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[Surftipp] Müller, Meier, Hassdenteufel

Von Kristin Kopf

Müller, Meier, Has­s­den­teufel – Was unsere Namen ver­rat­en” ist ein Radiobeitrag über Fam­i­li­en­na­men, gemacht von Studieren­den des jour­nal­is­tis­chen Sem­i­nars der Uni Mainz. Gesendet wurde er zwar schon im Jan­u­ar, aber die Inhalte sind auch im Inter­net abruf­bar. Inter­viewt wur­den vor allem die Mitar­bei­t­erin­nen des DFG-Pro­jek­ts Deutsch­er Fam­i­li­en­na­me­nat­las, und wenn man noch nichts über Namenkunde weiß, ist das auf jeden Fall sehr span­nend. Alle Beiträge kön­nen hier gehört und geschaut werden:

2009-04-17-hassdenteufel

Werbehefter für Motogrossrennen

Von Kristin Kopf

Neues aus Schut­ter­tal … nach­dem wir alles über am Pas­cal seine Mut­ter wis­sen, geht es heute um Frau Schwab und das, was sie so macht:

Näm­lich Wer­be­hefter.

Im Hochdeutschen gibt es zwar das Wort der Hefter (Plur­al: die Hefter), das eine Mappe zum Ein­heften beze­ich­net (oder gele­gentlich einen Tack­er). Wahrschein­lich wurde es aus dem Verb­stamm von heften und der Endung -er gebildet, so wie Bohrer aus bohren+er, Steck­er aus stecken+er, und so weiter.

Dieses Wort ist hier aber nicht gemeint, es geht vielmehr um Prospek­te, also Werbehefte. Der Plur­al auf -er bei diesem Wort ist eine dialek­tale Eigen­heit: KindKinder, LiedLieder, GliedGlieder, … im Hochdeutschen gibt es eine ganze Gruppe von Wörtern mit Plur­al auf -er.

In Dialek­ten gibt es zwar meist diesel­ben (oder sehr ähn­liche) Arten der Plu­ral­bil­dung, aber es müssen nicht unbe­d­ingt diesel­ben Wörter in diese Grup­pen gehören. Im Schut­ter­tal gehört HeftHefter ganz reg­ulär zur Gruppe mit -er-Plur­al, während es im Hochdeutschen zur Gruppe mit -e-Plur­al gehört (wie Beete, Stifte, Wege, …). Auch mit dabei: StickSticker ‘Stücke’.1

Gut möglich, dass die Ver­wen­dung von Hefter als Plur­al von Heft noch zusät­zlich durch das vorhan­dene hochdeutsche Wort Hefter gestärkt wird, das ja auch eine sehr ähn­liche Bedeu­tung hat.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

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Oma, Großvater, Näni, Groma (Verwandtschaftstrilogie Teil 3)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Die Ver­wandtschaft­strilo­gie endet mit etwas, das mich weniger plagt als vielmehr neugierig macht: In manchen Fam­i­lien gibt es unter­schiedliche Beze­ich­nun­gen für die Großel­tern, je nach­dem, ob es die Eltern der Mut­ter oder des Vaters sind. Und auch son­st ist es span­nend, zu welchen Strate­gien man greift, um die Großel­tern auseinanderzuhalten.

Dazu kann man wenig The­o­retis­ches sagen, weil es um Haus­ge­brauch geht – vom Grimm­schen Wörter­buch und meinen üblichen Bibeln ist da nichts zu erwarten. Daher also gle­ich zu den Ergeb­nis­sen mein­er Umfrage:

Unter­schei­det Ihr in der Fam­i­lie die Großel­tern müt­ter­lich­er- und väter­lich­er­seits? Falls ja, wie? 

groseltern1

Wenn die einen Großel­tern mit dem Nach­na­men, die anderen mit dem Vor­na­men beze­ich­net wur­den (o.ä.), so wurde bei­des berück­sichtigt. Es fehlt ein bißchen was an 51, weil manche nur “Name” schrieben, das habe ich mal wegge­lassen, weil etwas unspezifisch.

Son­stiges” war übri­gens ein schön­er Fall, in dem die Großel­tern nach der Kör­per­größe in große(r) und kleine(r) Oma/Opa unter­schieden wurden.

Diejeni­gen, die wirk­lich durch ver­schiedene Beze­ich­nun­gen unter­schei­den, find­en sich hier noch ein­mal genauer:
groseltern2

Die “Son­sti­gen” :

  • Oma/Opa vs. Gro­ma/Gropa
  • Oma/Opa vs. Groß­ma­ma/Groß­pa­pa
  • Omi/Opi vs. Ömi/Öpi
  • Oma/Opa vs. Nana/Näni (Schweiz­er Einfluß)

Eni für ‘Groß­vater’ (und par­al­lel gilt das auch alles für ‘Groß­mut­ter’) ist nach Müller (1979) bis ins 14. Jh. im kom­plet­ten süd­deutschen Raum belegt, ganz beson­ders in der Schweiz und auch in Öster­re­ich. Um 1900 lebte das Wort als Neni/Näni/Endi(fat­ter) noch am Südos­trand der deutschsprachi­gen Schweiz (Appen­zell – Chur – Davos – Bosco Gurin), über die heutige Ver­bre­itung habe ich zwar nichts gefun­den, aber gestor­ben ist nicht. Die Form ist ver­wandt mit dem hochdeutschen Ahn, das ein­mal ‘Groß­vater’ hieß (vgl. hier).

Fun Fact: Mein Brud­er und ich unter­schei­den unsere Großmüt­ter nach dem Vor­na­men (also Oma + Name) – als unsere Großväter noch lebten, wur­den sie natür­lich auch entsprechend unter­schieden, allerd­ings nur wenn ganz expliz­it von ihnen die Rede war. Wenn es um das Großel­tern­paar ging, wurde immer die Beze­ich­nung für die Groß­mut­ter benutzt. Also “Wir fahren zur Oma X!” oder “Ich habe Geld von der Oma X bekommen!”.

[poll­dad­dy poll=1505958]

So, das war’s mit der Verwandt­schafts­umfrage. Ich bedanke mich noch ein­mal ganz her­zlich bei allen, die mir geant­wortet haben!

Und hier zum Mitmachen:

Aktu­al­isierung:

Wenn man selb­st etwas in der Umfrage ein­trägt, erscheint nur eine Stimme für “oth­er”. Die Antworten will ich Euch aber nicht vorenthalten:

  • Oma Spitz­name, Omi (2x)
  • Omama/Opapa vs. Ama/Apa

[Surftipp] Blogwiese

Von Kristin Kopf

Die Blog­wiese ist die Spiel­wiese von Her­rn Wiese, der in der Schweiz wohnt. Dort geht es um Unter­schiede zwis­chen der Schweiz und Deutsch­land, ganz beson­ders sprach­lich­er Natur. Die meis­ten Beiträge sind wirk­lich unter­halt­sam zu lesen und auch gut gemacht, oft geht es z.B. um For­mulierun­gen aus Zeitun­gen, die für Deutsche unver­ständlich sind. Zum Ein­stieg empfehle ich diesen Beitrag, über eine Schweiz­er Redewen­dung: Wer führt eigentlich hier den Mist?

blogwiese

Ach, ich und die Kirschen (Teil 3)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

… als sie etwa am Kirchgarten von den Tätern bedrängt wurden.”

kirschgarten

Ein Über­fall beim Kirch­garten? Wie kann das sein? Eine eilige Suche im Mainz­er Straßen­verze­ich­nis bestätigt den schlim­men Ver­dacht: Es gibt keine Mainz­er Straße namens Kirch­garten. Was es aber dur­chaus gibt, ist ein Kirschgarten. Also ein­fach ein Tippfehler? Vielle­icht. Aber vielle­icht auch der Auf­takt zum näch­sten Kapi­tel des isch-Lauts: der Hyperkorrektur.

[ʃ]-Verbot in der Standardsprache?

In Teil 2 wurde ja klar, dass im mit­teldeutschen Raum zwei Laute, näm­lich [ç] und [ʃ], zu einem wer­den. Wer die Umgangssprache mut­ter­sprach­lich erlernt, in der das passiert ist, der ken­nt nur [ʃ]. Das stört erst­mal keinen großen Geist, bis … ja, bis man Stan­dard­deutsch sprechen will.

Dann aber ste­ht man vor einem enor­men Prob­lem: Wie soll man die Wörter mit dem ich-Sch von den Wörtern unter­schei­den, die sowieso schon ein <sch> haben? Woher soll man wis­sen, welche der drei <sch>s in Tscheschisch vom ich-Laut kom­men und welche nicht?

schema-ch-schZum Zeit­punkt B ist es unmöglich, einem Wort anzuse­hen, ob es ursprünglich (und hochsprach­lich jet­zt noch) [ç] oder [ʃ] hat(te). Man lernt ja nicht zu jedem Laut seine Entste­hungs­geschichte dazu.

Was tun? Raten!

Da man weiß, dass [ʃ] in vie­len Fällen falsch ist, ver­sucht man, das fremde [ç] einzuset­zen. Oft auch dann, wenn die Stan­dar­d­aussprache eigentlich [ʃ] hat. Und was kommt raus? Genau: Tchechich. Oder, wie bei Hel­mut Kohls Pfälzisch: Gechichte.

Dieses Phänomen nen­nt man “Hyper­ko­r­rek­tur”: Man kor­rigiert etwas, das gar nicht falsch war — in meinem Beispiel das erste und das let­zte <sch> von Tschechisch. Meist passiert das, wenn man in sein­er Mut­ter­sprache oder in seinem Heimat­di­alekt eine Unter­schei­dung nicht ken­nt, die die Ziel­sprache besitzt. Im Hochdeutschen unter­schei­den sich [ʃ], [ç] und [x] laut­lich, in den betrof­fe­nen mit­teldeutschen Umgangssprachen nur [ʃ] und [x].

Von der Kirsche zur Kirche

kirschen

Was hat das nun mit dem Über­fall am 19.1. zu tun? Genau: Es kön­nte sein, dass die Per­son, die den Bericht geschrieben hat, Rhein­hes­sisch spricht und deshalb Kirschgarten in Kirch­garten “kor­rigiert” hat. Weil Kirch­garten nicht so offen­sichtlich falsch ist und die Schrei­bung ganz nor­mal aussieht, ist es dann wohl so geblieben.

In Fällen, in denen es das Wort mit <ch> nicht gibt, fällt es schneller auf, denn schrift­sprach­lich lernt man ja, wo <ch> und wo <sch> geschrieben wird.

Her­rgen (1986) hat aber auch viele Beispiele, wo <ch> geschrieben wurde, obwohl es kein anderes Wort im Hochdeutschen gibt, das ein <ch> hat — meist in Schu­lauf­sätzen: Deutchunter­richt, Bichof, Sparchwein.

Im Internet spricht man Tchechich!

Ein bißchen Googlen zeigt, dass die [ʃ]-Hyperkorrektur auch bei Erwach­se­nen öfter geschrieben wird, als man denkt. Zur Sicher­heit habe ich Tchechich gesucht — wenn’s zweimal in einem Wort vorkommt, kann es kaum mehr Zufall sein:

  • —-Sprache
    ——-Deutsch
    ——-Ital­ienisch
    ——-Spanisch
    ——-Nieder­ländisch
    ——-Dänisch
    ——-Pol­nisch
    ——-Tchechich
    ——-Por­t­o­gi­sisch
    ——-Enlisch
    ——-Französich
    (Quelle)
  • Nur lei­der kon­nt man hier auf Grund fehlen­der Tchechich-Ken­nt­nisse nicht wie bish­er mit­gröhlen. (Quelle — es ist konsequent!)
  • Gibt bes­timmt auch Pen­del­busse, aber wer spricht schon Tchechich? (Quelle)
  • Dieses for­mu­lar (auf Tchechich) werde ich bei jed­er fahrt bei mir haben, wenn ich kon­troliert werde zeige ich es vor und die polizei wird daraufhin nicht weit­er nach­forschen. (Quelle)

Warum heißt der Kirschgarten Kirschgarten?

2009-03-06-kirschgarten

Ganz am Anfang mein­er Nach­forschun­gen hat­te ich mal die wilde These, dass der Straßen­name Kirschgarten vielle­icht eine Ver­schrif­tung der regionalen Aussprachevari­ante mit [ʃ] gewe­sen sein kön­nte, und vielle­icht doch eine Kirche in der Nähe namensgebend war. Nach­dem im let­zten Teil ja klar wurde, dass die [ʃ]-Geschichte rel­a­tiv neu ist, geht das natür­lich nicht mehr — der Straßen­name ist ja viel älter als das Phänomen. Er hat also tat­säch­lich etwas mit Kirschen zu tun.

Die Stadt Mainz gibt auf ihrer Inter­net­seite fol­gende Erklärung:

Der Ort wurde bere­its 1329 als „im Kirschgarten” beze­ich­net. Der Name rührt von der Kirschborn­quelle her, die am Rochushos­pi­tal (Rochusstraße 9), entspringt.

Skep­tisch wie ich bin, habe ich eine Frau gefragt, die es wis­sen muss: Rita Heuser hat ein gigan­tis­ches Buch zu Mainz­er Straßen­na­men geschrieben. Und sie schreibt zur Erk­lärung der Mainz­er Seite:

[I]ch denke es war umgekehrt: die Quelle hat den Namen von dem ehe­ma­li­gen Flur­na­men Kirschgarten (erste Erwäh­nung: ortum nos­trum in Magun­tia dic­i­tur kirs­garte 1267; Kirs­born 1402).

Die ältere Form kirsgarte hat einen Laut­wan­del mit­gemacht, bei dem s nach r zu [ʃ] wurde, daher heute Kirschgarten (ein anderes Beispiel für den Laut­wan­del ist Hirsch).

Chon Chluss?

Ja. Hier endet das Ver­wirrspiel von ich und isch. Ich hoffe, es hat Spaß gemacht!

Ach, ich und die Kirschen (Teil 2)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Und isch?

Nun ist es so, dass in weit­en Teilen Deutsch­lands der ich-Laut kein ich-Laut mehr ist, son­dern ein isch-Laut — und der ist bes­timmt jedem schon ein­mal begeg­net.1 Gute Mainz­er sagen z.B. Tscheschisch, Geschis­chte, wöschentlisch, … über­all, wo im Hochdeutschen ein ich-Laut zu erwarten ist.

Dieses Phänomen nen­nt man “Koronal­isierung”. Der gesproch­ene Laut ist nicht ganz genau das [ʃ] <sch>, das man aus dem Hochdeutschen ken­nt, oft ist es noch etwas näher am ich-Laut dran. Dazu benutzt Her­rgen (1986) das Sym­bol [ʆ] (das kurz darauf aus dem inter­na­tionalen phonetis­chen Alpha­bet ent­fer­nt wurde — jet­zt richtig wäre wohl [ʃʲ]. Egal, es ist sehr nahe an [ʃ] dran, weshalb ich es ein­fach bei let­zterem belasse).

Nee, Du nisch!” — “Ach … :(“

Der ach-Laut darf nicht mit­spie­len. Er wird so aus­ge­sprochen, wie im Hochdeutschen auch. Das ist auch logisch, wenn man sich an die Assim­i­la­tion zurück­erin­nert: [ʃ] wird ja noch weit­er vorne im Mund aus­ge­sprochen als [ç] (da, wo auch die vorderen Vokale aus­ge­sprochen wer­den — zu denen passt es also per­fekt!), die ganze Bewe­gungserspar­nis für die Zunge wäre futsch, wenn sie nach a, o oder u so weit nach vorne rutschen müsste.

Woher kommt der isch-Laut?

Dass der ich-Laut ver­schwand, ist sehr ungewöhn­lich, denn sowohl im Hochdeutschen als auch in den Dialek­ten des betrof­fe­nen Gebi­ets gibt es ihn!

Ein Blick in den Kleinen Deutschen Sprachat­las zeigt, dass nur ganz, ganz wenige Ort­spunk­te mit [ʃ] belegt sind: 14 Stück ins­ge­samt (das sind 0,23% aller Belege, qua­si alle in Mit­teldeutsch­land). Es han­delt sich also nicht um eine alte dialek­tale Form.

Her­rgen führt einige mögliche Grunde für den Wan­del von [ç] > [ʃ] an (S. 115 ff):

  • phonetisch (d.h. laut­lich): [ç] und [ʃ] klin­gen sehr ähn­lich und [ʃ] ist leichter auszus­prechen (Natür­lichkeit­s­the­o­rie!)
  • pho­nol­o­gisch: [ç] wird nur sehr sel­ten benötigt, um ein Wort von einem [ʃ]-Wort zu unter­schei­den, die Ver­wech­slungs­ge­fahr beim Zusam­men­fall ist also sehr ger­ing (Fälle, bei denen dann Homonymie — also Gle­ichk­lang — entste­ht, sind z.B.: Men­schenMän­nchen, (sie) wis­chtWicht, Lösch­erLöch­er, KirscheKirche)
  • sprachex­tern (fehlende Norm): Was stan­dard­sprach­lich “richtig” ist, wird von der Sprecherge­mein­schaft sehr genau wahrgenom­men, eben­so, was sich für einen örtlichen Dialekt “gehört”. Die Umgangssprache (oder, wie Her­rgen sagt, der “Sub­stan­dard) ist bei weit­em nicht so fest an Regeln und Nor­men gebun­den, sodass die verän­derte Aussprache viel leichter ein­treten und um sich greifen kon­nte. Deshalb kommt die Koronal­isierung so oft in Städten (bzw. dort zuerst) vor, wo regionale Umgangssprachen benutzt werden.

Wann hat das alles angefangen?

Eine der ersten Erwäh­nun­gen des Phänomens stammt von Reis (1892, zitiert nach Her­rgen), der bemerk­te, dass “in Mainz, Darm­stadt und anderen Orten” die Laute [g] und [ç] <ch> mit dem Laut [ʃ] <sch> zusam­men­fie­len (“in den let­zten Jahrzehn­ten”, schreibt er). Der Laut­wan­del ist also ziem­lich neu, 150 Jahre sind für eine Sprache nicht sehr viel.

Beispiele bei Reis sind masche ‘mor­gen’ (vorher war es schon mor­je gewor­den), selisch ’selig’ und das klas­sis­che isch ‘ich’.

Der Südhesse [kann …] den ich-Laut überhaupt nicht sprechen

Die Ver­bre­itung dieses Phänomens her­auszufind­en war recht trick­re­ich — geholfen hat mir schließlich Her­rgens Dis­ser­ta­tion und ein Blick in Königs “Atlas zur Aussprache des Schrift­deutschen in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land” (1989). Aus let­zterem stammt die Abbil­dung hier — die Orte mit [ʃ] haben schwarze Balken.

ch-konig

Königs Atlas ist zwar mit Vor­sicht zu genießen, denn es wurde für jeden eingeze­ich­neten Ort (ins­ge­samt 44) nur eine Per­son befragt (dazu noch fast alles Freiburg­er Stu­den­ten — das erk­lärt die Beschränkung auf die dama­lige Bun­desre­pub­lik), dafür war die Analyse der Einzelper­son sehr aus­führlich, jede Per­son las ca. 45 Minuten lang Texte und Wortlis­ten vor.

Man sieht also, dass [ʃ] im west­mit­teldeutschen Gebi­et bei den SprecherIn­nen aus Koblenz, Kusel und Wit­tlich in 90 bis 100% nach [i] (also vorderem Vokal) gebraucht wird. Die Mainz­erin hat versagt 😉

Diese Verteilung bestätigt die Fest­stel­lun­gen Her­rgens — er find­et das [ʃ] fast auss­chließlich im mit­teldeutschen Raum.2 Er zitiert einzelne Gram­matiken, die es für die Dialek­te Ripuar­isch, Mosel­fränkisch, Hes­sisch, Rhein­hes­sisch und die Gebi­ete Oden­wald und Ber­gis­ches Land im west­mit­teldeutschen Gebi­et bele­gen und lässt auch den Osten nicht vor: dort kommt es vor allem in Leipzig (hey André!), Dres­den und Chem­nitz vor (also im ober­säch­sis­chen Gebiet).

Ins­ge­samt stellt er fest, dass es kein geschlossenes Gebi­et gibt, son­dern immer Inseln, die meist Großstädte umgeben (im west­mit­teldeutschen Gebi­et sind das Köln, Frank­furt, Mainz, Darm­stadt und Mannheim/Ludwigshafen) — das passt ja gut zum oben erwäh­n­ten sprachex­ter­nen Faktor.

Die Über­schrift ist übri­gens ein wun­der­bares Zitat aus Bauer (1957), zitiert nach Her­rgen: “Der Süd­hesse [kann …] den ich-Laut über­haupt nicht sprechen” — das waren noch Zeit­en, als Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen sich so aus­drück­en konnten!

Der Cliffhanger

Im näch­sten und let­zten Teil dieser Serie wird aufgedeckt, wie die Men­schen mit ihrem [ʃ] so umge­hen, wenn kein­er aufpasst!

Weit­er zu Teil 3 …

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Rasenmontag

Von Kristin Kopf

Den Rosen­mon­tag habe ich in weis­er Voraus­sicht fern von Mainz ver­bracht — was mich nicht daran hin­dert, mal wieder ein Blick ins ety­mol­o­gis­che Wörter­buch zu wer­fen. (Bei Olschan­sky ste­ht auch was dazu, ich hab sie nur nicht mit auf die Flucht genom­men. Und, natür­lich, bei den Grimms.)

Man ahnt es schon, mit Rosen hat der Tag nichts zu tun — im Rheinis­chen hieß er, laut Kluge, ursprünglich rasen(d)montag, wobei das Par­tizip Präsens rasend soviel wie ‘tol­lend’ bedeutete.1 Komisch, dass das a im Hochdeutschen zum o wurde? Das Rheinis­che Wörter­buch hil­ft: es gibt als Aussprache rōsənt an, und unter diesem Lem­ma find­et sich auch:

rose Mondag Fast­nachtsmon­tag Rip2 noch vielfach auf dem Lande, aber schon vielfach unter dem Ein­fluss der Stadt Köln Ruse­mondag ‘Rosen­mon­tag’ ”

Wahrschein­lich ist ruse ein­fach eine Aussprachevari­ante, das kon­nte ich bish­er noch nicht verifizieren.

Das Rheinis­che Wörter­buch ken­nt auch noch ein paar andere Mon­tage:

  • der schwere Mon­tag ist der Mon­tag “nach den hl. drei Köni­gen, an welchen früher alle Gemein­de­beamten usf. schwören mussten” — also schon wieder so ein falsch­er Fre­und, schwören hat im Rheinis­chen näm­lich viele ver­schiedene Vari­anten, darunter auch eine mit e
  • der goue Mon­tag ist der Mon­tag in der Karwoche
  • der bloən Mon­tag konkur­ri­ert mit dem Rosen­mon­tag, er beze­ich­net in eini­gen Regio­nen auch den Fastnachtsmontag

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Am Pascal seine Mutter

Von Kristin Kopf

Quelle

Im Schut­ter­tal spricht man Alemannisch.
Bas­t­ian Sick mag die Nase rümpfen wie er will und den Tod des Gen­i­tivs herbeischrei(b)en — im Ale­man­nis­chen (wie in vie­len deutschen Dialek­ten) gibt es ihn eh schon lange nicht mehr. In der Regel ste­ht dort, wo im Hochdeutschen ein Gen­i­tiv ste­ht, ein Dativ, und das gilt ganz beson­ders für Possessivkonstruktionen.

Pos­ses­sivkon­struk­tio­nen sind Kon­struk­tio­nen, mit denen man aus­drückt, dass jeman­dem etwas gehört. Dazu gibt es im Deutschen eine ganze Menge Möglichkeiten:

(1) Kristins Sprach­blog
(2) das Sprach­blog der Studentin 
(3) das Sprach­blog von Kristin
(4) von (der) Kristin das Sprachblog
(5) (der) Kristin ihr Sprachblog 

Die Vari­anten (1) — (3) sind stan­dard- und schrift­sprach­lich, sie kön­nen prob­lem­los in ela­bori­erten Tex­ten ver­wen­det werden.
Der Unter­schied zwis­chen (1) und (2) liegt darin, dass bei (1) der Pos­ses­sor (also die Per­son, die etwas besitzt) dem Pos­ses­sum (also das, was besessen wird) vor­angestellt ist, in (2) ist es umgekehrt. In der Regel nutzt man Kon­struk­tion (1) nur für Eigen­na­men und Eigen­na­menähn­lich­es wie Mama, Papa, Oma, Opa. In allen anderen Fällen greift dann Kon­struk­tion (2).
Kon­struk­tion (3) geht eigentlich nur für Eigen­na­men, ist also eine Alter­na­tive zu (1), son­st ist sie eher umgangssprach­lich (?Das Blog von der Stu­dentin, ?Das Haus vom Präsi­den­ten).

Jet­zt aber zu (4) und (5) — (4) wird vom Gram­matik-Duden als region­al und mündlich beze­ich­net, (5) ist “seit langem im gesamten deutschen Sprachraum nach­weis­bar […], eige­nar­tiger­weise bish­er nicht in die geschriebene Stan­dard­sprache aufgenom­men wor­den.” (S. 835)

Zurück zum Ale­man­nis­chen, das Kon­struk­tion (5) benutzt:
Im Schut­tertäler Dialekt wird die Entsprechung des hochdeutschen dem [de:m] als [dɛm] (unge­fähr dämm) real­isiert1. Allerd­ings fällt, wenn das Wort unbe­tont ist, oft das d am Anfang weg. Es wird also zu [ɛm] oder [əm].

Das Wort am wird als [ɔm] aus­ge­prochen (unge­fähr omm), aber manch­mal wird es noch weit­er reduziert, sodass es fast wie [əm] klingt.

Das wurde dem armen Schulkind, das den obi­gen Auf­satz geschrieben hat, zum Ver­häng­nis — es schrieb Frau Ehret ist am Pas­cal seine Mut­ter.

Die dialek­tale Pos­ses­sivkon­struk­tion wird natür­lich auch in der Umgangssprache ver­wen­det, die die Kinder in der Schule sprechen (und als Hochdeutsch beze­ich­nen). Dieser Umgangssprache des Kindes entsprechend wäre es also kor­rekt gewe­sen, dem Pas­cal seine Mut­ter zu schreiben, aber da es nicht mehr wusste, woher das zusam­mengeschrumpfte Wort kam, schrieb es schließlich am.
Der Lehrkraft war’s egal — hochsprach­lich muss Frau Ehret halt doch Pas­cals Mut­ter sein.

Die ver­link­te Seite gibt noch viel mehr dialek­tale Eigen­heit­en her, aber dazu ein ander­mal.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

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