All you can eat

Von Anatol Stefanowitsch

Über Sinn und Unsinn der Aktion Lebendi­ges Deutsch brauchen wir hier nicht mehr zu disku­tieren. Immer­hin ist sie oft unfrei­willig unter­halt­sam. Im laufe des let­zten Monats haben die Aktionäre eine Alter­na­tive für den Aus­druck All you can eat gesucht und auch gefunden:

Essen nach Ermessen“, das ist deutsch­er als „All you can eat“ ? Ist es nicht auch hüb­sch­er? fragt die Aktion „Lebendi­ges Deutsch“, die diesen aus 578 ver­schiede­nen Vorschlä­gen aus­gewählt hat.

Hüb­sch­er? Eigentlich nicht, und beson­ders tre­f­fend ist es auch nicht. Beim all you can eat geht es schließlich darum, zu Essen, bis man nicht mehr kann. Wer sein Ermessen wal­ten lassen möchte, der kann ja in lebendi­gem Franzö­sisch à la carte essen.

Der juryeigene Vorschlag des Monats ist auch nicht besser:

Das Ange­bot des Monats April: Wer das „Burn-out-Syn­drom“ hat, über den kön­nten wir kürz­er und anschaulich­er sagen: „Er ist ausgebrannt“.

Ja, ein biss­chen kürz­er ist das wohl, wenn auch nicht unbe­d­ingt der Rede wert: es spart ein Wort und zwei Sil­ben. Ob das der Grund ist, warum dieser Ratschlag der Aktionäre wieder ein­mal offene Türen ein­ren­nt? 214 Tre­f­fer find­et Google für den Satz „Er ist aus­ge­bran­nt“, und noch ein­mal 453 Tre­f­fer, bei denen zwis­chen ist und aus­ge­bran­nt etwas wie völ­lig, total oder müde und ste­ht. Macht fast 700 Tre­f­fer, denen ger­ade ein­mal 3 Tre­f­fer für die Zeichen­kette “Er hat das Burn-out-Syn­drom” gegenüber ste­hen. Und selb­st von denen kön­nen wir einen gar nicht mitzählen, da er nicht den gesucht­en Satz repräsentiert:

Er hat das Burn-Out-Syn­drom bei evan­ge­lis­chen Pfar­rern in Bay­ern unter­sucht und fest­gestellt: Jed­er zweite ist gefährdet. [Link]

Das Ganze ist also wieder ein­mal ein Fall, in dem die Aktionäre Wörter erset­zen wollen, die gar nicht erset­zt wer­den müssen.

Ander­er­seits zeigt dieses Beispiel sehr schön, warum man ungeliebte Sub­stan­tive nicht durch Adjek­tive erset­zen und dann glauben kann, das Prob­lem sei gelöst. Wie soll einem das Wort aus­ge­bran­nt in diesem Satz weit­er­helfen? Das min­deste, was die vier glück­losen Brüder hier hät­ten anbi­eten müssen, wäre etwas wie Aus­ge­bran­nt-Sein-Syn­drom. Und irgend­wie kann ich nicht glauben, dass die Sprachge­mein­schaft dieses Wort begeis­tert auf­greifen würde.

Für den Monat April haben die Aktionäre dafür eine sehr hand­hab­bare Auf­gabe gestellt:

Such­wort im April: Dies­mal: das tre­f­fende deutsche Gegen­stück zu dem Aller­weltswort „can­celn“.

Ich empfehle hier, wie schon so oft, einen Blick ins Wörter­buch.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

16 Gedanken zu „All you can eat

  1. gyokusai

    Von meinen Fre­un­den von der Psy­chol­o­gis­chen Fakultät höre ich den Begriff „Burnout-Syn­drom“ recht oft — als Fach­be­griff. Wis­sen die Aktionäre eigentlich, was das Wort Syn­drom bedeutet? Mir deucht, daß nicht.

    Ana­tol Ste­fanow­itsch sagt:

    Das Ganze ist also wieder ein­mal ein Fall, in dem die Aktionäre Wörter erset­zen wollen, die gar nicht erset­zt wer­den müssen.

    Na. Wie aus kaum unter­richteten Kreisen ver­lautete, soll die Zahl der Dialoge wie „Fritz, was gibt’s Neues?“—„Den Jupp hat das Burnout-Syn­drom erwis­cht!“ an bun­des­deutschen Bushal­testellen beängsti­gend zugenom­men und entsprechen­den Hand­lungs­be­darf ein­geleit­et haben. 

    😉

    ^_^J.

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  2. K. Heidtmann

    Ceterum censeo …

    In dem Bemühen, der quan­ti­ta­tiv­en Sprach­wis­senschaft, deren Berech­ti­gung wir hier keineswegs in Abrede stellen wollen, ab und an einen “qual­i­ta­tiv­en” (kon­no­ta­tiv­en, seman­tis­chen, prag­ma­tis­chen) Beitrag an die Seite zu stellen, um sukzes­sive das Gedankenpflänzchen zu hegen, dass mit der Über­nahme englis­chsprachiger Wörter ins Deutsche eben mehr ver­bun­den ist als die Verän­derung der deutschen Sprache (in dieser Hin­sicht herrscht Einigkeit, was die “Aktionäre” bet­rifft), kön­nte man ja — wie bei jedem hier vorge­führten Begriff — auch in diesem Fall ein­mal darüber nach­denken, was denn die Real­ität eines Pro­gramms “all you can eat” fak­tisch mit in unsere Kul­tur trans­portiert. Man kön­nte ja zu dem Schluss kom­men, dass es sich dabei um eine ziem­lich ekel­er­re­gende Schlacht am Buf­fet han­delt, bei der ohne­hin übergewichtige Men­schen west­lich­er “Zivil­i­sa­tio­nen” (geschürten) ani­malis­chen Instink­ten fol­gend so viel in sich hine­in­stopfen, wie es irgend geht — und dass es sich dabei um ein typ­isch dekadentes Anliegen ein­er sich im Degen­er­a­tionsprozess befind­lichen Kul­tur handelt.

    Um es an einem anderen Beispiel deut­lich­er zu machen: Ist “no-go-area” nur ein Lehnswort aus dem Englis­chen, das man meinetwe­gen auch mit “Nix-wie-weg-Gegend” über­set­zen kann oder eine inzwis­chen auch hier erfahrbare gesellschaftliche Real­ität (Adap­tion) unter dem Stich­wort “Amerikanisierung der Gesellschaft”?

    You know what I mean?

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  3. jordroek

    Aber ist es denn wirk­lich so sich­er, dass das all-you-can-eat-“Phänomen” wirk­lich von den USA nach Deutsch­land herübergeschwappt ist? All you can eat ist ja let­ztlich nichts Anderes als ein Buf­fet, und die gibt es soweit ich weiß schon eine ganze Weile. Die berühmte “Schlacht am kalten Buf­fet”, die ja genau das oben Beschriebene beze­ich­net, ist doch auch schon ein alter Hut, oder etwa nicht?

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  4. Ulf Runge

    Mit dem Can­celn ist es mit einem Blick in das Wörter­buch nicht getan,

    möchte ich hier mal mit Ver­laub beisteuern.

    Will sagen, dass eine Absage etwas so Neg­a­tives an sich hat, 

    dass man doch bitte in der Heutzeit der Gletsch­er- und Eisbergschmelze 

    bitte eine Vision aufzeigen möge, will sagen, einen neuen Ter­min anbi­eten möge.

    Can­celn ist aut, Neuter­minieren nenne ich es, wenn ich einen Ter­min nicht hal­ten kann,

    und einen (auch nicht halt­baren) Ersatzter­min anbiete…

    Liebe Grüße,

    Ulf Runge

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  5. Andreas

    @Ulf Runge: ‘can­celn’ wird ja nicht nur in Verbindung mit Ter­mi­nen gebraucht, man kann auch eine Bestel­lung ‘can­celn’ (=stornieren). Wenn ein Flug ‘gecan­celt’ wird (=gestrichen), wird auch kein Ersatzflug ange­boten, son­dern auf den näch­sten reg­ulären Flug ver­wiesen. Und die von ihnen gemeinte Neuter­minierung hat im Englis­chen das Äquiv­a­lent ‘resched­ule’.

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  6. Ulf Runge

    Na dann halte ich mich mal eng an die Semantik.

    Can­celn, das ist dann für mich:

    - stre­ichen — Und ich freu mich schon auf den Besuch des näch­sten Konz­erts mit einem Paint & Can­cel Orchestra…

    - abbestellen — In Texas sagen die dann bes­timmt “I must put abbe…”

    - auflösen — Ich will Lösun­gen, sagte der Man­ag­er, und der Chemik­er lieferte sie…

    Bevor ein Ord­nungsruf zur Ern­sthaftigkeit gemah­nt, enthalte ich mich weit­er­er Verbal(l)hornungen

    und can­cel den Rest mein­er Vorschläge…

    LG, Ulf Runge

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  7. Thomas Paulwitz

    Nach­trag: „Essen satt“ ist laut Google eine übliche Entsprechung für „All you can eat“, auch in Verbindung mit einem bes­timmten Ange­bot, z.B. „Schnitzel satt“ usw.

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  8. Frank Rawel

    All you can eat” kön­nte m.E. in dem Sinne “Alles, was Sie essen kön­nen” dem Gast auch bedeuten, dass alles, was man nicht essen kann, Tis­chdeck­en, Teller etc. bitte nicht mitgenom­men wer­den soll.

    (Eine mir bekan­nte Landgast­stätte in Treuen­bri­et­zen wirbt übri­gens mit dem Slo­gan “Essen bis zum Platzen”. Lei­der war im Vor­beige­hen noch nie zu sehen, wie von innen Inneres gegen die Fen­ster­scheiben fliegt.)

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  9. David Marjanović

    Nach­trag: „Essen satt“ ist laut Google eine übliche Entsprechung für „All you can eat“, auch in Verbindung mit einem bes­timmten Ange­bot, z.B. „Schnitzel satt“ usw.

    …wobei diese Ver­wen­dung von “satt” dem durch­schnit­tlichen unbe­le­se­nen Öster­re­ich­er völ­lig unbekan­nt ist.

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  10. marlow

    essen nach ermessen” find ich super. es erin­nert mich stark an “nach dem essen isst gudrun”. ich frage mich nur, was eigentlich “erm” ist. 

    friss, biste platzt” kenne ich nur in ein­er plattdeutschen kinder­sprach­vari­ante als “iss mann fiss mann bisse platzt”-finde ich schön­er als die pro­sais­che drei-wort-variante.

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  11. Guido Kohlbecher

    Zum BURNOUT dieses:

    1. Warum stört es nie­man­den, daß hier wieder einmal(oder EINMAL MEHR?) mit AUSGEBRANNTSEIN mit­tels sklavis­ch­er Lehnüber­set­zung die englis­che Metaphorik völ­lig unnötig über­nom­men wird? Wir ken­nen etwa AUSGELAUGT, dazu dann AUSLAUGUNG. Und ERSCHÖPFUNG ist auch nicht schlecht.

    2. Ver­mut­lich ist BURNOUT eine bildliche Über­tra­gung der ursprünglichen Bedeu­tung “Aus­ge­bran­nt­sein von Flugtreib­stoff” oder “Ver­sagen wegen Über­hitzung”. Das Englis­che ver­ste­ht es ja im Gegen­satz zu der Deutschen Unwillen und/oder Unfähigkeit, alte Wortbestände mit neuen Bedeu­tun­gen aufzu­laden. Man denke an STALKING (Jemand wird “gestalkt”!): meines Eracht­ens aber wenig gelun­gen, weil Anschle­ichen an die Beute mit Tötungsab­sicht nicht paßt. Auch pfle­gen Jäger oder Raubti­er mit dem Opfer nicht zu kom­mu­nizieren. Im Deutschen wäre daher sin­nvoll etwa BELAG-/ERN/ERER/ERUNG.

    3. BURNOUT hat auch wie viele andere Anglizis­men den Nachteil, daß Wort­fam­i­lien zer­stört wer­den: man ist AUSGEBRANNT, hat aber BURNOUT. Ähn­lich: man lädt herunter, was dann einen DOWNLOAD ergibt. Warum nicht knap­per HERLAD-/EN/UNG? Es muß doch nicht HERUNTER (down) sein!

    Siehe Nr.1.

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  12. P.Frasa

    Zu Nr. 3: Ist ja auch nichts Beden­klich­es. Die frz. Kon­ju­ga­tion von “aller” zer­stört sog­ar ein ganzes Par­a­dig­ma, indem munter von “ambu­lare” (j’al­lais), “vadere” (je vais) und “ire” (j’i­rai) For­men durcheinan­dergewür­felt wer­den. Über­haupt, dass sprach­liche Lück­en existieren, ist nun wirk­lich wed­er neu, noch ein Drama.

    Man kann übri­gens auch schon längst “down­load­en” sagen.

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  13. David Marjanović

    Belagern” passt über­haupt nicht — wenn man etwas belagert, bewegt man sich nicht.

    Die Herun­ter­ladung wäre der Vor­gang des Herun­ter­ladens und nicht das Ergebnis.

    Man kann übri­gens auch schon längst “down­load­en” sagen.

    Aber… tut das jemand außer Microsoft?

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