Frauen ruhig beim Vornamen nennen?

Von Kristin Kopf

Nach ein­er Erwäh­nung bei Suz (sowieso lesenswert!) habe ich auf­grund ein­er akuten Wis­senslücke nach “Mol­ly Brown” gegoogelt und bin (eher aus Verse­hen) auf den deutschen Wikipedi­aein­trag gestoßen. Sein Auf­bau hat mich sowieso etwas irri­tiert, die gründliche Aufzäh­lung aller Geschwis­ter, Hal­bgeschwis­ter etc. ohne augen­schein­liche Rel­e­vanz, … aber naja. So richtig ges­tutzt habe ich aber, als ich an diese Stelle kam:

Mol­ly war sozial sehr engagiert und half zum Beispiel in der Sup­penküche der Mine­nar­beit­er von Leadville aus. Anfang der 1890er wurde James Brown zum lei­t­en­den Direk­tor der Ibex-Mine­nan­la­gen. 1893, als die Arbeit­slosigkeit in Leadville bei 90 % lag, begann Brown mit der Förderung von Gold in der Lit­tle Jon­ny Mine und avancierte zu einem der wohlhabend­sten Män­ner im Bundesstaat.

Brown und Molly

Meine Erwartung war, dass auf die im Artikel beschriebene Per­son mit dem Nach­na­men referiert würde, nicht auf ihren Mann. Aber Pustekuchen: Die Frau wird größ­ten­teils beim Vor­na­men (inklu­sive Kurz­for­men davon) genan­nt (14 Mal, vs. sechs­mal voller Name), der Mann hinge­gen nur ein­mal (in der Verbindung Mol­ly und James), son­st mit vollem Namen (2) oder Nach­na­men (1). Die einzige Nur-Nach­name-Nen­nung für Mol­ly enthält mit Mrs. Brown zudem eine Geschlechtsbezeichnung.

Brown and Brown

Eine solche Asym­me­trie existiert im kor­re­spondieren­den englis­chen Artikel nicht: Dort wird sowohl auf Mol­ly Brown als auch auf James Brown nach anfänglich­er Kom­plet­tnen­nung ziem­lich kon­se­quent mit Vor­na­men referiert (Mol­ly/Mar­garet und J.J.), und wenn nur Brown ste­ht, dann ist die Frau gemeint:

Brown  had always planned to mar­ry a rich man but she mar­ried J.J. for love.

Adjust­ing to the trap­pings of a soci­ety lady, Brown became well-immersed in the arts and flu­ent in French, Ger­man, and Russian.

Die englis­che Wikipedia hat übri­gens auch einen Ein­trag für James Brown, und auch hier wird fast nur mit dem Vor­na­men (J.J.) auf ihn referiert. Die einzige Nur-Nach­name-Nen­nung referiert auch erwartungs­gemäß auf ihn:

On Sep­tem­ber 5, 1922, Brown died after suf­fer­ing a series of heart attacks at a hos­pi­tal in Nas­sau, New York, with his daugh­ter, Helen (Mrs. George Ben­ziger), by his side.

Gründe?

Der Satz, an dem ich in der deutschen Wikipedia so hän­genge­blieben bin, kön­nte natür­lich eine Aus­nahme sein. In den alten Ver­sio­nen des Artikel bin ich aber sog­ar noch auf einen weit­eren Beleg von ein­er anderen Per­son gestoßen (“Mein” Satz wurde am 20.9.2006 von ein­er IP-Adresse geschrieben):

Aus der Ehe mit Brown gin­gen die Kinder Lawrence und Dorothy her­vor. (Quelle, BenutzerIn)

Es stellt sich jet­zt also die Frage, ob …

  1. … es in der deutschen Wikipedia eine gängige Prax­is ist, mit dem nack­ten Nach­na­men auf Män­ner zu referieren, auch wenn eine gle­ich­namige Frau Gegen­stand des Ein­trags ist?
  2. … diese ver­mutete Asym­me­trie eine Form sprach­lich­er Diskri­m­inierung darstellt?

Ob hin­ter meinen anek­do­tis­chen Bele­gen tat­säch­lich eine Ten­denz bei der Wikipedia steckt, müsste man mit umfan­gre­icheren Unter­suchun­gen her­aus­find­en – dazu fehlt mir lei­der die Zeit. Ich habe mir, aus­ge­hend vom Brown-Artikel, einige weit­ere Ein­träge ver­heirater Frauen und ihrer Ehemän­ner ange­se­hen, und zwar auss­chließlich daraufhin, ob bloße Nach­na­men­snen­nung auftritt, und falls ja, für wen. Dabei zeigten sich recht unter­schiedliche Ergeb­nisse: Bei eini­gen Paaren wurde wed­er im Artikel des Mannes, noch in dem der Frau der bloße Nach­name genan­nt (Car­o­line Scher­mer­horn Astor/William Back­house Astor jr. und Käthe Koll­witz/Karl Koll­witz), bei anderen war der alleinige Nach­name ein­deutig dem Mann vor­be­hal­ten (Alva Van­der­bilt Bel­mont: 1 von 17 vs.  Oliv­er Bel­mont: 4 von 5; Eleanor Roo­sevelt: 0 von 46 vs. Franklin D. Roo­sevelt: 59 von 66 Nen­nun­gen). Bei den Roo­sevelts wird der Effekt wahrschein­lich dadurch ver­stärkt, dass er wesentlich berühmter ist als sie. Fälle, in denen bloße Nach­na­men­snen­nung bei der Frau in gle­ichem oder gar höherem Maße auf­trat als bei ihrem Mann, habe ich nicht gefunden.

Auf die Frage nach der Diskri­m­inierung würde ich, sollte es tat­säch­lich eine Ten­denz geben, sofort mit Ja antworten. Eine Vor­na­men­snen­nung ver­mit­telt prinzip­iell ein­mal soziale Nähe und Ver­trautheit, der Nach­name legt eher Dis­tanz und Respekt nahe. Zwei unbekan­nte Per­so­n­en (hier Mol­ly Brown und James Brown) ein­mal mit Vor­na­men, ein­mal mit Nach­na­men zu nen­nen, sug­gieriert unter­schiedliche Grade von Dis­tanz und Respekt, in diesem Fall größere Dis­tanz und größeren Respekt dem Mann gegenüber (vgl. z.B. Mag­in 2011:179). Dies spiegelt wahrschein­lich die gesellschaftlichen Ver­hält­nisse der Zeit, in der sich dieses Muster her­aus­ge­bildet hat, wider: Män­ner hat­ten einen größeren gesellschaftlichen Aktion­sra­dius und damit war der Großteil der Men­schen, denen gegenüber eine respek­tvolle Dis­tanz vorherrschte, männlich. Per Analo­gie wurde die respek­tvolle Benen­nung­sprax­is auf alle Män­ner aus­gedehnt, die weniger respek­tvolle auf alle Frauen.

Quellen:

  • Mag­in, Melanie (2011): Von Poli­tik­erin­nen und anderen Frauen. Geschlech­ter­darstel­lun­gen in Tageszeitun­gen aus Deutsch­land, Öster­re­ich und der Schweiz. In: Josef Fer­di­nand Haschke & André Michael Moser (Hgg.): Poli­tik – Deutsch, Deutsch – Poli­tik. Aktuelle Trends und Forschungsergeb­nisse. Berlin, 179–198.

10 Gedanken zu „Frauen ruhig beim Vornamen nennen?

  1. ke

    Mir ist auch aufge­fall­en, wie oft in den Nachricht­en des Deutsch­land­funks und ander­er ange­blich ser­iös­er Medi­en von “Frau Merkel” die Rede ist. WTF? Die wür­den doch auf einen männlichen Poli­tik­er nie mit “Herr Stein­brück” oder so referieren, oder?

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    1. Kristin Beitragsautor

      Ja, das ist noch mal ein Riesenkom­plex. Das Buch von Mar­gin hat da auch Ergeb­nisse zu.
      Ich denke, in diesem Fall ist es auch irgend­wie eine for­male Markierung eines real markierten Fall­es. Ich kriege auch immer wieder Hausar­beit­en, in denen fol­gen­der­maßen referiert wird:

      Während Müller (1998:25) diese Zusam­men­hänge als unbe­strit­ten darstellt, ist Inge Maier/Frau Maier/die Wis­senschaft­lerin Inge Maier (2003:345) der Ansicht, …”

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  2. m

    Die beina­he auss­chliessliche ver­wen­dung des Vor­na­mens hat mich auch beim Artikel ueber, hm, Ada Lovelace in en.wikipedia gewun­dert. Die talk-page dazu behadelt nicht nur die speziellen prob­leme des britis­chen hochadels (lovelace war der titel ihres manns, nicht ihr eigen­er, und „Ada Lovelace” geht dahef gar nicht), son­dern auch eines aller biographis­chen artikel von per­so­n­en die ihren Nach­na­men aen­dern: es klingt selt­sam wenn das Kind (Byron) bere­its mit dem (zukün­fti­gen) Titel (Lovelace) des zukuen­fti­gen Ehe­manns (King, b.t.w.) beze­ich­net wird, ander­er­seits sollte der Gegen­stand des Artikels immer mit dem gle­ichen wort beze­ich­net wer­den. Wer weisz, was sich fuer loe­sun­gen fuer dieses prob­lem find­en wer­den wenn mehr Maen­nchen davon betrof­fen sind 😉

    Nach erneutem Lesen der genan­nten talk-page wuen­sche ich mir fuer jeden Men­schen eine fre­undliche Seriennummer…

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  3. suzflach

    Hm, bei Mol­ly Brown kommt vielle­icht auch noch ins Spiel, dass sie als Phil­an­thropin bekan­nt war bzw. sei­ther genau­so porträtiert/stilisiert wird. Also wegen kürz­er­er Dis­tanz und so?

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  4. Pompeius

    Ein ähn­lich­es Phänomen wie diese Ungle­ich­be­hand­lung lässt sich auch bei der Ver­wen­dung von Spitz­na­men beobacht­en. Es passiert gele­gentlich, dass eine männliche Per­son im Fre­un­deskreis mit ihrem Nach­na­men tit­uliert wird oder vielle­icht auch mit ein­er Kurz­form des Nach­na­mens. Bei Frauen habe ich das noch nie beobachtet.

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  5. Kristin Kopf Beitragsautor

    Dieser Artikel hat­te im Sch­plock noch zwei weit­ere Kom­mentare, die erst nach dem Import ins neue Sprachlog erfol­gten, daher poste ich sie ein­fach hier:
    —-
    klapp­nase sagt:
    23. Novem­ber 2012 um 17:54

    Viel selt­samer als das “Frau” finde ich aber noch das vor­angestellte “die”, so wie in “die Diet­rich” (find­et sich übri­gens auch auf ihrer wikipedia-Seite). Auf die Idee z.B. “der Chap­lin” zu schreiben kommt wohl eher niemand.
    —-
    ke sagt:
    23. Novem­ber 2012 um 18:32

    Umgangssprach­lich ist der Artikel vor dem Namen bei Män­nern und Frauen etwa gle­icher­maßen gang und gäbe, der Film­di­ve­nar­tikel ist insofern etwas Beson­deres, als er sich auch in der Schrift­sprache durchge­set­zt hat, wohl um den Sta­tus ein­er Film­di­va als all­ge­mein bekan­nt (Vor­na­men­snen­nung nicht erforder­lich) und als Leg­ende zu beto­nen. In der Tat komisch, dass männliche Film­le­gen­den davon so gut wie ausgenom­men zu sein scheinen. Großes Vergnü­gen bere­it­ete mir indes ein­mal ein Feuil­let­onar­tikel in der Zeit, in dem Vin Diesel an ein­er Stelle als “der Diesel” beze­ich­net wurde.

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  6. Gabi

    Weiß jemand, seit wann es im Deutschen über­haupt üblich/möglich ist, Frauen nur mit dem Nach­na­men zu beze­ich­nen? Ich kann mich noch erin­nern, dass ich es als sprach­lich falsch emp­fand, als es mir zum ersten Mal begeg­nete, es mag vielle­icht dreißig Jahre her sein, so genau erin­nere ich mich nicht. Vorher wäre mir die Idee gar nicht gekom­men, dass das geht. Ich habe es also mit ziem­lich­er Sicher­heit in der Schule so gel­ernt, dass man bei Frauen immer den Vor­na­men oder Frau/Frl. voranzustellen hat. Die Nur-Vor­name-Ver­sion wäre mir allerd­ings in einem sach­lichen Kon­text auch merk­würdig vorgekommen.

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  7. Onkel Erika

    Sehr inter­es­sant! Ich werde mal ver­suchen drauf zu acht­en, ob sich das auch in anderen Artikeln so wiederfind­et und es gegebe­nen­falls ändern.

    Allerd­ings wäre ich vor­sichtig bei englis­chen Artikeln. Ger­ade in Ameri­ka wer­den meines Wis­sens Vor­na­men viel häu­figer genutzt als das im Deutschen der Fall wäre, ohne das man daraus Schlüsse auf Nähe/Distanz oder Respekt etc. ziehen könnte.

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  8. Kristin Kopf Beitragsautor

    @Gabi:
    Lei­der keine Ahnung, dazu müsste man sys­tem­a­tisch recher­chieren. Ich habe mal ein paar promi­nente Frauen im Zeit-Kor­pus (begin­nt 1946) des DWDS gecheckt.

    Ich gebe immer die Jahreszahlen des Erst­belegs an, in der Rei­hen­folge: voller Name/Frau X/nur Nach­name

    Ergeb­nisse:
    -(Petra) Kel­ly: 1980/1982/1983
    -(Ulrike) Mein­hoff: 1964/–/2000 (ins­ges. nur wenige Belege)
    — (Mar­garet) Thatch­er 1973/1975/1975
    — (Marie) Curie 1946/1949*/1986
    — (Flo­rence) Nightin­gale 1955/1964**/2001
    — (Edith) Piaf 1950/–/1965 (unberück­sichtigt: die Piaf)

    *Als Madame Curie. (Frühere Nen­nun­gen eines gle­ich­nami­gen Films wur­den ignoriert.)
    **Als Miß Nightingale.

    Es zeigt sich, dass die bloße Nach­na­men­snen­nung dur­chaus schon vor mehr als dreißig Jahren auf­trat. Allerd­ings scheint sie (und dazu habe ich jet­zt keine Zahlen erhoben) den anderen gegenüber wesentlich sel­tener zu sein.

    ——

    @Onkel Eri­ka:
    Der Ver­gle­ich mit den englis­chen Ein­trä­gen war nicht so gemeint, dass dort Respek­t­losigkeit gegenüber allen Per­so­n­en herrsche o.ä. — er sollte nur zeigen, dass in den englis­chen Beiträ­gen keine geschlechtsab­hängige Asym­me­trie steckt, im Gegen­satz zu den (weni­gen unter­sucht­en) deutschen.

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  9. Christoph Päper

    Meine Hypothese wäre, dass die min­destens his­torisch evi­dente unter­schiedliche sprach­liche Behand­lung von Män­nern und Frauen nur eine sekundäre ist, weil es primär um „ange­borene“ und angenommene Namen geht.

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