Schlagwort-Archive: Dialekt

Über die Vokauisierung

Von Kristin Kopf

Ich war ja kür­zlich in der Schweiz und habe mir ganz fasziniert zahlre­iche schweiz­erdeutsche Dialek­te ange­hört. Ganz beson­ders auf­fäl­lig in der Phonolo­gie fand ich vier1 Dinge und von diesen vieren kan­nte ich eines noch nicht: das vokalisierte l. Lest ein­fach mal …

[…] D’r Himu vou Wouche
U äs rägnet, was es abe mah,
Nume im Schoufän­schter vom
Reisebüro
Schi­int d’Sunne no.

Hät­ti Flügu zum Flüge
Flug i mit de Vögu furt
U chiem nie meh hei.
I’nes Land ohni Näbu, ohni Räge,
I’nes Land wo si Sunne hei…
I gieng hüt no …. uf u dervo,
Eifach uf u der­vo. […] Weit­er­lesen

Ibere Ittume-Inglische ine ‑Ialektde

Von Kristin Kopf

[Gegenüber dem Orig­i­nal leicht verändert.]

Let­zte Woche habe ich Peter Hafen getrof­fen. Er ist der erste Vor­sitzende des Bern­er Mat­teänglisch-Clubs (mit der char­man­ten Abkürzung Mäc). Die Geheim­sprache Mat­teänglisch hat er in sein­er Schulzeit – wie schon sein Vater und sein Groß­vater – von seinen Klassenkam­er­aden gel­ernt. Die fol­gen­den Erk­lärun­gen basieren teils auf seinen Erzäh­lun­gen, teils auf dem Mäc-Buch Mat­teänglisch. Geschichte der Mat­te. Dialekt und Geheim­sprache von Stirnemann.

Mat­teenglisch ent­stand im Bern­er Mat­te­quarti­er und basiert auf dessen Dialekt, dem Mat­te­di­alekt (oder Mat­te-Bern­deutsch) – der vie­len auch schon wie eine Geheim­sprache vorgekom­men sein dürfte, aber nicht mit ihr ver­wech­selt wer­den sollte.

Der Mattedialekt als Soziolekt

Die Mat­te ‘Wiese’ ist ein beson­der­er Stadt­teil Berns: Sie liegt in der Fluß­biegung der Aare direkt am Wass­er – und über 30 Meter unter dem Rest der Stadt. Hier waren früher vor allem Schif­fer und Handw­erk­er ange­siedelt, später dann auch Indus­trie­un­ternehmen und ihre Arbeiter.

Lage der Mat­te in Bern – Quelle: Tschub­by (cc-by-sa, bearbeitet)

In der Mat­te kon­nte sich durch zwei Bedin­gun­gen ein sehr eigen­ständi­ger Dialekt entwick­elt: Weit­er­lesen

FIL SBASANDAINEN GEBUASTAK

Von Kristin Kopf

Ich war zu Ostern bei meinen Eltern und habe sie natür­lich immer heim­lich belauscht und mir badis­che Dialek­t­phänomene aufgeschrieben. Was ich aber auch getan habe: mir meine Bilder­samm­lung aus der Kinder­garten­zeit angeschaut. Weniger wegen der Bilder, als vielmehr wegen der Schrift. Und oh, was ich da für Schätze gefun­den habe! Fol­gen­des Schreiben ist auf ein halbes Jahr vor mein­er Ein­schu­lung datierbar:
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Die ideale Gewährsperson: “Steinalt und völlig ungebildet”

Von Kristin Kopf

So, meine Mag­is­ter­ar­beit ist seit Mon­tag abgegeben und die ersten Fehler hab ich auch schon drin gefun­den. Ich ste­he dem Sch­plock also wieder zur Verfügung!

Ich liebe alte sprach­wis­senschaftliche Texte. So unge­fähr 1850 bis 1910 war eine gold­ene Ära. Hier meine bei­den High­light-Sprach­beispiele aus Ren­ward Brand­stet­ters “Der Gen­i­tiv der Luzern­er Mundart in Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit”:

Veroni­ka wird an ihrem Hus­ten ster­ben = Uf ’s Vroo­nis Wueste(n) mues me Häärd tue.”

Das heißt wörtlich: ‘Auf des Vro­nis Hus­ten muss man Erde (gemeint ist Fried­hof­serde) tun.’

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Ein Nachtrag, welcher den letzten Beitrag präzisiert

Von Anatol Stefanowitsch

In meinem let­zten Beitrag habe ich unter anderem darauf hingewiesen, dass mir bei der Lek­türe des Schweiz­er Bah­n­magazins Via die häu­fige (um nicht zu sagen, durchgängige) Ver­wen­dung des Pronomens welch- (welche, welch­er, welch­es, welchem, welchen) als Rel­a­tivpronomen aus bun­des­deutsch­er Per­spek­tive unge­wohnt vorkommt.

Im bun­desre­pub­likanis­chen Stan­dard-Schrift­deutsch, so meine klare Intu­ition, kommt dieses Pronomen haupt­säch­lich als Inter­rog­a­tivpronomen vor (Beispiel 1); als Rel­a­tivpronomen (Beispiel 2) ist es dage­gen sehr sel­ten: Weit­er­lesen

Schlittelwetter!

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn ich Mon­tag früh nach Bre­men fahre, nehme ich oft einen Zug, der von den Schweiz­erischen Bun­des­bah­nen betrieben wird.

Wenn ich dann das Bor­d­magazin „Via“ auf­schlage, habe ich immer das Gefühl, dass ich durch einen Quan­ten­tun­nel in ein alter­na­tives Uni­ver­sum ger­at­en bin – einem, das dem, aus dem ich komme, sehr ähn­lich ist, das sich aber in sub­tilen Kleinigkeit­en unter­schei­det. Zu einem kleinen Teil liegt das am Inhalt des Mag­a­zins, zum Beispiel an Leser­briefen wie diesem, in dem es um die Frage geht, ob man in der Bahn seine Füße hochle­gen darf: Weit­er­lesen

Twitter in den Zeiten der Lautverschiebung

Von Anatol Stefanowitsch

Im Zuge unser­er Suche nach dem schön­sten Fremd­wort des Jahres 2009 ist eine Frage um die laut­liche Form eines Wortvorschlags, twit­tern, aufge­taucht.

Sprach­blogstammkom­men­ta­tor Gareth, der das Wort nominiert hat, sagt in sein­er Begrün­dung zu seinem Vorschlag: Weit­er­lesen

Es grünt der Storch

Von Kristin Kopf

Bei mein­er ebbis-Recherche bin ich im pfälzis­chen Wörter­buch auf das Wort Eppich gestoßen. Erster Gedanke?
2009-09-22-Eppich

Die Mainz­er Eppich­mauer­gasse kam mir immer ein bißchen komisch vor. Als würde ein T- fehlen … Jet­zt also die Lösung: Es ist eine Pflanze. Welche, das ver­mag das Wörter­buch nicht ganz zu klären:

Eppich1 m.: = Petersilie […]
Eppich2 m.:
1. = Efeu […]
2. = Immergrün […]

Peter­silie? Efeu? Immer­grün? Ver­wirrend! Weit­er­lesen

Ein paar badische Pluräääle …

Von Kristin Kopf

Ich stecke bis zum Hals in Tran­skrip­tio­nen mein­er Dialek­tauf­nah­men – der feste Vor­satz, am 30. Sep­tem­ber damit fer­tig zu sein, ist den Bach hin­unter, aber am 1. Okto­ber muss es doch endlich klap­pen! Daher also auch heute wieder kein richtiger Beitrag, son­dern nur ein paar schöne badis­che Plu­ral­for­men (immer zuerst die Einzahl):


‘Hahn – Hähne’ Guller
Giller
‘Haufen – Haufen’ Huffe
Hiffe
‘Bub – Buben’ Bue
Buewe

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Will sell ebber?

Von Kristin Kopf

Num­mer 2 in der Rei­he “Badis­che Wörter selt­samen Ursprungs”: ebber ‘jemand’.

[Nach­trag: Eben habe ich ein Ver­wen­dungs­beispiel in meinen Auf­nah­men gefun­den – es geht um erhal­tene Bur­gen im Mittelrheintal:

ja, äh, wuh­nd doo na no ebber drin? (ja, äh, wohnt da denn noch jemand drin?)

]

Mal wieder kein erkennbar­er Bezug zum hochdeutschen Wort – aber dafür ähnelt es einem anderen Dialek­t­wort auf­fäl­lig: ebbis ‘etwas’, unbe­tont auch oft ebbs. Bei­de Wörter sind soge­nan­nte “Indefinit­pronomen”, also Pronomen, die nicht näher Bes­timmtes bezeichnen.

2009-09-14-ebbis

Das dialek­tale ebbis ist his­torisch mit dem hochdeutschen etwas verwandt.

Das Grimm­sche Wörter­buch gibt althochdeutsch ëddeshuaʒ und mit­tel­hochdeutsch ët(e)swaʒ an, das schließlich zu unserem heuti­gen etwas wurde. Es ken­nt aber auch die For­men eppas, eppes, die es als von der “Volkssprache” assim­i­liert bezeichnet.

Das deutet darauf hin, dass das Wort nicht nur im Badis­chen auf­taucht – und siehe da: In zahlre­ichen Dialek­twörter­büch­ern find­et es sich, z.B. im Pfälzis­chen (ębəs, ębis, abəs), Rheinis­chen (ębəs, mit der weit­eren Bedeu­tung ‘sehr’), Elsäs­sis­chen (eppis) und Lothringis­chen (èpəs, èbs, èbəs). Im Lothringis­chen Wörter­buch ste­ht als Anmerkung dabei: Kommt in fast allen ober- und mit­teldeutschen Maa. [=Mundarten] vor”. Ost­mit­teldeutsche Wörter­büch­er gibt’s lei­der nicht online, Hin­weise dazu wer­den dankbarst aufgenommen!

2009-09-14-ebber

Jet­zt aber zu ebber! Das Wort ähnelt ebbis nicht umson­st, es geht näm­lich auf eine ähn­liche Grund­lage zurück:

  1. mhd. ëtes-was
  2. mhd. ëtes-wër

Im Mit­tel­hochdeutschen (und auch schon früher) wur­den die Indefinit­pronomen also regelmäßig gebildet, und zwar aus etes und dem entsprechen­den Frage­pronomen (was für Dinge, wer für Men­schen).

Außer­dem kon­nte etes auch vor -lîch (etlich), -(‘irgend­wo’), -war (‘irgend­wohin’), -wenne (‘manch­mal’) und -wie (‘irgend­wie’) ste­hen, immer mit der unbes­timmten Bedeu­tung. Lei­der bin ich grade fern von meinem ety­mol­o­gis­chen Wörter­buch, aber wenn wir wieder glück­lich vere­int sind, werde ich mal nach­schauen, ob für etes zu ein­er früheren Zeit eine konkretere Bedeu­tung belegt ist.

ebber ist also eine Vari­ante von etwer, das es im Neuhochdeutschen nicht mehr gibt. Statt dessen ver­wen­den wir jemand oder irgendw­er.

Wie ebbis ist auch ebber weit­er ver­bre­it­et: Im Pfälzis­chen (ębər, ębɒr), Elsäs­sis­chen (epper) und Lothringis­chen (èbər). Das Elsäs­sis­che ken­nt darüber hin­aus auch noch eppe ‘etwa’ und eppen(e) ‘irgend­wann, von Zeit zu Zeit’ (wahrschein­lich aus mhd. eteswenne).

Von tw zu bb

Wie kon­nte aber et-w… zu eb… wer­den? Die Grimms sprechen von ein­er Assim­i­la­tion, aber hier wird ja nicht t zu w oder w zu t, son­dern es verän­dern sich gle­ich bei­de Laute. Das ist eine soge­nan­nte “reziproke Assim­i­la­tion”, bei der sich die bei­den Laute gegen­seit­ig bee­in­flussen. Das neue [b] bein­hal­tet also Merk­male der bei­den vorheri­gen Laute (grün = Stimmhaftigkeit, blau = Artiku­la­tion­sort, orange = Artiku­la­tion­sart):

  • <t> ist ein stimm­los­er alve­o­lar­er Plo­siv [t]
  • <w>
    • war früher mal ein labi­al­isiert­er stimmhafter velar­er Approx­i­mant (=Hal­b­vokal) [w] – wie heute noch im Englischen –
    • und ist jet­zt ein stimmhafter labio­den­taler Frika­tiv [v]
  • <b> ist ein stimmhafter bil­abi­aler Plo­siv

Nun ist es etwas schwierig zu sagen, was genau wann passiert ist. Ist ebber ent­standen, als wir noch ein [w] hat­ten, oder erst, als es schon ein [v] war? Ich tippe auf ersteres. Dann hätte das [t] seinen Artiku­la­tion­sort ver­lagert, um dem [w] ent­ge­gen­zukom­men. Das [w] ist velar, das heißt der Zun­gen­rück­en ist bei der Bil­dung hin­ten am Gau­men, aber wichtiger ist hier, dass es labi­al­isiert ist. Das bedeutet, dass man bei der Bil­dung bei­de Lip­pen benutzt. Wenn man zur Bil­dung eines Plo­sivs, was das [t] ja ist, die Lip­pen ein­set­zt, dann wird er bil­abi­al und somit ein [b] oder [p]. Wir hät­ten also den Zwis­chen­schritt *ebwas.

In einem zweit­en Schritt hätte dann das [b] auf das [w] eingewirkt und es in sein­er Artiku­la­tion­sart verän­dert: Vom Hal­b­vokal zum Plo­siv. Et voilà, ebbas.1 Übri­gens: Heute schreibt man zwar noch <bb>, aber in Wirk­lichkeit ist es längst auf einen b-Laut zusam­mengeschrumpft. (Den Vor­gang nen­nt man “Degem­i­na­tion”.)

Das [a] wurde später oft abgeschwächt, sodass man dialek­tal meist ebbes hat. Woher das ale­man­nis­che [i] stammt, kann ich lei­der nicht schlüs­sig erk­lären. Das Ale­man­nis­che ist aber sehr i-phil, vielle­icht wurde die abgeschwächte Endung ein­fach als ehe­ma­liges [i] analysiert und dann wieder ver­stärkt. Das ist jet­zt aber reine Spekulation!

Einen ganz ähn­lichen Vor­gang kann man übri­gens zum Lateinis­chen hin beobacht­en: aus indoger­man­is­chem *dw wurde im Lateinis­chen b (z.B. *dwis ‘zweimal’ > bis). Im Deutschen hinge­gen haben wir das ursprüngliche *dw beibehal­ten, es wurde lediglich durch andere Laut­wan­del­prozesse verän­dert (indogerm. *dw > germ. tw (1. Lautver­schiebung) > ahd. zw (2. Lautverschiebung)).

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