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wirzind urlaup

Von Kristin Kopf

pho­tokej hat ein schönes Hin­weiss­child bei einem türkischen Lebens­mit­tel­händler gefun­den, das auch aus Sch­plock-Per­spek­tive span­nend ist:

Foto von Stef­fen Michel (C‑C-Lizenz by-nc-nd)

Der deutsche Text Libe Kun­den wirzind urlaup Danke ver­rät näm­lich einiges über das türkische Schrift­sys­tem und das Türkische generell.

Türkisch wird erst seit 1928 in lateinis­chen Buch­staben geschrieben, davor benutzte man ara­bis­che Schriftze­ichen. Die waren allerd­ings ziem­lich inadäquat, weil man damit nicht alle Laute des Türkischen notieren kon­nte. Seit 1928 benutzt man nun also lateinis­che Buch­staben: <a b c ç d e f g ğ h ı i j k l m n o ö p r s ş t u ü v y z>

wir zind ≠ wir tsind

Wie die Buch­staben im Einzel­nen aus­ge­sprochen wer­den, kön­nt Ihr ganz leicht selb­st her­aus­find­en, nur auf das <z> will ich einge­hen. Wie in sehr vie­len anderen Sprachen auch1, ste­ht das <z> im Türkischen nicht für [ts], son­dern für ein stimmhaftes s.

Im Deutschen gibt es <ß> und <ss> auss­chließlich für das stimm­lose s. Der Buch­stabe <s> kann aber sowohl für die stimm­lose als auch für die stimmhafte Vari­ante ste­hen: in <Ast> ist er stimm­los, in <Sonne> stimmhaft. Bei deutschen Wörtern ist das <s> am Wor­tan­fang immer dann stimmhaft, wenn ein Vokal direkt darauf fol­gt. (See, Sau, sieben, … aber Slalom, Skript, Sniper2)

Die Schrei­bung <zind> für <sind> kommt also daher, dass im Türkischen <z> der Buch­stabe für das stimmhafte s ist.

(Darauf fol­gt natür­lich auch umgekehrt die Erken­nt­nis, dass Namen wie Özdemir nicht Ötzdemir gesprochen wer­den.)

urlaup

Urlaub wird im Deutschen ja tat­säch­lich mit einem p-Laut am Ende gesprochen. Schuld ist die “Aus­lautver­här­tung”, ein Phänomen des Deutschen, das bes­timmte Kon­so­nan­ten am Sil­be­nende stimm­los macht.

Betrof­fen sind

  • die Plo­sive [b], [d], [g]
    • Urlaub wird Urlaup gesprochen (aber: Urlaube)
    • Rad wird Rat gesprochen (aber: der)
    • Splog wird Sch­p­lock gesprochen (aber: Sch­plögge … ähm, okay, lieber Weg wird Week gesprochen, aber: Wege)
  • die Frika­tive [v] (der w-Laut) und [z] (das stimmhafte s)
    • brav wird braf gesprochen (wobei da auch viele Leute immer f sagen, auch bei brave)
    • Los /lo:z/ wird Los gesprochen (aber: Lose [lo:zə])

Die Aus­lautver­här­tung ist ein sehr altes Phänomen, schon im Mit­tel­hochdeutschen gab es sie (<c> = [k]):

… ich sach, deist sicher­lîchen wâr,
eins gebûren sun, der truoc
[trug] ein har,
daz was rei­de unde val;
ob der ahsel hin ze tal
mit lenge ez vol­le­clîchen gienc [ging]. […]

wie Troye wart besezzen,
dô Pârîs der vermezzen
dem künege ûz Kriechen nam sin p,
[Weib]
diu im was liep
[lieb] alsam sîn p [Leib], … (Meier Helm­brecht)

Zwis­chen­zeitlich hat man aber wieder aufge­hört, sie auch zu schreiben. Der Grund nen­nt sich “Mor­phemkon­stanz” was eigentlich nichts anderes heißt, als dass man am Schrift­bild klar erken­nen kön­nen soll, dass <Urlaub> und <Urlaube> For­men ein und des­sel­ben Lex­ems sind.

Aber zurück zur türkischen Trans­ferenz: Die Per­son hat nicht nur urlaup geschrieben, weil sie nach Gehör geschrieben hat. Im Türkischen gibt es näm­lich ein Phänomen, das auch mit stimmhaften und stimm­losen Kon­so­nan­ten zu tun hat:

p, t, k oder ç am Wor­tende wer­den bei vie­len Wörtern stimmhaft, wenn eine Endung ange­fügt wird. Man kön­nte es auch als “Inlauter­we­ichung” bezeichnen:

  • [p], [t], <ç> [tʃ]  wer­den zu [b], [d], <c> [dʒ], also stimmhaft
  • [k] wird zu <ğ> [ɣ], einem stimmhaften Reibelaut (wobei der Buch­stabe auch oft nur dazu dient, eine Vokallän­gung anzuzeigen)

Im Gegen­satz zum Deutschen schreibt man das im Türkischen aber auch verschieden:

  • <kitap> ‘Buch’
  • <kitap>+<ım> → <kitabım> ‘mein Buch’

Der Ver­schrif­tung der deutschen Aus­lautver­här­tung wird also durch die türkische Rechtschrei­bung nachge­holfen – wenn man den Wech­sel von <b> und <p> schon ken­nt, kommt’s einem auch im Deutschen nicht unbe­d­ingt komisch vor.

wirzind urlaup – wo?

Mein let­zter Punkt hat mir Rechtschrei­bung nichts mehr zu tun – es geht um die fehlende Prä­po­si­tion im.

Im Türkischen gibt es keine Prä­po­si­tio­nen. Ihre Funk­tion wird in den meis­ten Fällen von Kasusendun­gen erfüllt, die ans Sub­stan­tiv ange­hängt werden:

  • im Haus braucht im Türkischen einen Loka­tiv, einen Kasus, der den Ort angibt, an dem sich etwas befind­et: evde ‘Haus+LOK’ (auch: ‘zuhause’)
  • aus dem Haus (her­aus) braucht einen Abla­tiv, der anzeigt, dass etwas vom Sub­stan­tiv ent­fer­nt wird: evden ‘Haus+ABL

Ich nehme an, dass auch bei im Urlaub im Türkischen ein Loka­tiv ste­hen müsste (?).

Die bei­den Sys­teme sind also nicht wirk­lich kom­pat­i­bel. Dazu kom­men die Gen­era des Deutschen: Um im Urlaub kor­rekt sagen zu kön­nen, muss man nicht nur die entsprechende Prä­po­si­tion ken­nen, son­dern auch noch wis­sen, dass Urlaub maskulin ist und daher im braucht, nicht in der. (Ganz abge­se­hen von der Kasusflexion …)

Die Prä­po­si­tion wegzu­lassen, ist da wahrschein­lich das ein­fach­ste. Vor allem, wenn man endlich entspan­nt Ferien machen will.

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Inklusive aller Personen – ein bißchen Terminologie

Von Kristin Kopf

Wahrschein­lich weiß jed­er von Euch, dass man bei der Kon­ju­ga­tion eines Verbs die “Per­so­n­en” berück­sichti­gen muss. Da gibt es eine 1. Per­son Sin­gu­lar (ich), eine 2. (du), eine 3. (er/sie/es), und dann gibt’s die alle auch noch ein­mal im Plur­al (1. wir, 2. ihr, 3. sie). Woran liegt es aber, dass es zweimal bis drei geht? Warum sagt man nicht ein­fach 1., 2., 3., 4., 5. und 6. Per­son, und gut ist?

Das Prinzip ist sehr ein­fach, aber in meinem Leben vor der Uni war’s mir nicht wirk­lich klar – vielle­icht ist es also auch für jeman­den von Euch noch erhellend.

Das Konzept der “Per­son” benutzen wir, um das Ver­hält­nis von Sprecherin und “Besproch­en­em” zu beschreiben. Sie kommt im Satz als Per­son­al­pronomen (ich, du, sie) oder Nom­i­nal­gruppe (der müde Mann) vor. Und im Deutschen richt­en sich die Ver­ben nach der Per­son des Sub­jek­ts, daher sind die Per­so­n­en auch für die Kon­ju­ga­tion relevant.

Wenn man sie sich gut anschaut, haben die bei­den 1. Per­so­n­en (Sin­gu­lar und Plur­al) etwas gemein­sam, genau­so die 2. und die 3.

2009-08-16-Personen

Sin­gu­lar

Das sind die drei Per­so­n­en im Singular.

  • 1. Per­son: Die Sprecherin meint sich selb­st – Ich schreibe grade einen Blo­gein­trag.
  • 2. Per­son: Die Sprecherin meint den Hör­er – Du kön­ntest mir auch mal helfen!
  • 3. Per­son: Die Sprecherin meint jemand anders, der nicht am Gespräch beteiligt ist – Er geht mir ja sowas von auf die Nerven!

Im Plur­al ist es ähn­lich – bei der 1. Per­son ist immer die Sprecherin dabei, bei der 2. immer der Hör­er, und bei der 3. irgendwelche anderen Leute, die nicht am Gespräch beteiligt sind:

1. Person Plural

Die Sprecherin meint sich selb­st und diejeni­gen, die zu ihrer Gruppe gehören – Wir gehen nach­her noch was trinken. 

Allerd­ings ist das Deutsche da nicht ganz so präzise wie manch andere Sprache. Es bleibt näm­lich offen, was das genau für Leute sind, die zur Wir-Gruppe gehören. Da gibt es zwei Möglichkeiten:

a) Ich spreche für mich und min­destens eine weit­ere Per­son, meine aber meinen Gesprächspart­ner nicht mit. Das ist die “exk­lu­sive” Bedeu­tung. Das grüne Män­nchen darf nicht mit in die Kneipe kommen:

1. Person Plural (exklusiv)

1. Per­son Plur­al (exk­lu­siv)

b) Mein Gesprächspart­ner ist auch Teil mein­er Gruppe, er ist in das Wir eingeschlossen. Das ist die “inklu­sive” Bedeu­tung. Das grüne Män­nchen kommt auch mit in die Kneipe:

1. Person Plural (inklusiv)

1. Per­son Plur­al (inklu­siv)

Diese Unter­schei­dung muss man im Deutschen durch den Kon­text tre­f­fen, was nicht immer gelingt. Andere Sprachen haben ver­schiedene Pronomen für ein exk­lu­sives und ein inklu­sives Wir. Hier die entsprechen­den Wörter in Motu, ein­er ozeanis­chen Sprache Papua Neuguineas:

  • 1. Per­son Sin­gu­lar: lau ‘ich’
  • 1. Per­son Plur­al inklu­siv: ita ‘ich und du (und evtl. Dritte)’
  • 1. Per­son Plur­al exk­lu­siv: ai ‘ich und Dritte (ätschbätsch, du nicht!)

2. Person Plural

Die Sprecherin meint den Hör­er und die Leute, die zu sein­er Gruppe gehören. Das kann auch wieder auf zwei Arten geschehen, allerd­ings ist der Unter­schied nicht so gravierend:

a) Die Sprecherin spricht nur eine Per­son aus der Gruppe an (z.B. weil die anderen nicht anwe­send sind, oder eine andere Sprache sprechen, oder weil sie unhöflich ist …), es gibt also nur einen Hörer.

b) Die Sprecherin spricht alle Per­so­n­en aus der Gruppe gle­ichzeit­ig an, es gibt also mehrere Hörer.

2. Person Plural

2. Per­son Plural

3. Person Plural

Bei der drit­ten Per­son Plur­al sind Leute gemeint, die nicht am Gespräch beteiligt sind. Im Gegen­satz zum Sin­gu­lar jet­zt eben min­destens zwei.

3. Person Plural

3. Per­son Plural

Hier müssen aber nicht unbe­d­ingt Men­schen (oder Tiere) gemeint sein, die Gemein­ten reden ja eh nicht mit. Es kann also auch um Dinge oder abstrak­te Konzepte gehen.

2009-08-16-sie-dinge

3. Per­son Plural

Die 1. Per­son umfasst also immer die Sprecherin, die 2. immer den Hör­er und die 3. unbeteiligte Per­so­n­en oder Dinge. Im Sin­gu­lar immer nur eine Entität, im Plur­al min­destens zwei. (Und natür­lich ist die Min­destzahl für den Plur­al in Sprachen, die den Dual haben, drei.)

Wortarten (Teil 2): „Namenswörter“

Von Anatol Stefanowitsch

Nach­dem ich den Semes­ter­an­fang und das Ostereierge­suche über­standen habe, hier nun Folge 2 der „Gespräche über Wor­tarten“. Ich freue mich über die inter­es­san­ten Kom­mentare zum ersten Teil und werde die auch auf­greifen, wenn ich mit der Wieder­gabe mein­er Gespräche mit mein­er Tochter fer­tig bin (es fol­gt noch ein drit­ter Teil über „Wiewörter“).

Dieses Gespräch fand gle­ich am Tag nach unser­er Diskus­sion über „Tuwörter“ statt. Weit­er­lesen

Wortarten (Teil 1): „Tuwörter“

Von Anatol Stefanowitsch

Auf dem Schul­weg heute morgen.

Meine Tochter: Papa, wir nehmen jet­zt endlich die Wor­tarten durch.

(Sie hat­te schon ungeduldig darauf gewartet, seit ich ihr irgend­wann ein­mal erk­lärt habe, dass manche Wörter großgeschrieben wer­den, weil sie zu ein­er bes­timmten Wor­tart gehören).

Ich: Na endlich! Und welche Wor­tart habt ihr gestern kennengelernt?

Sie: Tuwörter.

Oh, nein. Lehrer tun also heutzu­tage immer­noch so, als könne man Wor­tarten an ihrer Bedeu­tung erken­nen? Bei uns hießen Ver­ben damals Tätigkeitswörter, aber irgend­wie hat­te ich gehofft, dass sich in den let­zten dreißig Jahren in dieser Hin­sicht etwas getan hätte. Weit­er­lesen