Aufgeschnappt

Von Anatol Stefanowitsch

Am Sam­stag mor­gen in Mar­burg im Café an einem Nach­bar­tisch voller Lit­er­atur­wis­senschaftler gehört:

Des Schwäb­sche, des is e Schbraach, die wo man net ern­scht nemme kann. Genau wie’s Ostdeutsche.

Ja, wo hätte ich da anfan­gen sollen?

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

30 Gedanken zu „Aufgeschnappt

  1. Anatol Stefanowitsch

    Bonaven­tu­ra (#1), ich habe den Satz natür­lich aus der Erin­nerung zitiert, aber ich glaube, ja: der Satz wurde in einem stark hes­sisch einge­färbten Hochdeutsch (bzw. in einem mit stan­dard­deutschen Ele­menten ver­mis­cht­en Hes­sisch) geäußert.

    Mawa (#2), ich war hier und habe über Cog­ni­tive Lin­guis­tics as a Cog­ni­tive Sci­ence gesprochen (PDF, 200KB) — natür­lich auf Englisch, um mir einen „inter­na­tionalen Hauch“ zu geben…

    A.T. (#3), das habe ich auf der Kon­ferenz selb­st dann getan — wir haben dort unter anderem darüber disku­tiert, was Lin­guis­tik und Lit­er­atur­wis­senschaft tun müss(t)en, um zu Wis­senschaften zu werden.

    Jan (#4), wir hat­ten am Abend zuvor bere­its eine aus­re­ichende Menge an geisti­gen Getränken konsumiert.

    Thomas Paulwitz (#5), Nein, das ver­lange ich nicht. Ich ver­lange aber auch vom „Volksmund“ (es han­delte sich, wie gesagt, um Pro­fes­soren der Lit­er­atur­wis­senschaft) (a) gesun­den Men­schen­ver­stand oder wenig­stens einen Sinn für (drama­tis­che) Ironie und (b) ein Inter­esse am Frem­den oder wenig­stens eine Fas­sade der Toleranz.

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  2. Achim

    Ich hätte aus dem Zitat nicht auf Hes­sisch geschlossen, son­dern auf Schwäbisch. Das hätte eine gewisse Ironie. Und wenn es doch Hes­sen waren: Wer im Glashaus sitzt… Der Hin­weis auf Max Wein­rich wäre wahrschein­lich nicht auf frucht­baren Boden gefall­en, oder?

    Ach ja: “Wis­senschaft” ≠ “sci­ence”. Es gibt nicht nur exper­i­mentelle Wissenschaften.

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Achim (#7), ja, vielle­icht habe ich mich bei der Tran­skrip­tion aus dem Gedächt­nis vom Schwäbis­chen bee­in­flussen lassen. Es klang wohl eher so: „Des Schwäbis­che, des iss äh Schbraach, wo man ned ähn­schd nemme kann.“

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  4. leonie

    Dieser Teil klingt für mich defin­i­tiv hes­sisch: “Des Schwäbis­che, des iss äh Schbraach”.

    Auf Schwäbisch müsste es auf jeden Fall “isch” heißen.

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  5. lupe

    Ost­deutsch? Was ist denn das? 

    Wer natür­lich nur ein oder zwei Sach­sen sprechen hörte und nie in Ost­deutsch­land war, schon gar nicht im Nor­den, kann aus sein­er (bildlich) abgrundtiefen Beschränk­theit nicht anders urteilen.

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  6. Gareth

    Ost­deutsch ist halt bei der “Rest­bevölkerung” mehr oder weniger ein Syn­onym für Säch­sisch. Ist ja aber auch nicht so, als wür­den nur zwei, drei Leute in Sach­sen “so” sprechen.

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  7. Thomas Müller

    Har­rharr, das erin­nert mich an ein Gespräch, das ich vor ein paar Wochen in einem rhein­hes­sis­chen Zug belauschen durfte. Ich krieg’ es nicht mehr wörtlich zusam­men, aber grob gesagt lästerten zwei ältere Damen in tief­stem “Ost­deutsch” (irgen­deine Zunge aus dem thüringisch-säch­sis­chen Raum) über den Dialekt der lokalen Bevölkerung. Bayrisch und so, das gehe ja noch, aber dieses hässliche Kaud­er­welsch hier…

    In ihrer zweit­en Tran­skrip­tion würde ich aus “man” “mer” machen und die “äh“s zu “ä“s, also verkürzen. Aber Mar­burg ist weit weg von Mainz, wer weiß, wie die Bar­baren da sprechen.

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  8. Åke Åkeström

    @lupe ich würde Deutsch­land heute anders ein­teilen, näm­lich in den Nor­den (mäcpomm, Bran­den­burg und wohl auch noch Berlin, Schließ­fach-Holzbein, Bieder­sach­sen, und natür­lich Ham­burch), den West­en (na, den West­en, eben), den Osten (Thürin­gen, Sach­sen, S.-Anhalt), den Süden und HESSEN

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  9. dibbedabb

    Des Schwäb­sche, des is e Schbraach, die wo man net ern­scht nemme kann. Genau wie’s Ostdeutsche.

    Das soll Hes­sisch sein?

    Wo soll ich da jet­zt anfangen?

    Vielle­icht da:

    Es gibt kein “Hes­sisch”. Was der (realiter nicht exis­tente) Durch­schnitts­deutsche unter “Hes­sisch” ver­ste­ht, ist die Umgangssprache des Rhein-Main-Gebi­ets, die stark bee­in­flusst ist vom Frank­furter Stadtdialekt.

    Darüber hin­aus gibt es in Hes­sen völ­lig unter­schiedliche Mundarträume, z.B. hes­sis­ches Niederdeutsch, Nieder­hes­sisch, Osthes­sisch, Mit­tel­hes­sisch und Südhessisch.

    Ein Mit­tel­hesse sagt z.B.:

    Aich hun Dich gester väir mol oager­oufe, awwr es eas kaanr droagange

    Ein Frank­furter würde sagen:

    Isch hab Disch gestern vier­mal aagerufe, awwä es is kaanä draagange

    Auch Stan­dard­deutsch mit regionaler Fär­bung klingt in Kas­sel gän­zlich anders als in Frank­furt, Gießen oder Ben­sheim. Hinzu kommt ein extrem auf­fäl­liger Unter­schied zwis­chen Stadt und Land im mit­tel­hes­sis­chen Raum.

    Nur die wenig­sten hes­sis­chen Mundarten machen aus “ernst” ein “ern­schd” oder etwas Ähn­lich­es. Wenn er “ern­schd” gesagt und den­noch für Nordlichter “hes­sisch” gek­lun­gen hat, war er wahrschein­lich Rhein­hesse oder Pfälzer.

    Der Satz an sich, wonach “Schwäbisch und Ost­deutsch Sprachen seien, die nicht ern­stgenom­men wer­den kön­nen”, muss natür­lich, das hätte Ihnen jed­er Lit­er­atur­wis­senschaftler auseinan­der­set­zen kön­nen, im Kon­text beurteilt wer­den. Vielle­icht han­delte es sich um ein Zitat? Vielle­icht han­delte es sich um eine Bemerkung in einem Gespräch darüber, welche Fehler man bei wis­senschaftlichen Vorträ­gen bess­er ver­mei­den sollte (z.B. schwä­beln oder sächseln)?

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  10. Thomas Müller

    @dibbedabb

    Fühlt sich da jemand in sein­er Hes­senehre gekränkt? Wenn ja, schlage ich einen Blick ins aktuelle Süd­deutsche-Wis­sen-Spezial vor. Da gibt es irgend­wo hin­ten eine Deutsch­land­karte, die in Graustufen die Intel­li­genz-Verteilung in der BRD aufzeigt. Nord­hessen ist da kom­plett weiß. Dunkel­grau war das Intel­li­gen­teste. Keine Ahnung, was die da gemessen haben, aber witzig war es für mich als Rhein­hesse allemal. 😀

    Aber im Ernst, was Sie für das Hes­sis­che erläutern gilt für jeden Dialekt. Im Grunde ist Ihre Ein­teilung auch noch viel zu pauschal, für eine detail­lierte Darstel­lung müsste man jedes einzelne Kaff abhorchen. Es ist ein­fach eine method­ol­o­gis­che Über­legung, auf welchem Lev­el man “den Strich zieht” und von “das Hes­sis­che” spricht.

    Und rein aus Inter­esse: Sagt man nicht auch im süd­hes­sis­chen Raum “ern­schd”?

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  11. David Marjanović

    Aich

    Wow. Da müssen ja Lautver­schiebun­gen passiert sein, von denen ich über­haupt keine Ahnung gehabt habe!

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  12. Thomas Müller

    Im Saar­ländis­chen sagt man “aich” für “ich”, ich habe das auch schon von pfälzis­chen und rhein­hes­sis­chen Sprech­ern gehört. Insofern würde es mich nicht wun­dern, wenn das auch in Hes­sen zu hören wäre.

    Beleg:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Gulden

    (Unten im Abschnitt Ton­träger: Aich han de Flämm (1979) oder auch Nais­cht wii Firz em Kòpp (1977))

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  13. dibbedabb

    @Thomas Müller

    Nein, ich füh­le mich nicht gekränkt. 

    Und nochmal nein, das gilt zwar für jeden Dialekt, aber beson­ders für’s “Hes­sis­che”, weil “Hes­sisch” keine dialek­t­geo­graphis­che Ein­heit ist wie z.B. Bairisch (nicht “Bay­erisch”) oder Pfälzisch. “Hes­sisch” ist wie “Nor­drhein-West­fälisch” oder “Rhein­land-Pfälzisch” eine Beze­ich­nung, die, auf Mundarten ange­wandt, völ­lig sinn­los ist.

    @David Mar­janovic:

    Ja, unsere Land­bevölkerung hat so ihre rustikalen Eigenheiten.

    Da in den mit­tel­hes­sis­chen Dialek­ten Vokale vor ch meist gedehnt wer­den, kann man auch Diph­thongierun­gen antr­e­f­fen, die man son­st nicht erwarten würde. Ich = aich; Dich = Daich; mich = maich. Zusam­men mit der Diph­thongierung von langem u zu ou, langem i zu äi und langem ü zu oi, sowie der Ver­wand­lung von inter­vokalis­chem d und t zu r kann das Mit­tel­hes­sis­che beim Uneingewei­ht­en zu größeren Ver­wirrun­gen, um nicht zu sagen: Ver­störun­gen führen.

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  14. Anatol Stefanowitsch

    dibbe­d­abb (#22),

    Hes­sisch” ist wie “Nor­drhein-West­fälisch” oder “Rhein­land-Pfälzisch” eine Beze­ich­nung, die, auf Mundarten ange­wandt, völ­lig sinn­los ist.

    Sie haben natür­lich Recht: die Sprach­wis­senschaft sollte sich bei der Benen­nung ihrer Forschungs­ge­gen­stände nach Ihren Vorstel­lun­gen von Sinnhaftigkeit richt­en. Ich werde bei meinen Kol­le­gen daraufhin­wirken, dass man Sie in Zukun­ft fragt, bevor man Fach­be­griffe fes­tlegt. Bis es soweit ist, hil­ft Ihnen vielle­icht diese Karte der west­mit­teldeutschen Dialek­te dabei, die sinnlosen Beze­ich­nun­gen für die betr­e­f­fend­en Mundarten wenig­stens pas­siv zu verstehen.

    (Quelle: dtv-Atlas Deutsche Sprache (14. Aufl. 2004), S. 230–31. © 1978, 2004 Deutsch­er Taschen­buchver­lag, http://www.dtv.de. Ich zitiere diesen Bil­dauss­chnitt unter Beru­fung auf das UrhG, §51, Abs. 2.)

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  15. dibbedabb

    Da sind Sie sich­er ganz stolz auf sich, Herr Ste­fanow­itsch, dass Sie ein einziges mal nicht ex cathe­dra urteilen son­der tat­säch­lich einen Beleg beib­rin­gen können.

    Weit­er so, dann klappt’s vielle­icht auch mit dem Nörglernörgeln.

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  16. Frank Oswalt

    @dibbedepp: Ein einziges Mal? Selb­st, wenn das stim­men würde, wäre das ein­mal mehr als bei dem Dummfug, den du hier seit Wochen abson­der­st. Junge, es ist nicht immer gut, das let­zte Wort zu behal­ten – manch­mal ist es bess­er, einzuse­hen, dass man nichts drauf hat.

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  17. amfenster

    Da sind Sie sich­er ganz stolz auf sich, Herr Ste­fanow­itsch, dass Sie ein einziges mal nicht ex cathe­dra urteilen son­der tat­säch­lich einen Beleg beib­rin­gen können.

    Sich­er nicht so stolz wie Sie, dass Sie es dem Blogher­ren jet­zt aber mal so richtig gegeben haben.

    Tut mir leid, mit einem Kom­men­tar wie diesem präsen­tieren Sie sich nur als vor­lautes Früchtchen, dem es halt doch nicht um die Diskus­sion geht, son­dern ums pure Dage­gen­maulen, und nehmen einem jeden Grund, sich ern­sthaft mit Ihren anderen Beiträ­gen auseinan­derzuset­zen. Naja, auch was gewonnen.

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  18. David Marjanović

    […] kann das Mit­tel­hes­sis­che beim Uneingewei­ht­en zu größeren Ver­wirrun­gen, um nicht zu sagen: Ver­störun­gen führen.

    Bin beein­druckt.

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  19. Klaus

    Also für mich klingt das nicht “hes­sisch” son­dern badenserisch.

    Und was das “es gibt kein Hes­sisch” ange­ht: dann dürfte es auch kein “Schwäbisch” geben, denn das kann je nach Region auch sehr unter­schiedlich klingen.

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  20. marlow

    Also, badenserisch ist ja wohl nicht wahr. Wenn’s Mit­tel­badisch wäre, müsst’s ja schon mal heißen: “Des Schwäbsche, des is e Schbrch, die wo man net ern­scht nemme kann. Genau wie’s Ost­deutsche.” Mich erinnert’s an meine Tante Mina, die zu meinem Cousin Kurt, der aus Aidlin­gen stammte, nach ein­er sein­er lau­nig-schwäbis­chen Äußerun­gen konzis replizierte: “Schwetz doch deitsch, ker­le, schwetz doch deitsch!”

    Viel inter­es­san­ter als alle dialek­tal­en Fra­gen sind jedoch die pejo­ra­tiv­en Charak­ter­isierun­gen “Nach­bar­tisch voller Lit­er­atur­wis­senschaftler” und “Ja, wo hätte ich da anfan­gen sollen?” Da fällt mir nur Simon Boc­cane­gra ein: “Adria e Lig­uria han­no patria comune”.

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