Special Woman sucht vielfliegenden Kreditgeber. Oder: Wie die Lufthansa die Welt sieht.

Von Anatol Stefanowitsch

Es gibt schlechte Wer­bung. Es gibt dumme Wer­bung. Und es gibt gefährliche Werbung.

Ein Beispiel, das alle drei Kri­te­rien erfüllt, ist eine aktuelle Mail­ingkam­pagne der Lufthansa, auf die mich jemand über diesen Blog­beitrag aufmerkam gemacht hat.

Die Lufthansa ver­schickt in diesen Tagen fol­gen­des Schreiben an die Inhab­er von Miles-and-More-Kreditkarten:

Mailingkampagne der Lufthansa, Juni 2012

Mail­ingkam­pagne der Lufthansa, Juni 2012

Die Ver­ant­wortlichen bei Lufthansa zeigen mit dieser Kam­pagne, dass sie an min­destens drei Stellen in den fün­fziger Jahren hän­genge­blieben sind: mit ihrem Frauen­bild, mit ihrem Rol­len­bild von Frauen in Beziehun­gen, und mit ihrem Bild davon, welche Kom­bi­na­tio­nen sex­ueller Ori­en­tierun­gen und Iden­titäten in ein­er Beziehung zu find­en sind.

Fan­gen wir mit dem drit­ten Punkt an, der nicht weniger prob­lema­tisch ist, als die ersten Bei­den, über den ich aber aus der sprachlichen/kommunikativen Per­spek­tive, die mich vor­rang­ing inter­essiert, weniger sagen kann. Es han­delt sich bei dem Text ja vorge­blich um einen Brief ein­er Frau (erkennbar an der klis­chee­haft weib­lichen Hand­schrift, der Tat­sache, dass es um eine „Woman’s Spe­cial Part­nerkarte“ geht, an der Unter­schrift „Deine Spe­cial Woman“ und am Kuss­mund aus Lip­pen­s­tift). Und dieser Brief ist an einen Mann gerichtet (erkennbar daran, dass Lufthansa ihn an Män­ner ver­schickt hat). Damit ist klar, dass Lufthansa davon aus­ge­ht, dass die Män­ner unter ihren Kund/innen alle­samt het­ero­sex­uell und in ein­er Part­ner­schaft mit ein­er (und ver­mut­lich — „das Wichtig­ste in deinem Leben“ — mit genau ein­er) het­ero­sex­uellen Frau sind.

In dem diese Beziehung als selb­stver­ständlich­er Nor­mal­fall voraus­ge­set­zt wird wertet die Aktion homo­sex­uelle Män­ner eben­so ab wie asex­uelle Män­ner, polyamor lebende Män­ner, Män­ner die (ob frei­willig oder nicht) in gar kein­er Part­ner­schaft leben, usw. Und damit sind nur die direk­ten Adres­sat­en der Kam­pagne erfasst — auch Frauen oder Men­schen mit anderen sex­uellen Iden­titäten wird durch diese Voran­nahme sig­nal­isiert, dass sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen.

Das mag klein­lich klin­gen, und wenn die Kom­mentare zu diesem Beitrag nicht aus­geschal­tet wären, würde mit Sicher­heit der Ein­wand kom­men, dass Lufthansa hier eben vom „typ­is­chen“ oder „häu­fig­sten“ Fall aus­ge­he und die anderen sich eben ein­fach nicht ange­sprochen fühlen sollen. Aber selb­st wenn der Beziehungstyp „ein het­ero­sex­ueller Mann plus eine het­ero­sex­uelle Frau“ typ­isch und/oder am häu­fig­sten wäre (was ich für unsere Gesellschaft annehme), gibt das nie­man­dem das Recht, daraus einen selb­stver­ständlich vorauszuset­zen­den Nor­mal­fall zu machen. Deutschstäm­mige Deutsche sind in unser­er Gesellschaft auch wesentlich häu­figer als nicht-deutschstäm­mige, und trotz­dem würde Lufthansa nicht auf die Idee kom­men, einen Wer­be­brief mit einem Bezug auf „das Gefühl, seinen Stamm­baum bis ins Deutsche Reich zurück­ver­fol­gen zu kön­nen“ einzuleit­en. Beson­ders ärg­er­lich ist hier, dass Lufthansa das Ange­bot ein­er Part­nerkarte tat­säch­lich gar nicht auf het­ero­sex­uelle Frauen het­ero­sex­ueller Män­ner beschränkt — jede/r Inhaber/in ein­er Karte kann die Part­nerkarte für eine beliebige Per­son seiner/ihrer Wahl beantra­gen. Es ist also nicht nur diskri­m­inierend, son­dern dazu noch völ­lig über­flüs­sig, eine Kam­pagne auf dem Beziehungs­bild „ein het­ero­sex­ueller Mann plus eine het­ero­sex­uelle Frau“ aufzubauen.

Nun zu den ersten bei­den oben­ge­nan­nten Punk­ten, dem Frauen­bild und dem weib­lichen Rol­len­bild hin­ter der Kam­pagne. Die lassen sich direkt am Text fest­machen, den ich Absatz für Absatz durchge­hen werde.

Lieber Schatz,

das Gefühl, das Wichtig­ste in deinem Leben zu sein, ist für mich wun­der­schön. Uns verbinden so viele unvergessliche Augenblicke.

Die ange­bliche Brief­schreiberin definiert sich über das Gefühl, dass sie das Wichtig­ste in seinem Leben ist. Ihre Gefüh­le für ihn wer­den hier und im Rest des Briefes nicht the­ma­tisiert, sie sind irrelevant.

Dabei hast du immer wieder ein gutes Gespür dafür, wie du mir eine Freude machen kannst.

Er, ganz der Lady’s Man, weiß, wie er ihr eine Freude machen kann (und das ist nur gut, denn sie kann sich ihre Wün­sche ja nicht selb­st erfüllen).

Nun habe ich eine kleine Bitte:

Aha! Ganz per­fekt ist sein Gespür also nicht, son­st wäre sie ja wun­sch­los glück­lich und bräuchte keine Bit­ten zu äußern. Die Bitte ist aber nur eine „kleine“, damit er sich weit­er­hin etwas auf sein männlich­es Gespür für die Bedürfnisse seines Weibchens ein­bilden kann. Die Tat­sache, dass die Brief­schreiberin ihm erst ver­sichert, was für ein toller Mann er ist, bevor sie eine Bitte äußert, entwertet die ein­lei­t­en­den Sätze natür­lich noch mehr, als deren nicht­sagende Floskel­haftigkeit es ohne­hin tut: Hier wird ein Klis­chee bestätigt, nach dem Frauen Lob und liebevolle Worte nur ein­set­zen, um etwas dafür zu bekommen.

Es gibt eine Woman’s Spe­cial Part­nerkarte zu dein­er Miles & More Kred­itkarte, die echte Vorteile bietet. Ich werde damit sog­ar auf exk­lu­sive Events ein­ge­laden und nehme an tolen Über­raschungsak­tio­nen teil.

Der ein­heis­chende Ton­fall schreibt das Klis­chee fort. Er ist ja ein Mann, es reicht also nicht, dass seine Frau die Kred­itkarte haben möchte, son­dern es muss ein ratio­naler Grund dafür her: Die Kred­itkarte bietet „echte Vorteile“! Sog­ar zu exk­lu­siv­en Events wird das Weibchen ein­ge­laden — zu denen es aus eigen­er Leis­tung nie Zugang erhal­ten könnte.

Falls der Mann noch nicht überzeugt ist, wird noch ein Vorteil aufgefahren:

Und das Beste: Ich bekomme ein 2‑Jahres-Zeitschriften­abo der VOGUE, myself oder Archi­tec­tur­al Digest geschenkt! Du weißt doch, wie gerne ich in solchen Mag­a­zi­nen stöbere…

Die Auswahl der Zeitun­gen selb­st bestätigt, was man schon ver­mutet: Die Brief­schreiberin ist nicht beson­ders hell im Kopf. Sie inter­essiert sich für Mode und für die Häuser ander­er Men­schen — das aber so sehr, dass ein Zwei­jahres-Abo „das Beste“ an der Kred­itkarte ist. Ander­er­seits aber nicht so sehr, dass sie die Zeitun­gen auch tat­säch­lich lesen würde — sie „stöbert“ nur darin. Das ein­schme­ichel­nde „Du weißt doch…“ zemen­tiert ein­er­seits die Abhängikeit, in der sich die Brief­schreiberin zu ihrem Mann befind­et, ander­er­seits hat sie auch wieder etwas manip­u­la­tives: Er weiß es ja ganz offen­sichtlich nicht, son­st müsste sie es nicht erwäh­nen. Selb­st abon­nieren kann sie die Zeitschriften nicht, denn sie hat ja kein eigenes Geld.

Damit der Mann nicht auf die Idee kommt, dass seine Frau mit ihren Zeitun­gen und ihren exk­lu­siv­en Events vielle­icht zu einem eigen­ständi­geren Leben find­en kön­nte, wird er nun beruhigt, dass die gesam­melten Meilen natür­lich nur für gemein­same Reisen ver­wen­det wer­den sollen:

Selb­stver­ständlich möchte ich mit mein­er Kred­itkarte auch Meilen sam­meln, so wie du, die wir dann gemein­sam in eine schöne Reise – vielle­icht nach Paris – einlösen!

Das „so wie du“ ist auch wieder ein­schme­ichel­nd und unter­wür­fig zugle­ich — du großer stark­er Mann, du sam­melst so toll Meilen (bist halt ein Jäger und Samm­ler!), und ich will es dir gle­ich­tun. Man hat eher das Gefühl, dass hier ein drei­jähriges Kind spricht, das spie­len will, dass es Meilen sam­melt wie der Papa. Und Paris? Von der kle­bri­gen Klis­chee­haftigkeit abge­se­hen möchte man der Brief­schreiberin ein­dringlich rat­en, sich die Bal­lad of Lucy Jor­dan anzuhören um her­auszufind­en, was mit Haus­frauen passiert, die eskapis­tis­che Parisphan­tasien pfle­gen, statt ihr Leben ein­fach selb­st in die Hand zu nehmen.

Ich würde mich unheim­lich freuen, wenn du diese Part­nerkarte für mich beantragst: www.womans-card.de

Die Brief­schreiberin geht nicht davon aus, dass sie den Mann überzeugt hat — das wäre ja zu anmaßend. Nein, nach­dem alle Argu­mente auf dem Tisch liegen, wieder­holt sie nicht ein­mal ihre Bitte, son­dern sagt nur, dass sie sich „unheim­lich freuen“ würde, wenn er (ganz allein) zu der Entschei­dung käme, die Karte für sie zu beantragen.

Tausend Dank

Deine Spe­cial Woman

Eine Part­nerkarte zu beantra­gen dauert mein­er Schätzung nach etwa fünf Minuten. Dafür „Tausend“ Dank? Nun, es schreibt eben eine Frau, die kein Recht hat, auch nur fünf Minuten der Zeit ihres Mannes in Anspruch zu nehmen. Und mit „Deine Spe­cial Woman“ kommt sie zurück zum Anfang des Briefs — Grund­lage der Beziehung ist es, dass sie für ihn etwas beson­deres ist. Ob er für sie mehr ist, als ein Kred­itkartenge­ber, erfährt man bis zum Ende nicht.

Fassen wir zusam­men: Hier entste­ht ein Frauen­bild, nach dem Frauen sich über ihre Män­ner definieren, keine eige­nen Inter­essen oder Auf­gaben im Leben und kein eigenes Geld haben. Es entste­ht außer­dem ein Rol­len­bild, nach dem Frauen in ein­er Beziehung eine unter­ge­ord­nete Rolle spie­len und ihren Mann mit Lob und Schme­icheleien (und mit­tels Kuss­mund vielle­icht mit dem Ver­sprechen von Sex) manip­ulieren müssen, wenn sie etwas von ihm haben wollen.

Das alles mag — wie bei der Wer­bekam­pagne des Musikhaus­es Thomann — reine Gedanken­losigkeit und unbe­wusstes Fortschreiben kul­turell tief ver­ankert­er Klis­chees und Stereo­typen sein. Führt man sich aber den lan­gen Weg vor Augen, der uns noch vom Ziel ein­er freien und gle­ichen Gesellschaft tren­nt, und die kleinen und zer­brech­lichen Fortschritte die Frauen über Hun­derte von Jahren erkämpft haben, dann muss man zu dem Schluss kom­men, dass es eine Gedanken­losigkeit ist, die in ihren Kon­se­quen­zen von Bösar­tigkeit nicht zu unter­schei­den ist.

 

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.