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Bei Familie Kistenpfennig

Von Kristin Kopf

2009-08-Kistenpfennig

Vor zwei Wochen bin ich durch ein Indus­triege­bi­et ger­adelt (roman­isch, was?) und habe dabei die Fir­ma Kistenpfen­nig ent­deckt. (Es scheint ihr da aber auch nicht so gut zu gefall­en, denn im Sep­tem­ber zieht sie um.)

Kistenpfen­nig ist ein­er der schillern­deren Fam­i­li­en­na­men des Deutschen – und zwar ganz beson­ders, wenn man sich anschaut, wo er herkommt. Spon­tan ver­muten wohl die meis­ten Men­schen, dass es etwas mit ein­er Kiste zu tun hat – vielle­icht eine Schatztruhe oder sowas – aber dem ist nicht so.

Was hat Bleibtreu mit Kistenpfennig zu tun?

Kistenpfen­nig ist ein soge­nan­nter “Satz­name”, also ein Name, der ursprünglich ein richtiger Satz war. Satz­na­men sind rel­a­tiv sel­ten, dazu gehören z.B. Diene­gott, Bleib­treu, Nährdich, Lach­nitt ‘lach nicht’, Thu­dichum, Sprin­gins­feld, Kehrein, Flick­en­schild ‘flick den Schild’. Ich habe hier Beispiele aus­gewählt, die heute noch recht gut ver­ständlich sind (übri­gens alle aus Kun­ze, S. 152). Viele dieser Satz­na­men haben aber laut­liche Verän­derun­gen mit­gemacht oder sind dialek­tal geprägt, sodass man heute nicht mehr so klar sehen kann, woher sie kommen.

So ist das auch mit Kistenpfen­nig. Der Name bein­hal­tet das Verb küssen, wörtlich heißt er also ‘küss den Pfen­nig’ (kis ten pfen­nig). Dass ein i- statt eines ü-Lautes benutzt wird, ist dialek­tal gar nicht so sel­ten. Man nen­nt das Phänomen “Entrun­dung”, weil der einzige Unter­schied zwis­chen den bei­den Laut­en darin beste­ht, dass beim ü die Lip­pen gerun­det wer­den, beim i aber nicht. (Ein­fach mal pro­bieren: Wenn Ihr ein i aussprecht und dann langsam die Lip­pen zu einem Kuss­mund formt, wird automa­tisch ein ü draus.)

Es gibt den Namen auch in der gerun­de­ten Vari­ante, näm­lich als Küssenpfenig (in Öster­re­ich). Olschan­sky gibt auch noch Küstenpfen­nig an, aber da finde ich zumin­d­est keine Tele­fon­buchein­träge, muss also sehr sel­ten (oder schon aus­gestor­ben) sein.

Kistenpfen­nigs gibt’s aber auch nicht ger­ade viele. Eine Abfrage mit Geogen, ein­er Kartierungssoft­ware für Fam­i­li­en­na­men, ergibt 37 Tele­fo­nan­schlüsse in Deutschland:

2009-08-Kistenpfennig-absolut

Und wer heißt so?

Wie kam man über­haupt auf die Idee, jeman­den Kistenpfen­nig zu nennen?

Der Name ist ein soge­nan­nter “Über­name”. Über­na­men beschreiben eine charak­ter­is­tis­che Eigen­schaft oder das Ausse­hen der benan­nten Per­son. So kann jemand mit schwarzem Haar Schwarz genan­nt wer­den, jemand von eher unter­durch­schnit­tlich­er Kör­per­größe Klein, eine unan­genehme Per­son wird zum Greulich. Und ein Kistenpfen­nig ist ein Geizhals – ein­er, der jeden Pfen­nig küsst.

Es gibt noch einige weit­ere Satz­na­men mit dieser Bedeu­tung, z.B. Wehrenpfen­nig ‘vertei­di­ge den Pfen­nig’, Zip­penpfen­nig ‘spare den Pfen­nig’ und Wrief­pfen­nig ‘reib Pfennig’.

Es gibt auch noch weit­ere Fam­i­li­en­na­men mit Pfen­nig. Men­schen, die geschickt mit Geld umge­hen kön­nen, heißen Wucherpfen­nig, Win­nepfen­nig. Wer es nicht schafft, sein Geld gewinnbrin­gend einzuset­zen, ist ein Schim­melpfen­nig oder Sulzepfen­nig (von salzen, also ein­pökeln). Und wer ver­schwen­derisch lebt wird Zehrenpfen­nig (von zehren, früher in der Bedeu­tung ‘ver­prassen’) oder Schmeltzpfen­nig genannt.

Wie konnte das passieren?

Fam­i­li­en­na­men gab es nicht immer. Im Früh­mit­te­lal­ter und vorher tru­gen die Men­schen Ruf­na­men (Sigfried, Kriemhilt, …) und, wenn das nicht aus­re­ichte (weil z.B. jemand anders auch so hieß), Beina­men. Gab es also zwei Sigfrieds im Dorf, kon­nte ein­er Klein und der andere Groß genan­nt wer­den, oder nach den Berufen ein­er Müller und der andere Schnei­der, … man war sehr kreativ, es gab auch Benen­nun­gen nach dem Wohnort, dem Herkun­ft­sort oder dem Vater.

Nun spitzte sich allerd­ings die Lage immer weit­er zu, und zwar weil die Städte immer weit­er wuch­sen, also immer mehr Men­schen den sel­ben Ruf­na­men tru­gen, und weil man sich bei der Benen­nung tra­di­tions­be­wusst zeigte: Die Nach­be­nen­nung war in Mode. Kinder wur­den auf den Namen der Eltern, der Pat­en oder der Großel­tern getauft, auch Herrsch­er­na­men waren sehr beliebt. Und Schutzheilige – und mit ihnen die bib­lis­chen Namen. Im Spät­mit­te­lal­ter hießen 23% aller Frauen Mar­gare­ta, 18% Katha­ri­na. Bei den Män­nern hieß fast jed­er dritte Johannes.

Schließlich wur­den die Beina­men “fest”: Sie wur­den auf die Kinder weit­er­vererbt und somit zu Fam­i­li­en­na­men. Sigfrid Klein hieß noch so, weil er klein war, aber sein Sohn Johannes Klein war vielle­icht der größte Junge der Straße – trug aber trotz­dem den Namen des Vaters. Man geht davon aus, dass dieser Prozess im 12. Jahrhun­dert in Süd­deutsch­land begann und nach und nach das ganze deutsche Sprachge­bi­et erfasste. Als Gründe dafür sieht man neben Bevölkerungswach­s­tum und Nach­be­nen­nung die Sicherung von Erbansprüchen und die zunehmende Bürokratie (Steuerlis­ten, Urkunden, …).

Und so ste­hen heute die armen Kistenpfen­nigs mit ihrem Namen da, obwohl sie wom­öglich sehr großzügig sind. Also vielle­icht ein Segen, dass man die Herkun­ft des Namens nicht mehr direkt erkennt …

Wo spricht man Platt? Und wo das beste Hochdeutsch?

Von Kristin Kopf

Ernst Wil­helm hat in seinem Blog gefragt, wie der Zwiebelfisch drauf kommt, dass man südlich von Han­nover kein Platt mehr spreche. Ich nehme an, der Zwiebelfisch hat um des drama­tis­chen Effek­ts Willen unter­trieben – denn natür­lich spricht man auch südlich von Han­nover noch Platt. Je nach Def­i­n­i­tion auch noch viel weit­er südlich.

Die Beze­ich­nung Platt wird näm­lich für zwei Dinge ver­wen­det, die sich teil­weise über­lagern: Zum einen ist es ein Syn­onym für die wis­senschaftliche Beze­ich­nung Niederdeutsch. Damit wer­den alle Mundarten beze­ich­net, die von der Zweit­en Lautver­schiebung nicht erfasst wur­den, wo man also noch Pund, Appel, dat und mak­en statt Pfund, Apfel, das und machen sagt. In Han­nover und Umge­bung heißt die niederdeutsche Mundart Ost­fälisch. Im Süden reicht sie bis Göt­tin­gen und noch ein Stückchen weit­er. Das sieht man pri­ma auf diesem Auss­chnitt ein­er Wikipedi­akarte – das Ost­fälis­che trägt die Num­mer 7:

2009-07-16-Niederdeutsch

Rheinisches Platt – ein Oxymoron?

Hinzu kommt aber noch eine zweite Ver­wen­dung von Platt, bei der sich die SprecherIn­nen her­zlich wenig darum scheren, ob sie im niederdeutschen Gebi­et leben oder nicht, näm­lich als Syn­onym für Dialekt. Diesen Gebrauch find­et man vor allem im west­mit­teldeutschen Sprachraum, also zwis­chen Ger­m­er­sheim und Düs­sel­dorf. Eine Befra­gung des Atlas’ der deutschen All­t­agssprache zeigt das ein­drück­lich – hier der Link zur Karte, alle blauen Punk­te beze­ich­nen SprecherIn­nen, die von ihrem Dialekt als Platt sprechen. (Soweit ich das ver­standen habe, kann ein Ort­spunkt aus nur ein­er Per­son beste­hen, aber auch aus mehreren, je nach dem, wie viele geant­wortet haben. Also ist es eher als Impres­sion zu werten, ähn­lich wie bei König.)

Ist Platt platt?

Das Wort Platt kommt wohl aus dem Nieder­ländis­chen, das es wiederum aus dem Franzö­sis­chen entlehnt hat. Im Nieder­ländis­chen tauchte es erst­mals in einem Druck des Neuen Tes­ta­ments aus Delft aus – im Titel und Vor­wort kommt die Wen­dung in goede plat­ten duytsche vor (Sanders 1982:26). plat bedeutet dabei ‘klar, deut­lich, allen ver­ständlich’ und nahm nach und nach die Bedeu­tung ‘allen ver­ständliche Sprache’ (im Gegen­satz zum Lateinis­chen) an. Das Wort schaffte es auch in den niederdeutschen Sprachraum, und von dort aus wahrschein­lich ins West­mit­teldeutsche – allerd­ings nicht bevor es eine Bedeu­tungsver­schlechterung zu ‘niedrige, derbe Sprech­weise’ mit­gemacht hat­te. Ab dem 18. Jahrhun­dert war es in Nord­deutsch­land gebräuch­lich. Sowohl Sanders (1982) als auch Stell­mach­er (1990) weisen darauf hin, dass die neg­a­tive Bedeu­tung noch heute mitschwinge. Mir selb­st kam das allerd­ings nie so vor, eher im Gegenteil.

Die Erk­lärung, dass Platt vom plat­ten Land komme, auf dem es gesprochen wird, find­et sich übri­gens in älteren Wörter­büch­ern (z.B. bei Campe 1809), scheint aber mit­tler­weile wider­legt zu sein.

Platt- und Hochdeutsch

Ernst Wil­helm schreibt auch:

Eck frage mek ohne­dem worumme die Luie glöwet dat heier in use Gegend dat beste Hochdütsch esproket ward. [Meine Über­set­zung: Ich frage mich sowieso, warum die Leute glauben, dass hier in unser­er Gegend das beste Hochdeutsch gesprochen wird.]

Das frage ich mich allerd­ings auch.

Bis Anfang des 17. Jahrhun­derts war Niederdeutsch (genauer die ältere Sprach­stufe Mit­tel­niederdeutsch) sowohl die gesproch­ene als auch die geschriebene Sprache in Nord­deutsch­land. Dass ihre Ver­schrif­tung endete und sie fast nur noch in den nieder­eren Gesellschaftss­chicht­en gesprochen wurde, hat mehrere Gründe (nach König 2005):

  • den großen Ein­fluss der hochdeutschen Dichter­sprache in mit­tel­hochdeutsch­er Zeit (1050–1350).
  • den Nieder­gang der Hanse im 15. Jahrhun­dert (das Mit­tel­niederdeutsche wurde auch als Hans­esprache beze­ich­net) und den gle­ichzeit­i­gen wirtschaftlichen Auf­stieg oberdeutsch­er Städte (Augs­burg, Nürnberg).
  • wichtige poli­tis­che und juris­tis­che Insti­tu­tio­nen, die im Süden ange­siedelt sind (Kaiser, Reichskammergericht).
  • die zunehmende kul­turelle Bedeu­tung des Südens.

Das “beste” Hochdeutsch im niederdeutschen Gebiet?

Als Hoch- und Schrift­sprache set­zte sich also das Hochdeutsche durch. Nun gab es zu Beginn des 19. Jahrhun­derts bere­its eine sehr ein­heitliche hochdeutsche Schrift­sprache (wie die ent­stand, erzäh­le ich ein ander­mal) – aber die Aussprache war ein ganz anderes Paar Schuhe, je nach Region kon­nte das schriftlich so ein­heitliche Deutsch sehr, sehr ver­schieden klin­gen. Die niederdeutschen Dialek­te sind in der Aussprache von den hochdeutschen Dialek­ten ziem­lich weit ent­fer­nt, wesentlich weit­er als vom Nieder­ländis­chen z.B. Für Nord­deutsche war das Hochdeutsche wie eine Fremd­sprache, es musste ganz neu gel­ernt wer­den. Wie man es schrieb war klar, wie aber sollte es aus­ge­sprochen wer­den? Das Zauber­wort heißt “Schreiblau­tung”, also buch­stabenge­treue Aussprache des Geschriebenen.

Im Süden war es leicht, das Geschriebene entsprechend der lokalen Dialek­te auszus­prechen – Dialekt und Schrift­sprache waren ja doch recht eng miteinan­der ver­wandt. So gab (und gibt) es in vie­len süd­deutschen Dialek­ten kein ö, son­dern an den entsprechen­den Stellen ein e. Es heißt also heren statt hören, Wert­er statt Wörter. Immer ein e zu lesen, wo ein <ö> stand, war für die Men­schen über­haupt kein Prob­lem. (Wir sprechen hier natür­lich nur von Men­schen, die lesen kon­nten. Men­schen, die nicht zu dieser Schicht gehörten, sprachen auss­chließlich ihren Dialekt, ohne Ver­such, sich dem nur geschriebe­nen Stan­dard anzupassen.)

Im niederdeutschen Sprachge­bi­et gab es die Möglichkeit ein­er mod­i­fizierten Aussprache nicht. Die Laute des Niederdeutschen waren ein­fach zu ver­schieden von denen des Hochdeutschen. Im Sprechen hätte man bei jedem Wort qua­si die Auswirkun­gen der Zweit­en Lautver­schiebung und ander­er Laut­wan­del­prozesse des Hochdeutschen rück­gängig machen müssen, und das geht ein­fach nicht. Entsprechend sprachen die Men­schen im niederdeutschen Gebi­et die hochdeutsche Schrei­bung aus, wie sie das­tand. So gelangte man schließlich zur Auf­fas­sung, die Nord­deutschen sprächen das beste Hochdeutsch.

Durch lange sorgfältige Pflege hat sich auf der Bühne eine besonders reine Aussprache des Deutschen herausgebildet”

Es gab aber auch noch einen zweit­en Ort, an dem man sich sehr um eine ein­heitliche Lau­tung bemühte: Die The­ater­bühne. Schon Goethe forderte eine ein­heitliche Büh­ne­naussprache ein, und 1898 wurde sie schließlich auf ein­er Kon­ferenz von Mit­gliedern des deutschen Büh­nen­vere­ins und Vertretern der Ger­man­is­tik in Berlin fest­gelegt. Nachzule­sen ist sie in Theodor Siebs’ “Deutsche Büh­ne­naussprache”. Es han­delt sich dabei aber aus­drück­lich nicht um eine Schreiblau­tung, Siebs – übri­gens ein Nord­deutsch­er – schreibt:

[D]ie Schrei­bung kann niemals Maßstab für die Aussprache sein. Die Schrift ist gegenüber der Aussprache stets etwas Sekundäres.

Das merkt man z.B. bei Wörtern mit <st> oder <sp> am Anfang: Würde man sie nach der Schrei­bung aussprechen, müsste es S‑tein oder S‑piel heißen. Siebs forderte aber, wie es auch der tat­säch­lichen Aussprache entsprach, den sch-Laut:

[D]ie nord­west­deutsche Aussprache sp, st ist als mundartliche Eige­nart auf der Bühne dur­chaus zu vermeiden.

Bis zur Entste­hung des Aussprachedu­dens (BRD, 1962) bzw. des “Wörter­buchs der deutschen Aussprache” (DDR, 1964) war die Büh­ne­naussprache maßgebend,  sie galt als kor­rekt. Für kor­rek­te Aussprache gibt es übri­gens auch einen Fach­be­griff: Orthoepie (also wie Orthografie, nur gesprochen). Obwohl die Büh­ne­naussprache von der nord­deutschen Schreiblau­tung bes­timmt bee­in­flusst wurde, ist sie nicht mit ihr gle­ichzuset­zen. Es ist also reine Def­i­n­i­tion­ssache, wo das “beste” Hochdeutsch gesprochen wird. Wenn man die Güte aber daran misst, wie sehr die Aussprache als kod­i­fiziert­er Stan­dard gilt, dann hat Han­nover nicht mehr so viel zu melden.

Heutige Aussprachewörter­büch­er lassen sehr viele Vari­at­en zu und berück­sichti­gen das gesproch­ene Deutsch zu einen größeren Maße. Sie ori­en­tieren sich auch nicht mehr an Schaus­pielerIn­nen, son­dern z.B. an Nachricht­en­sprecherIn­nen, also Men­schen, die ein möglichst bre­ites Pub­likum möglichst neu­tral informieren wollen.

[Beim Googlen bin ich auch noch auf einen inter­es­san­ten Artikel zum The­ma gestoßen: Han­nover für Sprach­be­gabte]

Willkommen in Raiputsihi!

Von Kristin Kopf

Kür­zlich kam hier jemand her auf der Suche nach einer

deutschlandkarte auf japanisch

Ja, wie kann man so etwas find­en? Wahrschein­lich wird ja nicht “Deutsch­land­karte” dabeis­te­hen, wenn’s auf Japanisch ist. Ich hat­te mehrere semi­b­ril­lante Ideen, die schiefge­gan­gen sind: In der japanis­chen Wikipedia hat der Ein­trag für Deutsch­land nur eine deutsche Karte, bei GoogleMaps-Japan sind die Orte in Orig­i­nal­sprache beze­ich­net. Dann also doch das Offen­sichtlich­ste: Bilder­suche bei Google mit dem Such­wort ドイツ (doit­su ‘Deutsch(land)’). Gle­ich auf der ersten Seite gibt es drei Karten: eine zweis­prachige, und zwei rein japanis­che. Ver­fein­ert man die Suche noch mit den Schriftze­ichen für Land­karte, 地図, find­et man u.a. noch eine etwas detail­liert­ere zweis­prachige Karte.

All diese Karten sind in Katakana beschriftet, also der Schrift für Fremd­wörter. Dabei ver­sucht man, den deutschen Klang so gut wie möglich mit den japanis­chen Laut­en und vor allem der japanis­chen Phono­tak­tik wiederzugeben.

Phono­tak­tik beze­ich­net die in ein­er Sprache möglichen Lautkom­bi­na­tio­nen. Beson­ders was die Kon­so­nan­ten anbe­t­rifft, gibt es da zwis­chen ver­schiede­nen Sprachen große Unter­schiede. Im Deutschen kön­nen Sil­ben mit mehreren aufeinan­der­fol­gen­den Kon­so­nan­ten begin­nen oder enden, wie ʃt-, ʃpr-, ʃl-, kr-, … (stehen, sprechen, schlafen, kriechen) oder -nf, -rm, -ln, -rbst … (Hanf, Arm, stre­icheln, Herbst). Solche Kom­bi­na­tio­nen heißen auch “Kon­so­nan­ten­clus­ter”. Im Japanis­chen gibt es das qua­si nicht. Am Anfang ein­er Silbe kön­nen max­i­mal zwei Kon­so­nan­ten ste­hen, aber auch nur ganz bes­timmte, und am Ende nur einer.

  • Sil­be­nan­fang: max­i­mal ein Kon­so­nant+j (geschrieben als <y>) wie in hap-pya‑ku ‘800’, gya‑ku ‘Gegen­teil’
  • Sil­be­nende: nur ein Kon­so­nant wie in jin ‘Men­sch’, hap-pya-ku ‘800’ – und wenn der Kon­so­nant nicht n ist, dann geht es auch nur als Teil eines Dop­pelkon­so­nan­ten, d.h. die näch­ste Silbe muss mit dem­sel­ben Kon­so­nan­ten anfangen.

Wenn man mit solchen Sil­ben nun deutsche Wörter erfassen will, wird’s schwierig. Was ist mit ein­er Stadt wie Stuttgart? Die Lösung ist ein­fach: Man schiebt ein paar Vokale zwis­chen die stör­rischen Kononan­ten­clus­ter: shu-tut-to-ga-ru-to (シュトゥットガルト). Schwup­ps, entspricht das Wort den phono­tak­tis­chen Regeln des Japanis­chen. Die Vokale zwis­chen stimm­losen Kon­so­nan­ten wer­den übri­gens fast gar nicht aus­ge­sprochen (bzw. sie wer­den stimm­los, aber dazu ein ander­mal), so dass der Wor­tan­fang für deutsche Ohren wie scht- klingt. Den Effekt kann man bei diesem Wort, shukudai ‘Hausauf­gaben’, hören – es klingt wie shku­dai.

Und für alle, die gerne rätseln …

  • ライプツィヒ raiput­si­hi
  • ガルミッシュ=パルテンキルヒェン garumisshu-parutenkiruhen
  • ボットロプ bot­toropu
  • ハノーファー hanoofaa
  • フリードリヒスハーフェン furi­idori­hisuhaafen
  • ベルリン berurin
  • シュヴェリーン shuveriin

Die Lösun­gen:

Weit­er­lesen

[Werkzeug] TIPA vs. X‑SAMPA

Von Kristin Kopf

Für meine Mag­is­ter­ar­beit habe ich Sprachauf­nah­men gemacht, die ich jet­zt irgend­wie in Schrift­form brin­gen muss. Da es sich um badis­chen Dialekt han­delt, kann ich nicht ein­fach das deutsche Schrift­sys­tem nehmen – ger­ade bei den Vokalen gibt es da näm­lich Laute, die man so im Stan­dard­deutschen nicht kennt.

Hier ein willkür­lich aus­gewählter Satz (es geht um die Wörter Mod­er­a­torin­nen oder Ansagerin­nen, die der Sprecherin nicht einfallen):

Badisch: … die, wo ram Fernseh so ebbis erk­läre nodde reb­bis, ebbis …

Hochdeutsch: … die, die im Fernsehn so etwas erk­lären oder etwas, etwas …

Wer den Dialekt nicht spricht, kann ihn so auch nicht richtig vor­lesen. <ie> zum Beispiel ist kein langes i, son­dern wirk­lich ein Diph­thong, i‑e. Es gibt aber natür­lich auch lange i-Laute. Wenn <ie> für den Diph­thong reserviert ist, was macht man mit ihnen? Vielle­icht <ih>? Und schon steckt man mit­ten­drin in lauter Behelf­skon­struk­tio­nen, die das Sys­tem immer weit­er von dem ent­fer­nen, was man eigentlich wollte: ein­er für Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen leicht les­baren Umschrift.

Die offen­sichtlich­ste Lösung ist IPA, das phonetis­che Alpha­bet. Dage­gen sprechen allerd­ings mehrere Dinge. Zum Ersten, dass das Pro­gramm, das ich für meine Daten­bank benutze, keine Son­derze­ichen zulässt. IPA-Sym­bole befind­en sich aber bei nor­malen Schrift­sätzen unter den Son­derze­ichen. (Und bei Tricks, durch die nor­male Tas­tatur­tas­ten mit IPA belegt wer­den kön­nen, muss ich dauernd die Tas­tatur umschal­ten, weil ich auch Nicht-IPA-Zeichen brauche. Auch schlecht.) Außer­dem dauert es ewig, die entsprechen­den Zeichen aus der Son­derze­ichentabelle her­auszusuchen und einzufügen.

Zum Zweit­en benutze ich zum Schreiben der Mag­is­ter­ar­beit ein Textsatzpro­gramm, das diese Son­derze­ichen gar nicht lesen kön­nte: LaTeX. Die erste Alter­na­tive, die mir ein­fiel, lautete dementsprechend auch TIPA, das IPA-Paket für LaTeX. Es kann IPA-Zeichen ziem­lich prob­lem­los mit den nor­malen Zeichen der Tas­tatur darstellen. Jedes IPA-Zeichen hat seinen eige­nen Befehl, und wenn man den ein­tippt, ste­ht nach­her im fer­ti­gen Doku­ment das IPA-Symbol.

Der Befehl wird ein­geleit­et mit tex­ti­pa{ – das Back­slash sig­nal­isiert, dass ein Befehl fol­gt, tex­ti­pa teilt mit, dass alle Zeichen jet­zt in IPA “über­set­zt” wer­den sollen, und { und das am Ende des IPA-Textes fol­gende } begren­zen den betrof­fe­nen Bere­ich. Danach kann man wieder ganz nor­mal weiterschreiben.

Inner­halb der tex­ti­pa-Umge­bung wird später jed­er getippte Buch­stabe in ein bes­timmtes IPA-Zeichen umge­wan­delt. Hier ist der Satzfet­zen von oben in TIPA:

[tex­ti­pa{dI@ vo Kam fEKn.se: so Pe.bIs PEK.klE:.K@.nO.d@.Ke.bIs Pe.bIs}]

Und das kommt am Ende raus:

2009-07-02-TIPAklein

Ihr seht auch gle­ich schon den Nachteil: Für viele der Zeichen muss man einen ziem­lich willkür­lichen Buch­staben ler­nen (z.B. K für das umge­drehte R, P für den Glot­tisver­schlus­slaut). Es reicht also nicht aus, IPA zu kön­nen, nein, man muss auch noch die TIPA-Zeichen ler­nen. Oder jedes Mal nach­schla­gen, was es auch nicht bringt. Außer­dem kön­nen so nur Leute, die die TIPA-Zeichen ken­nen, meine Umschrift in der Daten­bank lesen. Uuu­und: Es gibt zwei Meth­o­d­en, IPA-Befehle mit TIPA zu erzeu­gen. Die zweite ist mein­er Erfahrung nach zuver­läs­siger, weil sie sich weniger mit anderen Paketen beißt. Man muss sie nicht mit tex­ti­pa ein­leit­en, son­dern schreibt die Befehle direkt in den nor­malen Text. Und in ihr würde es heißen:

dtextsci­textschwa{} vo textinvscr{}am ftextepsilontextinvscr{}n.setextlengthmark{} so textglotstop{}e.btextsci{}s textglotstoptextepsilontextinvscr{}.kltextepsilontextlengthmark{}.textinvscrtextschwa{}.ntextopeno{}.dtextschwa{}.textinvscr{}e.btextsci{}s textglotstop{}e.btextsci{}s

Ver­rückt, was?

Ich habe mich deshalb für eine andere Tran­skrip­tion entsch­ieden, die zwar nicht alle Prob­leme löst, aber mir liegt sie am besten: X‑SAMPA. Das ist eben­falls ein Nota­tion­ssys­tem, das IPA mit den nor­malen Schriftze­ichen auf der Tas­tatur darstellt – allerd­ings mein­er Mei­n­ung nach etwas natür­lich­er als TIPA. Im Gegen­satz zu TIPA ist es näm­lich dazu gedacht, den Text so zu belassen, er wird nicht mehr in die richti­gen IPA-Zeichen umge­wan­delt. Der obige Text würde in X‑SAMPA lauten:

[dI@ vo Ram fERn.se: so ?e.bIs ?ER.klE:.R@.nO.d@.Re.bIs ?e.bIs]

Sehr viele Zeichen wer­den genau­so wie in TIPA ver­schriftet, z.B. das punk­t­lose i als I, das Schwa als @, … aber ger­ade die Zeichen, die bei TIPA so willkür­lich erscheinen, sind bei X‑SAMPA wesentlich logis­ch­er. Falls mal jemand anders mit der Daten­bank arbeit­en will, kann die Per­son sich so viel schneller ein­denken, falls sie nicht eh schon X‑SAMPA kann.

Wenn ich die Mate­ri­alien aus der Daten­bank in der Mag­is­ter­ar­beit ver­wende, muss ich sie natür­lich in TIPA umwan­deln. Aber dazu hat glück­licher­weise jemand ein Skript geschrieben, das bei mir bish­er auch anstand­s­los funktioniert.

Und jet­zt begebe ich mich zurück zu meinen Tonauf­nah­men – heute Vor­mit­tag habe ich schon 6:33 Minuten geschafft!

Geschichten vom Ferd

Von Kristin Kopf

Lietu­vis hat in einem Kom­men­tar zum Pfin­g­sten-Beitrag fol­gende Bemerkung gemacht:

Im Nord­deutschen ist anlau­t­en­des /pf/ auch zu /f/ gewor­den, ich kenne nie­man­den, der einen Unter­schied zwis­chen “Pfund” und “Fund” macht (bei­des /fund/), oder zwis­chen “Pferd” und “fährt” […]”

In dem Beitrag ging’s darum, dass west­ger­man­is­ches /p/ im Althochdeutschen zu /pf/ wurde. Allerd­ings haupt­säch­lich im Süden des Sprachge­bi­ets. In Mit­teldeutsch­land kon­nte sich in eini­gen Posi­tio­nen das /p/ hal­ten und im niederdeutschen Gebi­et sind dialek­tal über­haupt keine /pf/s zu find­en. (Wenn das zu ver­wirrend klingt: Im ange­sproch­enen Beitrag ist es noch ein­mal aus­führlich erklärt.)

Pferd oder Ferd? Oder Pony?

Pferd oder Ferd? Oder Pony?

Ich kenne das Ferd-Fänomen auch, habe allerd­ings noch nie darüber nachgedacht, wo und wie es ent­standen ist. Glück­lich- und zufäl­liger­weise kon­nte ich kür­zlich nach Monat­en der Suche der “Deutschen Mundartkunde” von Schir­mun­s­ki (1962) hab­haft wer­den und habe gle­ich mal nachgeblättert …

Wo? Das Ferbreitungsgebiet

Im ost­mit­teldeutschen Gebi­et (“hin­ter Kas­sel”) sagt man dialek­tal im Anlaut (und nur! im Anlaut) f-, wo man im Hochdeutschen pf- sagt. Nach Süden stellt die Lin­ie Meinin­gen – Rudol­stadt – Greiz – Zwick­au – Chem­nitz – Freiberg – Dres­den die Gren­ze zum pf-Gebi­et dar. Word­Press will nicht, dass ich hier eine Karte ein­füge, aber ich habe sie natür­lich trotz­dem gebastelt: Guckt hier! (Die Lin­ie im Osten ist die pf-vs.-f-Lin­ie, die im West­en die pf-vs.-p-Lin­ie, wobei ich bei let­zter­er keine beson­ders belast­baren Dat­en in Form von Ort­sna­men hat­te, das werde ich mod­i­fizieren, sobald ich wieder bei meinen Büch­ern bin.)

Aber auch im niederdeutschen Sprachge­bi­et, also ganz im Nor­den, kommt f- vor. Über den Orts­di­alekt von Stolzen­hain, also im Gren­zge­bi­et zwis­chen Ost­mit­teldeutsch und Niederdeutsch, schreibt (Schir­mun­s­ki 1962:291):

Das anlau­t­ende pf- wird in ein­er Rei­he von Wörtern, wie gewöhn­lich bei Ein­wirkung der hochdeutschen Norm auf eine niederdeutsche mundartliche Grund­lage (im gegebe­nen Fall aber vielle­icht auch unter unmit­tel­barem Ein­fluß der ost­mit­teldeutschen Aussprache), durch f- erset­zt, z.B. fen ‘pfeifen’ (neben dem alten pipen), fen­nik ‘Pfen­nig’, fund ‘Pfund’, féršike ‘Pfir­siche’, aber pef­fer.”

Das Phänomen scheint also beim Vari­etäten- bzw. Sprachkon­takt mit pf- vs. p- als Kom­pro­miss aufzutreten.

Lei­der habe ich keine aktuelle Karte gefun­den, die anzeigt, wie ver­bre­it­et das Phänomen im West­en ist – also ob es in der heuti­gen Umgangssprache bere­its im west­mit­teldeutschen Gebi­et ein­set­zt, oder erst weit­er nördlich, im niederdeutschen Gebi­et. Ich hoffe drauf, bei König im “Atlas zur Aussprache des Schrift­deutschen in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land” was zu find­en, da werde ich rein­schauen, wenn ich das näch­ste Mal an der Uni bin.

Wie? Die Entstehung

Das ost­mit­teldeutsche Gebi­et war ursprünglich slaw­is­ches Sprachge­bi­et und wurde erst später von Sprech­ern deutsch­er Dialek­te besiedelt. Die kamen aus zwei Gegen­den: ein­mal aus Hes­sen (→ Thürin­gen → Sach­sen → Schle­sien) und ein­mal aus dem oberdeutschen Sprachge­bi­et (→ Main­tal → Vogt­land → Kur­fürsten­tum Meißen). Schir­mun­s­ki beze­ich­net das anlau­t­ende f- in diesem Gebi­et als “Merk­mal der Sied­lungsmis­chung”, also als Resul­tat aus der Ver­mis­chung der ver­schiede­nen Dialek­te. Ein Laut, den es so nicht gab, wurde durch einen ähn­lichen erset­zt. Her­aus­ge­fun­den hat das Herr Wrede, und Schir­mun­s­ki (1962:273) schreibt dazu:

[…] die den nördlichen deutschen Mundarten und damit einem Teil der Siedler fremde Affrikate pf- wurde durch den Reibelaut f- erset­zt, der in ihrem Laut­sys­tem jen­er am näch­sten stand. [Das] wird dadurch bestätigt, daß über­all auf dem Gebi­et der heuti­gen nieder- und mit­teldeutschen Mundarten, wo das mundartliche p- ver­drängt wird, sich in ursprünglich­er unvoll­ständi­ger Über­nahme der hochdeutschen lit­er­arischen Norm f- statt pf- aus­bre­it­et.”

Im niederdeutschen Gebi­et kön­nte am Gren­zge­bi­et zum Mit­teldeutschen die ost­mit­teldeutsche Aussprache an der Durch­set­zung des f- mit­gewirkt haben. Unab­hängig davon hat sich aber wahrschein­lich ein­fach der­selbe Prozess wie im Ost­mit­teldeutschen erneut vol­l­zo­gen, es wurde ein Kom­pro­miss zwis­chen dem Niederdeutschen und dem sich aus­bre­i­t­en­den Hochdeutschen geschlossen.

Heames trinkt Dajeeling

Von Kristin Kopf

2009-06-02-DababerAls der Empfänger des Amer­zon-Paketes und ich am Son­ntag Tee tranken, kon­nten wir noch nicht ahnen, was das Leben auf der Rech­nung für uns bere­i­thielt: Das Gegen­stück zum Hermes-Boten.

Wie bere­its erk­lärt, wird das /r/ im Deutschen oft fast wie ein [a] aus­ge­sprochen. Wenn vor dem /r/ aber bere­its ein [a] ste­ht, ver­schmilzt es qua­si mit ihm1:

(1) Rhabarber → Rhababer

Das nicht mehr hör­bare r wurde in diesem Fall entsprechend auch nicht geschrieben.

Ähn­lich, aber nicht ganz iden­tisch, ver­hält es sich mit

(2) Darjeel­ing → Dajeel­ing

Hier kön­nte wieder das deutsche Phänomen ver­ant­wortlich sein, es kann aber auch sein, dass wir die r-lose Aussprache schon mit dem Wort zusam­men entlehnt haben.

Der Name der Teesorte kommt von der gle­ich­nami­gen Region und Stadt in Indi­en (auf Deutsch <Dar­jil­ing> geschrieben). Die spricht man auch im Orig­i­nal, d.h. im Nepali, mit einem r-Laut aus: Bei Wikipedia hören. Auch ein amerikanis­chen Wörter­buch wie Mer­ri­am-Web­ster hat ein­deutig ein r dort.

Wir haben das Wort aber höchst­wahrschein­lich von den Briten über­nom­men – fragt sich also, wie es in Eng­land aus­ge­sprochen wurde und wird. Aha: ohne r (hier bei Youtube, 0:44).

Dafür gibt es einen ein­fachen Grund: “rho­tis­che” und “nicht-rho­tis­che” Vari­etäten. (Die Beze­ich­nung stammt vom griechis­chen Buch­staben Rho <ρ>, der unserem <r> entspricht.)

In rho­tis­chen Vari­etäten des Englis­chen wird das <r> immer aus­ge­sprochen, in nicht-rho­tis­chen Vari­etäten hinge­gen nur manch­mal. Und zwar immer dann, wenn es vor einem Vokal ste­ht, der zur sel­ben Silbe gehört: In rich wird es gesprochen (weil ein Vokal, das i, fol­gt), in guard aber nicht (weil ein Kon­so­nant, das d, fol­gt).

Dar­jeel­ing beste­ht nun aus drei Sil­ben: Dar|jee|ling. Das r ste­ht also am Sil­be­nende, nicht vor einem Vokal. Dementsprechend wird es in nicht-rho­tis­chen Vari­etäten des Englis­chen nicht aus­ge­sprochen. Und wie sind die jet­zt verteilt?

(Quelle: Wikipedia)

Es gibt zwar Gegen­den in den USA, wo man das /r/ nicht real­isiert (hier rot) … (Quelle: Wikipedia)

(Quelle: Wikipedia)

… und welche in Eng­land, wo man es real­isiert … (Quelle: Wikipedia)

… aber die Faus­tregel lautet: Im Stan­dard Amer­i­can Eng­lish über­all r, in der Received Pro­noun­ci­a­tion (dem Stan­dard­bri­tisch) nicht, genau­sowenig im aus­tralis­chen Englisch.

Man spricht davon, dass das r in Eng­land “ver­loreng­ing”. Die Amerikan­er hat­ten qua­si Glück, sie sind vor dem r-Ver­lust aus­ge­wan­dert und haben es entsprechend behal­ten. Die Sprech­er der US-Regio­nen ohne r haben es wahrschein­lich aus Pres­tige­grün­den abgelegt.

Viele Aus­tralier in spe hinge­gen kon­nten kein r mehr exportieren – sie stammten in erster Lin­ie aus Lon­don und Umge­bung, wo der Dialekt schon nicht mehr rho­tisch war. Durch die enge Bindung Aus­traliens an Großbri­tan­nien wurde die britis­che Aussprache als Norm ange­se­hen, wodurch das r natür­lich erst recht nicht mehr Fuß fassen konnte.

Alles klar?

Was ist jet­zt also mit dem Tee? Egal ob wir ihn britisch oder deutsch aussprechen, es wird ein Dajeel­ing draus und der Schreibfehler liegt auf der Hand. Nur die amerikanis­che Aussprache kön­nte sich­er davor schützen – ob sie einen Stil­bruch darstellt, soll aber lieber jemand anders entscheiden.

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Von Pentekoste zu Pfingsten: Die 2. Lautverschiebung schlägt zu

Von Kristin Kopf

Ah, endlich wieder ein kirch­lich­er Feiertag, der der Erläuterung bedarf. Fro­he Pfingsten!

Das Wort kommt von griechisch pen­tēkostē ‘fün­fzig­ster (Tag nach Ostern)’. Im Althochdeutschen gibt es keine belegten For­men davon, son­dern nur die Form fim­fchusti. Bei ihr wurde der erste Bestandteil der griechis­chen Zahl, das pent-, ein­fach über­set­zt: fimf ‘fünf’. Es muss aber auch das entlehnte Wort schon gegeben haben, denn im Mit­tel­hochdeutschen stoßen wir auf pfin­geste(n), einen Nach­fol­ger des griechis­chen Wortes ohne über­set­zte Teile.

Warum kann das Wort nicht zweimal entlehnt wor­den sein? Ein­mal, mit der hal­ben Über­set­zung, im Althochdeutschen, und dann noch ein­mal unüber­set­zt im Mit­tel­hochdeutschen? Dafür gib es einen guten Grund: die “Zweite Lautverschiebung”.

Die “Zweite Lautverschiebung” schlägt zu

Die “Zweite Lautver­schiebung” ist ein Prozess, infolgedessen bes­timmte Laute sich in andere Laute ver­wan­del­ten. An seinem Ende ste­ht der Beginn der deutschen Sprache: Das Althochdeutsche.

Was da im Detail passiert, ist ziem­lich kom­plex. Abhängig von ihrer Posi­tion im Wort und ihrer laut­lichen Umge­bung ver­wan­deln sich die ger­man­is­chen Laute p, t und k sowie das d:

2009-06-01-2LV

Die genauen Bedin­gun­gen ers­pare ich Euch heute, sie sind aber prob­lem­los ergooglebar.

Deutsch vs. Englisch: Pfffff!

Die Zweite Lautver­schiebung passierte nur im Hochdeutschen. Alle anderen ger­man­is­chen Sprachen haben sie nicht mit­gemacht.1 Entsprechend find­et man z.B. im Englis­chen noch die “alten” Laute:

Englisch(ohne 2. LV)Deutsch(mit 2. LV)

p: pound Pfund
ship Schiff
t: to zu
to eat essen
k: cook Koch
d: daugh­ter Tochter

Woher kommt die Pistazie?

Cle­vere Sch­plock-LeserIn­nen wer­den sich natür­lich sofort fra­gen, wie es sein kann, dass wir heute den Laut /p/ im Deutschen haben, wenn doch immer entwed­er /pf/ oder /f/ draus wurde. Die logis­che Antwort: In der Regel sind das Fremd­wörter. Viele stam­men aus dem Niederdeutschen (das kein hochdeutsch­er Dialekt ist!), wie Stapel, viele aus dem Lateinis­chen, wie Pistazie, und eine Menge natür­lich auch aus dem Englis­chen, wie Computer.

Eines haben sie dabei alle gemein­sam: Sie kamen erst nach der Zweit­en Lautver­schiebung ins Deutsche. Wären sie schon vorher dagewe­sen, hätte die Ver­schiebung sie gnaden­los ver­wan­delt, ohne Rück­sicht auf ihre Herkun­ft. Pfaffe z.B. geht auf lateinisch papa zurück, wan­derte aber so früh ein, dass es von der Zweit­en Lautver­schiebung ergrif­f­en wurde.

Pinksteren, Pentecost und Päischten

Und damit sind wir bei Pfing­sten: Wir wis­sen, dass es auf ein griechis­ches Wort mit p zurück­ge­ht (pentēkostē). Da heute kein p mehr im Wort zu find­en ist, son­dern ein pf, muss das Wort schon vor der Zweit­en Lautver­schiebung entlehnt wor­den sein. Also vor dem Althochdeutschen. Entsprechend muss es die Form im Althochdeutschen schon gegeben haben – wahrschein­lich hat sich nur kein­er die Mühe gemacht, es aufzuschreiben.

Wie oben vorherge­sagt, hat das Wort in allen anderen ger­man­is­chen Sprachen sein p behal­ten:

  • Englisch: Pente­cost (auch: Whit­sun­day ‘weißer Son­ntag’)
  • Nieder­ländisch: Pinksteren
  • Afrikaans: Pinkster
  • Lux­em­bur­gisch: Päis­cht­en, Péngscht­en
  • Dänisch: Pinse
  • Nor­wegisch (Nynorsk & Bok­mål): Pinse
  • Schwedisch: Pingst
  • Färöisch hat nicht entlehnt, son­dern nutzt: hví­tusun­na ‘weißer Sonntag’
  • Isländisch genau­so: Hví­ta­sun­nudagur ‘weißer Sonntag’

Luxemburgisch???

Komisch, ne? Lux­em­bur­gisch ist doch fast ein deutsch­er Dialekt? Warum ben­immt es sich nicht wie das Hochdeutsche?

Ich habe Euch oben nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ich habe behauptet, dass die vier Laute im kom­plet­ten Althochdeutschen zu den sieben neuen Laut­en wur­den. Nun ist das Althochdeutsche aber ein Kon­strukt. Das gab es so gar nicht. Es gab ganz viele ver­schiedene ger­man­is­che Dialek­te, alle eng ver­wandt, aber es gab keinen Stan­dard. Und diese Dialek­te haben sich nicht alle gle­ichzeit­ig auf die gle­iche Weise verändert.

Das deutsche Sprachge­bi­et lässt sich in drei große Unterge­bi­ete ein­teilen: Oberdeutsch (braun), Mit­teldeutsch (türkis) und Niederdeutsch (gelb).

2009-06-01-Heutige_deutsche_Mundarten-Ausschnitt

Michael Post­mann (Wikipedia)

Die Zweite Lautver­schiebung tobte nur im ober- und mit­teldeutschen Sprachraum, dem hochdeutschen Gebi­et. Dabei war sie aber unter­schiedlich erfol­gre­ich. Die Ver­schiebung von p, t und k erfol­gte näm­lich mit abnehmender Inten­sität von Süden nach Nor­den. In Ben­rath bei Düs­sel­dorf ver­siegte sie ganz, daher nen­nt man die Gren­ze zwis­chen Türkis und Gelb die “Ben­rather Lin­ie”. Nördlich davon sprach man ursprünglich kein Hochdeutsch mehr.

Der Rheinische Fächer

Das langsame Ver­sick­ern der Lautver­schiebung im west­mit­teldeutschen Raum führt zu einem inter­es­san­ten Phänomen: Man kann das Gebi­et in Längsstreifen ein­teilen, und je nördlich­er der Streifen liegt, desto weniger macht sich die Zweite Lautver­schiebung bemerk­bar. Wenn man das auf ein­er Karte einze­ich­net, entste­ht eine Art Fäch­er­struk­tur, daher nen­nt man das auch den “Rheinis­chen Fäch­er”. Hier eine schema­tis­che Darstel­lung von mir:

2009-06-01-Rheinischer-Fächer-Tutorium

Eine viel schönere Karte gibt’s z.B. hier: Uni Tri­er [9.8.16: Link ersetzt].

Dialek­t­ge­bi­et A hat also mehr Ver­schiebung als B, B mehr als C, und so weit­er. Jen­seits von D hat die Zweite Lautver­schiebung so wenig gewirkt wie in den anderen ger­man­is­chen Sprachen.

Unter den Lin­i­en­na­men seht ihr Beispiel­wörter: Südlich der Ger­m­er­sheimer Lin­ie heißt es also Pfund, nördlich davon Pund. Das Lux­em­bur­gis­che ist nun his­torisch eng ver­wandt mit den mosel­fränkischen Dialek­ten. Manche Leute sagen auch, es sei ein­er, aber da werde ich mich nicht in ide­ol­o­gis­che Grabenkämpfe stürzen. Es liegt auf jeden Fall nördlich der Lin­ien 1, 2 und 3, man sagt dort also Pond ‘Pfund, Apel ‘Apfel und dat (ohne 2. LV), aber Duerf ‘Dorfund maachen (mit 2. LV).

Ihr seht also, dass p im Anlaut p bleibt, denn alle Wörter, die wie Pfund gehen, ver­hal­ten sich auch so. Die p>pf-Regel hat es also nicht ins Mit­teldeutsche geschafft.

Und so bleibt Pfin­g­sten Päis­cht­en.

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Unförmige Gurken und zusammengewachsene Kirchen

Von Kristin Kopf
Rhein-Neckar-Zeitung, 28.5.2009

Rhein-Neckar-Zeitung, 28.5.2009

Na also! Es kann doch nicht sein, dass man jeden Mor­gen einen Press­espiegel erstellt und dabei nie auf bemerkenswerte Spracheigen­heit­en stößt! Diese hier wurde zwar im Sch­plock schon lang und bre­it besprochen, aber dass zusam­mengewach­sene Kirchen auf dem Lebens­mit­tel­markt auf Ablehnung stoßen, ist dur­chaus eine Mel­dung wert:

Kopie von gurken-groß

Guten Appetit und fro­he Mittagspause!

Heames kauft bei Amerzon

Von Kristin Kopf

Fol­gende Paket­be­nachrich­ti­gung erwartete uns am Sonntag:

2009-05-19-amerzon

Ein genauer­er Blick:

2009-05-19-amerzonklein

Amer­zon? Nicht so dumm, wie man im ersten Moment vielle­icht denkt. Hier haben wir einen klas­sis­chen Zusam­men­prall von Aussprache und Schrei­bung: Das vokalisierte r, in IPA: [ɐ].

Im Deutschen wird -r nach Vokal oft a-ähn­lich ausgesprochen: 

  • mir wird zu mia,
  • Kirche zu Kiache,
  • Uhr zu Ua.

Bedin­gung ist allerd­ings, dass der Vokal und das r zur sel­ben Silbe gehören: 

  • O-ra‑to-ri-um bleibt Ora­to­ri­um,
  • Ge-rüst bleibt Gerüst.

Auch die Kom­bi­na­tion -er als Ganzes wird häu­fig vokalisiert: 

  • Kinder zu Kinda,
  • Gärtner zu Gärtna,
  • hier zu hia.

Am Wor­tan­fang wird nicht das ganze er- zu [ɐ], son­dern nur das r:

  • Erwach­sene zu Eawach­sene.

Diese Aussprache führt dazu, dass beson­ders beim Schreiben­ler­nen häu­fig ein <a> geschrieben wird, wo eigentlich ein <r> oder ein <er> ste­hen müsste. Irgend­wo bei meinen Eltern liegt noch ein Bild, auf dem ich den “KINDAGEBUATSTAK BEI EMANUEL” dargestellt habe. Scanne ich euch bei Gele­gen­heit mal.

Was der Her­mes-Bote hier getan hat, ist qua­si das Gegen­teil: Er weiß, dass er häu­fig ein a spricht, wo eigentlich ein <er> ste­hen muss und kor­rigiert sich entsprechend – in diesem Fall zu viel: die Hyper­ko­r­rek­tur hat mal wieder zugeschla­gen. Wo er bei Ama­zon ein a spricht, ste­ht auch eines.

Der Fehler scheint gerne gemacht zu wer­den, immer­hin hat sich jemand die Mühe gemacht, www.amerzon.de zu reg­istri­eren. Die Seite sagt:

Bitte über­prüfen Sie Ihre Schreib­weise und ver­suchen Sie es erneut.”

(Ob der Besitzer der Seite etwas mit amazon.de zu tun hat, weiß ich nicht, bezwei­fle es aber. Er besitzt auch noch die Domain amanzon.de, die densel­ben Text bietet. Andere Leute treiben mit der Ähn­lichkeit richtig Schind­lud­er, die ver­linke ich jet­zt aber nicht.)

Ich habe die Schreib­weise auch mal gegooglet:

Suche dvd von der bun­deslade doku­men­ta­tion bitte nicht von amer­zon?” (Quelle)

Eine andere Frage bei BOD heist es in der Hil­fe nach der Freiga­be dauert es 14 Tage bis es bei Amer­zon erscheint, nun die Freiga­be ist 9 Tage her und es ist noch nicht mal auf der HP von BOD?? Ist das nor­mal?” (Quelle)

Ger­ade bei Amer­zon geschaut 19,95 €” (Quelle)

So bat Wern­er M. HELP um Hil­fe, doch auch uns gegenüber betonte Amer­zon, dass das Buch über den Ama­zon-Mar­ket­place gekauft wurde.” (Quelle)

Über­raschend daran finde ich, dass der Fehler gemacht wird, obwohl Ama­zon ein Name ist, den man ja in erster Lin­ie aus einem schriftlichen Medi­um kennt.

Und damit melde ich mich für den Rest der Woche ab, um auf die StuTS zu fahren – vielle­icht sehen wir uns da ja?

Tagesmus und Gezirkumfixe

Von Kristin Kopf

Mein HiWi-Job mit Otfrid neigt sich dem Ende zu – eines mein­er Fund­stücke zum Abschluss:

Verse: 95 Innan thés batun thár thie jún­goron then méistar,
Verse: 96 tház er thar gisázi zi dága­muase inti ázi.

[Indessen bat­en da die Jünger den Meis­ter, dass er sich dort zum Früh­stück hin­set­zen und essen möge.]

(Otfrid von Weis­senburg, Evan­gelien­buch 2, Kapi­tel 14)

Das Früh­stück war ein “Tagesmus” und bietet einen schö­nen Anlass dafür, sich mit dem Wort Mus ein­mal näher zu befassen. Im Althochdeutschen hieß muos (oder, wie hier, muas geschrieben) noch ‘Essen, Speise, Mus’, vom west­ger­man­is­chen *môsa- ‘Zukost’. Wahrschein­lich war es eine Ableitung von *mati- Speise’ (darauf geht z.B. das englis­che meat ‘Fleisch’ zurück). Heute beze­ich­net es in der Stan­dard­sprache ‘Obst­brei’, region­al kann es aber auch für ‘Gemüse’ stehen.

Gemüse ist ein Mus(s)

Ja, genau, Gemüse … das kommt auch von Mus und hieß zuerst ‘Brei, zerklein­erte Nahrung’, dann ‘pflan­zliche Nahrung, ess­bare Pflanzen’. Von Mus zu Gemüse kommt man übri­gens ganz leicht, näm­lich mit dem Zirkum­fix gi-X-i.

Ein “Zirkum­fix” ist ein Ele­ment, das ein Wort von bei­den Seit­en umk­lam­mert. Da wo ich das X einge­set­zt habe, kon­nten vor langer, langer Zeit ein­mal alle möglichen Sub­stan­tive einge­set­zt wer­den. Das so neuge­bildete Wort hat­te auch eine neue Bedeu­tung: ‘Menge/Gruppe/Gesamtheit von X’. Solche Wörter nen­nt man daher “Kollek­tiv­bil­dun­gen” oder “Kollek­ti­va” und man kann sie auch heute noch massen­weise im Deutschen find­en.1

Berg – Gebirge
Fed­er – Gefieder
Feld – Gefilde
Schwest­er – Geschwister
Stern – Gestirn
Wet­ter – Gewitter
Mauer – Gemäuer
Ast – Geäst
Wass­er – Gewässer
Bau – Gebäude
Blut – Geblüt
Fall – Gefälle
Faß – Gefäß
Haus – Gehäuse
Hag – Gehege
Land – Gelände
Pack – Gepäck
Wurz – Gewürz
Zucht – Gezücht

Durch die lange Zeit, die seit ihrer Bil­dung ver­gan­gen ist, haben viele dieser Kollek­ti­va allerd­ings mit­tler­weile ganz andere Bedeutungen.

Wenn man sich die bei­den Grup­pen rechts anschaut, fällt schnell etwas auf: In der ersten Gruppe find­et sich im Kollek­tivum immer ein i, wo in der Aus­gangs­form ein e ste­ht. Das hat einen ein­fachen Grund:

Lustiges Lauteheben bei den Westgermanen

Die West­ger­ma­nen hat­ten ein lustiges Laut­ge­setz namens “West­ger­man­is­che Hebung” (oder i-Umlaut”), das besagte: Wenn in der beton­ten Silbe ein e ste­ht und in der darauf­fol­gen­den Silbe ein i, j oder u, dann wird das e zum i.

  1. berg → wird abgeleit­et mit dem Zirkum­fix: gi-berg-i
  2. gi-berg-i enthält in der beton­ten Silbe ein e und in der Fol­ge­silbe ein i
  3. Das i ver­wan­delt das e eben­falls in ein i
  4. Das Ergeb­nis: gibirgi

Wem das verdächtig nach Assim­i­la­tion klingt, der hat recht: Das Laut­ge­setz nen­nt sich nicht umson­st Hebung. i, j und u, die aus­lösenden Laute, wer­den ganz oben im Mundraum gebildet, 2009-04-29-wghebunge, wie man sieht, etwas weit­er unten. 

Jet­zt üben aber die Fol­ge­laute einen enor­men Druck auf das e aus, sie brüllen unun­ter­brochen “Komm her zu mir, komm her zu mir!” und schließlich gibt das e nach. Es lässt sich nach oben heben und wird damit zum i. Ein klar­er Fall von vorau­seilen­dem Gehor­sam und ein tri­umphaler Sieg für die faule Zunge.

Was ihr könnt, können wir schon lange!

Ein Blick auf die zweite Gruppe von Wörtern zeigt, dass die West­ger­man­is­che Hebung nicht alles erk­lären kann: Woher kom­men all die Umlaute? Aus dem Althochdeutschen! Auch a, o und u woll­ten sich verän­dern, also kam es, schwup­ps, zum Primär- und Sekundärum­laut.2
Die Regel war ganz ähn­lich: Wenn in der beton­ten Silbe a, o oder u standen und in der darauf­fol­gen­den Silbe ein i oder j, wur­den die Laute zu ä, ö oder ü.

Dies­mal ist aber das u kein Aus­lös­er, weshalb man auch nicht von ein­er Hebung spricht,2009-04-29-umlaut son­dern von ein­er “Palatal­isierung”. Das bedeutet, dass die Laute sich in Rich­tung des Pala­tums (das ist der harte Gau­men) ver­schieben, also nach vorne – dahin, wo die aus­lösenden Laute (i und j) sitzen. Es wird also aus einem hin­teren oder zen­tralen Vokal (rechts der grauen Lin­ie) ein vorder­er Vokal (links der grauen Lin­ie), weil ein vorder­er Vokal (das i) laut nach Gesellschaft brüllt.

Wir haben also wieder:

  1. ast → wird abgeleit­et mit dem Zirkum­fix: gi-ast-i
  2. gi-ast-i enthält in der beton­ten Silbe ein a und in der Fol­ge­silbe ein i
  3. Das i ver­wan­delt das a in ein ä
  4. Das Ergeb­nis: giästi

Wie leicht zu erken­nen ist, gab es im Althochdeutschen keine totale Assim­i­la­tion: ä, ö und ü sind dem i nur ähn­lich­er als a, o und u, sie sind nicht mit ihm iden­tisch. Daher nen­nt man den Vor­gang auch “par­tielle Assimilation”.

Das e in Gehege war übri­gens auch mal ein a, es liegt also auch ein Umlaut vor. Warum man es nicht als ä schreibt, ist aber eine andere Geschichte.

Der Narr hat seine Schuldigkeit getan …

Jaja, das aus­lösende i in der Fol­ge­silbe – wo ist es eigentlich hin? Im Mit­tel­hochdeutschen gab es in den unbe­ton­ten Sil­ben ein großes Vokalster­ben: Nach und nach wur­den alle Vokale abgeschwächt, bis sie am Ende nur noch [ə] waren, wie in gesagt. In vie­len Fällen ist dieser reduzierte Laut dann völ­lig wegge­fall­en. Der Prozess heißt Neben­sil­ben­ab­schwächung und hat­te weitre­ichende Fol­gen für das kom­plette Sprach­sys­tem, aber dazu ein ander­mal. Jet­zt gehe ich mein Nacht­mus essen.

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