Kinderleichter Spracherwerb

Von Anatol Stefanowitsch

In den let­zten Tagen ging eine inter­es­sante Mel­dung zum frühkindlichen Fremd­sprache­nun­ter­richt durch die Presse: unter dem Ein­druck des „Pisa-Schocks“ schick­en immer mehr Eltern ihre Kinder — vom Säugling bis zum Vorschulkind — in Englis­chkurse. Die Kleinen sollen dort für das Über­leben in ein­er glob­al­isierten Welt fit gemacht werden.

(In Ameri­ka haben ähn­lich besorgte Eltern übri­gens eine andere Vorstel­lung davon, wer diese glob­al­isierte Welt dominieren wird und lassen ihre Kinder deshalb von chi­ne­sis­chen Kin­der­mäd­chen in deren Mut­ter­sprache betreuen oder schick­en sie in zweis­prachige englisch-chi­ne­sis­che Vorschulen.)

Aus der Poli­tik, die sich über so viel elter­lich­es Engage­ment doch eigentlich freuen sollte, kom­men nun war­nende Stimmen:

Entwick­lungspsy­cholo­gen und Poli­tik­er wie Nieder­sach­sens Kul­tus­min­is­ter Bernd Buse­mann (CDU) war­nen Eltern vor einem Förder­wahn: „Es ist sin­nvoller, zunächst alle Energien auf die Beherrschung der eige­nen Sprache zu bün­deln. Eltern soll­ten ihre Kinder nicht mit über­triebe­nen Erwartun­gen überziehen“, meint Buse­mann. „Es muss sich nie­mand Sor­gen machen, dass die Kinder ohne Extrakurse nicht fit genug für die Wis­sens­ge­sellschaft sind.“

Ein Zitat eines Entwick­lungspsy­cholo­gen, das diese Mei­n­ung stützen würde, habe ich verge­blich gesucht. Es würde mich auch wun­dern, wenn sich eines find­en ließe. Denn zum „Förder­wahn“ mag man ste­hen, wie man will, aber die Vorstel­lung, dass der frühe Erwerb ein­er Fremd­sprache die Beherrschung der Mut­ter­sprache verzögert oder gar behin­dert, ist schlicht falsch.

Im Gegen­teil: so müh­e­los und gründlich wie als Kinder ler­nen wir Sprachen nie wieder. Zwar kann eine Fremd­sprache auch später im Leben noch bis zu einem erstaunlich hohen Niveau gel­ernt wer­den, aber ein neben­bei und unbe­wußt ablaufend­er mut­ter­sprach­lich­er Erwerb ist wohl nur im Kinde­salter möglich — dort dann aber fast unbegrenzt.

Eine frühe Mehrsprachigkeit führt häu­fig sog­ar zu einem höheren all­ge­meinen Sprach­be­wusstein und bietet damit eine gute Grund­lage für den sou­verä­nen Umgang mit allen erlern­ten Sprachen. Es würde mich deshalb nicht über­raschen, wenn Kinder, die schon im Vorschu­lal­ter in Englis­chkurse geschickt wer­den, später auch im Deutschunter­richt glänzen sollten.

Wir Wis­senschaftler beobacht­en ja lieber, als dass wir aktiv in unseren Forschungs­ge­gen­stand ein­greifen wür­den. Aber Sinn und Zweck des Bre­mer Sprach­blogs soll es ja unter anderem sein, dies wenig­stens hie und da zu ändern. Ich möchte also diesen Beitrag mit ein­er ganz hand­festen Auf­forderung beschließen: Wenn es irgen­deine Möglichkeit gibt, Ihren Kindern Zugang zu ein­er Fremd­sprache zu ermöglichen — z.B. über ein rus­sis­ches Au Pair, eine spanis­che Tages­mut­ter oder einen türkischen Spielka­m­er­aden aus dem Kinder­garten — tun Sie es! Es gibt kaum einen größeren Gefall­en, den Sie Ihrem Kind tun können.

Um Ihnen den let­zten Rest der Angst vor ein­er verzögerten Sprachen­twick­lung zu nehmen, hier drei gold­ene Regeln, die man aus der bish­eri­gen Forschung ableit­en kann:

  1. Sor­gen Sie dafür, dass in der sprach­lichen Umwelt Ihres Kindes jede Sprache ein­er Bezugsper­son zuge­ord­net ist. Ihr Kind wird dann die jew­eilige Sprache zunächst ganz natür­lich mit der betr­e­f­fend­en Per­son assozi­ieren und gar nicht merken, dass es mehrere Sprachen erwirbt.
  2. Acht­en Sie darauf, dass die fremd­sprachige Bezugsper­son ihre Sprache mut­ter­sprach­lich beherrscht. Sie tun Ihrem Kind keinen Gefall­en, wenn Sie es beispiel­sweise mit den Brock­en ihres hal­b­vergesse­nen Schu­lenglisch konfrontieren.
  3. Ger­at­en Sie nicht in Panik, wenn Ihr Kind ab und zu Wörter aus der einen Sprache in der anderen ver­wen­det. Dies deutet nicht auf eine „Ver­mis­chung“ der Sprachen hin, son­dern ist eine ganz natür­liche Kom­mu­nika­tion­sstrate­gie, die sich „Code Switch­ing“ nen­nt und die sich bei allen zweis­prachi­gen Men­schen beobacht­en lässt.
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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

25 Gedanken zu „Kinderleichter Spracherwerb

  1. Renate C.

    Ich meine mich aus mein­er Uni-Zeit zu erin­nern, dass eine bilin­guale Erziehung den Spracher­werb ins­ge­samt behin­dern kann. Das ist zwar schon einige Jahre her, aber ich wun­dere mich trotz­dem darüber, dass Sie nun das genaue Gegen­teil behaupten.

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  2. Anatol Stefanowitsch

    Renate, vie­len Dank für Ihren Kom­men­tar, der mir die Möglichkeit gibt, hier noch ein­mal etwas genauere Infor­ma­tio­nen nachzuliefern.

    Die Idee, dass Zweis­prachigkeit sich neg­a­tiv auf die Sprachen­twick­lung und sog­ar die kog­ni­tive Entwick­lung ins­ge­samt auswirkt, lässt sich min­destens bis in neun­zehnte Jahrhun­dert zurück­ver­fol­gen. Vor­rangig in den USA durchge­führte Stu­di­en aus dem frühen zwanzig­sten Jahrhun­dert schienen diese Annahme zunächst zu bestäti­gen (eine Zusam­men­fas­sung find­et sich in Dar­cy, 1962).

    Im Nach­hinein hat sich aber her­aus­gestellt, dass die Ver­fass­er dieser Stu­di­en method­isch unsauber gear­beit­et haben. So haben sie fast durchgängig überse­hen, dass Leben­sum­stände und sozioökonomis­ch­er Hin­ter­grund der zweis­prachi­gen Kindern völ­lig anders waren als bei den ein­sprachi­gen Ver­gle­ichs­grup­pen. Während let­ztere typ­is­cher­weise aus der Mit­telschicht stammten, waren erstere Kinder von Ein­wan­der­ern, die in der Zielkul­tur noch nicht ihren Platz gefun­den hat­ten. In Extrem­fällen haben die Forsch­er nicht ein­mal über­prüft, ob die „zweis­prachi­gen“ Kinder über­haupt zweis­prachig waren, d.h. ob den in englis­ch­er Sprache durchge­führten Test fol­gen konnten!

    Seit den sechziger Jahren des let­zten Jahrhun­derts ist eine lange Rei­he von Stu­di­en erschienen, die diese method­is­chen Fehler ver­mei­den. Diese Stu­di­en haben gezeigt, dass Zweis­prachigkeit kein­er­lei neg­a­tive Ein­flüsse auf die Sprachen­twick­lung oder die kog­ni­tive Entwick­lung hat. Tat­säch­lich hat sie eher einen pos­i­tiv­en Effekt auf die sprach­lichen Fähigkeit­en, vor allem im Bere­ich des Sprach­be­wusst­seins (z.B. Peal und Lam­bert, 1962; Bia­lystok, 2001).

    Die Wis­senschaft ste­ht eben nicht still, und ger­ade in der psy­chol­o­gis­chen Forschung haben sich zuver­läs­sige wis­senschaftliche Meth­o­d­en erst in der zweit­en Hälfte des let­zten Jahrhun­derts richtig durchge­set­zt. Lei­der haben sich die fehler­haften Ergeb­nisse der frühen Stu­di­en zu ein­er Art urbanem Mythos ver­fes­tigt, der ger­ade in der Bil­dungspoli­tik immer wieder zum Vorschein kommt — etwa in den Argu­menten der „Eng­lish Only“-Bewegung in den Vere­inigten Staat­en oder eben auch in der im Beitrag zitierten Passage.

    BIALYSTOK, E. (2001). Bilin­gual­ism in devel­op­ment: Lan­guage, lit­er­a­cy, and cog­ni­tion. Cam­bridge, UK: Cam­bridge Uni­ver­si­ty Press.

    DARCY. N. T. (1963) Bilin­gual­ism and the mea­sure­ment of intel­li­gence: Review of a decade of research. Jour­nal of Genet­ic Psy­chol­o­gy 103, 259–282.

    PEAL, E. und LAMBERT, W.E. (1962). The rela­tion of bilin­gual­ism to intel­li­gence. Psy­cho­log­i­cal Mono­graphs 76, 1–23.

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  3. Frank Oswalt

    Sie schreiben, dass Kinder Sprachen fast unbe­gren­zt erwer­ben kön­nen — weiß man, wieviele Sprachen auf ein­mal ein Kind bewälti­gen kann?

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  4. Anatol Stefanowitsch

    Frank Oswalt, das weiß nie­mand genau. Ich habe vor langer Zeit, als ich selb­st noch Stu­dent war, dem Zweit­sprach­en­er­werb­s­forsch­er Hen­ning Wode dieselbe Frage gestellt. Er sagte, fünf bis sechs Sprachen auf ein­mal seien kein Prob­lem. Ob das eine Ober­gren­ze ist, lässt sich nur schw­er sagen. Exper­i­mente, die gezielt ver­suchen wür­den, die sprach­liche Auf­nah­me­fähigkeit eines Kindes auszureizen, wären unethisch und — so hoffe ich — ille­gal. Man muss also auf Fälle warten, die das Leben uns Wis­senschaflern von sich aus präsentiert.

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  5. Robert Maier

    Ja… von den ange­blichen Nachteilen des Mehrfach-Erst­sprach­werbes ist kaum noch etwas übrigge­blieben. Ich habe auf dieses The­ma auch immer ein wach­es Auge (auch wenn es mir nicht eben im Mit­telpunkt ste­ht), und soweit mir jet­zt aus soundso­vie­len Vorträ­gen von L1-Kol­le­gen erin­ner­lich, ist nur ein einziger empirisch einiger­maßen vertret­bar: Kinder näm­lich, die in einem mehrsprachi­gen Umfeld aufwach­sen, scheinen im Schnitt ger­ingfügig später mit dem aktiv­en eige­nen Sprachge­brauch zu begin­nen, als Kinder in ein­er ein­sprachi­gen Umge­bung. Dieser Unter­schied wird aber von anderen Vorteilen wieder wettgemacht und fällt zum Beispiel ein Jahr später über­haupt nicht mehr auf.

    Mit anderen Worten, wer sein Kind von den bösen gefährlichen Fremd­sprach­lern fern­hält, darf sich zur Beloh­nung in dem Glauben wiegen, dass es seinen ersten Zwei­wort­satz bis zu zwei Wochen früher gesprochen hat als im anderen Fall… (es kön­nte aber aus dem­sel­ben Grund auch zwei Wochen später dran sein — die wahre Wahrheit weiß ganz allein die Sta­tis­tik) was doch sich­er ein super Vorteil ist, ver­glichen mit den armen anderen Kindern, die die hypo­thetisch gewonnene Zeit damit ver­plem­pern mussten, her­auszufind­en, dass unter­schiedliche Leute zu densel­ben Sachen ganz unter­schiedlich sagen… 😀

    Wie wichtig aber im übri­gen der zweite Punkt (fremd­sprach­liche Mut­ter­sprach­ler) ist, um den sich aller­lei ambi­tion­ierte Eltern immer wieder gerne herumzu­mo­geln ver­suchen, mag das Beispiel von d’Ar­mond Speers zeigen: der näm­lich ver­suchte, seinen Sohn zweis­prachig in Englisch und Klin­go­nisch großzuziehen, hat­te dabei aber nur ein lück­en­haftes Vok­ab­u­lar von etwa 2000 klin­go­nis­chen Wörtern (die wohl auch nicht alle wirk­lich kindgerecht waren…) zur Ver­fü­gung. Ergeb­nis: er musste den Ver­such abbrechen, als das Kind drei Jahre alt war. (Klas­sis­ches Beispiel auch für einen der Fälle, “die das Leben uns Wis­senschaftlern präsen­tiert” — wir wür­den sowas näm­lich nie im Leben an der Ethikkom­mis­sion vorbeikriegen.)

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  6. Anatol Stefanowitsch

    Herr Maier, vie­len Dank für die Unter­stützung und den inter­es­san­ten Hin­weis auf d’Ar­mond Speers und seinen Ver­such, bei seinem Sohn einen mut­ter­sprach­lichen Erwerb des Klin­go­nis­chen zu erre­ichen. Neben der Prob­lematik eines nicht-mut­ter­sprach­lichen Vor­bilds zeigt der Fall einen weit­eren wichti­gen Punkt, den man den „drei gold­e­nen Regeln“ hinzufü­gen kann:

    4. Brechen Sie die zweis­prachige Erziehung nicht ab, falls Ihr Kind eine der Sprachen zeitweise ablehnen sollte. Das kommt häu­figer vor und gibt sich wieder, wenn Sie die Zweis­prachigkeit kon­se­quent fortsetzen.

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  7. Catharina S.

    Da habe ich doch mal ne Frage. Wie sieht es mit der Entwick­lung des Sprachver­ständ­niss­es von bilin­gual erzo­ge­nen Kindern aus? Gibt es dazu Stu­di­en? Kön­nte es beim Ver­ste­hen von Worten und somit auch Geschicht­en im Ver­gle­ich mit Gle­ichal­tri­gen (sagen wir mal 5jährige) Verzögerun­gen in der Entwick­lung geben? Ich frage, weil ich ein 5jähriges Mäd­chen kenne, (deutsch, schwedisch), welch­es deut­liche Schwierigkeit­en hat, Büch­er zu ver­ste­hen, die Kinder im gle­ichen Alter ver­ste­hen. Übri­gens: inter­es­santes Blog, Ana­tol und Kollegen!

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  8. Anke Soria

    Mein Sohn ist jet­zt 3 Jahre alt, und spricht noch nicht viel. Sätze erst gar­nicht. Mein Mann und ich Sprechen bei­de jew­eils in unser­er Mut­ter­sprache mit ihm, doch die Fam­i­lien­sprache ist Deutsch. Ich füh­le mich jet­zt etwas allein­ge­lassen, da der Kinder­arzt auf bladi­gen Fortschritt pocht. Vielviel Zeit kön­nen wir uns denn lassen?

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  9. Anatol Stefanowitsch

    Frau Soria, ich bin mir nicht sich­er, ob ich Sie richtig ver­standen habe: Sie und Ihr Mann sprechen jew­eils in ein­er anderen Sprache mit Ihrem Sohn und untere­inan­der sprechen Sie Deutsch? Ihr Sohn würde dann immer­hin drei Sprachen auf ein­mal ler­nen müssen, wobei er das Deutsche nicht von Mut­ter­sprach­lern hören würde. Oder ist Ihre Mut­ter­sprache Deutsch?

    Und er spricht in kein­er dieser Sprachen? Nicht ein­mal in Ihrer, wenn Sie mit ihm alleine sind? Ver­ste­ht er denn eine oder mehrere dieser Sprachen? Und was genau meinen Sie mit „nicht viel“? Wieviele Wörter kann er?

    Ich kann natür­lich keine Fer­n­di­ag­nose stellen und ich bin auch kein Experte für Sprachen­twick­lung. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich in ein­er ver­gle­ich­baren Sit­u­a­tion tun würde. Wenn Ihr Sohn die Sprachen gut ver­ste­ht (auch bei kom­plex­en Sätzen) und wenn keine kör­per­lichen Ursachen vor­liegen, die eine Verzögerung erk­lären kön­nten, wäre mein per­sön­lich­er Instinkt, ihm noch etwas Zeit zu lassen. Kinder unter­schei­den sich unglaublich stark in ihrer Entwick­lung. Allerd­ings sollte man eine sprach­lich reich­haltige Umge­bung schaf­fen, zum Beispiel sollte er viel mit anderen Kindern spie­len, sie kön­nen mit ihm sin­gen, Kinder­reime sprechen, etc. Wenn er für sein Alter ungewöhn­liche Ver­ständ­nis­prob­leme hat, sollte auf jeden Fall ein­mal seine all­ge­meine geistige Entwick­lung unter­sucht wer­den und es soll­ten ggf. spezielle För­der­maß­nah­men ein­geleit­et wer­den. Falls Sie genauere Fra­gen haben, wen­den Sie sich gerne per Email an mich (meine Adresse find­en Sie auf mein­er Web­seite wenn Sie auf meinen Namen klick­en), dann will ich gerne sehen, an wen man Sie da ver­weisen könnte.

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  10. Anatol Stefanowitsch

    Catha­ri­na, für deinen Fall gilt das gle­iche: ohne das Kind und die genaue Sit­u­a­tion zu ken­nen, kann ich wenig dazu sagen. Hat das Kind die Prob­leme nur beim Vor­lesen oder auch bei nor­malen Unter­hal­tun­gen? Und hat das Kind die Prob­leme in bei­den Sprachen? Wird dem Kind viel vorgelesen?

    Fün­fjährige Kinder unter­schei­den sich bezüglich ihrer Auf­fas­sungs­gabe ziem­lich stark voneinan­der — das muss nicht unbe­d­ingt etwas mit der bilin­gualen Erziehung zu tun haben. Es kann natür­lich auch sein, dass die Eltern die „gold­e­nen Regeln“ mis­sacht­en, dann kann es schon mal zu stärk­eren Verzögerun­gen kommen.

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  11. Nico Laube

    Guten Tag Herr Stefanowitsch! 

    Ich würde unser Neugenorenes gerne bilin­gual erziehen, da ich sel­ber viele Jahre in den USA gelebt habe und ihm so die Sprache ver­mit­teln könnte.

    Ist es sin­nvoll, dann auss­chliesslich, also auch mit mein­er Frau, englisch zu reden oder ist der Sprachkon­takt mit dem Kind entschei­dend (irgend­wann wird er ja merken, dass ich “seine” Mut­ter­sprache auch beherrsche und mit mir deutsch reden wollen..)

    Vie­len Dank,

    N. Laube

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  12. Anatol Stefanowitsch

    Lieber Herr Laube,

    dazu fall­en mir drei Dinge ein:

    1. Wenn Sie sel­ber kein Mut­ter­sprach­ler des Englis­chen sind, würde ich mir die Idee mit der zweis­prachi­gen Erziehung nochmal gut über­legen. Ich würde nicht abso­lut davon abrat­en, aber ich habe in ähn­lichen Fällen öfter eine Glaub­würdigkeit­slücke bei der Sprachver­wen­dung beobachtet. 

    2. Ihr Kind wird in jedem Fall irgend­wann merken, dass Sie das Deutsche beherrschen und es dann Ihnen gegenüber auch ver­wen­den. Davon soll­ten Sie sich dann aber nicht aus der Ruhe brin­gen lassen, son­dern ein­fach weit­er auf Englisch antworten. Bilin­gual erzo­gene Kinder haben dur­chaus Phasen, in denen sie die eine oder die andere Sprache ablehnen oder nicht sel­ber ver­wen­den möcht­en, aber das gibt sich mit der Zeit dann wieder.

    3. Mit Ihrere Frau kön­nen Sie in jedem Fall Deutsch reden. Immer­noch davon aus­ge­hend, dass Sie bei­de deutsche Mut­ter­sprach­ler sind, wäre alles andere etwas gekün­stelt, das Kind würde das mit Sicher­heit irgend­wann merken.

    Ich würde Ihnen, wenn Sie ihren Plan in die Tat umset­zten, außer­dem empfehlen, nach englis­chsprachi­gen Kon­tex­ten für Ihr Kind zu suchen (etwa einen inter­na­tionalen Kinder­garten und später eine englis­chsprachige oder zweis­prachige Schule). Auch Spielka­m­er­aden, die englis­che Mut­ter­sprach­ler sind, wären hil­fre­ich, denn Kinder ler­nen in viel­er­lei Hin­sicht sprach­lich mehr von ihren Altersgenossen als von ihren Eltern.

    Besten Gruß

    A. Ste­fanow­itsch

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  13. alligator

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,

    zu Ihrer 1. Empfehlung vom 24.01.07:

    Ich habe gehört, dass es neuere Forschung geben soll, die besagt, dass es gar nicht notwendig bei Kleinkindern die Sprachen sauber auf die bei­den Eltern aufzuteilen, z. B. Mut­ter deutsch und Vater englisch (wie bei un zu Hause). Entschei­dend sei, dass sich die Kleinkinder mit den Sprachen aus­giebig auseinan­der set­zen. Allein dadurch wür­den sich die notwendi­gen Struk­turen für Bilin­gual­ität im Hirn bilden — untech­nisch gesprochen. Ken­nen Sie diese Forschungsergeb­nisse und wenn ja, was hal­ten Sie davon?

    Viele Grüße, Ken

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  14. Isabell AUER

    Hal­lo Herr Stefanowitsch

    Ich schreibe Ihnen aus Mar­tinique. Mein Mann ist Fran­zose und ich bin Öster­re­icherin. Ich bin die einzige Per­son, die mit unser­er bald drei­jähri­gen Tochter Deutsch spricht.

    Fam­i­lien- und Umfeld­sprache ist Franzö­sisch. Flo­ra spricht seit Monat­en extrem gut Franzö­sisch (bildet Sätze mit Ver­gan­gen­heit und Zukun­ft). Ihr Deutsch ist weniger gut und sie weiss, dass ich alles vert­se­he, wenn sie auf Franzö­sisch antwortet. Wenn ich sie dazu auf­fordere, dann kann sie hol­prige deutsche Sätze bilden. Worte ken­nt sie viele und Lieder auch. Die Ver­ben bere­it­en ihr noch Prob­leme. Ich bin sehr kon­se­quent mit der deutschen Sprache und über­set­ze nur hin und wieder ein franzö­sis­ches Wort, das neu für sie ist oder ich wieder­hole Sätze in bei­den Sprachen, wenn wir mit franzö­sis­chen Fre­un­den und Kinder zusam­men sind.

    Welchen Wert haben DVDs wie Hei­di, Biene Maje etc? Fördern CDs und DVDs die Moti­va­tion mein­er Tochter Deutsch zu sprechen? Vert­se­hen kann sie alles. Wie streng soll oder darf man sein? Ich finde es nicht sehr angenehm, sie immer wieder aufzu­fordern auf Deutsch zu antworten. Lit­er­atur gibt es zu dem The­ma sehr wenig.

    Mit fre­undlichen Grüssen

    isabell AUER

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  15. Anatol Stefanowitsch

    Liebe Frau Auer,

    ich würde an Ihrer Stelle kon­se­quent dabei bleiben, mit Ihrer Tochter Deutsch zu sprechen, vor allem im famil­iären Umfeld. Beste­hen Sie aber nicht allzu streng darauf, dass Ihre Tochter immer auf Deutsch antwortet — Sie ver­lei­den Ihr son­st eventuell die deutsche Sprache, da für Kinder das kom­mu­nika­tive Bedürf­nis im Vorder­grund ste­ht, und Sie durch ein ständi­ges Fokussieren auf die Wahl der Sprache die Kom­mu­nika­tion stören. Es ist nichts dage­gen einzuwen­den, dass Sie Deutsch sprechen und Ihre Tochter auf Franzö­sisch antwortet. Lassen Sie in größer­er franzö­sis­chsprachiger Runde auch ruhig ein­mal das Deutsche weg und sprechen Sie Franzö­sisch. Solange dieser Wech­sel ins Franzö­sis­che klar an bes­timmte Sit­u­a­tio­nen gebun­den ist, wird er Ihre Tochter nicht ver­wirren und Sie laufen son­st Gefahr, dass Ihrer Tochter die ständi­ge Präsenz der für die anderen frem­den Sprache unan­genehm wird. Bilin­gual aufwach­sende Kinder machen übri­gens häu­fig Phasen durch, in denen sie die weniger dom­i­nante Sprache rund­her­aus ablehnen — das gibt sich aber immer von alleine.

    DVDs und CDs für sich allein haben natür­lich keinen Wert, aber wenn Sie sie mit Ihrer Tochter gemein­sam ansehen/anhören und sich dann auf Deutsch mit ihr über das gehörte unter­hal­ten, stellen sie auf jeden Fall eine wertvolle sprach­liche Ressource für Ihre Tochter dar — sie bekommt dort eine Rei­he sprach­lich­er Vor­bilder präsen­tiert und lernt die deutsche Sprache spielerisch als Zugangsweg in eine span­nende Geschicht­en­welt ken­nen und hof­fentlich auch lieben.

    Rech­nen Sie außer­dem damit, dass Ihre Tochter die deutsche Sprache nicht hun­dert­prozentig „kor­rekt“ pro­duzieren wird. Regen Sie sich über falsche Ver­ben­dun­gen usw. nicht unnötig auf und kor­rigieren Sie sie auch nicht expliz­it. Sor­gen Sie ein­fach weit­er für möglichst viel abwech­slungsre­ichen und span­nen­den deutschsprachi­gen Input und über­lassen Sie alles weit­ere der natür­lichen Sprach­w­er­werb­s­fähigkeit Ihrer Tochter!

    Besten Gruß

    Ana­tol Stefanowitsch

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  16. Simone

    Hal­lo Ana­tol Stefanowitsch,

    aus beru­flichen Gru­en­den sind wir 2004 mit unserem Sohn Alexan­der (damals 1 Jahr) nach Malaysia in die Haupt­stadt gezo­gen. Alex hat das Krabbeln , das Laufen und das Sprechen spaeter gel­ernt. Mit 2 Jahren ging er in einen englis­chsprachi­gen Kinder­garten und wir haben zu Hause schon immer deutsch mit ihm gesprochen. Als wir bemerk­ten, dass er sehr kon­fuss ist mit bei­den Sprachen, haben wir dort durch einen Logopae­den und einem Speech und Dra­ma Kurs sein Englisch gefo­erdert. Ende 2007 bis Ende Jan­u­ar 2008 (also gute 2 Monate) hat­ten wir eine Pause in Deutsch­land. In der Zeit beobachteten wir, wieviel Spass er hat­te, sich auf nur eine Sprache zu konzen­tri­eren und machte tolle und so schnelle Fortschritte im Deutschen. Seit Feb. 2008 sind wir im West­en Kanadas (also wieder englis­chsprachig) und das voraus­sichtlich noch 2 bis 3 Jahre. Alex ist jet­zt 5 1/2 Jahre und spricht wed­er gut deutsch noch gut englisch , was ihn auch im Kinder­garten frus­tri­ert, da er sich nicht so aus­drueck­en kann wie er das vielle­icht moechte. Auch ist uns aufge­fall­en, dass sein Kurzzeitgedaecht­nis nicht so aus­gepraegt ist. Unser Prob­lem ist jet­zt, dass im kanad. Sys­tem ein gross­er Leis­tungs­druck herrscht und die Kinder schnell schreiben (kein Prob­lem fuer ihn) und englisch lesen ler­nen (er nat­uer­lich Schwierigkeit­en hat) und das mit 5 Jahren. The­o­retisch koen­nte er jet­zt in die Schule gehen, aber wir geben ihm nochmal ein Jahr Kinder­garten (hoher Stan­dard) und eine kleine Ver­schnauf­pause. Unsere Frage ist Wie koen­nen wir unserem Kind helfen? Gibt es spezielle Hil­fen dieses Chaos mit den Sprachen, das er hat ‚zu bewaelti­gen? Sollen wir uns jet­zt im Moment mit eine Foerderung der Sprache nur auf englisch konzen­tri­eren? Sollen wir zu einem Sprachther­a­peuten gehen, der sein Englisch verbessern kann? 

    Ich wollte noch bemerken, dass es hier in unser­er Stadt keine deutsche Schule gibt. 

    Lieben Gruss

    Simone

    Antworten
  17. Anatol Stefanowitsch

    Liebe Simone,

    mein grund­sät­zlich­er Ratschlag ist der­selbe wie immer: sprechen Sie in der Fam­i­lie Deutsch mit Ihrem Sohn, und sor­gen Sie dafür, dass er außer­halb der Fam­i­lie eine reich­haltige englis­chsprachige Umge­bung hat (nicht nur im Kinder­garten, son­dern möglichst auch in Form von Spielka­m­er­aden, die er mit nach­hause brin­gen kann).

    Allerd­ings gibt es in Ihrem Fall zwei Ein­schränkun­gen: Erstens erwäh­nen Sie, dass sein Kurzzeitgedächt­nis nicht gut aus­geprägt ist. Das klingt für mich nach einem Prob­lem, das mit der Zweis­prachigkeit nichts zu tun hat und das auf jeden Fall durch einen Arzt (etwa einen Neu­rolo­gen) unter­sucht wer­den sollte. Falls Ihr Sohn hier beispiel­sweise eine leicht verzögerte kog­ni­tive Entwick­lung oder eine leichte Lern­be­hin­derung haben sollte, müsste das natür­lich behan­delt wer­den und in diesem Fall kön­nte die Zweis­prachigkeit eine zu große Belas­tung für ihn sein.

    Zweit­ens sagen Sie, dass er mit 5 Jahren wed­er gut Deutsch noch gut Englisch spricht. Es kann bei mehrsprachig aufwach­senden Kindern manch­mal zu ein­er leicht ver­langsamten Sprachen­twick­lung kom­men, die aber in diesem Alter langsam wieder aufge­holt sein müsste. Ich kann nicht beurteilen, ob bei Ihrem Sohn eine besorgnis­er­re­gend starke Verzögerung einge­treten ist. Das müsste ein Experte fest­stellen und ggf. behan­deln. Die Frage ist, wer dafür geeignet ist. Grund­sät­zlich wäre das natür­lich ein Logopäde, wobei man es dort, bei allem Respekt vor diesem Beruf­s­stand im Ganzen, lei­der häu­fig mit Men­schen zu tun bekommt, die in der Diag­nos­tik nicht beson­ders tre­ff­sich­er sind. Ich würde deshalb auf jeden Fall mehrere Mei­n­un­gen ein­holen, bevor ich mich für eine Behand­lung entschei­den würde. Wenn keine all­ge­meinen kog­ni­tiv­en Prob­leme vor­liegen, würde ich in diesem Fall aber grund­sät­zlich die Zweis­prachigkeit beibehal­ten, denn das Prob­lem wäre son­st, dass Sie sich notge­drun­gen auf die englis­che Sprache beschränken müssten und das würde Sie dauer­haft Ihrer eigentlichen Fam­i­lien­sprache berauben.

    Abschließend denke ich, dass das Prob­lem noch woan­ders liegen kön­nte: eventuell sind Sprache und Sprechen an sich ein zu großes The­ma in Ihrer Fam­i­lie gewor­den. Wenn Ihr Sohn mit einem zu großen sprach­lichen Prob­lem­be­wusst­sein an seine kom­mu­nika­tiv­en Bedürfnisse herange­ht, kön­nte das dazu führen, dass er durch zuviel Nach­denken seine unbe­wussten und natür­lichen Spracher­werb­s­fähigkeit­en block­iert. In diesem Fall wäre es wichtig, den Druck aus der sprach­lichen Inter­ak­tion her­auszunehmen und dafür zu sor­gen, dass nur die Inhalte, nicht aber das Sprechen an sich The­ma sind. Das kön­nte natür­lich dadurch geschehen, dass man sich eine zeit­lang auf eine einzige Sprache beschränkt. Die Schwierigkeit ist hier wieder­rum, dass das im Moment das englis­che sein müsste, was nach Ihrer Rück­kehr nach Deutsch­land dann zu Prob­le­men führen würde. 

    Ihre Sit­u­a­tion ist also sehr schwierig, da viele Dinge gegeneinan­der abge­wogen wer­den müssen. Ich hoffe, dass meine Gedanken zu dem The­ma Ihnen wenig­stens ein klein biss­chen weit­er­helfen, auch wenn ich ohne genauere Infor­ma­tio­nen sehr wenig konkretes sagen kann.

    Besten Gruß

    Ana­tol Stefanowitsch

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  18. Hanna Hannappel

    Lieber Herr Stefanowitsch,

    kön­nen Sie mir einen Tip zum Lesen-ler­nen in zwei Sprachen geben? Ich bin deutsche Mut­terp­srach­lerin, mein Mann ist Nieder­län­der und wir sohnen in den Nieder­lan­den. Unser Sohn ist vier Jahre alt und geht jet­zt in eine nieder­ländis­che Schule. Ich spreche kon­se­quent deutsch mit ihm, alles andere (Vater, Umge­bung, Fre­unde) ist nieder­ländisch. Er ver­ste­ht deutsch sehr gut und spricht es einiger­maßen. Die Zweis­prachigkeit macht ihm — bis jet­zt — auch großen Spaß, Aber jet­zt möchte er lesen ler­nen und ich würde gerne wis­sen, ob es möglich ist, ihn in bei­den Sprachen gle­ichzeit­ig lesen ler­nen zu lassen. Die Laut-Buch­staben-Zuord­nung ist in bei­den Sprachen ziem­lich unter­schiedlich und ich kann mir vorstellen, dass das auch Prob­leme bringt. 

    Mit fre­undlichen Grüßen und Dank für das inter­es­sante blog,

    Han­na Hannappel

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  19. Anatol Stefanowitsch

    Liebe Frau Han­nap­pel, ich kenne mich mit der Fach­lit­er­atur zu diesem The­ma nur sehr ober­fläch­lich aus und muss deshalb etwas all­ge­mein bleiben. Mir fall­en zwei all­ge­meine Punk­te ein, aus denen ich einen vor­sichti­gen Ratschlag for­mulieren kann.

    Erstens haben bilin­guale Kinder im All­ge­meinen ein besseres metasprach­lich­es Ver­ständ­nis als mono­lin­guale Kinder. Sie ver­ste­hen z.B. schneller und bess­er, dass Wörter beliebige Sym­bole sind und sie ler­nen nor­maler­weise auch schneller lesen, auch in zwei Sprachen. Unter­schiedliche Laut-Buch­staben-Zuord­nun­gen und sog­ar völ­lig unter­schiedliche Schrift­sys­teme bere­it­en ihnen dabei keine beson­deren Prob­leme, manch­mal fällt es ihnen sog­ar leichter, die Beliebigkeit von Orthografien zu akzeptieren.

    Zweit­ens sollte mit dem schrift­sprach­lichen Erwerb im opti­malen Fall erst dann begonnen wer­den, wenn der laut­sprach­liche Erwerb weit­ge­hend abgeschlossen ist. Das ist bei mono­lin­gualen Kindern irgend­wann zwis­chen vier und sechs Jahren der Fall, bei Ihrem Sohn klingt es aber so, als hinke der Erwerb des Deutschen etwas hin­ter­her (das wäre bei der sprach­lichen Umge­bung, die sie beschreiben, auch völ­lig normal).

    Ich nehme an, in der Schule wird er Nieder­ländisch lesen ler­nen, soweit mir bekan­nt ist, geschieht dies zunächst rel­a­tiv spielerisch und ohne viel Druck. Ich würde deshalb wie fol­gt vorge­hen: üben Sie auch das Lesen im Deutschen auf spielerische Weise. Lesen Sie ihm beispiel­sweise ein in großer Schrift gedruck­tes Buch vor und zeigen Sie dabei auf die Wörter, während Sie sie lesen. Das­selbe kön­nte ihr Mann mit nieder­ländis­chen Büch­ern tun. So würde Ihr Sohn gar nicht allzusehr über konkrete Laut-Buch­staben-Zuord­nun­gen nach­denken, son­dern die Wörter zunächst als Gestal­ten ler­nen, die zu der jew­eili­gen Sprache gehören. Gle­ichzeit­ig soll­ten Sie das mündliche Deutsch Ihres Sohnes stärken — am Besten geht das durch Kon­takt zu anderen deutschsprachi­gen Kindern, wenn das irgend­wie möglich ist (Kinder ler­nen Sprache näm­lich min­destens genau­sosehr von ihren Altersgenossen wie von ihren Eltern, wenn nicht sog­ar mehr).

    Ich hoffe, das hil­ft ein wenig weiter.

    Besten Gruß

    Ana­tol Stefanowitsch

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  20. Peter

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,

    Ich habe alle Beiträge durchge­le­sen und let­z­tendlich haben Sie meine Frage beant­wortet. Ich habe jedoch Zweifel ob die began­genen Fehler noch kor­rigiert wer­den können.

    Wir bei­de sind Ungar, wir leben in Ungarn, unser Kind ist 1 Jahre alt. Von Anfang an spreche ich mit unserem Win­zling auf Deutsch. Ich kann kein per­fek­tes Deutsch, habe aber 9 Monate in Deutsch­land gelebt. Moti­va­tion: ich habe erlebt wie müh­sam es ist, Fremd­sprachen zu ler­nen. Ziel: wenn es später halb so gut Deutsch kann als ich, bin ich froh, daher ist es von mein­er Seite kein Bestreben nach der Akzent­freien Sprachen­twick­ung meines Kindes. Weit­ers haben wir lei­der keine deutschsprachi­gen Bekannten.

    Was ich jet­zt fürchte: ich werde meinem Kind lieber Schaden anricht­en als sich diese Sit­u­a­tion zu Nutze machen und ihm einen Gefall­en tun. Ich kann ja auch sprüren dass ich meine Gefüh­le nicht so tief über­tra­gen kann als in mein­er Mut­ter­sprache. Ich spreche aber gerne mit ihm so. Noch jet­zt zumindest…

    Meine Fra­gen wären:

    1.) Soll ich mit der “kün­stlichen” zweis­prachi­gen Erziehung endgültig aufhören oder ist es schon spät?

    2.) Wenn ich es doch fort­set­ze, kön­nen später die eventuellen Sprach­prob­leme (Fehlin­to­na­tion, ver­drehte Gram­matik, die lei­der vor­pro­gram­miert sind) durch Zuhören von deutschsprachi­gen DVD‑s, Fernse­hen oder das Besuchen zweis­prachiger Kinder­garten kor­rigiert werden?

    3.) Macht das Sinn, mit dem Kind noch ein bis zwei Jahre Deutsch zu sprechen, es dann ein­stellen (die Hin­ter­grund­sprachen = ver­schiedene Medi­en aber nicht) und hof­fen dass es später eine bessere Nei­gung zum Spracher­ler­nen hat oder sog­ar ein größeres Inter­esse daran zeigt?

    Besten Gruß,

    Peter

    Antworten
  21. Peter

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,

    ich möchte dem zwanzig­sten Punkt noch eine kleine Ergänzung hinzufügen.

    In meinem Bekan­ntenkreis sind zwei Fam­i­lien — wo der eine Eltern­teil sog­ar je ein(e) Sprachlehrer(in) ist — die behaupten, es habe geklappt. Zur Folge hat­te es aber in bei­den Fällen die kom­plette Ver­weigerung des Gebrauchs der Nich­tumge­bungssprache durch das Kind oder sog­ar Sprach­mis­chun­gen am Anfang. Soviel ich weiß, ist es eben­so der Fall bei den Fam­i­lien wo die Kinder durch Mut­ter­sprach­ler “natür­lich” erzo­gen wer­den. Fach­ber­ater schla­gen vor, in Kom­mu­nika­tion mit Ihrem Kind nicht bei­de Sprachen son­dern auss­chließlich die Mut­ter­sprache kon­se­quent zu verwenden. 

    Im Grunde genom­men bin ich auch gegen die Unnatür­lichkeit (habe ja den Gegen­teil bestätigt), deren beson­ders im Bere­ich Kinder­erziehung eine beson­dere Bedeu­tung beizumessen ist und will dadurch mein Kind nicht zu einem unnatür­lichen Ver­hal­ten zwin­gen und unter den Druck set­zen. Daher wäre es nicht schlecht, möglichst den gold­e­nen Weg zu find­en und einige Instruk­tio­nen erhal­ten die diese Entschei­dung erle­ichtern kön­nte. Wenn ich auf diese Art der Kom­mu­nika­tion sowieso verzicht­en sollte, wäre es zumin­d­est sin­nvoll, eine weniger so kün­stlich wirk­ende und die Sprache fördernde Umge­bung durch die mut­ter­sprachi­gen Medi­en (deutsche Märchen, Zeichen­trick­filme im Fernse­her etc.) zu schaf­fen? Wenn es später die Schul­reife erre­ichen wird, kön­nte es zwar sicher­lich kein Deutsch reden aber — denke ich als blutiger Laie — wenig­stens die Grund­la­gen für ein besseres Ver­ste­hen und leichteres Aneignen des Deutschen wären schon dann ver­mit­telt (Ziel erre­icht). Ob das stimmt, bin ich mir nicht sich­er; deswe­gen habe ich eigentlich dieses Forum zu Rate gezo­gen. Ich hoffe, mit diesem Beitrag auch anderen Eltern witer­helfen zu können.

    Besten Gruß,

    Peter

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  22. Silvina

    Es tut mir so leid, dass das Kom­men­tar von Peter nicht beant­wortet wurde. Ich habe genau densel­ben Zweifel. Ich spreche Deutsch mit mein­er Tochter, obwohl ich nicht mut­ter­sprach­lich bin. Sie ist ein und acht Monate alt, spricht sehr gut Spanisch (unsere Mut­ter­sprache) und ziem­lich viel Deutsch. Soll ich weit­er nur Deutsch mit ihr reden?

    Vie­len Dank im voraus für Antworten oder Erfahrungen

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  23. Nadja

    Ich bin durch Zufall auf diesen Block gestossen und möchte kurz unsere eige­nen Erfahrun­gen schildern (vor allem, da ich die Frage nach Gren­zen der Auf­nah­me­fähigkeit und der ver­späteten Sprachen­twick­lung sah). Meine Tochter wird im Novem­ber 3 Jahre alt. Ich spreche mit ihr deutsch, mein Mann (aus Barcelona) spricht mit ihr auf kata­lanisch. Untere­inan­der (mein Mann und ich) reden wir spanisch (da wir jew­eils die Sprache des anderen zwar ver­ste­hen, aber nicht reden). Hinzu kommt, dass wir in den USA leben und mit Fre­un­den, ins­beson­dere auf Feiern, oder in der Öffentlichkeit in der Regel englisch sprechen. Nicht zulet­zt ist die Frau, die unsere Tochter zwis­chen dem Alter von 4 Monat­en und 2,5 Jahren mit gross­er Regelmäs­sigkeit als Kinder­frau betreut hat, aus dem Iran. Meine Tochter geht jet­zt seit 3 Monat­en in die Vorschule und ihre Lehrerin dort ist eben­falls aus dem Iran, redet also oft auf per­sisch mit ihr. 

    Die Sprachen­twick­lung unser­er Tochter ist ein­deutig verzögert. Während die zweis­prachige Tochter unser­er Fre­unde (gle­ichal­trig) schon gram­ma­tisch kor­rek­te ein­fache bis mit­tel­lange Sätze in bei­den Sprachen bilden kann, kann unsere Tochter sich zwar mit­tler­weile halb­wegs ver­ständi­gen, ist jedoch nicht in der Lage einen Satz in irgen­dein­er Sprache gram­matikalisch kor­rekt zu bilden. Ihr englisch ist ein­deutig dom­i­nant und am besten entwick­elt, das redet sie mit anderen Kindern in der Vorschule. Dies heisst, dass in allen von ihr gebilde­ten Sätzen ein oder mehrere englis­che Wörter auf­tauchen, egal mit wem sie kom­mu­niziert. Die zweit­stárk­ste Sprache ist deutsch und das ist ziem­lich gut entwick­elt, sie fängt jet­zt an, ein­fache Sätze zu bilden, wenn auch mit gram­matikalis­chen Fehlern. Ihr kata­lanisch ist gut, fängt jet­zt eben­falls mit kurzen Sätzen an. Spanisch redet sie gar nicht, da fehlt ein­deutig die Bezugsper­son. Den­noch ver­ste­ht sie alles in spanisch, selb­st aus­ge­fal­l­ene Wörter. Per­sisch ver­ste­he ich nicht, aber man hat mir bestätigt, dass sie alles ver­ste­ht und sich ver­ständi­gen kann. Auf­fäl­lig ist, dass sie nach wie vor in ihrer eige­nen erfun­de­nen Babysprache vor sich hin babbelt, vor beim Spiel. Des Weit­eren tritt natür­lich oft Frus­tra­tion auf, wenn sie bei ein­er Per­son die jew­eils falsche Sprache ver­wen­det, wobei sie dies mit­tler­weile recht gut zuord­nen kann und u.U. sog­ar schon von ein­er Sprache in die andere über­set­zt, um dem Gesprächspart­ner zu helfen.

    Das zeigt m.E., dass 5 Sprachen über­haupt keine Hürde sind, zumal wir ihre Sprachen­twick­lung nie gefördert haben. Des Weit­eren denke ich nicht, dass man sich über die Verzögerung eines 3‑Jährigen beun­ruhi­gen sollte, solange das Kind halb­wegs in der Lage ist, sich zu verständigen.

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