Glückssucht und die Einsamkeit des Joachim Gauck

Von Anatol Stefanowitsch

Jedes Wort, das man an den Predi­ger der Eit­elkeit ver­schenkt, der zu Zeit den Bun­de­spräsi­den­ten gibt, ist ja eines zu viel. Aber ganz unkom­men­tiert möchte ich seine Kri­tik der Glückssucht doch nicht lassen.

Was diese Kri­tik so inter­es­sant macht, ist, dass sie unge­plant war, und deshalb einen besseren Ein­blick in das Denken des Joachim Gauck bietet, als die sorgfältig geplanten und gegen­ge­le­se­nen Äußerun­gen, die er son­st so von sich gibt und die ja auch schon von ein­er bewusst kul­tivierten Her­zlosigkeit sprechen.

In der Rede anlässlich seines Antritts­be­suchs hat­te Gauck sich unter anderem vorgenom­men, das (echte oder ange­bliche) Desin­ter­esse der Deutschen an ihren Stre­itkräften zu erk­lären. Im Manuskript sein­er Rede tut er das zwar ein­seit­ig, aber noch halb­wegs respek­tvoll mit der Tat­sache, dass die Men­schen eben nicht gerne an Gewalt und ihre Kon­se­quen­zen denken, und er geste­ht der Abscheu vor Gewalt sog­ar ein Exis­ten­zrecht zu – sie zwingt uns, jeden mil­itärischen Ein­satz zu begründen:

Zum anderen ist es aber schon auch ein Nicht-wis­sen-Wollen. Das ist men­schlich: Wir wollen nicht behel­ligt wer­den mit dem Gedanken, dass es langfristig auch uns betr­e­f­fen kann, wenn ander­swo Staat­en zer­fall­en oder Ter­ror sich aus­bre­it­et, wenn Men­schen­rechte sys­tem­a­tisch mis­sachtet wer­den. Wir denken nicht gern daran, dass es heute in unser­er Mitte wieder Kriegs­versehrte gibt. Men­schen, die ihren Ein­satz für Deutsch­land mit ihrer kör­per­lichen oder seel­is­chen Gesund­heit bezahlt haben. Und dass es wieder deutsche Gefal­l­ene gibt, ist für die Gesellschaft schw­er zu ertragen.

Die Abscheu gegen Gewalt ist ver­ständlich. Gewalt, auch mil­itärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben. Aber sie kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – notwendig und sin­nvoll sein, um ihrer­seits Gewalt zu über­winden. Allerd­ings müssen wir mil­itärische Ein­sätze begründen.

Aber Gauck wäre nicht Gauck, wenn er sich ein­fach an diese sorgfältig vor­bere­it­eten Worte hal­ten würde. Nein, seine Ver­ach­tung für das Volk, dem er dienen soll, bricht sich in seinem mündlichen Vor­trag der Rede (ca. ab Minute 11:00) unver­mit­telt Bahn in einem spon­tan eingeschobe­nen Adjektiv:

Wir denken eben nicht gerne daran, dass es heute in unser­er Mitte wieder Kriegs­versehrte geben kann. Men­schen, die ihren Ein­satz für Deutsch­land mit ihrer seel­is­chen oder kör­per­lichen Gesund­heit bezahlt haben. Und noch viel weniger gerne denken wir daran, dass es wieder deutsche Gefal­l­ene gibt. Das ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schw­er zu ertragen.

Über diese Ver­wen­dung des Adjek­tivs glückssüchtig ließe sich einiges sagen. Zum Beispiel, dass es von ein­er tiefen Igno­ranz gegenüber der paz­i­fistis­chen Grun­de­in­stel­lung des größeren Teils der deutschen Bevölkerung zeugt, wenn man diese mit „Glückssucht“ erk­lärt. Zum Beispiel, dass es von ein­er erschreck­enden Geschichtsvergessen­heit zeugt, wenn man diesen lei­der viel zu späten deutschen Paz­i­fis­mus infrage stellt. Zum Beispiel, dass es aufhorchen lässt, wenn ein Frei­heits­fa­natik­er wie Joachim Gauck die ure­igen­ste Moti­va­tion der Frei­heit, das Streben nach Glück, verächtlich abtut.

Stattdessen möchte ich aber Ernst Bar­lach sprechen lassen, der in einem Essay über die Hexe der Ein­samkeit beschreibt, wie diese sich Abends gerne zu ihm an den Tisch set­zt, „ver­traulich und ver­wandtschaftlich, nicht wie Gottes Patenkind oder wie die urweise Lehrerin der Philosophen, son­dern ganz mut­ter­vertre­tend und tan­ten­haft im Wesen“:

Wie ihre Mund­winkel sich tief herab verziehen, wenn sie von den Glückssüchti­gen spricht, und wie mit Geifer und Gift ver­mis­cht träufeln ihre Haß­worte über diese Irrlehrer nieder, und wie fressende Säure bren­nt sie ihnen mit heißen Worten das aufge­dun­sene Glücks­fleisch von der jam­mer­voll verkrüp­pel­ten Anatomie und den ver­we­icht­en Knochen.

Sie möchte ja zu gerne, ich pflanzte mir, so recht nicht her­auszureißen, ihre Offen­barung vom wahren Glück der Inner­lichkeit und der Ein­fach­heit tief ins Gemüt, darum sitzt sie noch spät nachts bei mir im Stübchen und ver­führt meine schwank­ende Seele mit kaum gemurmelten und auch ohne Ton ver­stande­nen Ein­samkeits-Ein­flüsterun­gen, durch­dringt mich ganz mit gierig erlauscht­en her­zlichen Zus­prüchen und läßt mir armem Zwei­fler und Such­er nach dem Unver­fälscht­en von ihren Lip­pen leise einen immer frischen Quell von Trost und Hoff­nung an die Ohren rauschen.

Habt ihr dieses Quelles leis­es Sausen, dieses Sil­benge­murmel aus dem Munde der Ein­samkeit in stiller Nacht nicht schon gehört?

In der Ver­ach­tung des Joachim Gauck für die Gesellschaft, in der er lebt, schwingt die Ein­samkeit desjeni­gen mit, der sich eine eigene Welt geschaf­fen hat, in der er selb­st der let­zte aufrechte Men­sch ist.

 

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

31 Gedanken zu „Glückssucht und die Einsamkeit des Joachim Gauck

  1. AZ

    Gut, daß es Sprach­wis­senschaftler gibt
    … die aus Bun­de­spräsi­den­tenre­den einzelne Worte her­auspflück­en, um diese dann wis­senschaftlich zu analysieren.
    “Jedes Wort, dass man an den Predi­ger der Eit­elkeit ver­schenkt, der zu Zeit den Bun­de­spräsi­den­ten gibt, ist ja eines zu viel. Aber ganz unkom­men­tiert möchte ich seine Kri­tik der Glückssucht doch nicht lassen.” Da ist ja klar, wo die Reise hingeht.
    Mir ist Kri­tik an Glückssucht lieber, als gefase­le von “bun­ten” Repub­liken und anderen däm­lich-naiv-undurch­dacht­en Wullf-Äußerungen.
    Naja, jedem seine Mei­n­ung. Sci-Logs? Pff…

  2. Muriel

    Ich bin ja nun nach­drück­lich kein Paz­i­fist, aber ich dachte gerade:
    Würde jemand von einem Dachdeck­er nach einem Beruf­sun­fall sagen, dass er “seinen Ein­satz für die Karl Kraus­nick GmbH mit sein­er kör­per­lichen Gesund­heit bezahlt hat”?
    Und ist das nicht sowieso eine merk­würdi­ge For­mulierung? Der Ein­satz ist doch schon die Gegen­leis­tung des Sol­dat­en (oder Dachdeck­ers). Warum sollte er den noch mit irgend­was bezahlen?
    Man mag das pin­gelig find­en, aber man mag auch der Mei­n­ung sein, dass wir wom­öglich weniger Kriege hät­ten, wenn nicht seit Men­schenge­denken Leute wie Gauck ihn mit solchen For­mulierun­gen ehrver­brämt hätten.

  3. impala

    Ich denke auch, dass man in Zeit­en ein­er Beruf­sarmee nicht mehr davon sprechen sollte, dass Men­schen “für Deutsch­land” mit ihrer kör­per­lichen Gesund­heit bezahlen. Wer sich dazu entschei­det, Sol­dat zu wer­den, ist sich seines Beruf­s­risikos genau­so bewusst, wie jemand, der sich dazu entschei­det, Sprengstofftech­niker, Feuer­wehrmann oder Gasin­stal­la­teur zu wer­den. Dass Gasin­stal­la­teure oder Sprengstofftech­niker nicht im Auf­trag der Regierung han­deln, ist mir bewusst. Aber das ganze Gesülz von Ehre und Ruhm fürs Vater­land bringt kriegs­versehrten Sol­dat­en auch nicht beson­ders viel. Wie auch bei anderen Berufen mit Gefahren­poten­zial sollte sich dieses im Lohn nieder­schla­gen und v.a. in den Betreu­ungs- und Reha­bil­i­ta­tion­sansprüchen nach erlit­ten­em Schaden. Es gab ja schon mehrere Reporta­gen dazu, dass Sol­dat­en, die unter post­trau­ma­tis­chen Stressstörun­gen lei­den, nicht adäquat unter­stützt wer­den. Das würde ihnen aber sich­er mehr helfen, als Ehre vom Bun­de­spräsi­den­ten zuge­sprochen zu bekommen.

  4. Statistiker

    Adjek­tive
    Tja, wenn es darum geht, die Kriege — ähh­hh, bewaffnete Kon­flik­te — der BW zu recht­fer­ti­gen, ist manchen Leuten jedes Adjek­tiv recht. Nun wird der legit­ime Wun­sch nach Frieden schon mit “Glückssucht” über­schrieben. Sucht.… doch ein eher neg­a­tiv kon­notiertes Wort.…
    Naja, aber man ken­nt das ja: Wenn mal wieder Sol­dat­en in Zinksär­gen nach hause kom­men, redet Merkel ja auch gerne vom “feigen Hin­ter­halt”, in dem die Sol­dat­en ums Leben gekom­men sind.
    Nun: Es gibt keinen “feigen” Hin­ter­halt, es gibt nur den Hin­ter­halt. Oberst San­ftleben alias Georg Schramm hat einen Satz im Pro­gramm, den ich schon vor 25 Jahren gel­ernt habe: “Triff­st du auf einen an Feuerkampf über­lege­nen Feind, ist das Mit­tel dein­er Wahl: Der Hinterhalt!”
    Tja, Sprache kann ent­lar­vend sein…
    PS: Ich bin 1993 aus der BW aus­geschieden, u.a. weil als neues Ein­satzziel der Marine die “Sicherung und Vertei­di­gung unser­er Han­del­swege” aus­gegeben wurde.… ähm­m­mm.… worüber ist Köh­ler nochmal gestolpert??? *grü­bel­tun­dambartkratzt*

  5. Opa Hans

    Die For­mulierung mit der “Glückssucht” hat mich auch aufhorchen lassen. Soll das “Streben nach Glück” etwa neg­a­tiv belegt wer­den? Will Gauck hier wil­helminisch-mil­i­taris­tis­chem Denken das Wort reden, so in Rich­tung “süß und ehren­voll ist es, fürs Vater­land zu ster­ben”? Das wäre übel.
    Ich bin mir da aber nicht so sich­er. Der deutsche Nation­al-Paz­i­fis­mus (der mil­i­taris­tis­chen Denken — natür­lich — auf jeden Fall vorzuziehen ist) hat auch immer so was von: “Was geht mich der Rest der Welt an? Lasst die Tal­iban doch das Land knecht­en und ver­dum­men und Massen­mörder in die ganze Welt schick­en. Lasst den Iran doch meinetwe­gen eine Atom­bombe auf Israel wer­fen. Haupt­sache uns geht’s gut.” Wenn man die “Glückssucht”-Äußerung so inter­pretiert (dass die Deutschen also zu sehr das eigene lokale Glück und zuwenig das von anderen inter­essiert), muss man mit Gauck noch lange nicht ein­er Mei­n­ung sein. Aber die Äußerung rückt doch in ein anderes Licht.
    Den Ein­wand von Muriel finde ich im Übri­gen sehr berechtigt. Die Sol­dat­en sollen ihren Job machen und ver­di­enen dafür Respekt. Wie die Bergar­beit­er, die Haus­frauen und die Dack­deck­erin­nen. Alles andere wäre eine Über­höhung mit Ten­denz zum Militarismus.

  6. HF

    Kein Kind der Aufklärung
    “We hold these truths to be self-evi­dent, that all men are cre­at­ed equal, that they are endowed by their Cre­ator with cer­tain unalien­able Rights, that among these are Life, Lib­er­ty and the pur­suit of Happiness.”

  7. Paul Bademeister

    Immer­hin…
    wis­sen wir jet­zt, was für ein Gesellschafts­bild Pfar­rer Gauck tat­säch­lich vor Augen hat, wenn er rou­tiniert-neb­ulös von Freiheit/Verantwortung schwadroniert: Er träumt von einem Kasernenhof…
    “Frei­heit ist ohne Ver­ant­wor­tung nicht zu haben. Für Sie, liebe Sol­datin­nen und Sol­dat­en, ist diese Hal­tung selb­stver­ständlich. Ist sie es auch in unser­er Gesellschaft?”
    Diese Pas­sage hat ein ähn­lich­es Ekelpo­ten­tial wie das Glückssucht-Extempore.

  8. Detlef Guertler

    Ver­schenk­texte
    In diesem Blog wür­den nur dann Worte an Joachim Gauck ver­schenkt, wenn er hier lesen würde. In der Haupt­sache ver­schenkt der Autor aber natür­lich seine Gedanken an uns andere Leser, danke dafür.
    Ich war ver­wun­dert, dass das Streben nach Glück die ure­igen­ste Moti­va­tion der Frei­heit sein soll — eigentlich gehe ich davon aus, dass Frei­heit an sich Moti­va­tion genug für das Streben nach Frei­heit ist.
    Ich teile die Inter­pre­ta­tion nicht, dass Gauck Paz­i­fis­mus als Glückssucht denun­ziert. Ich teile auch nicht die Auf­fas­sung, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine paz­i­fistis­che Grun­de­in­stel­lung habe, ich befürchte vielmehr, dass die nation­al­is­tisch gefärbten Aggres­sio­nen gegen “Pleite-Griechen” u.ä. zu ein­er neuen Kriegs­ge­fahr in Europa führen kön­nen. Ich wäre froh, wenn unsere Gesellschaft dann tat­säch­lich so glückssüchtig wäre, wie Gauck es behauptet.

  9. Klausi

    Die Frei­heit
    … beste­ht in erster Lin­ie nicht aus Priv­i­legien, son­dern aus Pflichten.”
    (Albert Camus)
    Ich kann mir vorstellen, dass Gauck genau daran erin­nern wollte.
    Und wenn man seine Pflicht­en auf Erden erfüllt hat, kommt man auch in den Him­mel. Das reicht ihm.
    Das Streben nach Glück­seligkeit stand zwar in der Unab­hängigkeit­serk­lärung der Vere­inigten Staat­en von Ameri­ka, war aber mehr ein Pro­gramm für weiße Männer.

  10. Dierk

    Der Herr Bun­de­spräsi­dent hätte sich natür­lich ein­fach ans Manuskript hal­ten kön­nen, dann wäre die Rede nicht son­der­lich auf­fäl­lig gewe­sen. Die meis­ten Men­schen hät­ten ihr ohne Bauch­schmerzen zus­tim­men kön­nen, denn natür­lich machen die Frontschweine einen harten — und nicht son­der­lich schö­nen — Job, zu dem sie von Schreibtis­chkämpfern geschickt wer­den. Den Sol­dat­en dafür, und nur dafür, Respekt zu zollen, ist vol­lkom­men in Ordnung.
    Wäre Gauck der große Denker und Red­ner, zu dem ihn einige stil­isieren, dann hätte er eine Kri­tik an eben diesen Schreibtis­chhelden sowie an jen­em xeno­phoben Mob, der lieber erst ein­mal andere für ihn zuschla­gen lässt, als sich mal ruhig hinzuset­zen und Lösun­gen zu suchen, einen ganzen Absatz in sein­er Rede gewid­met. Hat er aber nicht. Ver­mut­lich hätte ihm da irgend­je­mand gesagt, dass es nicht gin­ge, z.B. das Bun­deskan­zler­amt.* Also ver­ließ er sich auf ein kleines ex tempore.
    Und ver­griff sich voll im Ton. Er und nie­mand anders hat eine Gesellschaft, die Kampfein­sätzen der Bun­deswehr, noch dazu weit weg vom grundge­set­zlich vorgegebe­nen Ein­satzz­weck, als ‘glückssüchtig’ beze­ich­net. Nicht seine Schreiber, er war das.
    *Ich bin recht sich­er, dass prä­sidi­ale Reden mit denen abges­timmt werden.

  11. Dilettant

    Einem Mit­glied der Atlantik-Brücke
    sollte eigentlich fol­gende Worte bekan­nt sein:
    “We hold these truths to be self-evi­dent, that all men are cre­at­ed equal, that they are endowed by their Cre­ator with cer­tain unalien­able Rights, that among these are Life, Lib­er­ty and the pur­suit of Happiness.”

  12. Stickler

    Hat der garstige Grem­l­iza doch recht?
    “Wenn die Pfaf­fen tief fliegen, zieht ein Stahlge­wit­ter auf.”

  13. @Baraghir

    Glückssucht
    Ich bin mir bei der Ver­wen­dung des betr­e­f­fend­en Adjek­tivs nicht über die Rich­tung sich­er, in die es ver­wen­det wer­den sollte.
    Natür­lich ist es denkbar, dass die gelieferte Inter­pre­ta­tion stim­mig ist. Aber auch aus dem Kon­text her­aus, wo Abschau vor Gewalt so her­aus­ge­hoben wird, denke ich, dass eine andere Lesart zumin­d­est denkbar wäre.
    Ger­ade im Hin­blick auf den Tatort “Heimat­front” in der ARD, denke ich, zielt das auf die Igno­ranz und Indif­ferenz eines Großteils der Bevölkerung ab, die das Schick­sal von Sol­dat­en mit einem solchen Gle­ich­mut betra­chtet. Oder in diesem Fall eben NICHT betrachtet.
    In diesem Fall zielt diese Äußerung gar nicht gegen den Paz­i­fis­mus an sich, son­dern darauf, dass wir Men­schen aus unser­er Mitte dafür bestrafen, dass sie ihren Beruf gewissentlich aus­geübt haben.
    Und Glückssucht bedeutete in diesem Falle ein­fach das “Nicht-Sehen-Wollen”. Dass wir das Leid jen­er Leute, Indi­viduen, aus­blenden, weil uns der Schat­ten, den diese Auseinan­der­set­zung auf unser eigenes Leben würfe, nicht gefiele.
    Ein Syn­onym wäre “Spaßge­sellschaft”. Und natür­lich steck­en da viele Prämis­sen drin, die man reflek­tieren sollte; Aber aus der Ablehnung von Kampfein­sätzen und Kriegen (eben wegen des Lei­ds, den Kriege brin­gen), das Leid jen­er, die unter dem Krieg gelit­ten haben, zu ignori­eren, “bloß”, weil sie in ide­ol­o­gisch ver­brämter Sicht auf der falschen Seite des Kon­flik­tes standen…
    …für eine wirk­lich bessere Sicht auf den Men­schen halte ich das in diesem Fall auch nicht zwingend.

  14. Karsten Kruschel

    Neues Wort: “Glückssüchtig”?
    Schon mal gehört hat man ein Wort wie “glückssüchtig” noch nicht, aber die Machart ist rasch zu erken­nen: Das ist der alte Trick der Dem­a­gogen, Worte geschickt miteinan­der so zu kop­peln, daß der emo­tion­al stärkere Bestandteil den anderen dominiert — “süchtig” klingt nun mal stark und böse nach Crackpfeife und Hero­inbesteck. So wird aus dem Streben nach Glück etwas Niederes, Böses.
    Wes Geistes Kind der Verur­sach­er solch­er Wortschöp­fun­gen ist, ergibt sich da fast von allein.
    Der besagte Trick ist übri­gens alt­be­währt und funk­tion­iert auch ander­sherum: Als die Krise anf­ing (welche auch immer) erfand man den “Abschwung” …

  15. EsEf

    Glück
    Glück­lich­sein lässt sich doch direkt aus den Men­schen­recht­en ableit­en. Denn wem alle Men­schen­rechte zuge­s­tanden wer­den, der kann (muß aber nicht) glück­lich sein.
    Herr Gauck ist trotz aller Sicher­heit­en, Ämter und Wür­den offen­sichtlich nicht glück­lich. Schade für ihn. Aber das gibt ihm nicht das Recht seine Vorstel­lun­gen allen anderen Men­schen überzustülpen.

  16. KRichard

    Bedeu­tung
    Was ist denn die genaue Bedeu­tung von ´glückssüchtig´? Sucht ist ein krankhaftes Verhalten

  17. Monika Hendlmeier

    @Karsten Kruschel
    Karsten Kruschel hat geschrieben:
    “Neues Wort: “Glückssüchtig”?
    Schon mal gehört hat man ein Wort wie “glückssüchtig” noch nicht, aber die Machart ist rasch zu erkennen: […]”
    Das Wort “glückssüchtig” ist bere­its im Wörter­buch der (Ge-)Brüder Grimm verze­ich­net, also ganz sich­er keine Neuschöpfung.

  18. Joker

    Nichtssagend, nichts­fra­gend
    “Über diese Ver­wen­dung des Adjek­tivs glückssüchtig ließe sich einiges sagen. Zum Beispiel, dass es von ein­er tiefen Igno­ranz gegenüber der paz­i­fistis­chen Grun­de­in­stel­lung des größeren Teils der deutschen Bevölkerung zeugt, wenn man diese mit „Glückssucht“ erk­lärt. Zum Beispiel, dass es von ein­er erschreck­enden Geschichtsvergessen­heit zeugt, wenn man diesen lei­der viel zu späten deutschen Paz­i­fis­mus infrage stellt. Zum Beispiel, dass es aufhorchen lässt, wenn ein Frei­heits­fa­natik­er wie Joachim Gauck die ure­igen­ste Moti­va­tion der Frei­heit, das Streben nach Glück, verächtlich abtut.”
    Zu diesen Beispie­len ließe sich einiges fra­gen. Zum Beispiel, wo erk­lärt Gauck die paz­i­fistis­che Grun­de­in­stel­lung mit Glückssucht? Zum Beispiel, stellt Gauck zwar den Paz­i­fis­mus in Frage, aber doch erst im näch­sten Absatz; wo also ist der Bezug zu “glückssüchtig”? Zum Beispiel, er macht doch nur das suchtar­tige, also krankhafte, Streben nach Glück verächtlich;
    wo tut er das ein­fache Streben nach Glück verächtlich ab?
    Aber gut, da du nichts gesagt hast, will auch ich nicht gefragt haben.
    @Karsten Kruschel kön­ntest du darüber aufk­lären, ob der Essay erst nach Gaucks Rede ent­standen ist und ob Ernst Bar­lach als Dem­a­goge bekan­nt ist.
    Gauck sollte man bei Gele­gen­heit fra­gen, ob man auch frei­heitssüchtig wer­den kann.

  19. KRichard

    Ismen
    Ein Lehrer sagte ein­mal, dass Begriffe mit ´-ismus´ oft etwas Schlecht­es beschreiben: z.B. Kom­mu­nis­mus, Faschis­mus, Rheumatismus.
    In diesem Zusam­men­hang sollte man auch den deutschen ´Paz­i­fis­mus´ genauer betrachten:
    Wir sind — all­ge­mein akzep­tiert — eine der größten Export­na­tio­nen für Kriegswaf­fen; damit sind wir schon mal keine Paz­i­fis­ten son­dern genau das Gegen­teil davon.
    Indem wir mit staatlich­er Unter­stützung Waf­fen verkaufen treiben wir Staat­en aktiv in den finanziellen Ruin, sta­bil­isieren frag­würdi­ge Regierungscliquen und ver­hin­dern die Entwick­lung eines Lan­des (Weil Facharbeiter/Ingenieure für das Mil­itär arbeit­en, statt für die wirtschaftliche Entwick­lung in Pro­duk­tions­be­trieben tätig zu sein)
    Griechen­land ist ein aktuelles Beispiel — das Land war ein guter Kunde.
    Wenn man Gauck vor­wirft, den Paz­i­fis­mus in Frage zu stellen — dann sollte man mal genau über­legen, was und wen man damit über­haupt meint.

  20. Nathalie

    Wenn wie hier die Ver­ach­tung für die ange­sproch­ene Per­son aus jedem Wort trieft, macht das für mich jegliche Kri­tik, sei sie vielle­icht im Kern auch berechtigt, weniger überzeu­gend. Schade.

  21. RD

    Danke für die Anregung
    Glückssüchtig — zugegeben da füh­le ich mich in ein­er his­torisch beispiel­los begün­stigten Nachkriegs­gen­er­a­tion auch ein wenig getrof­fen. Wed­er nehme ich das Gauck übel, noch komme ich auf den Gedanken dass er das verächtlich meint. Eher denke ich mal gründlich drüber nach.
    Gauck mag meist ober­lehrerhaft und gele­gentlich etwas pathetisch daherkom­men. Aber er spricht unan­genehme Wahrheit­en aus.
    Nach mein­er Wahrnehmung denkt dif­feren­ziert und ist zur kri­tis­chen Selb­stre­flex­ion fähig, Herr Stefanowitsch.

  22. Dierk

    @Natalie
    Das klingt sehr prinzip­iell. Lehnen Sie Ver­ach­tung für Per­so­n­en generell ab? Egal, was die sagen und tun? Und ist die Ver­ach­tung, die Sie lesen, vielle­icht eine, die sich auf ver­acht­enswerte Äußerun­gen — Tat­en kann man Gauck ja nicht vor­w­er­fen — bezieht, nicht auf den net­ten Opa von nebenan?

  23. SB

    Wo bleibt die Sprachwissenschaft?
    Bish­er hab ich den Sprachlog immer aufmerk­sam ver­fol­gt und dort zahlre­iche inter­es­sante Dinge zu sprach­wis­senschaftlichen The­men lesen kön­nen — wofür ich mich bei Her­rn Ste­fanow­itsch bedanken möchte. In let­zter Zeit allerd­ings, so scheint mir, geht er immer mehr dazu über, einem seine poli­tis­che Mei­n­ung kundzu­tun. Was das mit Wis­senschaft, geschweige denn Sprach­wis­senschaft, zu tun haben soll, ist mir schleierhaft.

  24. KRichard

    @Natalie
    Ich stimme Ihnen zu — mir ging´s genau­so. Den Artikel empfinde ich als Primitivpolemik.
    Von einem Sprach­wis­senschaftler hätte ich mir die Diskus­sion und das Ver­ständ­nis von Einzel­be­grif­f­en erwartet.
    Ger­ade Begriffe mit der Endung ´-süchtig´ beschreiben oft ein bes­timmtes neg­a­tives Zwangsverhalten:
    harmonie‑, vergnügungs‑, sex‑, dro­gen, kauf‑, spiel-süchtig; um nur ein paar zu nennen.

  25. RD

    @AS Vor­ein­genom­men­heit.….
    Sie hat­ten sich zu Gaucks Amt­santritt bere­its kri­tisch gegenüber Gauck geäußert. Damals ist mir, und eini­gen anderen Kom­men­ta­toren aufge­fall­en, dass Sie Zitate aus dem Zusam­men­hang nehmen und diese dann aus ihrer eige­nen Sichtweise interpretieren.
    Nun kön­nte man auf die Idee kom­men, es sei kein Zufall, dass der Link auf Artikel hier nicht angegeben ist.

  26. zr0wrk

    … man kön­nte aber auch …
    … auf die Idee kom­men, die Behaup­tung eines oder ein­er RD sei nach seinen oder ihren Vorstel­lun­gen zurecht­ge­bastelt, denn in dem Artikel wird auf den fraglichen früheren Artikel verlinkt.

  27. icke

    Es ist aber schon sehr mutig…
    von einem “paz­i­fistis­chen größten Teil der Deutschen” zu sprechen, wenn es sich am Ende doch tat­säch­lich größ­ten­teils um Desin­ter­esse an Welt­poli­tik han­delt. Den Deutschen sind nicht nur ihre Stre­itkräfte egal, son­dern auch Afghanistan oder alle anderen Kon­flik­te. Haupt­sache, Deutsch­land gibt nicht noch mehr Geld für andere aus.
    Ob von Deutsch­land Gewalt aus­ge­ht oder nicht, ist doch haupt­säch­lich eine Frage von “Ich will aber nicht, dass meine Steuergelder für etwas, das mich nichts ange­ht, raus­ge­wor­fen wer­den.” nicht von “Ich bin gegen Gewalt.” Es geht hier nicht um Paz­i­fis­mus, son­dern um Neid.
    Davon abge­se­hen, dass ich Gaucks Geseiere auch nicht ausste­hen kann, finde ich aber sehr wohl, dass Sol­dat­en als Indi­viduen genau­so Aufmerk­samkeit und Empathie wie alle anderen ver­di­ent haben. Und nicht “Haha­ha, selb­st schuld, Augen auf bei der Beruf­swahl, ne?” oder “Was inter­essiert mich, ob da irgendw­er stirbt oder nicht?” wie ich das so häu­fig schon gehört habe.

  28. Nathalie

    @Dierk
    Was ich damit sagen wollte: Wenn jemand so verächtlich über einen anderen spricht, rechne ich nicht mit ein­er einiger­maßen sach­lichen Kri­tik, son­dern mit ein­er extrem ein­seit­i­gen Darstel­lung, gerne auch mit aus dem Zusam­men­hang geris­se­nen Zitat­en und der­gle­ichen — noch nicht ein­mal unbe­d­ingt aus böswilliger Absicht, son­dern weil dem Autor eine andere Per­spek­tive gar nicht mehr plau­si­bel erscheint. Es unter­gräbt für mich die Glaub­haftigkeit der vor­ge­tra­ge­nen Argu­mente. Wenn diese stich­haltig wären, kön­nten sie auch für sich sprechen. Was natür­lich nicht im Umkehrschluss heißt, dass sie in solchen Fällen automa­tisch abzulehnen sind. Hier empfinde ich Her­rn Ste­fanow­itschs Inter­pre­ta­tion des Begriffs “glückssüchtig”, die ja auch nicht weit­er erörtet wird, in diesem Kon­text zumin­d­est als sehr ein­seit­ig neg­a­tiv. Anson­sten beste­ht der Text für mich aus viel Polemik und wenig Argu­menten. Das finde ich schade.

  29. chris

    Frieden und Frei­heit … und Glück?
    Gauck und die Frei­heit…! Glück lässt sich doch in Unfrei­heit viel leichter empfind­en (zumin­d­est ein­fach­er her­stellen). Aber ich werde zynisch. Fakt ist, dass man mit Adjek­tiv­en immer vor­sichtig sein sollte. Die wirken näm­lich unsach­lich. Vielle­icht wirken sie nicht nur so…
    Ausser­dem scheint mir die Glückssuche schon zum ungeschriebe­nen “code ziv­il” zu gehören (Glück und Geld, Erfolg, Arbeit und Kariere…kapitalistischer Grundtenor…usw). Und wer nicht strebt, der wird aus­gestoßen. Also was will denn der Gauck…!? Ausser­dem heisst es doch “jed­er wie er kann”… und deswe­gen haben wir inzwis­chen auch eine Berufsarmee.
    Im Übri­gen halte ich es wie
    Muriel kein Betreff
    13.06.2012, 14:42
    … anmerkt:
    “…dass wir wom­öglich weniger Kriege hät­ten, wenn nicht seit Men­schenge­denken Leute wie Gauck ihn mit solchen For­mulierun­gen ehrver­brämt hätten.”
    Was mich zu dem Schluß kom­men lassen muß, dass es mit der Glo­ri­fizierung des “Sol­dat­en fürs Vater­land” einen evo­lu­tionären Vorteil bringt (für alle anderen nämlich)…

  30. gurke

    Danke für den Artikel.
    “Ver­ach­tung für das Volk” beschreibt ziem­lich gut, was ich beim Lesen von Gaucks Rede emp­fun­den habe. Ist wohl ger­ade ange­sagt bei deutschen Eliten. Was Merkel, Schäu­ble & Co. mit Griechen­land machen, drückt auch tief­ste Ver­ach­tung aus. Man bestraft, statt zu helfen. (Sich­er hat Griechen­land selb­st­gemachte Prob­leme, aber muss ich die Wirtschaft des Lan­des deshalb ganz platt machen?)

  31. James T. Kirk

    Sucht ist etwas anderes als Streben
    Zum Beispiel, dass es von ein­er erschreck­enden Geschichtsvergessen­heit zeugt, wenn man diesen lei­der viel zu späten deutschen Paz­i­fis­mus infrage stellt. Zum Beispiel, dass es aufhorchen lässt, wenn ein Frei­heits­fa­natik­er wie Joachim Gauck die ure­igen­ste Moti­va­tion der Frei­heit, das Streben nach Glück, verächtlich abtut.
    Hier ver­mis­chen Sie Glücksstreben und Glückssucht. Gauck würde sicher­lich auch Glücksstreben befürworten.
    Sie soll­ten Gauck ser­iös kri­tisieren und nicht kün­stlich auf ihm herumhacken.
    Glückssucht gibt es tat­säch­lich beson­ders in den west­lichen Gesellschaften. Hier wird häu­fig materieller Über­fluß und Besitz kom­pen­satorisch benutzt, um die innere seel­is­che Leere zu betäuben.
    Jedes Wort, das man an den Predi­ger der Eit­elkeit ver­schenkt, der zur Zeit den Bun­de­spräsi­den­ten gibt, ist ja eines zu viel.
    Dieses Zitat von Ihnen finde ich übri­gens ziem­lich verächtlich. Sicher­lich gibt es Kri­tikpunk­te an Gauck: Frei­heit­side­olo­gie, Protes­tantis­che Ethik und man­gel­nde Kri­tik­fähigkeit gegenüber herrschen­den gesellschaftlichen Zustän­den, die wohl daher­rührt, daß er als Ost­deutsch­er Bürg­er­lich­er den West­en idealisiert.
    Ihre Kri­tik wäre wirkungsvoller, wenn sie stärk­er dif­feren­zieren und Gauck nicht über die Maßen abw­erten würde.

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