Max Frisch macht Sinn

Von Anatol Stefanowitsch

Die meist­ge­le­se­nen Beiträge meines alten Blogs waren die, in denen ich mich mit der Herkun­ft, Bedeu­tung und inter­nen Logik der Redewen­dung Sinn machen beschäftigt habe. Es verge­ht keine Woche, in der nicht aus irgen­deinem Forum neue Leser den Weg zu mir find­en, weil jemand dort die Redewen­dung ver­wen­det und damit einen Sturm sprach­lichen Spottes aus­löst, in dessen Ver­lauf jemand dem Übeltäter zur Seite springt und auf meine Beiträge ver­weist. In denen zeige ich ja unter anderem, dass die Redewen­dung zwar ver­mut­lich durch das Englis­che inspiri­ert ist, aber im Deutschen schon sehr viel länger existiert als üblicher­weise angenom­men; dass sie sich prob­lem­los in die deutsche Sprachlogik ein­fügt (sofern es so etwas gibt) und auch ohne Hil­fe von außen hätte entste­hen kön­nen; dass sie etwas anderes bedeutet als die ange­blich besseren Alter­na­tiv­en Sinn haben und Sinn ergeben und dass große Dichter und Denker sie ver­wen­den (ich verknüpfe hier ein­fach den ersten Teil der viel­teili­gen Serie).

Nicht, dass das die Sprach­schatzmeis­ter beein­druckt: Das sei ja alles schön und gut, schreiben die typ­is­cher­weise, aber Sinn machen sei nun ein­mal unl­o­gisch, über­flüs­sig und unge­bildet, daran sei auch durch unbe­stre­it­bare Tat­sachen nichts zu ändern.

Vor zwei Wochen gab es wieder eine solche Sprach­schlacht im Law­blog, in ein­er eigentlich inhaltlich viel inter­es­san­teren Diskus­sion um die Frage, ob ehe­ma­lige Staatssym­bole als Marken­ze­ichen angemeldet wer­den dür­fen. In Ver­lauf des Gefechts ver­stieg sich ein­er der Kom­men­ta­toren zu fol­gen­der Behauptung:

„Sinn machen“ ist ein­deutig nicht von unseren großen Dichtern und Denkern benutzt wor­den, son­dern nach­weis­lich aus dem Englis­chen wörtlich über­set­zt. „Sinn haben“ dage­gen klingt wie ein süd­deutsches Idiom für „Sinn ergeben“, seman­tisch ist es allerd­ings grund­verkehrt, denn „Sinn haben“ heißt nichts weit­er als Ver­stand zu besitzen, was man schw­er­lich auf Objek­te oder auch Pläne und Absicht­en anwen­den kann. „Sinn ergeben/machen“ beschreibt dage­gen eine logis­che Kausalität. 

Hier wäre es vielle­icht ange­bracht, die völ­lig aus der Luft gegrif­f­ene Behaup­tung näher zu unter­suchen, Sinn haben hieße „Ver­stand besitzen“. Aber solange sich die nicht auf bre­it­er Ebene durch­set­zt, will ich ihr keinen Vorschub leis­ten, indem ich mich mit ihr beschäftige.

Stattdessen habe ich in der Diskus­sion auf Got­thold Ephraim Less­ing ver­wiesen, dessen Sta­tus als Dichter und Denker unstrit­tig sein dürfte und in dessen Werken sich die Redewen­dung gle­ich zweimal findet:

Ein Über­set­zer muß sehen, was einen Sinn macht. [Less­ing, Briefe, die neueste Lit­er­atur betr­e­f­fend (10. Jan­u­ar 1760) zeno.org]

Nun ist es wahr, daß dieses eigentlich keinen falschen Sinn macht; aber es erschöpft doch auch den Sinn des Aris­tote­les hier nicht. [Less­ing, Ham­bur­gis­che Dra­maturgie (notiert am 8. März 1768)
zeno.org]

Inter­es­sant ist im zweit­en Zitat der Aus­druck falschen Sinn machen, denn für make wrong sense find­en sich zwar vere­inzelte Belege auch im Englis­chen, aber es ist keine gebräuch­liche Wen­dung, sodass man davon aus­ge­hen kann, dass Less­ing den Aus­druck nicht ein­fach imi­tiert, son­dern kreativ ver­wen­det hat.

Nun mag die Ver­wen­dung durch einen einzi­gen Dichter und Denker nicht jeden überzeu­gen (in der ver­link­ten Diskus­sion hat nie­mand auf den Hin­weis reagiert) und das hat mich daran erin­nert, dass es neben Less­ing noch einen poten­ziell von Max Frisch stam­menden Beleg gab. In meinem Beitrag hat­te ich den sein­erzeit bei Google Books in einem Buch von Rolf Kieser über Max Frisch gefun­den und der Schnipsel, den Google anzeigt, ließ offen, ob hier Frisch selb­st oder der Autor, damals Pro­fes­sor für Europäis­che Lit­er­a­turen am Queens Col­lege in New York zitiert wurde.

Über die Verknüp­fun­gen zu Online-Buch­händlern, die Google Books prak­tis­cher­weise anbi­etet, habe ich also nach einem Exem­plar gesucht und auch eines gefun­den und bestellt und heute war es in der Post. Und siehe da, es ist tat­säch­lich Frisch selb­st, der die Redewen­dung ver­wen­det und zwar gle­ich zweimal und mit voller Absicht:

Wenn näm­lich ein­er, Sie oder ich, sich hin­stellt und nun die authen­tis­chen Sätze von Kaduk, einem KZ-Mann, spricht, so wird die Authen­tiz­ität dadurch her­abge­set­zt, daß gespielt wird. Und das macht keinen Sinn. Denn das, was zum Beispiel das Stück Die Ermit­tlung mit­teilt, evoziert, das hab’ ich auch in den reinen Doku­men­ta­tio­nen, und zwar mein­er Mei­n­ung nach sehr viel stärk­er, näm­lich sehr viel genauer. Ob das nun noch Lit­er­atur ist oder nicht, weiß ich nicht, aber es macht keinen Sinn … makes no sense. [Max Frisch in einem Inter­view mit Rolf Kieser, 1972 (zitiert nach Kieser 1975: 78)] 

Frisch entlehnt die Redewen­dung offen­sichtlich tat­säch­lich aus dem Englis­chen, wie sein englis­ch­er Ein­schub am Ende des Zitats zeigt. Aber das ändert ja nichts an der Tat­sache, dass ein­er der bedeu­tend­sten deutschsprachi­gen Schrift­steller des Zwanzig­sten Jahrhun­derts die Redewen­dung offen­sichtlich tre­f­fend und ganz und gar nicht unl­o­gisch find­et … anders, übri­gens, als Kieser selb­st, der in sein­er Zusam­men­fas­sung von Frischs Zitat kom­men­tar­los sprach­normierend tätig wird:

Mit der Bemerkung „es hat keinen Sinn“ schließt Frisch diejeni­gen Spiel­vari­anten aus, die unter falschen Voraus­set­zun­gen gespielt wer­den … [Kieser 1974: 78] 

Und die Moral von der Geschichte: Große Geis­ter von Less­ing bis Frisch machen Sinn, schon seit 1760.

KIESER, Rolf (1975), Max Frisch. Das lit­er­arische Tage­buch. Frauen­feld und Stuttgart: Huber. [Google Books]

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

29 Gedanken zu „Max Frisch macht Sinn

  1. Joerg

    Aber…aber wir müssen doch das Theutsche rhein hal­ten. Wo kom­men wir denn hin, wenn wir nicht mehr über Kon­struk­te disku­tieren, die jed­er ver­ste­ht, das macht doch keinen Sinn 😉
    Im Ernst: Schön­er Beitrag

  2. Jürgen Bolt

    Sehr schön!
    Und über­haupt gefällt mir der ganze Blog, den ich vor dem Umzug vor ein­er Woche aus mein­er Heimat­stadt hier­her nicht kannte.
    Less­ing und Frisch als Advokat­en, das sollte wirk­lich ausreichen.
    Ich muß zugeben, daß ich selb­st bis vor weni­gen Jahren glaubte, man könne nichts denken, wofür man kein Wort hat. Eine Ver­lernübung, die sich Aus­bil­dung nen­nt (um mit Slo­ter­dijk zu sprechen), hat­te mich ver­dor­ben. Ein Pro­fes­sor hat­te bezweifelt, daß es das Gefühl der Waldein­samkeit gab, bevor Tieck das Wort erfun­den hat­te. Wenige bril­lante Sätze von Steven Pinker haben mich dann von diesem Irrtum befreit.
    Sie scheinen auch ein paar ziem­lich inter­es­sante Kom­men­ta­toren mit­ge­bracht zu haben. Ich hat­te jeden­falls bei scilogs noch diese witzige Art von Kri­tik gele­sen, die Gareth und DrNI@AM an Ingrid Blum geäußert haben. Macht Appetit auf mehr.

  3. Rainer Rapp

    Das habe ich gebraucht.
    In der Tat kann man sich in der ver­net­zten Welt heute kaum noch bewe­gen ohne, dass man einen Link zu einem bes­timmten Artikeln von Hernn Sick bekommt. Gesendet von einem erregten Vertei­di­ger des guten Deutsch.
    Es wäre mal inter­es­sant dieses Phänomen psy­chol­o­gisch zu betrachten.
    Vie­len Dank für dieses infor­ma­tive und auch sehr inter­es­sante Blog. Den Bre­mer Sprach­blog habe ich auch schon zum Teil aufgearbeitet 😉

  4. Klaus

    Argu­mente machen manch­mal keinen Sinn
    Tja, manch­mal machen solche Argu­mente dann doch keinen Sinn. Viele Leute “wis­sen” ein­fach, dass die Redewen­dung falsch ist. Das ist dann so und damit hat es sich!
    Ähn­lich­es kann man immer wieder find­en. Spon­tan fall­en mir da fol­gende Worte ein, die andauernd angemäkelt werden:
    — Der Schrauben­zieher: Es hieße Schrauben­dreher, da man die Schauben ja nicht ziehen, son­dern drehen würde. Der Ein­wand, dass es sich aber auch um ein Werkzeug han­delt, mit dem man Schrauben an- bzw. festzieht gilt dann ein­fach nicht.
    — Die Unkosten: Ange­blich auch sinn­los und über­flüs­sig. Es seien ein­fach Kosten. Das es sich hier um eine spezielle Art von Kosten han­delt, näm­lich welche, die man nicht erwartet hat, gilt auch meist eher nicht.
    Mir geht diese deutsche Besser­wis­serei dann jedes­mal auf den Keks. Let­ztlich geht es immer darum sich als beson­ders Schlau hinzustellen. Wenn jemand stich­haltige Gege­nar­gu­mente bringt, dann muss die eigene Ehre um jeden Preis vertei­digt werden.
    Manch­mal wer­den die Rück­zugs­ge­fechte um das eigene Welt­bild dann auch schon fast komisch. Vor Jahren disku­tierte ein Über­set­zer im Usenet mit Holo­caust-Leugn­ern. Und doku­men­tierte dies dann auf ein­er eige­nen Webseite.
    Dort wurde dann von den Leugn­ern z.B. die Phrase “the race of doc­tors” ein­fach in “Das ren­nen der Ärzte” um das Leben der Patien­ten umgedeutet:
    http://www.h‑ref.de/tricks/rasse/rasse.php
    Es ging dabei darum, dass Juden sich ange­blich selb­st als “Rasse” einord­nen und daher nicht deutsch sein kön­nten. Als Beleg dafür wur­den englis­che Texte herangezogen.
    Man sieht, dass Real­itätsver­weigerung irgend­wie nicht auszurot­ten ist. Ich glaube daher auch nicht, dass einge­fleis­chte Anglizis­ten­jäger sich mit Less­ing oder Frisch überzeu­gen lassen. Wo kämen wir denn da hin! Wir wis­sen ja, dass die Deutschen von den bösen (US-)Amerikanern unter­wan­dert wer­den. Da kön­nen auch Frisch und Less­ing nichts daran ändern.

  5. Schlacke

    Andere Bedeu­tung bei Lessing?
    Vor­weg: Ich habe kein Prob­lem mit “Sinn machen”.
    Ich bin mir allerd­ings nicht sich­er, ob die Argu­men­ta­tion bezüglich Less­ings wirk­lich wasserdicht ist. mE ist die Stoßrich­tung doch etwas anders. Das bemän­gelte “Sinn machen” ist ja i.d.R. im Sinne von “Sin­nvoll sein” oder “schlüs­sig sein”. Less­ing aber spricht von Über­set­zun­gen (philosophis­ch­er?) Texte und ihm scheint es hier tat­säch­lich um die “Erzeu­gung” eines “Sinns” also ein­er gewis­sen Aus­sage im Geist des Lesers zu gehen.
    Bin ich der einzige der da einen gewis­sen Unter­schied ausmacht?

  6. Thomas Müller

    @Klaus
    Vielle­icht hil­ft es, sich den Unter­schied zwis­chen nor­maler Sprache und ide­al­er Sprache vor Augen zu führen und den philosophis­chen Stre­it darüber (etwa früher Wittgen­stein gegen späten Wittgen­stein, s. z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_der_normalen_Sprache). Viele Sprech­er scheinen intu­itiv davon überzeugt zu sein, dass es sich bei der All­t­agssprache um eine ide­ale Sprache han­deln müsse.
    Das ist auch nicht weit­er ver­wun­der­lich, wenn man bedenkt, was an Schulen häu­fig als Gram­matik gelehrt wird und welchen Stel­len­wert die Prag­matik dabei hat.

  7. Soziobloge

    Ich habe in let­zter Zeit mal darauf geachtet, vor allem auch an der Uni. Und ob es nun Stu­den­ten oder Dozen­ten waren, die haben alle irgen­deine Form von “Sinn machen” genutzt. Was anderes trat nicht auf. Gut die Stich­probe ist jet­zt nicht sehr groß und repräsen­ta­tiv, aber meinem Gefühl nach hat sich das schon gut durchgesetzt.
    Aus sozi­ol­o­gis­ch­er Sicht sagt diese Redewen­dung auch eher das aus, was wirk­lich passiert. Wie man an der Diskus­sion sieht und Klaus auch bemerkt, macht sich jed­er seinen Sinn selb­st. Nach Max Weber ist auch jede soziale Hand­lung eine mit sub­jek­tiv­en Sinn ver­bun­dene Handlung.
    Aus dieser Sichtweise macht das also alles Sinn. 😉

  8. Anatol Stefanowitsch

    Bedeu­tung bei Lessing
    Ich stimme zu, dass bei Less­ing die Bedeu­tung in etwa die von Sinn ergeben ist, während die dom­i­nante Bedeu­tung heute so etwas wie „gut durch­dacht sein“ ist. Aber auch Less­ings Bedeu­tung find­et sich heute noch (ich habe Bedeu­tung­sun­ter­schiede und ‑über­lap­pun­gen zwis­chen Sinn haben/ergeben/machen hier disku­tiert. Den Zusam­men­hang zwis­chen machen und der tat­säch­lichen Kon­struk­tion von Bedeu­tung durch das Indi­vidu­um habe ich eben­falls schon disku­tiert, und zwar hier unter Bezug­nahme auf Ger­hard Roth. Auch Kant wäre hier, wie ich unlängst erin­nert wurde, zu nen­nen, danke auch für den Hin­weis auf Weber.
    Ich merke ger­ade, dass ich zur weltweit führen­den wis­senschaftlichen Autorität für die Redewen­dung Sinn machen gewor­den bin. Hilfe!

  9. suz

    Aber ist es nicht viel auss­chlaggeben­der, dass eine Kon­struk­tion existierte, und weniger, ob sie damals in der heuti­gen Bedeu­tung existierte?

  10. Hektor K

    Hel­vetismus?
    Kön­nte es sein, dass “Sinn machen” seinen Weg ins Deutsche zumin­d­est teil­weise via die Schweiz genom­men hat? Ich habe mich zwar nicht allzu inten­siv mit der The­matik befasst, glaube jedoch kaum, dass in einem der mir geläu­fi­gen Dialek­te des Schweiz­erdeutsch “Sinn haben”, “Sinn ergeben” oder sonst­was ähn­lich­es ver­wen­det wird, “Sinn machen” ist jedoch ein alltäglich­er Aus­druck. So würde auch Max Frischs “Sinn machen” Sinn machen.

  11. Matthias

    Apro­pos Frisch
    Frisch war ja Schweiz­er. Im Schweiz­erdeutsch wird (zumin­d­est soweit ich das als Bern­er überblicke) “hat Sinn” eigentlich nur in der verneinen­den Form ver­wen­det, also “das hett kei Sinn” im Sinne von “das ist nicht sin­nvoll”. Pos­i­tiv gemeint hinge­gen sagen alle “das macht Sinn”. Aber Frisch war nicht nur Schweiz­er, son­dern hat auch Ger­man­is­tik studiert, und vielle­icht hat der Gebrauch von “macht Sinn” darum für ihn Sinn gemacht.

  12. Steffen Rehm

    Sinn
    Ana­tol Stefanowitsch,
    Ich bin begeis­tert, zu dieser Redewen­dung hier einen neuen Blog zu find­en, der auch schon eine inter­es­sante Vorgeschichte hat.
    Dessen fünf Teile kon­nte ich nur auss­chnit­tweise lesen. Ich bin mit Ihrer Mei­n­ung ein­ver­standen, obwohl ich die Redewen­dung nicht oft benutze. Lieber ver­suche ich mit „ergibt S.“ oder „ist sin­nvoll“, „ich sehe S. darinn“, dieses „es macht S.“ zu ver­mei­den, aber nur wegen dem Beigeschmack der Redewen­dung, der ihre Benutzer in Rich­tung „Klugscheißer“ einfärbt.
    Dieser Beigeschmack ergibt sich wohl daraus, daß die Redewen­dung „es macht S.“ zum täglichen Jar­gon der TV-Kom­men­ta­toren und poli­tis­chen Debat­ten gehört.
    Nun ist hier ein Neube­ginn ges­tartet, und sofort mit großer Res­o­nanz, da bin ich ges­pann, was noch kommt.
    Mir liegt nach dem flüchti­gen Überblick eine Frage auf der Zunge, die mir noch ungek­lärt erscheint: Was ist den nun Sinn, was kann ich mir unter diesem Wort vorstellen? Welchen Sinn hat das Wort „Sinn“ in den vie­len Redewen­dun­gen? Wovon ist die Rede, wenn über Sinn gere­det wird?
    Jed­er Leser ver­fügt ja über Sinn, er weiß genau, wovon die Rede ist, aber eine genaue Beschrei­bung des Begriffs stößt auf Schwierigkeiten.
    Erste Hin­weise zur Erhel­lung des Phänomens „Sinn“ erhielt ich durch die Sys­temthe­o­rie von Niklas Luh­mann, in der Sinn aus­führlich als selb­stre­f­er­en­tielle Kon­struk­tion eines Sys­tems beschrieben wird, mit dem Kom­mu­nika­tion (von Sinn) möglich ist. Dem­nach kön­nten die Anhänger dieser The­o­rie auch sagen „das kon­stru­iert Sinn“, eine neue Formel für einen neuen Gelehrtenstreit.
    Wenn ich hier 🙂 set­ze, möge es den Sinn des Lesers darauf ein­stim­men, meine Gedanken immer mit humor­voller Tol­er­anz aufzunehmen.
    In diesem (welchem?) Sinn grüße ich
    nicht nur die Gleichgesinnten
    S.R.

  13. amfenster

    @Steffen Rehm
    Witzig, ich empfinde ger­ade die Wen­dung “etw. ergibt Sinn” mit­tler­weile oft als gestelzt — nicht als ungewöhn­lich oder alt­modisch, aber oft springt mich daraus ger­adezu das krampfhaft ver­miedene “macht Sinn” an. “Da hat ein­er seinen Sick gele­sen”, denke ich mir dann immer.

  14. Hans Schneider

    Luther, Less­ing, Goethe
    Selb­stver­ständlich ver­schiebt sich die Bedeu­tung manch­er Wörter und damit auch die manch­er Phrasen bisweilen. Sinn macht­en auf die eine oder andere Weise neben dem schon erwäh­n­ten Less­ing auch Luther und Goethe. Und solange das wichtig­ste Argu­ment der Puris­ten ist, etwas Abstrak­tes wie Sinn ließe sich nicht machen, kann man die Fein­heit­en der Bedeu­tungsver­schiebung wohl erst mal außen vor lassen. Der Sinn, den Less­ing im Sinn hat­te, ist schon eine ziem­lich vergeistigte Angele­gen­heit und mit dem Sick’schen Brot­teig nicht zu ver­gle­ichen. Das Gle­iche gilt für den Sinn, den Goethe sich zu eini­gen Psalmen machen zu müssen glaubte. Als Beleg dafür, dass die Wen­dung seit mehreren Hun­dert Jahren im Sprachge­brauch ist, reicht das imho aus.

  15. David Marjanović

    Schrauben­dreher?

    Der Schrauben­zieher: Es hieße Schrauben­dreher, da man die Schauben ja nicht ziehen, son­dern drehen würde. Der Ein­wand, dass es sich aber auch um ein Werkzeug han­delt, mit dem man Schrauben an- bzw. festzieht gilt dann ein­fach nicht.

    Zu spät, šraf­ciger ist schon im BCSM* ange­langt. Muss (über das Slowenis­che, nehme ich an) aus einem steirischen Dialekt kommen…
    Das Wort Schrauben­dreher kenne ich nur geschrieben und nur aus Deutsch­land. Witziger­weise wer­den Schrauben aber in Öster­re­ich wed­er gedreht noch gezo­gen, son­dern einzig und allein geschraubt. Es wird angeschraubt, eingeschraubt, zugeschraubt, aufgeschraubt, und wenn es eng wird, wer­den Schrauben hinein- und herausgeschraubt…
    * Bosnisch/Kroatisch/Serbisch/Montenegrinisch.

  16. Faye

    Zeigt nicht eigentlich schon die Häu­figkeit mit der “Sinn machen” ver­wen­det wird, dass es in der deutschen Sprache gebraucht wird? Ich wüsste zumin­d­est nicht, wom­it man es wirk­lich erset­zen könnte.

  17. Doktor Hong

    Sinn haben heißt “Ver­stand besitzen” ???
    Und das soll ein süd­deutsches Idiom sein?
    Naja.
    Ich komme nicht aus Süd­deutsch­land und wir ver­wen­den die Wen­dung “Sinn haben” eigentlich nur in der Nega­tion, z.B. “Lass es, das hat keinen Sinn.” Damit ist gemeint: Eine bes­timmte Hand­lung ist sinn­los, da sie nicht zum gewün­scht­en Effekt führt.
    Umgekehrt sagt man sel­ten (zumin­d­est habe ich es noch nie gehört) “Es hat Sinn, dieses zu versuchen.”
    Son­dern, “Es ist sin­nvoll, das zu pro­bieren” oder eben “Es macht Sinn, wenn Du dieses mal versuchst.”
    “Sinn ergeben” kenne ich nur in Verbindung mit Puz­zlestück­en eines Rät­sels: “Die Hin­weise ergeben ein­fach keinen Sinn!”
    Die Wen­dung “Sinn ergeben” im Zusam­men­hang mit den weit­er oben genan­nten Bedeu­tun­gen zu ver­wen­den, finde ich schwachsin­nig, ver­bohrt und verdächtig ist es, die Ver­wen­dung von “Sinn haben” und “Sinn machen” zu bekritteln.

  18. Doktor Hong

    Kom­ma
    ja, ich weiß, es fehlt im let­zten Satz das Kom­ma vor dem “und”.

  19. Marc

    Kurz vor­weg: Mich nervt diese ganze Sinn“mach“erei. Es soll ein Beweis sein, dass es auch im 18. Jahrhun­dert schon gebraucht wurde? Oder die Ver­bre­itung soll Beweis genug sein? Wenn sagen wir 20 Mil­lio­nen Leute der Mei­n­ung sind 1+1=3, dann wird’s schon stim­men? Und hier: Vor 300 Jahren hat’s auch schon ein­er falsch gemacht! Meist wer­den Dichter herange­zo­gen. Dichter! Herrschaften, die Sprache kreativ gebrauchen, die auch Wortschöp­fun­gen erdenken.
    Seht es doch mal so: Wenn ihr sagt “Dieser Umstand macht Sinn.” Dann ist das in sich doch unl­o­gisch, denn was ihr meint ist doch, dass der Umstand den Sinn bere­its in sich trägt. Er braucht ihn nicht erst zu machen.

  20. D.A.

    @Marc
    Nein, wenn 20 Mil­lio­nen Men­schen sagen, 1+1=3, stimmt das nicht. Ein­fach, weil die Gle­ichung 1+1 so definiert ist, dass sie 2 ergibt. Natür­liche Sprache funk­tion­iert aber ganz anders. Sie existiert nicht unab­hängig von den Men­schen, sie ist nicht (und kann nicht) immergültig definiert wer­den. Sie wird von den Men­schen gemacht, und zwar täglich neu. So lässt sich erk­lären, dass sich Sprache im Laufe der Zeit wan­delt. Wenn Sie “Sinn machen” für falsch hal­ten, mögen Sie das tun, es spielt aber keine Rolle. Wenn 20 Mil­lio­nen Men­schen so sprechen, haben Sie kein Recht, das “falsch” zu nen­nen, denn es gibt kein unab­hängiges Kri­teri­um, an dem man das fest­machen kön­nte. Wir benutzen ständig eigentlich “unl­o­gis­che” Aus­drücke, ohne dass sich jemand daran stören würde — weil Sprache eben nicht immer “logisch” ist und auch nicht sein muss.

  21. Peer

    @Marc
    “Er braucht ihn nicht erst zu machen”
    Aber: Warum ist dann (ange­blich) “Ergibt Sinn” bess­er? Wenn ein Umstand “den Sinn in sich trägt”, udn daher keinen Sinn machen kann, wieso kann er dann welchen ergeben? Auch in dem Fall, wird der Sinn doch erst erzeugt? . Die Logik ver­ste­he ich ehrlich nicht!
    Und wenn man dabei ist:
    Wieso kann etwas keinen Sinn machen, aber Spaß oder betrof­fen oder Laune oder Angst oder…?

  22. Marc

    @D.A. und Peer
    @D.A.:
    Über­spitzt aus­ge­drückt: Dann brauchen wir uns nach dein­er Erk­lärung über­haupt nicht mehr um sprach­liche Regelun­gen zu scheren. Jed­er redet Blödsinn wie es ihm ger­ade passt und wenn er ver­standen wird, ist schon alles gut.
    @Peer:
    Sinn ist etwas nicht Greif­bares, man kann ihn nicht fühlen, riechen, schmeck­en, hören. Deswe­gen kann er auch nicht gemacht, also aktiv hergestellt wer­den, son­dern er ergibt sich von selb­st. Spaß, Laune und Betrof­fen­heit sind Dinge, die durch bes­timmte Hand­lun­gen in dir erzeugt wer­den kön­nen. Wie aber sollte jeman­den Sinn machen?

  23. David

    Marc, irgend­wo drückt Dich der Schuh. Das kann ich sich­er sagen, ohne zu wis­sen, ob Du über­haupt Füße hast!

  24. D.A.

    @Marc
    Her­zlichen Glück­wun­sch, du hast es erfasst. Sprachen müssen nicht reg­uliert wer­den. Ich sehe ja ein, dass das eini­gen, beson­ders uns Deutschen, schw­er­fällt zu akzep­tieren. Tausende Sprachen kom­men prächtig aus, ohne dass jemand auf die Idee käme, sie zu reg­ulieren. Wie kön­nen die sich noch ver­ste­hen, wo doch jed­er nur seinen Blödsinn redet? Tja, es funk­tion­iert. Und auch fürs Deutsche gibt es ja — von der Rechtschrei­bung abge­se­hen — keine offiziellen Regeln; nur ein paar Besser­wiss­er, die uns weis­machen wollen, dass an “gewinkt” irgen­det­was bess­er sein soll als an “gewunken”. Aber auch die kön­nen zum Glück nicht über den all­ge­meinen Sprachge­brauch entscheiden.
    Das Logik-Argu­ment ist ein hil­flos­er Ver­such, uner­wün­schte Wen­dun­gen für “falsch” zu erk­lären, wenn nix anderes mehr hil­ft. Dass es Quatsch ist, zeigen schon ein­fach­ste Beispiele: In der Logik ergeben zwei Negierun­gen eine pos­i­tive Aus­sage. Es gibt jedoch zahlre­iche Sprachen (z. B. Franzö­sisch, Spanisch), in denen eine dop­pelte Nega­tion eben eine neg­a­tive und keine pos­i­tive Aus­sage ergibt. Ist dann die ganze Sprache falsch, hm?
    Und auch das Deutsche ist da nicht “bess­er”: Wenn du an alles, was du sagst, diesel­ben stren­gen Maßstäbe anle­gen würdest wie an “Sinn machen”, dürftest du wahrschein­lich nur noch schweigen. Das geht bei “Wie gehts?” (was geht?) und “Es reg­net” (was reg­net?) los und hört bei Meta­phern, Metonymien und Sprich­wörtern — David hat es bere­its angedeutet — noch lange nicht auf.

  25. Bruno

    Schrauben­zieher
    Heißt es nun Schrauben­zieher oder Schrauben­dreher? 😉 Mir ist es egal, haupt­sache das gute Werkzeug erfüllt seinen Zweck. Oder wie heißt es bei Bin­ford so schön? Wir brauchen mehr Power 🙂

  26. Stephan Schleim

    Ver­wirrende Sprachwissenschaft
    Es heißt: Drei Juris­ten, fünf Mei­n­un­gen. Mir scheint es aber inzwis­chen, als ließe sich das bedenken­los auf die Sprach­wis­senschaft übertragen.
    Ich habe nun schon so manche Diskus­sion mit Redak­teuren und Lek­toren hin­ter mir; ich habe mir schon vor langer Zeit den Duden “Richtiges und gutes Deutsch” gekauft; ich habe zumin­d­est ein paar von Bas­t­ian Sicks Büch­ern gele­sen und nehme inzwis­chen zur Ken­nt­nis, dass man ihm bess­er nicht so viel glauben sollte; ich habe mir Wust­manns “Sprach­dummheit­en” (Aus­gabe von 1949) angeschafft; ich schaue mir gerne die Tuto­ri­als auf Belles Let­tres an (dazu hier ein Beitrag darüber, warum “Sinn machen” im Deutschen nicht gehe); und jet­zt lese ich auch noch ab und zu im Sprachlog.
    Mein Faz­it: Selb­st Experten sind sich nicht darüber einig, was nun “richtiges und gutes Deutsch” ist.
    Mir ging es aber vor allem darum, deinen Ver­weis auf deinen dama­li­gen Kol­le­gen Ger­hard Roth aus dem drit­ten Teil der Serie zu kri­tisieren; und das durfte ich auf der alten Seite nicht mehr.
    Jeden­falls ist Roths Gehirnkon­struk­tivis­mus 1.) sich­er nicht die Mei­n­ung aller Neu­ro- und Kog­ni­tion­swis­senschaftler, ist es 2.) ein noch ungelöstes Rät­sel, wie Bedeu­tung über­haupt im Gehirn real­isiert ist und 3.) entste­ht diese sich­er nicht im Gehirn allein, son­dern nur durch den lebendi­gen Aus­tausch mit ein­er Lebenswelt und anderen Wesen in ihr, die einem die Bedeu­tung (beispiel­sweise auch an Schulen und Hochschulen) beib­rin­gen (vgl. dazu auch meinen jüng­sten Beitrag, Legt das Gehirn alles fest?).

  27. Anakonda

    Sinn haben Sinn machen
    Einen Sinn kann man nicht machen, den hat man von Geburt an- näm­lich deren 5! Es macht ja auch keinen Zweck, son­dern es hat keinen Zweck. Dieser Murks kommt bes­timmt aus der Schweiz. Ein einziger deutsch­er Jour­nal­ist kann eine ganze Repub­lik ver­dum­men! Unglaublich!

  28. moep

    moep
    Ich betra­chte mich nicht als Hüter der Wahrheit und bin dem “Sinn machen” zuge­tan, ich finde es ansprechend.
    Mich stört es allerd­ings, wenn mir jemand Vorschriften machen will, wie bei diesem Aus­druck. Vor­weg, ich bin kein Sprachwissenschaftler.
    Ich zitiere aus Luthers Schriften: “Wenn der Herr nicht einen anderen Sinn macht als wir ihn haben, ist alles Lüge.”
    In dem zuge­höri­gen Abschnitt spricht Luther über den Sinn als Geist, der Herr mache also einen “reinen” und recht­en Geist, es nimmt auf keinen Fall Bezug auf die fünf Sinne. @ Vorredner
    Allerd­ings hat es hier eine andere Bedeu­tung als z.B. bei Frisch, oder doch nicht? Bei Less­ing sieht man deut­lich die Nähe Geist-Sinn (Sinn des Aris­tote­les), man denke auch z.b. an die Redewen­dun­gen “im über­tra­ge­nen Sinn” und “im Geiste übertragen”.
    Natür­lich hat es bei Luther einen tran­szen­den­tal­en Kon­text, was für den Einzel­nen Sinn macht, liegt jedoch eben­sowenig in dessen Macht.
    Ich denke, es wäre lohnenswert, in der römis­chen Bedeu­tung von Sinn/Geist bzw. der griechis­chen von pneu­ma und nous zu suchen und sehe dort mehr Ver­wandtschaft als im Franzö­sis­chen oder gar Englischen.

  29. Karl Siegemund

    Wenig stich­haltig.
    Got­thold Ephraim Less­ing ist in dem Falle ein ungeschick­tes Beispiel, da Herr Less­ing ein großer Fan des englis­chen Schaus­piels und dort beson­ders von Shake­speare war. Wir kön­nen also davon aus­ge­hen, dass Her­rn Less­ings Sprachge­fühl stark vom Englis­chen bee­in­flusst war.

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