Managerweisheiten

Von Anatol Stefanowitsch

Heute will ich mich aus­nahm­sweise auch mal über die über­flüs­sige Ver­wen­dung des Englis­chen aus­lassen, denn alles kann man nun auch nicht durchge­hen lassen. Vor allem nicht Man­agern, die ihre Weisheit­en mit uns teilen wollen. In einem Gastkom­men­tar auf der Web­seite medianet.at schreibt Wil­fried Han­re­ich, Mar­ket­ingdi­rek­tor Raif­feisen­lan­des­bank, folgendes:

Über­lassen Sie die Marken­führung nicht Ihrer Mar­ketingabteilung“ — dieser Satz von einem renom­mierten inter­na­tionalen Marken­ex­perten elek­trisiert. Und wie so vieles im Leben, ist nicht alles weiß oder schwarz und schon gar nicht gen­er­al­isier­bar. Im englis­chen Sprachge­brauch schafft die Redewen­dung „it depends on the point of view“ gedankliche Freiräume für Diskus­sio­nen und gegen­seit­iges Ver­ständ­nis. Auf unser Beispiel bezo­gen, bedeutet dies: Welch­es Ver­ständ­nis habe ich von Mar­ket­ing und Marke?

Uns inter­essiert hier nicht, dass das nach typ­is­chem Busi­ness­gekasper klingt, uns inter­essiert der fettge­druck­te Satz. Hier wird eine ange­bliche englis­che Redewen­dung herange­zo­gen um — naja, um die Exis­tenz von Mar­ket­ingdi­rek­toren zu rechtfertigen.

Aber ist das eine Redewen­dung und wenn ja, muss man sie aus dem Englis­chen zitieren?

Der Satz it depends on the point of view erscheint genau elf Mal auf Web­seit­en mit der Top-Lev­el-Domain .uk. In anderen englis­chsprachi­gen Län­dern sind es noch weniger:

.au 3
.ca 3
.us 2
.ie 1
.nz 1

Das sieht mir schon von der Häu­figkeit her nicht ger­ade nach ein­er „Redewen­dung“ aus. Hier sind ein paar unstrit­tige Redewen­dun­gen mit ihren Häu­figkeit­en (auf .uk-Web­seit­en, wer eine Über­set­zung braucht find­et sie hier):

Bet­ter late than never 44.200
It nev­er rains but it pours 3.430
A rolling stone gath­ers no moss 744
In for a pen­ny, in for a pound 699
You can’t make an omelette with­out break­ing eggs 289

Außer­dem sehen die Tre­f­fer für it depends on the point of view ein­fach nicht wie Redewen­dun­gen aus.

Und schließlich hätte es jede Menge mehr oder weniger direk­ter deutsch­er Über­set­zun­gen gegeben, die alle­samt häu­figer und redewen­dungsar­tiger gewe­sen wären (Anzahl der Tre­f­fer auf .de-Web­seit­en):

das liegt im Auge des Betrachters 4.430
das kommt auf den Stand­punkt an 558
das kommt auf die Sichtweise an 439
das hängt vom Stand­punkt ab 286
das hängt von der Sichtweise ab 58

Aber eigentlich stört mich an der zitierten Pas­sage etwas ganz anderes: ich kann es nicht ausste­hen, wenn Leute mit bedeu­tungsvollem Blick ange­bliche Sprich­wörter aus anderen Sprach- und Kul­tur­räu­men zitieren und dann glauben, sie hät­ten etwas tief­sin­niges zum Gespräch beige­tra­gen. Im englis­chen Sprachraum wäre die Redewen­dung „Speech is sil­ver, silence is gold“ ein fre­undlich­er Hin­weis für solche Menschen.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

6 Gedanken zu „Managerweisheiten

  1. Dan

    Yeah, “it depends on the point of view” does­n’t sound like an Eng­lish say­ing to me either. The actu­al say­ing would be either “It depends on your point of view” or “It all depends on your point of view.”

    Nei­ther of which, as you said your­self, has any deep­er mean­ing than the Ger­man alternatives.

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  2. Anatol Stefanowitsch

    Dan, thanks for point­ing this out. The alter­na­tives you men­tion are indeed vast­ly more fre­quent than the one used by the author, much more sim­i­lar in fre­quen­cy to the Ger­man trans­la­tions I pro­posed (again lim­it­ing the search to .uk websites):

    It depends on your point of view1.050

    It all depends on your point of view729

    Con­verse­ly, the Ger­man alter­na­tives almost nev­er occur with a sec­ond per­son pro­noun in place of the def­i­nite arti­cle, pre­sum­ably because Ger­man, unlike Eng­lish, only rarely uses sec­ond per­son pro­nouns in gener­ic statements:

    das kommt auf deinen/Ihren Stand­punkt an0

    das kommt auf deine/Ihre Sichtweise an4

    das hängt von deinem/Ihrem Stand­punkt ab2

    das hängt von deiner/Ihrer Sichtweise ab2

    This sug­gests that the author may have — con­scious­ly or sub­con­scious­ly — trans­lat­ed the phrase from Ger­man into Eng­lish in the first place. Ah, the irony.

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  3. Pingback: Transblawg

  4. Helen DeWitt

    Per­haps Herr Han­re­ich is Swiss? Or does a lot of busi­ness with the Swiss? ‘Tout dépend du point de vue’ gets 13,000 hits on Google; ‘dépend du point de vue’ gets 39,000 hits. I sup­pose one can imag­ine this pop­u­lar phrase being bandied about in Swiss busi­ness cir­cles, even by Ger­man speak­ers; Herr H, as a guest on an Aus­tri­an web­site, thought he would do bet­ter to use what looked like the Eng­lish equivalent…

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  5. Anatol Stefanowitsch

    Helen, as far as I’ve been able to find out he is Aus­tri­an, born and bred (see this page, quite a bit down the page). But of course the French phrase could have been the mod­el for his quo­ta­tion any­way. Still, the ques­tion remains why he would cite some­thing in Eng­lish when there is a per­fect­ly good Ger­man phrase that actu­al­ly is a fig­ure of speech (Das liegt im Auge des Betra­chters). Hav­ing thought about this some more, I’m con­vinced that he must have had a deep­er rea­son than sim­ply try­ing to impress his audi­ence with his knowl­edge of Eng­lish. Pos­si­bly, “treat­ing all points of view as equal­ly valid” is some­thing that is stereo­typ­i­cal­ly asso­ci­at­ed with speak­ers of Eng­lish (specif­i­cal­ly, Amer­i­cans), and so it made sense to him that this would be an Eng­lish fig­ure of speech.

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  6. Chris Waigl

    Naja, die Demon­stra­tion, wenn das denn eine sein soll, scheit­ert schon daran, dass “it depends on the point of view” so nicht idioma­tisch ist: Im Englis­chen gel­ten ja wesentlich strik­tere regeln als im Deutschen bzgl. des Anteze­dens von u.a. bes­timmten Artikeln — eine sehr häu­fige Quelle von “knapp daneben ist auch vor­bei”, wenn Deutschsprach­ler ver­suchen, gutes Englisch zu schreiben: “the point of view” — wessen? welcher?

    Eine Suche nach {“depends * point of view”} (ein­schließlich der Anführungsze­ichen) ist da wesentlich ergiebiger.

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