Keine Wissenschaft ohne Mathematik

Von Anatol Stefanowitsch
Bloggewitter: Mathematik, Sprache, Wissenschaft

Blogge­wit­ter: Math­e­matik, Sprache, Wissenschaft

In einem mein­er ersten Beiträge hier im Sprachlog ging es um die Frage, ob das Deutsche als Wis­senschaftssprache an Bedeu­tung ver­liert, und wenn ja, ob das schlimm wäre. Meine Antwort auf die erste Frage, das wird nie­man­den über­raschen, war ein klares „Ja“. Meine Antwort auf die zweite Frage ist dif­feren­ziert­er. Für die Wis­senskul­tur in Deutsch­land, Öster­re­ich und der Deutschschweiz wäre es ein Ver­lust, wenn das Deutsche völ­lig aus der Wis­senschaft ver­schwände. Gesellschaftliche und kul­turelle Prozesse wer­den in diesen Län­dern in deutsch­er Sprache ver­han­delt, und eine Wis­senschaft, die an diesen Prozessen beteiligt sein will, kann auf die deutsche Sprache nicht verzichten.

Zumin­d­est in der Kom­mu­nika­tion nach außen muss Wis­senschaft also in der jew­eili­gen Lan­dessprache ver­mit­tel­bar bleiben, und dafür ist es sich­er von Vorteil, wenn auch ein Teil der Kom­mu­nika­tion unter Wissenschaftler/innen in dieser Lan­dessprache stat­tfind­et. Der große Teil der inter­nen Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion muss aber in ein­er Sprache stat­tfind­en, die von anderen Wis­senschaftlern weltweit ver­standen und ver­wen­det wird. Der einzige Kan­di­dat für eine solche Sprache ist derzeit Englisch, und deshalb find­et die Kom­mu­nika­tion unter Wis­senschaftlern (der Ideenaus­tausch in Fach­pub­lika­tio­nen, auf Kon­gressen und natür­lich auch in den häu­fig inter­na­tion­al zusam­menge­set­zten Arbeits­grup­pen einzel­ner Lehrstüh­le und Insti­tute in englis­ch­er Sprache statt. Das ist gut so, und es ist für die deutschsprachige Wis­senschaft und die deutschsprachi­gen Sprachge­mein­schaften völ­lig unproblematisch.

Warum erzäh­le ich das alles im Zusam­men­hang eines „Blogge­wit­ters“ zum The­ma „Math­e­matik, Sprache, Wis­senschaft“? Nun, weil ich in dem betr­e­f­fend­en Beitrag den emer­i­tierten Frank­furter Lit­er­atur­pro­fes­sor Klaus Reichert zitiert habe, der einen Zusam­men­hang zwis­chen den Eigen­schaften einzel­ner Sprachen und den in diesen Sprachen aus­drück­baren Ideen postuliert:

Noch fataler ist es, wenn deutsche Geis­teswis­senschaftler (Philosophen, Lit­er­atur­wis­senschaftler) glauben, die Sprache wech­seln zu sollen. Jede Sprache hat ihre eige­nen Denk­for­men und ‑stile entwick­elt – was in ein­er Sprache denkbar und sag­bar ist, ist es nicht in ein­er anderen, oder nur mit erhe­blichen Ver­lus­ten und Ver­fälschun­gen. Ein englis­ch­er Hegel ist ein ander­er als der deutsche („Phe­nom­e­nol­o­gy of the mind“ oder „of the spir­it“ – wed­er das eine noch das andere deckt sich mit dem deutschen Wort ‘Geist’.) Nach einem alten Wort bedin­gen Denken und Sprache einan­der. [Reichert 2010]

Dieser Idee habe ich wider­sprochen und dabei Fol­gen­des gesagt:

Aus wis­senschaftlich­er Sicht ist es völ­lig egal, in welch­er Sprache der Ideenaus­tausch stat­tfind­et. Wis­senschaftliche Mod­elle sollen die Wirk­lichkeit abbilden und dazu ist jede Sprache in gle­ich­er Weise geeignet. Wenn sich ein wis­senschaftlich­es Mod­ell nur in ein­er einzi­gen Sprache adäquat for­mulieren lässt, ist das ein sicher­er Hin­weis darauf, dass es das Papi­er nicht wert ist, auf dem sein/e Schöpfer/in es for­muliert hat (davon abge­se­hen ist eine Wis­senschaft, deren Ergeb­nisse sich nicht in die uni­verselle „Sprache“ der Math­e­matik über­set­zen lassen, ohne­hin noch weit von ihrem Ziel ent­fer­nt). [Ste­fanow­itsch 2010]

Dass ich mit dieser Aus­sage, die ja wed­er beson­ders orig­inell, noch beson­ders neu ist, unter Geisteswissenschaftler/innen (etwa in den Lit­er­atur- und Kul­tur­wis­senschaften und Teilen der Philoso­phie und der Geschichtswis­senschaften) auf Protest stoße, über­rascht mich nicht. Ich habe Ähn­lich­es Dutzende von Malen in Gesprächen mit Kolleg/innen aus diesen Diszi­plinen geäußert und bin dabei immer auf Empörung (wegen mein­er Her­ab­würdi­gung der Geis­teswis­senschaften) oder Spott (wegen meines „naiv­en Pos­i­tivis­mus“) gestoßen — nicht nur wegen der Aus­sage zur Math­e­matik, son­dern auch wegen mein­er Annahme, es gäbe eine abzu­bildende Wirklichkeit.

Ich will deshalb noch ein­mal etwas genauer erk­lären, was ich mit mein­er Aus­sage meine und warum ich damit kein­er Diszi­plin ihre Exis­tenzberech­ti­gung entziehen will. Dazu muss ich zunächst klarstellen, was ich mit „Wis­senschaft“ und was ich mit „Math­e­matik“ meine.

Das Wort Wis­senschaft ist im Deutschen auf ungün­stige Art und Weise mehrdeutig. Nicht, weil es, wie oft bemerkt wird, das, was im Englis­chen sci­ence heißt, eben­so abdeckt, wie das, was dort human­i­ties heißt. Son­dern, weil es den Unter­schied zwis­chen der Wis­senschaft als Erken­nt­nis­prozess und der Wis­senschaft als Insti­tu­tion verwischt.

Mit Wis­senschaft als Insti­tu­tion beze­ichne ich die äußere Form, inner­halb der­er bes­timmte Wis­sens­bere­iche bear­beit­et wer­den. Die Physik ist in diesem Sinne eben­so eine Wis­senschaft wie die Lit­er­atur­wis­senschaft, denn für bei­de gibt es uni­ver­sitäre Insti­tute und Stu­di­engänge, Fachzeitschriften und Fachkon­feren­zen, Berufsver­bände, usw. Für diese Ver­wen­dung des Wortes Wis­senschaft möchte ich im Fol­gen­den das Wort Fach verwenden.

Was ich in der oben zitierten Pas­sage (und eigentlich immer, wenn ich das Wort ver­wende) mit Wis­senschaft meine, ist aber der Prozess der Wis­senschaft, also eine spezielle Art, Erken­nt­nisse über die Wirk­lichkeit zu sam­meln und zu Mod­ellen dieser Wirk­lichkeit zusam­men­zufü­gen. Dieser Prozess beste­ht für mich (dabei folge ich, wiederum wenig orig­inell, Wis­senschaft­sphilosophen wie Karl Pop­per und Per­cy Bridg­man) daraus, dass man Auss­chnitte der Wirk­lichkeit so definiert, dass sie objek­tiv und nachvol­lziehbar mess­bar wer­den (das nen­nt man „Oper­a­tional­isierung“), dass man dann darüber spekuliert, wie die Mess­größen zusam­men­hän­gen (dass man also Hypothe­sen auf­stellt), und dann mit geeigneten Meth­o­d­en in durch sys­tem­a­tis­che Beobach­tun­gen und Exper­i­ments ver­sucht, diese Hypothe­sen zu wider­legen. Solange sie nicht wider­legt wer­den (bzw., und da weiche ich vielle­icht ein wenig von Pop­per ab, solange sich aus den Beobach­tun­gen und Exper­i­menten keine näher­liegen­den Hypothe­sen ergeben), gel­ten die Hypothe­sen als vor­läu­fige Fak­ten, die in ein Mod­ell der Wirk­lichkeit einge­baut wer­den können.

Mit Math­e­matik beze­ichne ich jedes unzwei­deutige, formell und algo­rith­misch auf seine interne Stim­migkeit hin unter­such­bare Instru­ment zur Repräsen­ta­tion von tat­säch­lichen oder the­o­retis­chen Größen, also Math­e­matik im eigentlichen Sinne eben­so wie Prädikaten­logik und andere auf die Math­e­matik zurück­führbare Darstellungssysteme.

Wenn man sich meine Def­i­n­i­tion für Wis­senschaft (also Wis­senschaft als Prozess) ansieht, wird klar, warum jed­er Aspekt dieses Prozess­es in der „Sprache“ der Math­e­matik aus­drück­bar sein muss: Wäre er es nicht, wäre nicht fest­stell­bar, ob er mess­bar und prinzip­iell wider­leg­bar wäre.

Das bedeutet nicht, dass die gesamte Fachdiskus­sion in einem Fach — egal, ob Physik oder Lit­er­atur­wis­senschaft — der Anforderung der math­e­ma­tis­chen For­mal­isier­barkeit genügt: ein gewiss­er Teil jed­er Fachdiskus­sion ist näm­liche immer „vor­wis­senschaftlich“. Bevor ein wis­senschaftlich­er Erken­nt­nis­prozess in Gang geset­zt wer­den kann, muss viel gedankliche Vorar­beit geleis­tet wer­den: Es müssen Auss­chnitte der Wirk­lichkeit bes­timmt wer­den, die man opreation­al­isieren will, es muss über angemessene Oper­a­tional­isierun­gen gestrit­ten und ver­han­delt wer­den, es müssen Hypothe­sen aufgestellt wer­den, usw. Diese vor­wis­senschaftlichen Diskus­sio­nen kön­nen natür­lich vieles enthal­ten, das sich math­e­ma­tisch aus­drück­en ließe, aber sie müssen es nicht — sie bieten auch Platz für vage Ideen, Intu­ition, Bauchge­fühl, Geis­tes­blitze usw.

Es ist also klar, dass kein Fach pauschal als „Wis­senschaft“ beze­ich­net wer­den kann. Jedes Fach führt Mis­chung aus vor­wis­senschaftlich­er und auf wis­senschaftlich­er Diskus­sion fort. Allerd­ings vari­ieren die Anteile stark. Grob vere­in­facht würde ich sagen, dass der Anteil an wis­senschaftlichen Diskus­sio­nen in Fäch­ern wie Physik, Chemie und Biolo­gie höher ist als in Fäch­ern wie Sozi­olo­gie, Psy­cholo­gie und Lin­guis­tik, wo er wiederum höher ist als in der Lit­er­atur­wis­senschaft oder Philoso­phie (wo er ins­ge­samt gegen null tendiert).

Diese Unter­schiede ergeben sich aus unter­schiedlichen Grün­den. Sie ergeben sich zum Beispiel daraus, dass einige Diszi­plinen (z.B. die Physik) schon seit eini­gen hun­dert Jahren wis­senschaftliche Meth­o­d­en ver­wen­den, andere (z.B. die Psy­cholo­gie oder die Lingis­tik) erst seit eini­gen Jahrzehn­ten. Es ist deshalb nicht ver­wun­der­lich, dass die Mod­elle der Physik aus­gereift und umfassend sind und dass sich damit alle Diskus­sio­nen in der Physik umfassender auf diese Mod­elle beziehen kön­nen und weniger vor­wis­senschaftliche Diskus­sio­nen nötig sind als in der Psy­cholo­gie oder Lin­guis­tik, in denen müh­sam daran gear­beit­et wird, über­haupt erst ein­mal Mod­el­lvorstel­lun­gen für kleine Teil­bere­iche zu entwickeln.

Unter­schiede ergeben sich auch aus der Fass­barkeit des Unter­suchungs­ge­gen­standes. Die Sozial- und Geis­teswis­senschaften haben ständig damit zu kämpfen, dass sie men­schlich­es Ver­hal­ten (mit)untersuchen müssen. Men­schlich­es Ver­hal­ten ist aber sehr viel flex­i­bler, form­bar­er und verän­der­lich als natür­liche Prozesse und es ist deshalb schw­er­er, Geset­zmäßigkeit­en zu erkennen.

Schließlich spielt aber natür­lich auch die Bere­itschaft eine Rolle, mit der sich eine Diszi­plin auf wis­senschaftliche Meth­o­d­en ein­lässt. In den Geis­teswis­senschaften gibt es diese Bere­itschaft häu­fig nicht. Begrün­det wird das oft damit, dass der betr­e­f­fende Unter­suchungs­ge­gen­stand sich mit wis­senschaftlichen Meth­o­d­en nicht fassen ließe. Ich kann das oft nicht nachvol­lziehen. Nehmen wir Klaus Reichert zu Ehren das Beispiel Lit­er­atur­wis­senschaft. Eine typ­is­che Def­i­n­i­tion dieser Diszi­plin ist die folgende:

Lit­er­atur­wis­senschaft beze­ich­net … eine Wis­senschafts­diszi­plin, deren Gegen­stand der gesamte Prozess der textlichen Aus­for­mung (Ver­bre­itung, Rezep­tion, Wirkung und Bew­er­tung von Lit­er­atur) ist, und sie set­zt die Lit­er­atur dabei in ein Ver­hält­nis zu Wirk­lichkeit und Gesellschaft, also zu den Wert‑, Wis­sens- und Über­liefer­ungssys­te­men in Geschichte, Reli­gion, Philoso­phie, Kun­st usw., in denen eine Zeit ihr Selb­stver­ständ­nis aus­bildet und zum Aus­druck bringt. [Allkem­per und Eke 2004, S. 26]

Ich sehe in dieser Def­i­n­i­tion keinen Bere­ich, in dem es unmöglich wäre, ein­deutige, math­e­ma­tisch for­mal­isier­bare Aus­sagen zu machen. Natür­lich sind Ver­bre­itung, Rezep­tion, Wirkung und Bew­er­tung von lit­er­arischen Tex­ten extrem kom­plexe Prozesse; erst recht gilt das, wenn man dazu auch noch die Wech­sel­wirkung dieser Prozesse mit „Wirk­lichkeit und Gesellschaft“ unter­suchen will.

Aber wenn man vor ein­er kom­plex­en Auf­gabe ste­ht, wäre es eine angemessene Reak­tion, diese Auf­gabe in kleinere Teilauf­gaben aufzuteilen und diese dann Stück für Stück zu bear­beit­en. Es kann viele hun­dert Jahre dauern, bis sich aus den Ergeb­nis­sen ein halb­wegs voll­ständi­ges Bild zusam­men­fügt. Für meine Diszi­plin, die Lin­guis­tik, werde ich das ver­mut­lich nicht mehr erleben. Aber wenn man von etwas fasziniert ist, dann ist auch ein unvoll­ständi­ges Ver­ständ­nis eine lohnenswerte Erfahrung. Und eine Alter­na­tive gibt es nicht: Man kann einen kom­plex­en Gegen­stands­bere­ich nicht bear­beit­en, indem man erk­lärt, sie sei mit wis­senschaftlichen Mit­teln nicht zu bear­beit­en und man müsse deshalb auf anderem Wege Erken­nt­nisse über ihn gewinnen.

Denn es gibt keinen anderen Weg zur Erken­nt­nis als den der Wis­senschaft. Und es gibt keine Wis­senschaft ohne Math­e­matik. Das bedeutet nicht, dass Wis­senschaftler ständig und in jedem Bere­ich in Formeln reden müssen. Sie müssen nur so reden, dass sich das, was sie sagen, in Formeln über­set­zen lässt, wenn es darauf ankommt.

 

ALLKEMPER, Alo und Nor­bert Otto EKE (2004) Lit­er­atur­wis­senschaft. Pader­born: Wil­helm Fink. [Google Books (Eingeschränk­te Vorschau)]

REICHERT, Klaus (2010) Weltver­ständ­nis auf Deutsch. DW-World.de, 25. Jan­u­ar 2010. [Link].

STEFANOWITSCH, Ana­tol (2010) Unver­ständ­nis auf Deutsch. Sprachlog, 26. Jan­u­ar 2010. [Link]

 

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

27 Gedanken zu „Keine Wissenschaft ohne Mathematik

  1. Anonym

    Beweis­barkeit der Widerspruchsfreiheit
    Sehr geehrter Herr Ste­fanow­itsch, wenn sie sagen
    “Mit Math­e­matik beze­ichne ich jedes unzwei­deutige, formell und algo­rith­misch auf seine interne Stim­migkeit hin unter­such­bare Instrument [..].”,
    so sprechen sie von etwas zweifels­frei math­e­ma­tis­chem. Es gibt jedoch viel Math­e­ma­tis­ches, dem sie dann nicht den Namen Math­e­matik zugeste­hen. Der erste Goedelsche Unvoll­staendigkeitssatz sagt uns (Zitat von Wikipedia):
    “In jedem for­malen Sys­tem der Zahlen, das zumin­d­est eine The­o­rie der Arith­metik der natür­lichen Zahlen () enthält, gibt es einen unentschei­d­baren Satz, also einen Satz, der nicht beweis­bar und dessen Negierung eben­so wenig beweis­bar ist. (1. Gödelsch­er Unvollständigkeitssatz).”
    Mit anderen Worten: Selb­st im Sys­tem der Arith­metik nat­uer­lich­er Zahlen laesst sich nicht jed­er Satz (algo­rith­misch) auf seine Wahrheit prue­fen, in groesseren Sys­te­men erst recht nicht.

  2. Martin Holzherr

    Math. Repräsen­ta­tion des Wissenskerns
    Denn es gibt keinen anderen Weg zur Erken­nt­nis als den der Wis­senschaft. Und es gibt keine Wis­senschaft ohne Mathematik.
    Es gibt sich­er keine Wis­senschaft ohne Fach­sprache und jede Fragestel­lung sollte iner­halb eines Sys­tems von Konzepten und Begrif­f­en erfolgen.
    Das kann dann einen For­mal­is­mus ergeben, im all­ge­meinen aber nicht im gle­ichen Sinne wie in der Physik, wo ein physikalis­ch­er Sachver­halt auf ein bes­timmtes Gebi­et der Math­e­matik abge­bildet wird.
    Natür­lich kön­nen viele math­e­ma­tis­che Meth­o­d­en (z.B. die Prädikaten­logik) auch in geis­teswis­senschaftlichen Fäch­ern als Unter­suchungsmit­tel ver­wen­det werden.
    Im Text oben geht es aber darum, ob jedes wis­senschaftliche Gebi­et eine math­e­ma­tis­che Repräsen­ta­tion hat. Das kön­nte sein. Entschei­dend ist aber, ob die math­e­ma­tis­che Repräsen­ta­tion einen zusät­zlichen Erken­nt­nis­gewinn bringt oder min­destens die Kom­mu­nika­tion erleichtert.
    Eine Math­e­ma­tisierung kann aber auch Wis­senschaftlichkeit vortäuschen oder nur bes­timmte Phänomene adäquat beschreiben, nicht aber das Wesen der Fragestellung.
    Zum Ver­hält­nis von Math­e­matik und Ökonomie in der math­e­ma­tis­chen Ökonomie hat sich Karl Pop­per kri­tisch geäussert: “Pop­per assert­ed that an eco­nom­ic mod­el could either have ver­i­fi­able assump­tions and pro­duce no new infor­ma­tion or have unver­i­fi­able assump­tions and sac­ri­fice for­mal­ism for scope”
    Noch kri­tis­ch­er sieht Robert Heil­broner den Ein­satz von Formeln in der Ökonomie: “.. the sheer equa­tions, and the sheer look of a jour­nal page, bears a cer­tain resem­blance to science…That one cen­tral activ­i­ty looks sci­en­tif­ic. I under­stand that. I think that is gen­uine. It approach­es being a uni­ver­sal law. But resem­bling a sci­ence is dif­fer­ent from being a science.”
    Die obi­gen Zitate stam­men aus http://en.wikipedia.org/wiki/Mathematical_economics
    Sel­ber glaube ich, dass es ein gross­er Glücks­fall ist, wenn ein Teil­ge­bi­et ein­er Geis­teswis­senschaft eine adäquate math­e­ma­tis­che Repräsen­ta­tion hat und das es sehr viel Anstren­gung kosten kann, eine solche zu finden.
    Das gilt sog­ar für die Physik. Ein­stein hat mehrere Jahre gebraucht um die all­ge­meine Rel­a­tiv­ität­s­the­o­rie zu entwick­eln und einen grossen Anteil dieser Zeit war der Suche nach ein­er math­e­ma­tis­chen Repräsen­ta­tion gewidmet.

  3. Markus A. Dahlem

    Mehr als die Teile
    Lieber Herr Stefanowitsch!
    Im Großen und Ganzen denke ich zu ver­ste­hen, wie sie es meinen und ich sehe die Wis­senschaft und ihre Meth­o­d­en ähnlich.
    Über einen Satz gegen Ende bin ich gestolpert:
    “Aber wenn man vor ein­er kom­plex­en Auf­gabe ste­ht, wäre es eine angemessene Reak­tion, diese Auf­gabe in kleinere Teilauf­gaben aufzuteilen und diese dann Stück für Stück zu bearbeiten.”
    Das muss nicht immer funk­tion­ieren, es wird in der Tat fast nie funk­tion­ieren, kom­plexe Sys­teme in kleine Prob­leme zu zer­legen, ohne etwas zu ver­lieren. Auch das ist aber ein Prob­lem, welch­es sich mit Math­e­matik lösen lässt.
    Beste Grüße
    Markus Dahlem

  4. Dierk

    Nur eine Kleinigkeit

    … eben­so wie Prädikatenlogik …

    … oder Philoso­phie (wo er ins­ge­samt gegen null tendiert)

    Das passt nicht so recht zusam­men. Sicher­lich ist die europäis­che — ich kor­rigiere: kon­ti­nen­tal-europäis­che — Philoso­phie geprägt von Geschwätzigem, konzen­tri­ert sich mit Vor­liebe auf vage The­sen in eher wabern­den Diszi­plinen. Das macht aber nicht die gesamte Philoso­phie math­e­ma­tisch unfass­bar. Immer­hin gehören Logik und Epis­te­molo­gie dazu.

  5. Stefanp

    Wie Elmar Diederichs in diesem “Blogge­wit­ter” zeigt, ist es keines­falls sich­er, ob die Math­e­matik als Beschrei­bungssprache uni­versell ist und aus diesem Grund eine erken­nt­nis­the­o­retisch ein­ma­lige Stel­lung hat. Es ist zudem so, dass jede Wis­senschaft auf nicht math­e­ma­tis­chen Konzepten beruht. Die physikalis­chen Grund­kräfte lassen sich z. B. nicht aus der Math­e­matik ableit­en. Sie benöti­gen einen men­schlichen Beobachter und damit die men­schliche Kog­ni­tion. Dieser zu entkom­men ist alleine aus diesem Grund schon unmöglich. Erschw­erend kommt hinzu, dass sich alles math­e­ma­tis­che immer auch sprach­lich aus­drück­en lässt. In diesem Sinn ist Math­e­matik — wie jede andere Plansprache auch — ein Teil der men­schlichen Kog­ni­tion. Die Frage nach Entdeckung/Erfindung wird dann zur Frage nach biologischen/kulturellen Grund­la­gen. Kaum umstrit­ten dürfte sein, dass die Math­e­matik ein Werkzeug ist, das wir bish­er haben und dass uns zu Exak­theit und Nachvol­lziehbarkeit zwingt. Wis­senschaften prof­i­tieren also von der Math­e­matik, weil sie zu Exak­theit und Nachvol­lziehbarkeit zwingt. Es ist aber nicht einzuse­hen, weswe­gen dies nur die Math­e­matik leis­ten kön­nen soll.
    Es muss auch nicht jed­er For­mal­is­mus, der der­ar­tiges leis­ten kann, in die Sprache der Math­e­matik über­führbar sein. Siehe den Kom­men­tar vor meinem — jed­er wider­spruchs­freie und hin­länglich kom­plex­er For­mal­is­mus muss unvoll­ständig sein.
    Man sollte daher eher beschei­den sein und Math­e­matik als das sehen, was sie ist: Ein her­vor­ra­gen­des Werkzeug, dass zu Exak­theit und Nachvol­lziehbarkeit zwingt — vielle­icht das beste Werkzeug, das wir bish­er haben. Es gibt aber keinen Grund zu glauben, es sei grund­sät­zlich das einzige.
    Der Drang den Wis­senschafts­be­griff auf der Math­e­matik aufzubauen ist vor dem Hin­ter­grund was bish­er ohne Math­e­matik so getrieben wurde und wird ohne Weit­eres nachzu­vol­lziehen. Wis­senschaft­s­the­o­retisch dürfte es aber nur schw­er zu begrün­den sein.

  6. David

    @stefanp

    Es muss auch nicht jed­er For­mal­is­mus, der der­ar­tiges leis­ten kann, in die Sprache der Math­e­matik über­führbar sein. Siehe den Kom­men­tar vor meinem — jed­er wider­spruchs­freie und hin­länglich kom­plex­er For­mal­is­mus muss unvoll­ständig sein.

    In der fol­gen­den Pas­sage kommt m.E. (jeden­falls, wenn wir das “algo­rith­misch” ausklam­mern) ein so weit gefaßter Math­e­matik­be­griff zum Aus­druck, daß ver­mut­lich alles, das man als For­mal­is­mus bere­it wäre zu beze­ich­nen darunter sub­sum­iert wer­den könnte:

    Mit Math­e­matik beze­ichne ich jedes unzwei­deutige, formell und algo­rith­misch auf seine interne Stim­migkeit hin unter­such­bare Instru­ment zur Repräsen­ta­tion von tat­säch­lichen oder the­o­retis­chen Größen, also Math­e­matik im eigentlichen Sinne eben­so wie Prädikaten­logik und andere auf die Math­e­matik zurück­führbare Darstellungssysteme.

    Über­führbarkeit eines For­mal­is­mus in die Sprache der Math­e­matik wäre dann über­flüs­sig, denn als For­mal­is­mus wäre er bere­its Mathematik.
    Worauf grün­det sich im Übri­gen der Schluß von der Notwendigkeit der Unvoll­ständigkeit gewiss­er Sys­teme auf Inkom­men­su­ra­bil­ität unter­schiedlich­er Sys­teme (i.S.v. Nichtübertragbarkeit)?

  7. Elmar Diederichs

    @Stefanowitsch: Kor­rek­theit­stan­dards
    Damit ich sich­er bin, daß mein Kom­men­tar den Punkt Ihres Artikels trifft, stelle ich meine Kurz­fas­sung (aber in ihrem Vok­ab­u­lar) an den Anfang:
    i) Math­e­matik ist jedes wohldefinierte, for­mal­isier­bare und dadurch auf deduk­tive Kor­rek­theit ablaufend­es, algo­rith­mis­che Verfahren.
    ii) Wis­senschaft ist nur der­jenige argu­men­ta­tive Prozeß der Wis­sensansamm­lung über die Wirk­lichkeit, der im weitesten Sinne math­e­ma­tisch ist. Ins­beson­dere muß jedes in der Wis­senschaft akzep­tierte Argu­ment for­mal­isiert wer­den kön­nen, damit Entschei­d­barkeit gewährleis­tet bleibt.
    iii) Der wis­senschaftliche Gehalt ist in Fäch­ern wie Physik, Chemie und Biolo­gie höher ist als in Fäch­ern wie Sozi­olo­gie, Psy­cholo­gie und Lin­guis­tik, wo er wiederum höher ist als in der Lit­er­atur­wis­senschaft oder Philoso­phie wo er ins­ge­samt gegen null tendiert.
    Ich möchte jet­zt dafür argu­men­tieren, daß jed­er dieser Punk­te falsch ist.
    zu i): Wenn ich die Prin­cip­ia Math­e­mat­i­ca richtig ver­standen habe, dann ist das Ergeb­nis von Rus­sell und With­e­head — salopp for­muliert -, daß Mathematik=(Logik+etwas Mengenlehre+einige merk­würdi­ge Axiome). Wenn wir annehe­men, daß ihre Axioma­tisierung stimmt, dann ist (meine) Math­e­matik ein ganz spezielles for­males Sys­tem und ihre Redeweise von “Math­e­matik” ver­bi­etet sich. Stattdessen sollte man für ein for­males Sys­tem in Ihrem Sinne die Beze­ich­nung “QMath­e­matik” ein­führen — dage­gen wäre nichts einzuwen­den und ich werde von nun an der Frage nachge­hen, ob Wis­senschaft ohne QMath­e­matik möglich ist.
    zu ii): Wenn wir QMath­e­matik betra­cht­en, dann ist der Hin­weis auf Gödels The­o­reme nicht unin­ter­es­sant. Gödels Resul­tat war aber etwas anders, als hier behauptet wurde: Er wies 1935 nach, daß man für alle for­malen Sys­teme ein­er gewis­sen sprach­lichen Reich­haltigkeit die Wahl hat zwis­chen zwei unan­genehmen Zustän­den: Entwed­er man gibt zu, daß nicht alle wahren Formeln auch ableit­bar sind aus den gegebe­nen Axiomen des Sys­tems (Unvoll­ständigkeit oder auch: Nich­tex­is­tenz eines kon­sis­ten­ten Akgorith­mus) oder man gibt zu, daß man von der voll­ständi­gen Axioma­tisierung mit den Mit­teln des for­malen Sys­tems nicht nach­weisen kann, daß sie kon­sis­tent ist (die für Hilberts For­mal­is­mus tödliche Unentschei­d­barkeit). Daß Wider­spruchs­frei­heits­be­weise unmöglich sind, wird nicht behauptet.
    Also: Auf­grund des Fehlens kon­sis­ten­ter Algo­rith­men und dem notorischen Man­gel an Wider­spruchs­frei­heits­be­weisen QMath­e­ma­tisierung ist kein Garant für Wis­senschafts­fortschritt, son­dern allen­falls für Trans­parenz. Aber natür­lich stimme ich Ihnen zu, daß hohe Stan­dards der deduk­tiv­en Kor­rek­theit in Argu­menten immer eine tolle Sache ist.
    Selb­st wenn wir ein­mal annehmen wür­den, daß wir kon­sis­tente Algo­rith­men hät­ten, dann würde ihr Gebrauch keinen zusät­zlichen Gehalt an Real­is­mus oder Wirk­lichkeit­streue erzeu­gen: Anders zu reden (z.B. for­mal via kon­sis­tente Algo­rith­men), bedeutet nicht, über etwas anderes zu reden. Die unter Physik­ern und Math­e­matik­ern sehr prak­tis­che Redeweise von Mod­el­lierung und Abbil­dung ist mir gut ver­taut, aber sie sollte philosophisch nicht allzu ernst genom­men wer­den. Es mag sein, daß Pop­pers Basis­satzmeta­physik hier anderes sug­geriert, aber wir kön­nen uns nicht ein­fach damit genü­gen, uns auf sein Wis­senschaftsver­ständ­nis zu berufen und z.B. die Fol­gen von Quines “Two Dog­mas of Empiri­cism” ignori­eren. (Man müßte das geson­dert disku­tieren, hier habe ich nicht genug Platz -> Danke für die Anre­gung zu einem neuen post!)
    zu iii) Von den Fäch­ern, die bei Ihnen in Sachen Wis­senschaftlichkeit schlecht wegkom­men, kenne ich nur die Philoso­phie ein wenig. Mein Ein­druck unter­schei­det sich von Ihrem gewaltig. Obwohl ich für den Lagerkampf zwis­chen Ana­lytik­ern und der Kon­ti­nen­tal­philoso­phie Sym­pa­thie habe, wird z.B. in der Kon­ti­nen­tal­philoso­phie sehr wohl mit aller Kraft um schlüs­sige Argu­mente gerun­gen. Der Unter­schied ist der, daß keine for­malen Mit­tel zur Kon­trolle einge­set­zt wer­den. Aber daraus fol­gt nicht, daß z.B. bei Kant oder Descartes nur Blödsinn ste­ht. Und wenn ich mir die Geschichte der Physik seit New­ton anse­he, so sehe ich eine Folge — wenn auch unge­heuer erfol­gre­ich­er — aber eben auch grandios­er Irrtümer: Unter Physik­ern grassiert der Witz, daß das einzige Beispiel, wo die Physik wirk­lich ver­standen wurde, der har­monis­che Oszil­la­tor ist. Ich hoffe, hier lesen noch andere Physik­er mit, die das bestätigen.
    Auch die Geschichte der Math­e­matik, die nie ohne for­male Mit­tel betrieben wurde, ist keineswegs immer so überirdisch hell, wie Sie es darstellen. Zu Gauß Zeit­en, waren die im Prinzip richti­gen Beweise in vie­len Fällen nicht kor­rekt aufgeschrieben und um das wirk­lich effek­tiv die Kor­rek­theit math­e­ma­tis­ch­er Argu­men­ta­tion zu kon­trol­lieren, wur­den zulet­zt von Frege große Anstren­gun­gen unter­nom­men — 1893. Neben­bei erfand er neben­bei die Sprach­philoso­phie und set­zte den Start­punkt der let­zten Grund­la­genkrise der Math­e­matik — das let­zte, was er als Math­e­matik­er wirk­lich intendiert haben dürfte.
    Also: Formeln kön­nen unge­heuer nüt­zlich sein. Aber auch die for­mal­isierten Fäch­er wie Math­e­matik, Physik und QMath­e­matik rin­gen selb­st um wis­senschaftliche Seriosität.
    Ins­ge­samt hätte ich es bess­er gefun­den, wenn Sie ein­fach zugegeben hät­ten, daß Sie in der Ini­ti­a­tion­spolemik dieses blogge­wit­ters schlicht zu weit gegan­gen sind. Und als mutig würde ich ihre pauschale Abqual­i­fizierung der sog. weichen Wis­senschaften auch nicht beze­ich­nen. Zumin­d­est in eini­gen Fällen geht es ganz sim­pel um Unwissenheit.

  8. Stefanp

    David:
    Mein Anliegen ist, dass man dazu eben keine Aus­sage machen kann und dies ein weit­er­er Grund dafür ist, Wis­senschaft nicht über die Ver­wen­dung von Math­e­matik zu definieren. Das Argu­ment bleibt aber, dass Math­e­matik lediglich die For­mulierung, also die äußere Form vorgibt. Über den Inhalt sagt das noch lange nichts. Oder um es konkreter zu machen: Man kann mit Math­e­matik auch wun­der­bar Pseudowis­senschaft betreiben, z. B. Zahlen­mys­tik. Math­e­matik ist ein großar­tiges Werkzeug in den Wis­senschaften, das eine bes­timmte nüt­zliche Form und auch Arbeitsweise erzwingt.
    Es ist aber in der Prax­is nicht die einzige Arbeitsweise, die zen­trale wis­senschaftliche Ansprüche wie Über­prüf­barkeit und Objek­tiv­ität erfüllen kann. Fragestel­lun­gen in z. B. der Geschichte müssen zwangsweise auf nicht-math­e­ma­tis­chen Vorge­hensweisen beruhen, so dass eine Oper­a­tionalsierung mit Mess­größen kaum eine sin­nvolle Form ist. Exper­i­mente dürften sich auch reich­lich schw­er gestal­ten. Das heißt aber nicht, dass man keine über­prüf­baren und objek­tiv­en Aus­sagen über die Geschichte machen könnte.
    Und um damit wieder zum Anfang des Kom­men­tars zu kom­men: Nur weil sich ein Vorge­hen nicht klas­sisch math­e­ma­tisch aus­drück­en lässt, ist es noch lange nicht unwis­senschaftlich. Die Prax­is, aber auch die The­o­rie — eben der Unvoll­ständigketis­satz — zeigt, dass die Beschränkung auf eine äußere Form prob­lema­tisch ist. Die Form sollte offen sein — die inhaltlichen Anforderun­gen dage­gen nicht.

  9. David

    Gödels Resul­tat war aber etwas anders, als hier behauptet wurde: Er wies 1935 nach, daß man für alle for­malen Sys­teme ein­er gewis­sen sprach­lichen Reich­haltigkeit die Wahl hat zwis­chen zwei unan­genehmen Zustän­den: Entwed­er man gibt zu, daß nicht alle wahren Formeln auch ableit­bar sind aus den gegebe­nen Axiomen des Sys­tems (Unvoll­ständigkeit oder auch: Nich­tex­is­tenz eines kon­sis­ten­ten Akgorith­mus) oder man gibt zu, daß man von der voll­ständi­gen Axioma­tisierung mit den Mit­teln des for­malen Sys­tems nicht nach­weisen kann, daß sie kon­sis­tent ist (die für Hilberts For­mal­is­mus tödliche Unentschei­d­barkeit). Daß Wider­spruchs­frei­heits­be­weise unmöglich sind, wird nicht behauptet.

    Nein. Der erste Unvoll­ständigkeitssatz besagt genau das, was hier behauptet wurde, daß er besage: Jedes wider­spruchs­freie rekur­sive for­male Sys­tem, das min­destens die Arith­metik der natür­lichen Zahlen enthält, ist unvoll­ständig in dem Sinne, daß es notwendi­ger­weise unab­hängige Sätze gibt, also Sätze, die inner­halb des Sys­tems wed­er beweis­bar sind noch widerlegbar.
    Der zweite Unvoll­ständigkeitssatz besagt, daß kein wider­spruchs­freies for­males Sys­tem dieser Art seine eigene Wider­spruchs­frei­heit beweisen kann.
    Solche Sys­teme sind also unvoll­ständig und nicht in der Lage, ihre eigene Kon­sis­tenz zu beweisen. Das ist ein Sowohl-als-auch, kein Entweder-Oder.
    Was Sie mit “Nich­tex­is­tenz eines kon­sis­ten­ten Algo­rith­mus” meinen, erschließt sich mir übri­gens gar nicht.

  10. Anatol Stefanowitsch

    Gute Diskus­sion
    @Martin Holzherr:

    Entschei­dend ist aber, ob die math­e­ma­tis­che Repräsen­ta­tion einen zusät­zlichen Erken­nt­nis­gewinn bringt oder min­destens die Kom­mu­nika­tion erleichtert.

    Dem stimme ich zu. Mir ging es ja ursprünglich darum, dass Aus­sagen ein­deutig sein müssen, dass sie also nicht von der Sprache abhän­gen dür­fen, in der sie for­muliert sind. Die Math­e­ma­tisier­barkeit sollte das nur sich­er­stellen. Ein zusät­zlich­er Erken­nt­nis­gewinn entste­ht nicht unbe­d­ingt, sich­er aber dann, wenn sich her­ausstellt, dass eine Aus­sagen NICHT math­e­ma­tisier­bar ist.

    Eine Math­e­ma­tisierung kann aber auch Wis­senschaftlichkeit vortäuschen oder nur bes­timmte Phänomene adäquat beschreiben, nicht aber das Wesen der Fragestellung.

    Beim Vortäuschen stimme ich Ihnen zu. Beim „Wesen der Fragestel­lung“ vielle­icht, ich bin mir nicht sich­er genug, was Sie damit meinen.
    @Markus Dahlem:
    Ja, ein guter Hin­weis. In der Tat merkt man ja auch oft erst dann, wenn man die Teile wieder zusam­menset­zt, dass man beim Bear­beit­en der Einzel­teile völ­lig auf dem Holzweg war.
    @Dierk
    Vielle­icht so (nicht, dass das meine ern­sthafte Mei­n­ung wäre):
    (Wis­senschaftlichkeit der Philoso­phie) — (Prädikaten­logik) = 0
    Ich sage ja nicht, dass die Philoso­phie (oder die Lit­er­atur­wis­senschaft, oder …) keine Wis­senschaften sein kön­nten. Sie müssten es halt nur ern­sthaft ver­suchen. Als Lin­guist weiß ich nur zu gut, dass das schw­er und oft deprim­ierend ist, dass man dabei oft auf Umwege und in Sack­gassen gerät, dumme (und manch­mal natür­lich auch kluge) Fehler macht, und dass man nicht weiß, ob man irgend­wo ankom­men wird. Für mich ist das trotz­dem befriedi­gen­der als daneben zu ste­hen und klug daherzureden.
    @Stefanp:
    „Zeigen“ ist vielle­icht zu opti­mistisch for­muliert. Sagen wir mal, er „behauptet“ es (oder wieder­holt die Behaup­tun­gen von Lakoff“).

    Man sollte daher eher beschei­den sein und Math­e­matik als das sehen, was sie ist: Ein her­vor­ra­gen­des Werkzeug, dass zu Exak­theit und Nachvol­lziehbarkeit zwingt — vielle­icht das beste Werkzeug, das wir bish­er haben.

    Das ist sehr schön for­muliert, dem kann ich mich nur anschließen. Genau darum geht es mir.

    Es gibt aber keinen Grund zu glauben, es sei grund­sät­zlich das einzige.

    Ich sage mal: Es ist das einzige, von dem wir wissen.
    @Elmar Diederichs:
    zu i) Nein, ich habe nicht gesagt „Math­e­matik ist…“ son­dern „Mit Math­e­matik beze­ichne ich…“. Das war eine Präzisierung meines Sprachge­brauchs im Zusam­men­hang mein­er Blogbeiträge.
    zu ii) Dass Math­e­matik ein Garant für Wis­senschafts­fortschritt (oder son­st irgen­det­was) ist, habe ich nicht behauptet. Was ich gesagt habe, ist, dass die Abwe­sen­heit von Math­e­ma­tisier­barkeit ist ein Garant für die Abwe­sen­heit von Wis­senschafts­fortschritt ist. Das ist nicht das­selbe, denn aus ¬p -> ¬q fol­gt ja nicht p -> q. Im Übri­gen beze­ichne ich an kein­er Stelle die Math­e­matik als „überirdisch hell“ — das überirdisch Helle über­lasse ich Michael Blume. Und über die Geschichte der Math­e­matik sage ich gar nichts.
    zu iii) Ich sehe in Ihren Aus­führun­gen nichts, was mich überzeu­gen würde, dass meine Aus­sage vom Anteil an Wis­senschaftlichket (im von mir angenomme­nen Sinne) in den ver­schiede­nen Diszi­plinen falsch wäre. Wie Sie so schön sagen, ist die Geschichte der Physik eine Geschichte grandios­er Irrtümer. Ich kann Ihnen da nur beipflicht­en, füge aber hinzu: Die Geschichte der Lit­er­atur­wis­senschaft ist dage­gen eine Geschichte von Aus­sagen, von denen es sich unmöglich sagen lässt, ob es sich um Irrtümer han­delt, oder nicht.

    Ins­ge­samt hätte ich es bess­er gefun­den, wenn Sie ein­fach zugegeben hät­ten, daß Sie in der Ini­ti­a­tion­spolemik dieses blogge­wit­ters schlicht zu weit gegan­gen sind. Und als mutig würde ich ihre pauschale Abqual­i­fizierung der sog. weichen Wis­senschaften auch nicht bezeichnen.

    Tja, sehen Sie, stattdessen habe ich ver­sucht, meine Ini­ti­a­tion­spolemik zu erläutern. Dass das „mutig“ war, habe ich nir­gends gesagt und ich ver­ste­he ehrlich gesagt auch nicht, was Mut hier für eine Rolle spie­len kön­nte. Allerd­ings habe ich jet­zt tat­säch­lich etwas Angst vor meinen lit­er­atur­wis­senschaftlichen Kolleg/innen (hier ein aus­drück­lich­er Gruß an Uwe S.), aber die ken­nen meine Mei­n­ung sowieso und es ist ja auch nicht so, als ob sie keine Gemein­heit­en über die Lin­guis­tik im Ärmel hätten…

  11. Patrick Schulz

    Senf
    Ich wollte zuerst hier meinen Senf dazugeben, hab dann aber gemerkt, dass es zu viel wird. Hab das Ganze dann auf mein eigenes Blog verschoben

  12. Elmar Diederichs

    @Stefanowitsch: Keine Frage des Fachs
    “Das war eine Präzisierung meines Sprachge­brauchs im Zusam­men­hang mein­er Blogbeiträge.”
    Wie auch immer — was sie als Math­e­matik aus­geben — und diese wollen wir ja disku­tieren — ist eher eine Charak­ter­isierung jed­er kalkülar­ti­gen, for­malen Sprache.
    “Was ich gesagt habe, ist, dass die Abwe­sen­heit von Math­e­ma­tisier­barkeit ist ein Garant für die Abwe­sen­heit von Wis­senschafts­fortschritt ist.”
    Ich weiß. Ich sagte das ja auch. Den­noch ist Ihre These ein­fach schon durch die Geschichte der Math­e­matik, die selb­st mal als schlampig und unser­iös galt, wider­legt — von meinen anderen Argu­menten ein­mal abgesehen.
    “Ich sehe in Ihren Aus­führun­gen nichts, was mich überzeu­gen würde, dass meine Aus­sage vom Anteil an Wis­senschaftlichket (im von mir angenomme­nen Sinne) in den ver­schiede­nen Diszi­plinen falsch wäre.”
    Das tut mir leid. Welche Pas­sage kann ich Ihnen noch ein­mal erläutern, um mehr Klarheit zu schaffen?
    “Die Geschichte der Lit­er­atur­wis­senschaft ist dage­gen eine Geschichte von Aus­sagen, von denen es sich unmöglich sagen lässt, ob es sich um Irrtümer han­delt, oder nicht.”
    Das kann ich lei­der nicht beurteilen. Aber ich bin mir ziem­lich sich­er, daß es nicht am Verzicht auf for­male Mit­tel liegt. Beispiele dafür gibt es in der Philoso­phie genug. Die for­malen Mit­tel selb­st sind auch noch viel zu unreif, um die großen Auf­gaben, die Sie ihnen zumuten wollen, auch zu absolvieren.
    “Tja, sehen Sie, stattdessen habe ich ver­sucht, meine Ini­ti­a­tion­spolemik zu erläutern.”
    Offen­bar habe ich Sie falsch ver­standen: Ich hat­te den Ein­druck, daß Sie sich mit dem durch­sichti­gen Trick der Refor­mulierung des Aus­drucks “Math­e­matik” aus der Affaire ziehen wollten.

  13. Elmar Diederichs

    David: Nach­schla­gen
    “Solche Sys­teme sind also unvoll­ständig und nicht in der Lage, ihre eigene Kon­sis­tenz zu beweisen. Das ist ein Sowohl-als-auch, kein Entweder-Oder.”
    Es ist möglich, daß ich das falsch in Erin­nerung habe. Ich werde noch ein­mal nach­le­sen und dann bericht­en. Es wird aber sich­er bis mor­gen dauern.
    “Was Sie mit “Nich­tex­is­tenz eines kon­sis­ten­ten Algo­rith­mus” meinen, erschließt sich mir übri­gens gar nicht.”
    Das ist war eine facon de parler.

  14. Frank

    @Elmar Diederichs LOL, wenn jemand nicht Ihre merk­würdi­ge “Def­i­n­i­tion” von Math­e­matik ver­wen­det, will er sich aus der “Affaire” ziehen, aber wenn Sie (als Math­e­matik­er) math­e­ma­tis­chen Stuss reden, ist das eine “facon de par­ler”. Immer­hin haben Sie es geschafft, auf alberne Über­schriften in falschem Englisch zu verzicht­en und die Schuld an allem aus­namh­sweise nicht den Gen­der Stud­ies zu geben.
    Zum eigentlichen Beitrag: Ich bin mir nicht sich­er, ob der “wis­senschaftliche Prozess” der einzige Weg zur Erken­nt­nis ist. Es scheint mir beispiel­sweise keine wis­senschaftli­hce Begrün­dung für moralis­che Aus­sagen zu geben, aber trotz­dem scheinen mir manche wahr (“Sei nett zu anderen”) und manche falsch (“Sei gemein zu anderen”).

  15. Anonym

    @Elmar Diederichs
    Hal­lo. Sie sagen:
    “Daß Wider­spruchs­frei­heits­be­weise unmöglich sind, wird nicht behauptet.”
    Was behauptet wird, ist dass die Frage nach der Wider­spruchs­frei­heit eines genue­gend aus­sagen­re­ich­es Sys­tem nicht inner­halb dieses Sys­tems beant­wortet wer­den kann.

  16. Anonym

    @Stefanp
    Hal­lo, Sie sagen:
    “Man kann mit Math­e­matik auch wun­der­bar Pseudowis­senschaft betreiben, z. B. Zahlenmystik”
    Das nun wieder ist sicher­lich keine Math­e­matik. Math­e­ma­tis­che Kon­struk­te zu betra­cht­en und unmath­e­ma­tisch ueber sie zu disku­tieren. Worum es hier (d.h. in der Behaup­tung, ohne Math­e­matik gaebe es keine Wis­senschaft) geht, ist Struk­turen zu betra­cht­en und ueber sie math­e­ma­tisch zu disku­tieren, also ger­ade das Gegenteil

  17. Anonym

    @Stefanp
    Hal­lo, Sie sagen
    “Die Prax­is, aber auch die The­o­rie — eben der Unvoll­ständigketis­satz — zeigt, dass die Beschränkung auf eine äußere Form prob­lema­tisch ist. Die Form sollte offen sein — die inhaltlichen Anforderun­gen dage­gen nicht.”
    Das ist nicht, was der Unvoll­staendigkeitssatz sug­geriert. Wollen wir die Frage beant­worten, ob die Math­e­matik wider­spruchsvoll ist. Nun gut, das geht math­e­ma­tisch nicht. Beant­worten wir sie also anders. Wie? Dafuer brauchen wir einen Appa­rat, inner­halb dessen wir argu­men­tieren koen­nen. Warum sollte es einen Appa­rat geben, der ein­er­seits maechtig genug ist, ueber die ganze Math­e­matik (und somit die Peano-Arith­metik) Aus­sagen faellen zu koen­nen, aber ander­er­seits klein genug, um sie (die P.A.) nicht zu beinhalten?

  18. Stefanp

    Frank:
    “Wie du mir so ich dir”. Ein soziales Wis­sen — das heißt ein Wesen, das auf andere angewiesen ist, weil es alleine schlechte Über­leben­schan­cen hat — ist immer gut berat­en nett zu anderen zu sein. So para­dox es klingt, bere­its aus purem Über­leben­strieb ist es sin­nvoll nett zu anderen zu sein.
    Wis­senschaftlich gese­hen sieht man Regeln des Zusam­men­lebens bei allen sozialen Lebe­we­sen, bei solchen mit mehr Hirn auch kom­plexere mit indi­vidu­ellen Frei­heit­en. Und bei Men­schenaf­fen immer ähn­lich­er dem men­schlichen Ver­hal­ten, so dass man dort bere­its ver­sucht ist von Moral zu sprechen. Woher das alles evo­lu­tionär kommt ist also klar.
    Man kann das ganze aber auch spielthe­o­retisch durchrech­nen und erhält dann als Ergeb­nis, dass eine Pop­u­la­tion sich nur dann in einem Gle­ichgewicht befind­et, wenn ein klein­er Prozentsatz schmarotzt und die Mehrheit sich kor­rekt ver­hält. Ist der Anteil der Schmarotzer zu groß, ist die Pop­u­la­tion nicht über­lebens­fähig. Ist der Anteil der Schmarotzer zu klein, sind die Kon­trollmech­a­nis­men nicht mehr notwendig und wer­den abge­baut. Das macht die Pop­u­la­tion wiederum anfäl­lig für zufäl­lig ent­standene Schmarotzer. Sta­bil ist es also nur, wenn die Kon­trollen auf­grund ein­er kleinen Anzahl Schmarotzer notwendig sind, die Anzahl der Schmarotzer aber klein genug ist, um der Pop­u­la­tion nicht zu schaden. Im sta­bilen Fall wirst du also soziale Wesen haben, die sich in der Mehrheit kor­rekt ver­hal­ten, aber auch das Poten­tial zum nicht-kor­rek­ten Ver­hal­ten haben.
    Du kannst da wis­senschaftlich also einiges machen. Es gibt von daher keinen Grund Moral für wis­senschaftlich nicht erfass­bar zu erklären.

  19. Elmar Diederichs

    replies
    @Anonym:
    “Was behauptet wird, ist dass die Frage nach der Wider­spruchs­frei­heit eines genue­gend aus­sagen­re­ich­es Sys­tem nicht inner­halb dieses Sys­tems beant­wortet wer­den kann.”
    Völ­lig richtig. Hat­te ich das nicht aus­re­ichend klar gesagt?
    @Frank
    “wenn jemand nicht Ihre merk­würdi­ge “Def­i­n­i­tion” von Math­e­matik ver­wen­det, will er sich aus der “Affaire” ziehen, aber wenn Sie (als Math­e­matik­er) math­e­ma­tis­chen Stuss reden, ist das eine “facon de parler”.”
    Ich habe immer ein offenes Ohr, wenn mich jemand kri­tisiert. Soweit ich weiß, wir die Frage der Unvoll­ständigkeit manch­mal als Frage nach der Exis­tenz kon­sis­ten­ter Algo­rith­men beze­ich­net. Bitte kor­rigieren Sie mich, wenn das nicht stim­men sollte.
    Abge­se­hen davon, daß ich selb­st keine Def­i­n­i­tion von Math­e­matik gebe, son­dern mich am Ergeb­nis von Russell/Whitehead ori­en­tiere, würde mich Ihre Def­i­n­i­tion inter­essieren. Auch son­st wäre ich dankbar, wenn Sie mich über meinen math­e­ma­tis­chen Stuss aufk­lären würden.
    “Es scheint mir beispiel­sweise keine wis­senschaftli­hce Begrün­dung für moralis­che Aus­sagen zu geben, aber trotz­dem scheinen mir manche wahr (“Sei nett zu anderen”) und manche falsch (“Sei gemein zu anderen”).”
    Eine schwierige Frage, die ich nicht pauschal beant­worten kann. Aber glück­licher­weise disku­tieren wir in diesem blogge­wit­ter ja auch Wis­senschaft im Hin­blick auf Erken­nt­nis der Real­ität. Aber vielle­icht sind Sie ja der Mei­n­ung, daß nor­ma­tive, ethis­che Aus­sagen einen Teil der Real­ität darstellen?

  20. Stefanp

    Anonym:
    Bei der Zahlen­mys­tik wäre der unter­suchte Gegen­stand z. B. die Cheops-Pyra­mide. Sie stellen eine The­o­rie auf, wonach sich irgendwelche astronomis­che oder son­stige inter­es­san­ten Kon­stan­ten in den Maßen find­en lassen. Sie oper­a­tionalis­eren, Sie ver­messen die Pyra­mide. Zuhause nehmen Sie ein Poly­nom, set­zen gemessene Werte ein und vari­ieren die Para­me­ter so lange vol­lau­toma­tisch bis Sie den Wert ein­er inter­es­san­ten Kon­stante erhal­ten. Sie kön­nen sich mit diesem Wis­sen natür­lich schönere, plau­si­blere Formeln basteln, bevor Sie ihr Buch darüber schreiben. Inwiefern bei dieser “Ent­deck­ung” jedoch das Vorge­hen nicht math­e­ma­tisch war, müssen Sie genauer erklären.
    Zum Unvollständigkeitssatz:
    Das­selbe habe ich hier bere­its beant­wortet. Ich sage nicht, dass es tat­säch­lich eine Alter­na­tive gibt. Es mag sie geben oder auch nicht. Das spielt keine Rolle. Denn das Argu­ment, eine math­e­ma­tis­che For­mulierung garantiere Entschei­d­barkeit, ist durch den Unvoll­ständigkeitssatz hin­fäl­lig und nicht haltbar.

  21. David

    Ich komme nochmal darauf zurück, weil es jen­seits der Kundgabe dessen, was ich ohne­hin schon weiß, ja ganz inter­es­sant ist, darauf ein­mal basale Logik anzuwenden.

    Entwed­er man gibt zu, daß nicht alle wahren Formeln auch ableit­bar sind aus den gegebe­nen Axiomen des Sys­tems (Unvoll­ständigkeit oder auch: Nich­tex­is­tenz eines kon­sis­ten­ten Akgorith­mus) oder man gibt zu, daß man von der voll­ständi­gen Axioma­tisierung mit den Mit­teln des for­malen Sys­tems nicht nach­weisen kann, daß sie kon­sis­tent ist (die für Hilberts For­mal­is­mus tödliche Unentscheidbarkeit).

    Entsch­iede man sich in diesem Bild für die Voll­ständigkeit, so hieße das nichts anderes, als daß für jede Aus­sage A in der Sprache der Arith­metik entwed­er A beweis­bar sein müßte oder die Nega­tion davon. Set­zt man für A jet­zt “Wid” ein, die Aus­sage: “Die Arith­metik ist wider­spruchs­frei” so ist dem­nach entwed­er Wid beweis­bar oder die Nega­tion von Wid. Aus der Entschei­dung für Voll­ständigkeit fol­gt also, daß das for­male Sys­tem seine eigene Wider­spruchs­frei­heit entwed­er beweist oder wider­legt, und zugeben, “daß man von der voll­ständi­gen Axioma­tisierung mit den Mit­teln des for­malen Sys­tems nicht nach­weisen kann, daß sie kon­sis­tent ist” kön­nte man nur noch sin­nvoll, wenn das Sys­tem inkon­sis­tent wäre.

  22. Elmar Diederichs

    @David: Abgle­ich
    Ich habe mir die Gödelschen The­o­reme noch ein­mal ange­se­hen und hier ist mein — auf das wesentliche reduziertes Resultat:
    Def.: Ein for­males Sys­tem S (mit gewis­sen Eigen­schaften) heiße voll­ständig genau dann, wenn für jede Formel F von S gilt, daß es für F oder nicht‑F in S einen Beweis gibt.
    Dann zeigt Gödel zweierlei:
    i) Ist S kon­sis­tent, dann ist S nicht vollständig.
    ii) Es gibt eine Formel F in S, die genau dann wahr ist, wenn sie in S nicht beweis­bar ist.
    Stim­men wir hierin überein?

  23. David

    Zum ersten Punkt: Habe ich ja geschrieben.
    Das wird bewiesen, indem man einen Satz kon­stru­iert, der nicht beweis­bar ist uns dessen Nega­tion eben­falls nicht beweis­bar ist.
    Zum zweit­en Punkt:
    Aus der Kon­struk­tion dieses Satzes ergibt sich ziem­lich direkt, daß er im Stan­dard­mod­ell der Arith­metik (den natür­lichen Zahlen also) wahr sein muß (falls dieses über­haupt existiert).
    Wenn in diesem Zusam­men­hang von “wahr” die Rede ist, ist in der Regel auch Wahrheit im Stan­dard­mod­ell gemeint, und insofern ist das im Großen und Ganzen richtig.
    Die Unbe­weis­barkeit der Wider­spruchs­frei­heit von S in S unter Voraus­set­zung der Kon­sis­tenz von S taucht in Ihrer Darstel­lung nicht auf, ist aber der Inhalt des 2. Unvollständigkeitssatzes.

  24. Elmar Diederichs

    @David. ok
    Wenn das
    “Die Unbe­weis­barkeit der Wider­spruchs­frei­heit von S in S unter Voraus­set­zung der Kon­sis­tenz von S taucht in Ihrer Darstel­lung nicht auf, ist aber der Inhalt des 2. Unvollständigkeitssatzes.”
    Ihr Punkt ist, dann haben Sie natür­lich recht. So expliz­it hat­te ich das beim ersten Mal nicht hingeschrieben.
    Danke für den Hinweis.

  25. P. Frasa

    Etwas nachträglich:
    Sie fassen hier den Begriff “Wis­senschaft” sehr eng.
    Tat­säch­lich entspricht Ihrer Def­i­n­i­tion von Wis­senschaft eben nur jen­er Teil­bere­ich, den wir “Natur-” oder “exak­te Wis­senschaften” nennen.
    Das Prob­lem ist, daß Geis­teswis­senschaften ganz andere Prob­leme und Fragestel­lun­gen angehen.
    Geis­teswis­senschaften an sich ver­suchen eben nicht, zu beschreiben, wie die Dinge sind, son­dern sie ver­suchen, den men­schlichen Anteil an unser­er Welt zu ver­ste­hen und hermeneutisch zu inter­pretieren. Dabei kann es kein wahr oder falsch geben, son­dern nur unter­schiedliche Per­spek­tiv­en — und solche, die vielle­icht schlüs­siger oder weniger erscheinen, weil sie ver­suchen am Text (ob jetz Roman, Gedichte, his­torische Quellen, Noten­texte, …) zu argu­men­tieren oder eben nicht.
    Klar kann eine Geis­teswis­senschaft von exak­ter Methodik prof­i­tieren, doch eine sta­tis­tis­che Auswer­tung bes­timmter Kon­struk­tio­nen in ver­schiede­nen Tex­ten von Autoren des 14. Jh. ist für einen Geis­teswis­senschaftler erst das Mate­r­i­al, woraus er seine Erken­nt­nisse for­mulieren soll, und nicht das endgültige Ergebnis.
    Definiert man “Wis­senschaft” so eng wie Sie, heißt das im End­ef­fekt, daß für unsere Welt nur die “objek­tive” Betra­ch­tungsweise von Bedeu­tung ist. Das ist sie aber nicht — und das wäre ein Ver­lust — genau so wichtig ist der immer wieder von vorne begin­nende und nie enden wol­lende Prozeß, unsere Welt zu “ver­ste­hen”, bzw. her­auszufind­en, was andere Men­schen gedacht haben.
    Nun ist eine Wis­senschaft wie die Lin­guis­tik eben keine pro­to­typ­is­che Geis­teswis­senschaft, etwa so wie die Lit­er­atur- oder Musik­wis­senschaft. Deswe­gen hat sie eben gewisse Bere­iche, die zumin­d­est the­o­retisch for­mal­isier­bar und exakt erfos­chbar sind (die rein deskrip­tive Sprachbeschrei­bung, z.B., oder Felder wie die Psy­cho- und Sozi­olin­guis­tik), aber auch noch einige, die dur­chaus sehr geis­teswis­senschaftlich funk­tion­ieren, allen voran die Ethnolinguistik.
    Nicht zulet­zt, selb­st wenn sie es wollte (und daß sie es nicht will, ist ja der Punkt), KANN die Geis­teswis­senschaft meist gar nicht Natur­wis­senschaft sein. Let­ztere ist ja davon abhängig, daß Exper­i­mente wieder­hol­bar sind. In der Geschichte z.B. wieder­holt sich nichts — man kann so nie zweifels­frei beweisen, welche Fak­toren genau z.B. für den Fall der Berlin­er Mauer zuständig waren, nur Hypothe­sen, die plau­si­bel erscheinen. In der Physik hinge­gen ist es ziem­lich gut (wenn auch hier nicht per­fekt) möglich, Fremd­vari­ablen zu kon­trol­lieren, in den meis­ten Geis­teswis­senschaften ist das so gut wie unmöglich.

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