Happy Hour

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ bit­tet jeden Monat um Vorschläge zur Erset­zung von Lehn­wörtern durch Wörter mit anstand­s­los deutschem Stamm­baum. Natür­lich sind die Wörter des Anstoßes auss­chließlich englis­ch­er Herkun­ft, aber trotz­dem kommt die Aktion etwas weniger aufgeregt daher als viele andere Sprach­be­wahrer. So kann ich mir immer wieder einre­den, dass die Aktion beina­he ein Beispiel für einen „guten“ sprach­nor­ma­tiv­en Diskurs abgeben kön­nte. Aber diese Illu­sion wird jedes Mal durch die völ­lige Inkom­pe­tenz zunichte gemacht, die die Juroren der Aktion zeigen, wenn am Monat­sende die besten Vorschläge gekürt wer­den. So auch dieses Mal:

Auf das Such­wort des Vor­monats, hap­py hour, gin­gen 619 Vorschläge ein. Die Jury hat sich für den häu­fig­sten, Blaue Stunde, entsch­ieden.

Zuerst kon­nte ich es nicht fassen. Dann wollte ich es bloggen. Dann dachte ich, dass ich es lieber bleiben lassen sollte. Und dann lese ich beim Wortis­tik­er, dass er, obwohl offen­sichtlich genau­so fas­sungs­los wie ich, es eben­falls lieber sein lässt. Also schreibe ich doch kurz etwas dazu.

Die Entschei­dung der Juroren zeigt näm­lich einen häu­fi­gen Denk­fehler der Anglizis­men­jäger. Ich stelle mir den inneren Monolog, der diesen Denk­fehler ein­leit­et, unge­fähr so vor: „Hier ist ein englis­ches Wort, das ich aus­merzen möchte. Hm, was mache ich da bloß? Ich kön­nte ja über­legen, was das Wort bedeutet und dann von der Bedeu­tung her ein deutsches Wort ableit­en… Oder nein, viel bess­er! Ich nehme ein­fach irgen­dein deutsches Wort, das mich ober­fläch­lich an den ver­has­sten Anglizis­mus erin­nert. Wie wäre es denn mit…“ — ja, und dann geschieht das Unglück.

Also. Die Hap­py Hour war ursprünglich die Stunde nach Geschäftss­chluss in der Lon­don­er City, in der die Pubs ver­sucht­en, die arbei­t­ende Bevölkerung mit Preis­nach­lässen vor der Heim­fahrt noch zur Einkehr zu bewe­gen. Inzwis­chen heißt jede beliebige Preis-Lass-Nach-Aktion „Hap­py Hour“, und im deutschen Sprachraum scheinen es manche auch mit der Bedeu­tung „Umtrunk“ oder sog­ar „Tag der offe­nen Tür“ zu ver­wen­den. Die Hap­py Hour dürfte ihren Namen vom kollek­tiv­en alko­hol- oder kau­flustin­duzierten Glücks­ge­fühl haben, das sich bei zwei geisti­gen Getränken zum Preis von einem oder kilo­weise erstande­nen Ten­nis­sock­en vom Grabbeltisch schnell ein­stellt. Nun kön­nte man für so etwas sich­er ohne große Mühe ein deutsches Wort find­en (der Wortis­tik­er hat das auch schon längst getan).

Blaue Stunde ist dage­gen, wie es die Wikipedia ein­mal mehr tre­f­fend aus­drückt, „ein poet­is­ch­er Begriff für die Zeit der Däm­merung zwis­chen Son­nenun­ter­gang und nächtlich­er Dunkel­heit sowie für die Zeit kurz vor Son­nenauf­gang“ — eine stille, nach innen gekehrte Zeit also. Nicht unbe­d­ingt inkom­pat­i­bel mit dem Genuß von Alko­hol, aber ein­deutig ohne das laut­starke Glücksgefühl.

Indem man dieses Wort nun auf Bil­lig­preisak­tio­nen aus­de­ht, tut man der deutschen Sprache keinen Gefall­en. Mit Hap­py Hour, oder von mir aus auch mit des Wortis­tik­ers Schnäp­pchen­stünd­chen, hat die deutsche Sprache ein klar definiertes und unmissver­ständlich­es Wort hinzuge­won­nen. Mit Blaue Stunde müsste sie einen klangvollen und wun­der­bar teu­tonisch-melan­cholis­chen Begriff dem schnö­den Kom­merz opfern und man wäre gezwun­gen, sich auf die Suche nach einem neuen Aus­druck für die Däm­mer­stun­den machen. Obwohl — ich wüsste schon einen.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

2 Gedanken zu „Happy Hour

  1. Mike Seeger

    Genau meine Mei­n­ung! Der häu­fig­ste einge­gan­gene Begriff war übri­gens nicht die “Blaue Stunde” (38 Stim­men), son­dern die “Sparstunde” (40 Stim­men). Die hätte es mein­er Mei­n­ung nach viel bess­er getan (wenn es denn unbe­d­ingt sein muss). Eigentlich ist die “Hap­py Hour” gar nicht so übel, finde ich. Das näch­ste gesuchte deutsche Wort ist eines für “fac­to­ry out­let”. Ein­mal dür­fen Sie rat­en, was dabei her­aus kommt …

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  2. Suse

    Oh, Schnäp­pchen­stünd­chen, wie hüb­sch! Und nach ein paar Schnäp­schen auch ein Zun­gen­brech­er, also der Sprachkom­pe­tenz förder­lich (siehe Press­eschau von 14.7.), nette Dialek­tik. Für Ver­ram­schungsak­tio­nen fast zu sym­pa­thisch, das Wort, ich würde sofort wil­len­los einkaufen, wenn irgend­wo Schnäp­pchen im Schnäp­pchen­stünd­chen feil­ge­boten wür­den. Und sofort einkehren in die Kneipe, die diese annoncierte. Aber die vorgeschla­gene Bedeu­tungsverän­derung der Sprachret­ter für die Blaue Stunde ist eine viel schlim­mere Ver­hun­zung als jegliche hap­py hour, weil man sie nicht erken­nt (ist ja schließlich ein deutsches Wort, also alles in Ord­nung) und nur irgend­wann die ursprüngliche schöne Bedeu­tung vergessen hat und nur noch Ram­sch oder Suff (blau, höhö) assoziiert.

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