Bedrohte Wörter

Von Anatol Stefanowitsch

Ich wollte eigentlich etwas über Bodo Mrozek schreiben, der auf sein­er Web­seite und neuerd­ings auch in zwei Büch­ern („Lexikon der bedro­ht­en Wörter“ I und II) völ­lig ironiefrei für den Erhalt von Wörtern wie Dut­ten­gre­tel, Hagestolz und Nasen­fahrad agiert.

Doch ger­ade sehe ich, dass die Freie Presse den Düs­sel­dor­fer Sprach­wis­senschaftler Rudi Keller zu diesem The­ma inter­viewt hat. Dem, was Keller sagt, ist wenig hinzuzufü­gen und so empfehle ich Ihnen ein­fach die Lek­türe des Interviews.

Nur eins: es bleibt unklar, nach welchen Kri­te­rien Mrozek Wörter als „bedro­ht“ ein­stuft. Spon­tan kön­nte man auf Ver­wen­dung­shäu­figkeit tip­pen, denn ver­mut­lich sind diese Wörter ja deshalb bedro­ht, weil sie sel­ten ver­wen­det wer­den. Aber das scheint nicht das Kri­teri­um zu sein. Neben echt­en Sel­tenheit­en wie Düf­feld­of­fel mit 183 und Kanzelschwalbe mit nur 124 Google-Tre­f­fern find­en sich auf der Liste auch Wörter wie Anhal­ter mit 1.270.000 und Diskothek mit sat­ten 3.310.000 Treffern.

[Nach­trag (3.2.2007): Ein Leser weist mich ger­ade per Email darauf hin, dass Mrozek eini­gen der ausster­ben­den Wörter eher kri­tisch gegenüberzuste­hen scheint. So sagt er zur oben erwäh­n­ten Dut­ten­gre­tel: „Seit dem lan­gen Marsch des Fem­i­nis­mus durch die deutschen Sprachregelun­gen erklin­gen der­lei volk­stüm­liche Tat­sachenbeschrei­bun­gen mit Recht nur noch sel­ten“ (Her­vorhe­bung von mir). Nun bin ich völ­lig ver­wirrt: es gibt also Wörter, die vor dem Ausster­ben gerettet wer­den sollen, obwohl sie „mit Recht“ nicht mehr ver­wen­det werden?]

[Nach­trag (7.3.2007): Das Inter­view mit Rudi Keller ist lei­der online nicht mehr ver­füg­bar. Deshalb hier ein Zitat, das die Essenz wiedergibt:

Keller: Wörter ver­schwinden, wenn sie nicht mehr ver­wen­det wer­den. Man redet oft über die Sprache sehr verd­inglichend, dabei ist Sprache nichts anderes als der kon­ven­tionelle Gebrauch von Wörtern durch Men­schen. In der Liste der bedro­ht­en Wörter sind nun jede Menge Aus­drücke für Gegen­stände, die nicht mehr im Gebrauch sind, zum Beispiel „Plat­ten­spiel­er“ oder „Wählscheibe“. Wenn die Men­schen keinen Anlass haben, von Plat­ten­spiel­ern und Wählscheiben zu reden, dann weiß ich gar nicht, warum sie das Wort ver­wen­den sollten.

Außer­dem habe ich über das ib-Klar­text-Sprach­blog noch diesen Link auf einen schö­nen Artikel zum The­ma gefunden.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

6 Gedanken zu „Bedrohte Wörter

  1. Oliver

    All liv­ing lan­guages change with time” (Fromkin et al., 2007) 

    Ich sehe keinen Grund wieso die Deutsche Sprache und ihr Vok­ab­u­lar dort eine Aus­nahme bilden sollte. Und wieso sollte “Base” weit­er­hin im Sprachge­brauch zu find­en sein, wenn sich meine “Tante” doch damit über­haupt nicht mehr ange­sprochen fühlt? Und wenn Wörter keine Ver­wen­dung mehr find­en, wieso wird dann die Find­ung eines neueren Wortes nicht als Erfolg und Gewinn erfahren? Wieso ist der Ver­lust zu bekla­gen? Und wenn nicht auf­grund der Ver­wen­dung­shäu­figkeit eine solche Liste bedro­hter Wörter geführt wird, was ist dann das auss­chlaggebende Kriterium? 

    Auch hier freue ich mich auf weit­ere Ein­blicke und Meinungen 😉

    MfG

    Oliv­er Voigt

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  2. Frank Oswalt

    Och, ich weiß nicht… die „Rote Liste“ ist schon eine komis­che Mis­chung aus leicht anges­taubtem Slang (Lüm­meltüte), DDR-Nomen­klatur (Schallplat­te­nallei­n­un­ter­hal­ter), poli­tis­ch­er Agen­da (Patri­o­tismus) und obso­leten Begrif­f­en (Droschke). Aber wenn man die alle abzieht, bleiben doch ein paar schöne Wörter übrig, die man sich im stillen Käm­mer­lein auf der Zunge zerge­hen lassen kann, auch wenn es vielle­icht im All­t­ag keine Ver­wen­dung mehr für sie gibt…

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  3. Wiebke

    Base kann wohl Tante oder Cou­sine bedeuten, sowohl Base als auch Muhme ste­hen für Tante. Ich meine, der Unter­schied liegt darin, ob es die Schwest­er der Mut­ter oder des Vaters ist… scheint heute nicht mehr wichtig zu sein 😉

    Ich glaube, das hat passender­weise sog­ar Herr Keller in seinem Buch zum Sprach­wan­del ausgeführt

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  4. KBeckmann

    Als “Fan” von Bodo Mrozeks “Lexikon der bedro­ht­en Wörter” muss ich dieses hier ein­mal in Schutz nehmen. “Ironiefrei­heit” ist das Let­zte, was man dem Autor vor­w­er­fen kann. Die Büch­er sind eine geistre­iche Spiel­erei mit der Sprache und voller Witz und (Selbst-)Ironie. Die find­et man in der Sprach­wis­senschaft lei­der sel­ten. Ich habe ein Inter­view mit Mrozek gele­sen und ihn auch mal im Fernse­hen gese­hen, und da hat er seine Hal­tung auch sehr deut­lich gemacht. Seine Kri­te­rien zur Auswahl der Wörter ste­ht schon auf den ersten Seit­en seines Buch­es im Vor­wort. Mein Tip: Lesen Sie sich erst­mal das Buch und urteilen Sie dann neu.

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  5. Wolfgang Hömig-Groß

    @KBeckmann: Ich habe das Buch gele­sen und teile trotz­dem Her­rn Ste­fanow­itschs Auf­fas­sung. Ich halte die Erk­lärun­gen, unab­hängig von den aus­gewählten Wörtern, wegen ihrer Uni­for­mität für unles­bar — wer eine gelsen hat, ken­nt alle; man schläft ab dem 10. Begriff beim Lesen ein. Und der Stil ist ganz grauen­haft, ich empfinde ihn als so zwang­haft witzig, dass es nervt. Dabei lache ich eigentlich gern.

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