ken­nt wahrschein­lich jed­er aus der Schule – Wörter, die sich täuschend ähn­lich sehen/täuschend ähn­lich klin­gen, aber völ­lig ver­schiedene Bedeu­tun­gen haben. Meis­tens entste­hen sie dadurch, dass zwei Sprachen ein und das­selbe Wort unter­schiedlich behan­deln – es kommt zu Bedeu­tungsverän­derun­gen, die nicht par­al­lel ver­laufen. (So macht z.B. das Englis­che aus einem ger­man­is­chen Wort etwas anderes als das Deutsche, ver­gle­iche gift ‘Geschenk’ und Gift.) Oder aber eine Sprache entlehnt ein Wort und es bekommt eine leicht (oder radikal) andere Bedeu­tung. (So z.B. ein franzö­sis­ches Lehn­wort im Deutschen.)

Falsche Fre­unde” im Mit­tel­hochdeutschen sind eigentlich nur die Vorgänger unser heuti­gen Wörter, bevor sie all die Bedeu­tungsver­schiebun­gen durchgemacht haben. Die Gefahr, dass wir sie in ihrer heuti­gen Bedeu­tung ver­ste­hen ist natür­lich beson­ders groß, weil es sich ja um eine Vorstufe des heuti­gen Deutschen han­delt und es erstaunlich oft ganz gut klappt, die neuhochdeutsche Bedeu­tung zu nehmen.

Ein paar willkür­liche Beispiele aus der Liste, wie immer mit ein­er Vernei­gung vor Kluges Ety­mol­o­gis­chem Wörterbuch:

Mit den Sinnen denken

Das mit­tel­hochdeutsche betraht­en ‘bedenken, erwä­gen, aus­denken’ bekam im Früh­neuhochdeutschen den Bedeu­tungszusatz ‘beim Anschauen erwä­gen’, machte also eine Bedeu­tungsv­eren­gung mit. Schließlich nahm der Aspekt des Anschauens über­hand, sodass betra­cht­en heute ‘anschauen’ heißt. Das Ele­ment des Nach­denkens find­et man noch im Wort Betra­ch­tun­gen. Solche Bedeu­tungsver­schiebun­gen passieren sehr häu­fig mit Wahrnehmungsver­ben und Ver­ben, die kog­ni­tive Vorgänge beschreiben (begreifen und erfassen z.B. kom­men aus der anderen Rich­tung, sie beze­ich­neten ursprünglich das konkrete Anfassen, beziehen sich jet­zt aber auf das Verstehen).

My home is my castle

ellende ‘fremdes Land, Fremde’ ist tat­säch­lich der Ursprung für unser heutiges Elend. Das Wort Land steckt sog­ar noch drin: Im West­ger­man­is­chen gab die Bil­dung *alja-landja- ‘außer Lan­des seiend’. Im Althochdeutschen fällt der Umlaut über das Wort her und macht elilen­ti daraus.1

Im Aus­land zu sein war ein­stens kein Spaß, meist war man da, weil man ver­ban­nt war – und so kam es, dass das Wort die Bedeu­tung ‘Unglück, Jam­mer’ annahm. Es hat also eine Bedeu­tungsver­schlechterung mitgemacht.

Das ist nicht witzig!

Das Wort witze heißt im Mit­tel­hochdeutschen ‘Wis­sen, Ver­stand, Besin­nung, Ein­sicht, Klugheit, Weisheit’. Es ist eine Ableitung von wis­sen. Im 17. Jahrhun­dert hat das franzö­sis­che Wort esprit auf den Witz eingewirkt, das sich in der Bedeu­tung mit ihm über­schnitt, aber zusät­zlich das ‘geistre­iche’ Ele­ment besaß. (Das nen­nt man Lehnbe­deu­tung: Ein vorhan­denes Wort entlehnt eine Bedeu­tung von einem Wort aus ein­er anderen Sprache.) So bekam Witz bald die Bedeu­tung ‘geistre­iche For­mulierung’ und im 18. Jahrhun­dert mussten Witze nicht mehr geistre­ich sein, das Wort hieß nur noch ‘Scherz’. So kann der Intellekt in den Schmutz gezo­gen wer­den … der Unter­gang des Abend­lan­des ist nahe …

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[Ostern] Ostern

Von Kristin Kopf

Ostern ist nicht nur ety­mol­o­gisch inter­es­sant, son­dern auch vom Wort­ma­te­r­i­al her: Es gab ein­mal einen Sin­gu­lar, die Oster, heute ist aber nur noch der Plur­al Ostern gebräuch­lich. Den man gele­gentlich auch wieder als Sin­gu­lar ver­wen­den kann: das Ostern.

Ostern 1987 - noch kein Interesse an Etymologien

Ostern 1987 – noch kein Inter­esse an Etymologien

Woher das Wort kommt, ist nicht so ein­deutig. Es ist auf jeden Fall ver­wandt mit Osten als dem Ursprung der Sonne und bezieht sich wahrschein­lich auf eine vorchristliche Got­theit der Mor­gen­röte, auf jeden Fall aber auf das Länger­w­er­den der Tage und den Früh­ling. Mor­gen­röte, Aufer­ste­hung, der Weg war nicht weit und die Über­tra­gung auf das christliche Fest schnell erledigt. Im Althochdeutschen hieß das Fest ôst(a)râ, im Mit­tel­hochdeutschen ôster. Der Monat April hieß übri­gens früher ein­mal ôster­mânôth, ange­blich so benan­nt durch Karl den Großen. (Zu den Monat­sna­men auch: Wun­der­land Deutsch.)

Die europäis­chen Sprachen sind, was Ostern ange­ht, nicht so variantenreich:

  • Das Englis­che hält es mit dem Deutschen (East­er).
  • Die meis­ten Sprachen haben aus dem Hebräischen/Aramäischen entlehnt (ich zitiere keine Urform, da ich keine zuver­läs­sige Quelle habe), und zwar die Beze­ich­nung des jüdis­chen Pes­sach-Festes, mit dem Ostern nicht von unge­fähr zeitlich und kausal in Bezug ste­ht: Dänisch (Påske), Spanisch (Pas­cua), Finnisch (Pääsiäi­nen), Franzö­sisch (Pâques), Ital­ienisch (Pasqua), Nieder­ländisch (Pasen), Nor­wegisch (Påske), Rumänisch (Paşti), Rus­sisch (Пасха), Schwedisch (Påsk)
  • Ungarisch (Húsvét): hús heißt auf jeden Fall ‘Fleisch’, die Zusam­menset­zung wahrschein­lich ‘Fleisch nehmen/kaufen’, aber die Bedeu­tung stammt nur aus dem Inter­net, also wer weiß. Wäre aber logisch, die Fas­ten­zeit ist da näm­lich vorbei.
  • Mit Bezug auf die Nacht, wie an Wei­h­nacht­en auch, gibt es ‘große Nacht’ im Pol­nis­chen (Wielka­noc) und Tschechis­chen (Velikonoce). Im Let­tis­chen (Liel­d­ien­as) ist hinge­gen der Tag groß.

Hier gibt es übri­gens eine ganze Samm­lung von Oster­beze­ich­nun­gen in ver­schiede­nen Sprachen.

Fragen an das Internet beantwortet

Von Kristin Kopf

Word­Press ver­fügt über eine elende Sta­tis­tik­funk­tion, die man stun­den­lang sinn­los anstar­ren kann. Um die vergeudete Zeit etwas zu recht­fer­ti­gen, will ich ein paar “Fra­gen” beant­worten, die über Suchan­fra­gen zum Sch­plock geleit­et wur­den, wo dann zwar die Such­wörter, nicht aber die Antworten vorhan­den waren.

schmettern ethymologisch (12.3.2009)

Wahrschein­lich ist es ein laut­ma­lerisches Wort, das irgend­wie mit mit­tel­hochdeutschem smîzen ‘stre­ichen, schmieren’ (das ist die Vor­form von schmeißen) und niederdeutschem schmad­dern ‘schmieren’ ver­wandt ist.

Im Mit­tel­hochdeutschen hieß es sme­tern und hat­te die Bedeu­tung ‘klap­pern, schwatzen’. Das Wort hat ab dem 16. Jahrhun­dert die Bedeu­tung ‘mit Geräusch hin­schleud­ern’, man musste also immer etwas schmettern. Später dann brauchte das Verb kein Objekt mehr, es beze­ich­net sei­ther eher die Tat­sache, dass etwas einen ‘krachen­den Schall’ verur­sacht. Wenn man ein Objekt ver­wen­den will, benutzt man hin­schmettern.

Danke übri­gens für die Inspi­ra­tion mit ethymol­o­gisch!

eichhörnchen etymologisch (22.3.2009)

Voll­tr­e­f­fer – eine Volk­se­t­y­molo­gie! Klas­sis­ch­er Fall für Olschan­sky: Schon im Althochdeutschen hat man das Wort als Zusam­menset­zung aus Eiche und Horn analysiert (eih­horno), dabei geht es eigentlich auf das ger­man­is­che Wort *aikur­na- zurück, was die indoger­man­is­che Wurzel *aig- bein­hal­tet, ‘sich heftig bewe­gen, schwingen’.

Obwohl also ety­mol­o­gisch von einem Horn nicht die Rede sein kann, wurde das Wort Mitte des 19. Jahrhun­derts zu ein­er generellen Beze­ich­nung für alle ver­wandten Nagetiere der Famile Sci­uri­dae wie z.B. Baumhörnchen, Erd­hörnchen, Flughörnchen.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia (Ray eye), CC-by-sa‑2.0‑de

paumen hochdeutsch (19.3.2009)

Wahrschein­lich geht es hier um eine alte dialek­tale Form des Wortes Bäume. Zu Beginn der althochdeutschen Zeit gab es die soge­nan­nte “Zweite Lautver­schiebung”, und ein Teil davon, die “Medi­en­ver­schiebung”, verän­derte die west­ger­man­is­chen Laute b, d und g.

  • [d] wurde zu [t], das sieht man z.B. an Wörtern wie Tag, auf Englisch day, weil das Englis­che keine Zweite Lautver­schiebung hat­te. Es gibt noch massen­haft weit­ere Beispiele (Tochterdaugh­ter, Tordoor, Tierdeer, …).
  • [b] und [g] blieben im Hochdeutschen weit­er­hin [b] und [g] – ver­glichen mit dem Englis­chen ist also kein Unter­schied festzustellen: Buch book, Bierbeer, gutgood, graugrey, …

Im Alto­berdeutschen aber, vor allem im Alt­bairischen, wurde teil­weise [b] > [p] und [g] > [k]. (Es ist aber zumin­d­est in der Schrei­bung nicht kon­se­quent durchge­führt, oft ste­hen auch <b> und <g>.) Wir find­en in alt­bairischen Tex­ten also Wörter wie perg ‘Berg’, kot ‘Gott’ und paum, ‘Baum’. Hier ist z.B. ein Auss­chnitt aus dem Wes­so­brun­ner Gebet, dessen Entste­hung auf ca. 790 geschätzt wird:

Dat gafre­gin ih mit firahim fir­i­u­uiz­zo meista,
dat ero ni uuas noh ûfhimil,
noh paum nih­heinîg noh pereg ni uuas,
ni suigli ster­ro nohheinîg noh sun­na ni scein,
noh mâno ni liuh­ta noh der mâręo sêo.
Dô dâr niu­ui­ht ni uuas enteo ni uuenteo
enti dô uuas der eino almahtî­co cot, …

(Text nach TITUS)

Das habe ich bei den Men­schen als größtes Wun­der erfahren: dass es die Erde nicht gab und nicht den Him­mel, es gab nicht den Baum und auch nicht den Berg, es schien nicht ein einziger Stern, nicht die Sonne, es leuchtete wed­er der Mond noch die glänzende See. Als es da also nichts gab, was man als Anfang oder Ende hätte ver­ste­hen kön­nen, gab es schon lange den einen, allmächti­gen Gott, …” (Über­set­zung aus Nübling 2006:23)

Und im Grimm­schen Wörter­buch gibt es einige Beispiele für paumen:

  • FRUCHTTRÄGERLEIN, n. frucht­knospe, bei MEGENBERG 93, 15: (vor dem blitz) ver­hül­let diu nâtûr diu fruht­trager­lein, daჳ sint die frühti­gen knödel (knötchen) auf den paumen, mit pletern, sam dâ ain amme ir kint ver­hül­let mit windeln.
  • FÜRBASZ , adv. weit­er, weit­er fort. […] STEINHÖWEL (1487) 64; doch nach langem seinen bedunken in gůt dauchte, seyt­mal er der fin­ster nacht hal­ben nitt fürpasz mochte, auf einen paumen ze steigen.
  • NACHSPÜREN, verb.1) intran­si­tiv, spürend fol­gen, aufzus­püren (zu erforschen, zu ergrün­den) suchen […] die aich­hörn­lein lof­fen / auf den paumen, der ich keim kund / nach-spüren, weil ich het kein hund. H. SACHS 4, 286, 8 K.

So. Auf die näch­sten Suchan­fra­gen ist das Sch­plock vorbereitet!

… wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

Von Kristin Kopf

Von mein­er Ger­man­is­tik-Ver­wandtschaft­shausar­beit sind ein paar Bröckchen fürs Sch­plock abge­fall­en. Es geht um den Wan­del der Typolo­gie von Ver­wandtschaftssys­te­men – also nicht darum, wie sich einzelne Wörter verän­dern (wobei ich darauf auch ein wenig einge­hen will), son­dern darum, wie sich kom­plette Sys­teme verän­dern. Und da kann sich erstaunlich viel tun. Ich will heute nur auf einen kleinen Teilaspekt einge­hen, der die Eltern­gener­a­tion (auch G+1 genan­nt) betrifft.

Dort wer­den im heuti­gen Deutsch zwis­chen Blutsver­wandten zwei Unter­schei­dun­gen getroffen:

  • Frau oder Mann? Mut­ter, Tante vs. Vater, Onkel
  • In direk­ter Lin­ie ver­wandt oder nicht? Vater, Mut­ter vs. Tante, Onkel

Da drang ein Dutzend Anverwandten / Herein, ein wahrer Menschenstrom!

Im Althochdeutschen gab es noch eine weit­ere Unterscheidung:

  • Frau oder Mann? muot­er, muo­ma, basa vs. fater, fetiro, oheim
  • In direk­ter Lin­ie ver­wandt oder nicht? muot­er, fater vs. muo­ma, basa, fetiro, oheim
  • Müt­ter­lich­er­seits oder väter­lich­er­seits? muo­ma, oheim vs. basa, fetiro

Die vier Beze­ich­nun­gen für die Geschwis­ter der Eltern lauteten also:

(1) muo­ma ‘Schwest­er der Mutter’
(2) basa ‘Schwest­er des Vaters’
(3) fetiro ‘Brud­er des Vaters’
(4) oheim ‘Brud­er der Mutter’

Und hier für Leute, die es lieber visuell haben:

verwahd

Ahd. Ver­wandtschaftssys­tem nach Nübling et al. (2006)

Ein solch­es Sys­tem nen­nt man auch bifur­cate col­lat­er­al type.

Da kamen Brüder, guckten Tanten, …”

Die Unter­schei­dung mütterlicherseits/väterlicherseits ist heute also ver­schwun­den. Wenn man sich die Wörter anschaut, dann kom­men sie einem aber alle noch bekan­nt vor. Wie kommt’s?

In mein­er Abbil­dung habe ich die Cousins und Kusi­nen unter­schla­gen. Die gab es in althochdeutsch­er Zeit natür­lich auch schon, unter anderem Namen. Wahrschein­lich hießen sie muomen­sun etc., waren also zusam­menge­set­zte Beze­ich­nun­gen – beson­ders viele Quellen gibt es aber nicht ger­ade, ich habe nur einen Auf­satz von 1900 gefun­den, der die For­men erwäh­nt, die meis­ten Darstel­lun­gen lassen sie ein­fach weg.

Schließlich kam es zu einem Bedeu­tungswan­del. In einem ersten Schritt begann man, die Beze­ich­nun­gen für die Geschwis­ter der Eltern auch für deren Kinder zu ver­wen­den – die Tochter von Base oder Vet­ter (wir sind jet­zt schon im Früh­neuhochdeutschen!) wurde auch zur Base, der Sohn von Oheim und Muhme auch zum Oheim, etc. Die Beze­ich­nun­gen hat­ten jet­zt also zwei Bedeu­tun­gen. Nach einem wilden Kud­del­mud­del einigten sich die Begriffe dann endlich: Oheim und Muhme durften Brud­er oder Schwest­er der Eltern beze­ich­nen, egal auf welch­er Seite, und Base und Vet­ter beka­men den Job, deren Kinder zu übernehmen. Damit sind wir typol­o­gisch bei unserem heuti­gen Sys­tem ange­langt: Es wird zwar unter­schieden, ob Schwest­er oder Brud­er der Eltern, aber nicht von welch­er Seite. Das nen­nt man auch lin­eal type. Von da an gab es nur noch auf der Wor­tebene Veränderungen:

… Da stand ein Vetter und ein Ohm!

Der Fam­i­liensegen stand bald schon wieder schief: Muhme und Oheim beka­men harte Konkur­renz, die neu­modis­chen Beze­ich­nun­gen Tante und Onkel, aus dem Franzö­sis­chen entlehnt, macht­en sich ab Mitte des 17./Anfang des 18. Jahrhun­derts bre­it. Unge­fähr Mitte des 20. Jahrhun­derts war die Schlacht dann geschla­gen, Tante und Onkel gin­gen siegre­ich hervor.

Auch Base und Vet­ter hat­ten zwis­chen­zeitlich keine Ruhe gefun­den, Anfang bis Mitte des 17. Jahrhun­derts kamen Cou­sine und Cousin zu Besuch, und es gefiel ihnen so gut, dass sie blieben. Die Base warf Mitte des 20. Jahrhun­derts das Hand­tuch, der Vet­ter führt noch Rückzugsgefechte.

2009-03-20-verwfnhd

(Früh-)Neuhochdeutsches Ver­wandtschaftssys­tem

Im Dig­i­tal­en Wörter­buch der deutschen Sprache habe ich mal ein bißchen herumpro­biert, in der Hoff­nung, den Nieder­gang von Muhme, Oheim, Base und Vet­ter sicht­bar machen zu kön­nen. Base musste ich gle­ich rauswer­fen, da waren zu viele Tre­f­fer mit der chemis­chen Bedeu­tung drunter. Muhme hat­te kaum Tre­f­fer, Oheim und Vet­ter gin­gen so. Hier mal exem­plar­isch der Oheim – auf­grund der gerin­gen Tre­f­fer­zahl ist das Dia­gramm aber nur dazu geeignet, einen groben Ein­druck zu bekommen:

oheimgrafik

Den Auf­stieg von Onkel, Tante, Cousin und Kusine kann man lei­der nicht nachver­fol­gen, zumin­d­est sehen die Unter­schiede für mich völ­lig insignifikant aus. An den Zahlen kann man im Ver­gle­ich aber ganz gut sehen, welche Form sich durchge­set­zt hat, nur eine Zunahme ist eben nicht erkennbar. Hier der Onkel1:

onkelgrafik

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Fastnachtsausbruch

Von Kristin Kopf

Es ist wieder soweit … geschmack­los verklei­dete Men­schen pinkeln geräuschvoll an die Hauswand. Und das ist erst der Anfang der Mainz­er Fast­nacht, liebevoll “Fasse­nacht” genan­nt. (Man kann übri­gens “Zug­plakettcher” in der Stadt kaufen.)
Grimms Wörter­buch charak­tierisiert die Fast­nacht char­mant als “die let­zte derb ausgenossene freszzeit vor dem beginn der faste”.

Aber woher kommt eigentlich die Beze­ich­nung? Die gängige Erk­lärung lautet immer, es sei eine Zusam­menset­zung aus “Fas­ten” und “Nacht”, also qua­si die Nächte vor der Fas­ten­zeit — aber ein Blick in Kluges Ety­mol­o­gis­ches Wörter­buch ver­rät, dass es sich nur um eine Volk­se­t­y­molo­gie han­delt. In Wirk­lichkeit ist alles viel … mys­ter­iös­er. Die Herkun­ft ist näm­lich unklar.
Es muss ein­mal eine Form gegeben haben, die fasanaht hieß, wovon der zweite Teil schon ‘Nacht’ bedeutet, aber der erste nicht zuzuord­nen ist. Kluge spekuliert ein bißchen und ist dafür, dass es von ein­er indoger­man­is­chen Wurzel mit der Bedeu­tung ‘reini­gen, läutern’ kommt (*pwos-).
Diese wiederum kön­nte aber auch die Wurzel von fas­ten sein, *pwos-to- ‘rein, rechtschaf­fen, gewis­senhaft’. Also vielle­icht doch die Nacht vor dem Fas­ten? Hm …

Und was ist mit Karneval? Es kommt vom ital. carnevale, das auch wieder ein Herkun­ft­sprob­lem hat. Kluge schlägt eine Entwick­lung wie diese vor: lat. de carne levare ieiu­ni­um ‘von Fleisch weg­nehmen Fas­ten’ (Wort-für-Wort) > car­nel­e­vare > car­nel­e­var­i­um > carnevale.
Nach sein­er Erläuterung hat uns Kluge noch fol­gen­des zu bieten: “Täter­beze­ich­nung: Karneval­ist”.

[Weihnachten] Die Christmette und Xmas

Von Kristin Kopf

Heute, dank meines Brud­ers, ein bißchen Ety­molo­gie … Warum heißt es Christ­mette und nicht Christmesse?
Die bei­den For­men haben, wider Erwarten, nichts miteinan­der zu tun:

Mette kommt von lat. laudes mātūtī­nae, also ‘Mor­gen­lob’. Irgend­wann fiel das erste Wort weg und im spät­lat. hieß es nur noch mat­ti­na. In dieser Form wurde es dann ins Althochdeutsche (500/750‑1050) entlehnt, wurde im Mit­tel­hochdeutschen (1050–1350) zu mettî(ne), met­tene und kam schließlich bei der heuti­gen Form an.
laudes mātūtī­nae beze­ich­nete die erste Gebet­szeit des Tages, sie wird auch Vig­il oder Matutin genan­nt. Dieses Stun­denge­bet wurde nachts ver­richtet, früh­estens um Mit­ter­nacht, und bezieht sich entsprechend auf den fol­gen­den Tag. Es ist eigentlich keine Messe, also kein Gottes­di­enst mit Eucharistiefeier — dazu wurde nur die Christ­mette. Die ja jet­zt vielerorts auch schon um 22 Uhr gefeiert wird.

Messe kommt von spät­lat. mis­sa ‘Gottes­di­enst’, das so ins Althochdeutsche entlehnt wurde und im Mit­tel­hochdeutschen dann zu messe wurde.
Woher das lat. mis­sa genau kommt, ist nicht ganz gek­lärt, Kluge nen­nt als gängige Hypothese, dass es von Ite, mis­sa est. ‘Gehet, es ist ent­lassen!’ kommt, was vor dem Abendmahl gesagt wurde, um alle wegzuschick­en, die nicht daran teil­nehmen durften.
Von der kirch­lichen Messe kommt übri­gens auch die weltliche, über den Zwis­chen­schritt ‘kirch­lich­es Fest’ zu ‘Jahrmarkt, Großausstellung’.

Das englis­che mass ‘Gottes­di­enst’ hat densel­ben Ursprung wie Messe, Christ­mas entspräche also einem fik­tiv­en *Christmesse für ‘Wei­h­nacht­en’.
Zu Xmas gibt es grade einen kurzen Artikel bei der FAZ, der erk­lärt, woher das X kommt — vom griechis­chen Buch­staben Chi näm­lich, mit dem das Wort Chris­tus (‘der Gesalbte’) im Griechis­chen begin­nt: Χριστός.

[Weihnachten] Wie schon die Alten sungen …

Von Kristin Kopf

Heute geht es um ein Lied, dessen Text 1587/88 in Mainz geschrieben wurde: “Es ist ein Ros entsprun­gen”. Lei­der ist das, was ich aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht dazu zu sagen habe, nicht beson­ders kreativ — Frau N. hat die Stelle sog­ar schon für einen Auf­satzti­tel benutzt.1
Aber wer noch keine Ein­führung in die his­torische Sprach­wis­senschaft des Deutschen hin­ter sich hat, wird sich vielle­icht den­noch dran freuen.

Erst­mal der Text der ersten Strophe:

Es ist ein Ros entsprun­gen aus ein­er Wurzel zart,
wie uns die Alten sun­gen, von Jesse kam die Art,
und hat ein Blüm­lein bracht
mit­ten im kalten Win­ter, wohl zu der hal­ben Nacht.

Und dann eine kurze Inhalt­sangabe, für die Athe­istIn­nen unter uns:
Mit­ten im Win­ter und mit­ten in der Nacht erblühte eine Rose (bzw. , nach der Gottes­lob-Inter­pre­ta­tion, ein ganz­er Rosen­stock), und zwar so, wie es im Alten Tes­ta­ment ste­ht (=“die Alten sun­gen”), wo es Jesa­ja (=“Jesse”) vorherge­sagt hat. (Natür­lich hat er die Geburt des Mes­sias vorherge­sagt, nicht die ein­er Rose, aber so iss­es halt mit den Metaphern …)

Und jet­zt der vergnügliche Teil des Abends. Es geht um diese Stelle:

(1) … wie uns die Alten sungen, …

Warum nicht “wie uns die Alten (vor)sangen”? Weil es sich dann nicht mehr auf “entsprun­gen” reimt? Wohl kaum … und hier­mit kom­men wir zum Phänomen der viel­ge­fürchteten Ablautrei­hen.
Wenn wir uns die heuti­gen Ver­ben des Deutschen anschauen, so kann man sie (qua­si) alle in zwei Grup­pen teilen: Schwache Ver­ben vs. Starke Verben.
Zu welch­er Gruppe ein Verb gehört, erken­nt man an seinen Ver­gan­gen­heits­for­men, und zwar am Prä­ter­i­tum (sagte, dachte, schlug, ging) und am Par­tizip II (gesagt, gedacht, geschla­gen, gegan­gen).

Die schwachen Ver­ben sind die, die ein­fach ein -te für’s Prä­ter­i­tum anhän­gen (sag-te) und für das Par­tizip II den Stamm mit ge-…-t umgeben (ge-sag‑t). Das ist sehr ein­fach, deshalb machen wir das mit den aller­meis­ten Ver­ben. Auch mit neuen Ver­ben, die wir z.B. aus dem Englis­chen entlehnen (down­load­ete, gedown­load­et/down­ge­loaded).

Viel älter und kom­pliziert­er sind hinge­gen die starken Ver­ben, die, wenn sie Ver­gan­gen­heit aus­drück­en wollen, ihren Stam­m­vokal ändern: werfenwarfge‑worf-en (das Par­tizip II hat zusät­zlich noch das ge-…-en außenrum.)
Ver­ben, die wir neu ins Deutsche entlehnen, funk­tion­ieren nie nach diesem Prinzip2 — nur die richtig alten Ver­ben haben diesen Vokalwech­sel zwis­chen den ver­schiede­nen Zeit­for­men. Den man Ablaut nen­nt. (Es gibt sog­ar Ver­ben aus dieser Gruppe, die zu den schwachen Ver­ben ent­fliehen — z.B. bellen, dessen Prä­ter­i­tum mal boll war. Oder melken, bei dem momen­tan der molk-melk­te-Kampf tobt.)

Heute unter­schei­den wir bei den starken Ver­ben ja drei For­men: Präsens, Prä­ter­i­tum und Par­tizip II. Das Max­i­mum an Unter­schied ist, wenn jede der drei For­men einen anderen Vokal hat, wie bei wer­fen. Manch­mal sind’s auch nur zwei ver­schiedene, z.B. bei schla­gen. Aber nii­i­i­i­ie sind es vier verschiedene.

Vor langer, langer Zeit (im Alt- und Mit­tel­hochdeutschen, und sog­ar noch vorher) gab es aber nicht drei unter­schiedliche For­men, son­dern vier:
a) Präsens: werfan ‘wer­fen’
b) Prä­ter­i­tum Sin­gu­lar: warf ‘warf’
c) Prä­ter­i­tum Plur­al: wurfun ‘war­fen’
d) Par­tizip II: giworfan ‘gewor­fen’
Es kam also drauf an, ob ein Verb im Prä­ter­i­tum Sin­gu­lar (also der Ein­zahl) oder im Plur­al (also der Mehrzahl) benutzt wurde. Man sagte also so etwas wie *der alto sang (weil’s ja nur ein­er ist) aaaaaber: *diu alton sun­gun (weil’s mehrere sind).

Im Früh­neuhochdeutschen (also ab ca. 1350) begann das Sys­tem zusam­men­zubrechen. Von den bei­den Vokalen im Prä­ter­i­tum set­zte sich jew­eils ein­er durch, bei wer­fen z.B. war es das a aus dem Sin­gu­lar (warf, wur­fun > warf, war­fen), bei reit­en war es das i aus dem Plur­al (reit, rit­un > ritt, rit­ten). Es gab also bei jedem Verb nur noch einen Vokal ins­ge­samt für das Prä­ter­i­tum, keine zwei mehr. Was ja auch irgend­wie prak­tisch ist, weil die Infor­ma­tion über das Prä­ter­i­tum jet­zt klar­er zu erken­nen ist — nicht mehr entwed­er Vokal 1 oder Vokal 2 zeigt, je nach Per­son, Prä­ter­i­tum an, son­dern nur noch ein einziger.
Diese Entwick­lung nen­nt man den Prä­ter­i­tal­en Numerusaus­gle­ich, aber das nur für diejeni­gen unter Euch, die damit angeben wollen.

Wäre also alles mit recht­en Din­gen zuge­gan­gen, müssten wir heute von den Alten sin­gen, die san­gen — aber dann würde es sich ja nicht mehr reimen. Und außer­dem haben alte Lieder meist eine gewisse Narrenfreiheit.

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[Weihnachten] Ihr Kinderlein, kommet …

Von Kristin Kopf

Wei­h­nacht­slieder geben eine Menge an sprach­lichen Relik­ten her, die ich mir über die Feiertage ein bißchen anschauen will. Den Anfang macht …

(1) Ihr Kinder­lein kommet

Schon­mal gewun­dert, dass wir hier einen Plur­al mit Diminu­tiv (=Verkleinerungs­form) haben? {kind}{er}{lein}?
Sub­stan­tiv: {kind}
Plu­ral­en­dung: {er}
Diminu­tiv: {lein}

Im Neuhochdeutschen tritt das {lein} ja direkt an das Sub­stan­tiv im Sin­gu­lar, erwartet wäre also {kind}{lein}:

Diminu­tiv, Deminu­tiv, Verkleinerungs­form
Zu vie­len Sub­stan­tiv­en wer­den durch Anfü­gung der Suf­fixe ‑chen oder ‑lein Verkleinerungs­for­men gebildet: Haus — Häuschen, Buch — Büch­lein.”
(Wahrig, 1997, S. 54)

Bei Kinder­lein muss es sich also um eine ver­al­tete Form han­deln. Und tat­säch­lich, in Grimms Wörter­buch find­en sich beim Lem­ma KINDERLEIN viele Beispiele. Heute wird die Form kaum noch ver­wen­det, und wenn, dann in Anspielung auf das Wei­h­nacht­slied oder beim Ver­such, alterthü… ähm, altertüm­lich zu sprechen.

Im Lux­em­bur­gis­chen gibt es die For­men mit Plu­ral­markierung direkt am Sub­stan­tiv heute noch:

(2) kand ‘Kind’ — kan­ner ‘Kinder’ -> kand­chen ‘Kind­chen, sg.’ — kan­nercher ‘Kind(er)chen, pl.’
(3) Haus ‘Haus’ - Hais­er ‘Häuser’ -> Hais­chen ‘Häuschen, sg.’ — Hais­ercher ‘Häuschen, pl.’

Und es geht sog­ar mit lexikalisierten Diminu­tiv­en, also mit For­men, die eigentlich auf eine Verkleinerungs­form zurück­ge­hen, jet­zt aber als ganz nor­male Form benutzt werden:

(4) Meed­chen ‘Mäd­chen, sg.’ — Meed­ercher ‘Mäd­chen, pl.’

Der Unter­schied zur alten deutschen Form im Wei­h­nacht­slied beste­ht darin, dass das Lux­em­bur­gis­che den Plur­al zweimal markiert, ein­mal durch das -er am Stamm und ein­mal durch die Endung -cher (statt -chen).

Das Lux­em­bur­gis­che und das Deutsche gehen ja auf gemein­same Wurzeln zurück, das Lux. ist eng mit den mosel­fränkischen Dialek­ten in und um Tri­er herum ver­wandt.
Da über­rascht es nicht, auch auf der deutschen Seite solche For­men als Relik­te zu ent­deck­en — z.B. gibt es einen Ort namens Wincherin­gen im Land­kreis Tri­er-Saar­burg, in dem es die Gemarkung “Auf den Häuserchen” gibt.

Wirft man einen Blick in Grimms Wörter­buch, so find­et man unter dem Lem­ma CHEN:

auch die plu­ral­bil­dung schwankt, jene kete­hinne kinderchinne schel­lichinne sind längst ver­al­tet, gewöhn­lich pflegt nach ahd. mhd. weise beim neu­trum über­haupt die form des sg. unverän­dert zu bleiben. einige aber erlauben sich bübchens leutchens mäd­chens, z. b. LESSING 1, 461 in der anrede: seht fre­undlich aus, mäd­chens! ich will euch etwas fröh­lich­es melden. andere tadel­hafter selb­st bübch­er mäd­ch­er:
und wenn das laub herunter fällt,
so trau­ren alle äst­ger.
MITTLER 465a,
wofür man doch einen noch des N ent­bund­nen sg. bübche mäd­che ästche anzuset­zen hat. neu­tra und mas­culi­na, die des epenthetis­chen er fähig sind, ver­mö­gen es mit in die diminu­tion zu ziehen, und von beinchen bretchen bild­chen häuschen kind­chen lämm­chen würm­chen läszt sich ausz­er dem gle­ich­lauti­gen pl. in traulich­er sprache bilden: bein­erchen breterchen bilderchen häuserchen kinderchen läm­merchen män­nerchen (LESSING 1, 242) würmerchen. […] ein fehler ist der pl. mäderchen oder gar mädercher von mäd­chen = mägd­chen, da das f. magd keinen pl. mägder zu bilden ver­mag. breterchen häuserchen u. s. w. laufen den bil­dun­gen breter­lein häuser­lein par­al­lel.”

Da ich momen­tan lei­der fern von all meinen Bücher­lein bin, kann ich nicht her­aus­find­en, ob die Ver­sion mit dem eingeschobe­nen Plur­al eine zeitweilige Vari­ante war, oder ob sie tat­säch­lich die ursprüngliche Form war. Ich tippe auf ersteres, zumal der er-Plur­al sich ja erst recht spät ver­bre­it­et hat.