Schreibtische und schmutzige Bomben

Von Anatol Stefanowitsch

Ein­er der vie­len Vorteile ein­er plu­ral­is­tis­chen, demokratis­chen Gesellschaft wie unser­er ist es, dass ein öffentlich­er Min­i­malkon­sens über poli­tis­che Entschei­dun­gen auch dann hergestellt wer­den muss, wenn ger­ade keine Wahlen anste­hen. Poli­tis­che Entschei­dungsträger wis­sen, dass bei der näch­sten Gele­gen­heit abgewählt wer­den, wenn sie gegen die öffentliche Mei­n­ung han­deln ohne sich aus­re­ichend zu erklären.

Wer an den Schalt­stellen der Macht sitzt muss also ver­suchen, die Öffentlichkeit auf seine Seite zu brin­gen. In ein­er besseren Welt als der unseren würde das duch aus­führliche ratio­nale Debat­ten geschehen, bei denen das Für und Wider ein­er Entschei­dung unter Ein­beziehung ein­er wohlin­formierten und inter­essierten Öffentlichkeit sorgsam abge­wogen und aus­disku­tiert wird (Kapi­tel 4 in Post­mans Amus­ing Our­selves to Death ist da nach wie vor eine lohnende Lek­türe). In der Welt, in der wir nun ein­mal tat­säch­lich leben, zählen stattdessen kurze, grif­fige Aus­sagen, in denen für Argu­mente nicht viel Platz ist.

Damit solche Aus­sagen funk­tion­ieren, müssen sie durch bild­hafte Sprache gezielt auf das Vor­wis­sen und die Wertvorstel­lun­gen der­jeni­gen zugreifen, die überzeugt wer­den sollen. Die aus­ges­parten Argu­mente müssen sich wie von selb­st aus den gewählten Bildern ergeben. Der US-amerikanis­che Lin­guist George Lakoff, Leit­er der Denk­fab­rik Rock­ridge Insti­tute, nen­nt das Fram­ing, also „ein­rah­men“.

Das Ein­rah­men von Aus­sagen ist an sich ein wert­freier Prozess, man kann es auf ehrliche oder auf unehrliche Art tun. Die unehrliche Art ken­nt man gut: die Fak­ten wer­den verz­er­rt, extrem vage gehal­ten oder gar nicht erst genan­nt; stattdessen wer­den emo­tion­al aufwüh­lende und eigentlich nicht rel­e­vante Bilder in die Diskus­sion gewor­fen und das ganze wird mit ein paar vieldeuti­gen Begrif­f­en gar­niert. Wenn das funk­tion­iert, stürzen sich alle auf diese Bilder und Begriffe und das eigentliche The­ma ist schon fast vergessen. Das nen­nt man dann Spin und es ist so alltäglich, dass man manch­mal fast vergessen kön­nte, dass es eine Alter­na­tive gibt. 

Dabei ist die Alter­na­tive ganz ein­fach. Statt kom­plexe Fak­ten hin­ter irrel­e­van­ten und emo­tionalen Bildern zu ver­steck­en, ver­packt man sie ein­fach in zugängliche aber rel­e­vante Bilder. Sehen wir uns das ein­mal anhand eines aktuellen Beispiels an, dem Wort Online-Durch­suchung, dass seit Monat­en den öffentlichen Diskurs beherrscht.

Gemeint ist mit Online-Durch­suchung der Ver­such ein­er Ermit­tlungs­be­hörde, auf dem Rech­n­er eines Verdächti­gen über das Inter­net unbe­merkt ein Pro­gramm zu instal­lieren. Dieses Pro­gramm soll dann die Dateien (z.B. Textdoku­mente, Bilder, Ton­datein, etc.) durch­suchen, die sich auf der Fest­plat­te oder im Arbeitsspe­ich­er dieses Rech­ers befind­en. Wenn der Verdächtige sich dann wieder mit dem Inter­net verbindet, schickt das Pro­gramm die gesam­melten Infor­ma­tio­nen an die Ermittlungsbehörde.

Diejeni­gen, die dieses bis­lang ein­deutig ille­gale Vorge­hen gerne legal­isieren wür­den, betreiben seit Monat­en lehrbuchar­tig Spin. Zunächst nutzen sie eine Eigen­schaft von Nom­i­nalkom­posi­ta aus: bei denen beste­ht näm­lich keine ein­deutige Beziehung zwis­chen den einzel­nen Sub­stan­tiv­en, aus denen sie zusam­menge­sezt sind — diese muss sich aus dem Kon­text ergeben. Der alte Witz mit dem Schweineschnitzel („Schnitzel vom Schwein“) und dem Jäger­schnitzel („Schnitzel nach Jäger­art zubere­it­et“) zeigt das sehr schön. 

Das Online in Online-Durch­suchung beze­ich­net den Weg, auf dem die Ermitlungs­be­hörde in den Rech­n­er des Verdächti­gen ein­dringt. Die Befür­worter tun aber so, als ob es das­jenige beze­ich­net, das durch­sucht wer­den soll:

Das Inter­net gewin­nt bei der Bedro­hung durch den inter­na­tionalen Ter­ror­is­mus immer mehr an Bedeu­tung“, sagte der Min­is­ter [Anm.: Bun­desin­nen­min­is­ter Schäu­ble] am Fre­itag […]. Wie lange die Sicher­heits­be­hör­den der­ar­tige Inter­netüberwachung nicht durch­führen dür­fen, hänge von der rechtlichen Prü­fung ab […]. (Focus)

Nie­mand kann ein Inter­esse daran haben, dass wir die Botschaft versenden, Ter­ror­is­ten hät­ten bei uns im Inter­net freie Hand“, sagte Kaud­er der „Stuttgarter Zeitung“. (Augs­burg­er All­ge­meine)

Auch Edmund Stoiber (CSU) spricht von der „absoluten Notwendigkeit“ ein­er Online-Durch­suchung. Staatssekretär Han­ning betont, durch das Inter­net werde in der Islamis­ten­szene „indok­triniert und kom­mu­niziert“. (Thüringer All­ge­meine)

Es wird also sug­geriert es gehe darum, die Inter­net­be­nuztzung poten­zieller Ter­ror­is­ten zu überwachen — das beschwört Bilder ein­er Tele­fonüberwachung hin­auf, an die wir uns bere­its gewöh­nt haben und die uns deshalb nicht mehr allzu erschreck­end erscheint.

Das ist der erste Stre­ich, die Ver­drehung der Tat­sachen mith­il­fe eines mehrdeuti­gen Begriffs. Den zweit­en Stre­ich dür­fen wir dieser Tage wieder ein­mal beobacht­en: für den Fall, dass die Ver­drehung allein nicht aus­re­icht, wird mit dem Szenario eines Ter­ro­ran­schlags mit ein­er „schmutzi­gen Bombegedro­ht, ein­er Bombe also, die mit radioak­tivem Abfall bestückt ist, den sie bei der Explo­sion verteilen soll. Das ist in der Tat eine erschreck­ende Vorstel­lung. Wenn man das ver­hin­dern kann, indem man die Kom­mu­nika­tion von Inter­net­nutzern überwacht, sollen wir denken, dann ist das doch mehr als angemessen.

Sog­ar einige der Geg­n­er der Online-Durch­suchung fall­en auf den Trick mit der Überwachung der Kom­mu­nika­tion herein:

Ex-Innen­min­is­ter Ger­hart Baum (FDP) wandte sich zugle­ich gegen das „Märchen“, dass die Polizei keinen Zugriff auf die Net­zkom­mu­nika­tion habe: „Im Inter­net wird heftigst gefah­n­det, auch in Deutsch­land.“ (Heise) [Update (20:21): Wie Corax (Kom­men­tar #1) richtig beobachtet, habe ich den Ex-Innen­min­is­ter hier vol­lkom­men falsch ver­standen und ihm Unrecht getan. Tut mir leid, Herr Baum!]

Online-Durch­suchun­gen brin­gen gar nichts“, betonte der Min­is­ter [Anm: der Jus­tizmin­is­ter von Baden-Würt­tem­berg, Ulrich Goll (FDP)]. Ter­ror­is­ten wür­den Call­shops und Inter­net­cafés nutzen — das habe der aktuelle Fall gezeigt. Es ärg­ert den Lib­eralen daher, „wenn plöt­zlich alle so tun, als kön­nten unsere Ermit­tler diese Kom­mu­nika­tion und Inter­net-Nutzung nicht überwachen. Das ist ein­fach falsch“. (Heise)

Aber nochmal: es geht nicht um die Überwachung der Kom­mu­nika­tion. Es geht darum, dass eine Ermit­tlungs­be­hörde Zugriff auf die Fest­plat­te eines Verdächti­gen nimmt, ohne dass dieser das bemerkt.

Ich habe den Ein­druck, dass die Geg­n­er der Online-Durch­suchung auf diese Tat­sache nicht deut­lich genug hin­weisen. Wenn sie es tun, dann auf eine rel­a­tiv abstrak­te Art und Weise:

Der Berlin­er Innense­n­a­tor Ehrhart Kört­ing glaubt der­weil einen Weg zum Schutz des Kern­bere­ichs der pri­vat­en Lebens­gestal­tung gemäß der Vor­gaben des Bun­desver­fas­sungs­gerichts gefun­den zu haben: Infor­ma­tio­nen auf Com­put­er­fest­plat­ten, die nicht ver­schickt oder emp­fan­gen wer­den, müssten weit­er­hin tabu sein, forderte der SPD-Poli­tik­er. „Da ist die ver­fas­sungsrechtliche Gren­ze. Dat­en, die nicht kom­mu­niziert wer­den, gehen den Staat nichts an“. (Heise)

Dem kann man nur zus­tim­men, aber mit dem konkreten Bild ein­er schmutzi­gen Bombe kann diese Aus­sage wohl nicht mithal­ten, wenn man bedenkt, dass der über­wiegende Teil der Com­put­er- und Inter­net­nutzer sich nicht allzu­viele Gedanken über die Funk­tion­sweise ihres Rech­n­ers und über den Unter­schied zwis­chen kom­mu­nizierten und nicht-kom­mu­nizierten Dat­en macht. Da müsste ein grif­figes Bild her, eines, das sofort ein­leuchtet, eines, das einen Frame aufruft, den wir sofort verstehen.

Inter­es­san­ter­weise hat Bun­desjustitzmin­is­terin Brigitte Zypries ein solch­es Bild schon gefun­den:

[M]an muss ein­fach sehen, dass die Online-Durch­suchung schon ein mas­siv­er Ein­griff in die Pri­vat­sphäre ist. Der PC wird ja heute benutzt wie früher der Schreibtisch. Das heißt also, man spe­ichert seine Kon­toauszüge auf der Fest­plat­te, man hat seine Urlaub­s­fo­tos auf der Fest­plat­te, und man hat auch vielle­icht seine Liebes­briefe auf der Fest­plat­te. Und wenn man eine Online-Durch­suchung gle­ich­stellt mit ein­er Wohn­raumüberwachung, dann hat uns das Bun­desver­fas­sungs­gericht aufgegeben, den Kern­bere­ich pri­vater Lebens­gestal­tung zu acht­en. Und das kön­nen wir, nach mein­er Ken­nt­nis wenig­stens, tech­nisch bei der Online-Durch­suchung nicht sich­er­stellen. Deswe­gen müssen wir berat­en, wie es dann gehen kann und welche Maß­nah­men man ergreifen kann, wenn man gle­ich­wohl meint, dass man auf dieses Instru­men­tar­i­um nicht verzicht­en kann.

Das Bild mit dem Schreibtisch ver­ste­ht man sofort. Neben den Kon­toauszü­gen, Urlaub­s­fo­tos und Liebes­briefen hat wohl fast jed­er in seinem Schreibtisch min­destens eine Schublade, in der sich über die Jahre höchst intime Dinge ange­sam­melt haben, die man nie­man­den zeigen möchte und die auch nie­mand ern­sthaft zu sehen ver­lan­gen kön­nte — dass kann ein Kas­tanien­män­nchen sein, dass der Erst­ge­borene vor vie­len Jahren stolz aus dem Kinder­garten mit nach Hause gebracht hat, es kann ein Flug­blatt aus poli­tisch wilderen Zeit­en sein oder auch der Zigaret­ten­s­tum­mel mit dem Lip­pen­s­tift ein­er längst ver­flosse­nen Geliebten. Egal, was es ist, es geht nie­man­den etwas an. Man kön­nte Zypries’ Bild noch stärk­er machen, indem man die Heim­lichkeit der Unter­suchung betont: die heim­liche Online-Durch­suchung gle­icht einem Vorge­hen, bei dem der Staat die Rück­wände mein­er Schreibtis­chschubladen auf­bohrt und in meinen Andenken wühlt, wärend ich nicht­sah­nend an meinem Schreibtisch sitze und meine Steuer­erk­lärung aus­fülle (oder son­st etwas staat­stra­gen­des tue).

Man kön­nte sog­ar einen noch stärk­eren Frame wählen. Die Fest­plat­te eines Rech­n­ers entspricht in gewiss­er Hin­sicht dem Teil unseres Gehirns, in dem wir unsere Erin­nerun­gen auf­be­wahren und der Arbeitsspe­ich­er entspricht dem Kurzzeitgedächt­nis, in dem sich die Gedanken befind­en, die wir ger­ade Denken. Das Ver­schick­en von Dat­en über das Inter­net entspricht dage­gen dem laut­en Aussprechen dieser Gedanken und Erin­nerun­gen. Nun wis­sen wir, dass wir für alles das, was wir laut aussprechen, zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den kön­nen, nicht aber für das, was wir nur denken. Wenn ich einen Plan zu ein­er Straftat laut ausspreche, kann ich dafür unter Umstän­den ver­haftet und angeklagt wer­den. Solange ich über die Straftat aber nur nach­denke ist das meine Sache. Ein Angriff auf die Gedanken­frei­heit wäre der­ar­tig empörend, dass kein demokratisch gewählter Poli­tik­er je damit davonkäme. Aber genau das ist es, was die Befür­worter der „Online-Durch­suchung“ vorhaben, indem sie unsere Fest­plat­ten und Arbeitsspe­ich­er durch­suchen wollen.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

4 Gedanken zu „Schreibtische und schmutzige Bomben

  1. corax

    Herr Ste­fanow­itsch,

    Her­rn Baum scheinen Sie mir mißzu­ver­ste­hen. Ihn ärg­ert ja das (anscheinend bewusst)suggeriert wird bei der online-Durch­suchung gin­ge es um das Abhören von Kom­mu­nika­tion die über Leitun­gen läuft und nicht um die unbe­merk­te Durch­suchung der Fest­plat­te, was ja das eigentliche Ziel ist.

    Er ist ein­er der Weni­gen der genau das ver­standen hat und deshalb läuft er ja auch Sturm dagegen.

    Die Fest­plat­te ist der Inbe­griff von Privatheit”:

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,505322,00.html

    Auch eine schöne For­mulierung ist “Virtueller Dietrich” :

    http://www.lawblog.de/index.php/archives/2007/09/15/virtueller-dietrich/

    Pax

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  2. dirk.schroeder

    Ich denke, dass zwei Woh­nung­sein­brüche notwendig sind, den PC erst zu ver­messen und dann die maßgeschnei­derte Soft­ware aufzus­pie­len, über die der Zugriff schließlich möglich ist. So wäre die Online-Durch­suchung der Wanze im Tele­fon­hör­er ver­gle­ich­bar, die ohne Hil­fe der Post, äh Telekom, mithören ließ (richter­frei).

    Die neue Wanze durch­schnüf­felt zusät­zlich Tage­buch und Bib­lio­thek und schal­tet ggf. die Web­cam ein: unser Feind, der PC. Dass lan­desweit der Ein­druck entste­ht, das BKA wolle Tro­jan­er ver­schick­en, ange­hängt gar an E‑Mails des Finan­zamtes o.ä., scheint mir gewollt: alle bleiben vor­sichtig und brav, der­weil die Bösen ihren Viren­scan­ner pfle­gen und vergessen die Haustür abzuschließen.

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  3. Nina

    Genau dieses The­ma unter­richte ich zufäl­lig ger­ade in mein­er 11.Klasse: dabei sind wir sowohl schon auf die Ver­stöße gegen jew­egliche (Grund- und andere)Gesetze gestoßen, als auch auf die poli­tis­che Wirkung, die man durch das Erwäh­nen von Atom­bomben u.ä. erzie­len kann. Auf die Idee Lin­guis­tik für diese Sache zu benutzen (wie in Sin­nververz­er­rung von “Online-Unter­suchung”, z.B.) war ich noch gar nicht gekommen… 🙂

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  4. corax

    Ein paar Beispiele:

    (Inter­net als) Tatvor­bere­itungswaffe; (Top-)Gefährder; Überge­set­zlich­er Not­stand; Qua­si-Vertei­di­gungs­fall; Islamistisch; Feind­strafrecht; Gefan­genen­sam­mel­stelle; Mit-Stör­er; Ter­ror-Camp; Steueridentifikationsnummer;

    Tar­get­ed Killing; Unterbindungsgewahrsam;…

    Pax

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