Der blinde Fleck der Lehnwortgegner

Von Anatol Stefanowitsch

Der Kon­feren­zstress ver­hin­dert es derzeit, dass ich regelmäßiger blogge, aber ich ver­spreche, dass sich das bald wieder ändert. Zum Glück brauchen die Sprachblogleser/innen mich nicht, um laut über Sprache nachzu­denken: die Diskus­sion zu meinem let­zten Ein­trag hat ger­ade die in diesem beschei­de­nen Blog eher sel­tene Gren­ze von 40 Kom­mentaren erre­icht. Die Diskus­sion hat sich vom ursprünglichen The­ma wegen­twick­elt (der Frage nach dem Ver­fas­sungsrang des Deutschen) und dreht sich nun um die Vor- und Nachteile von Lehn­wörtern (ich werde darauf ver­weisen, wenn ich das näch­ste Mal dafür kri­tisiert werde, dass ich zu viel über Anglizis­men schreibe).

Ein Argu­ment, das die Lehn­wort­geg­n­er in dieser Diskus­sion bre­it­treten ist das der Ver­ständlichkeit: Anglizis­men (und andere Lehn­wörter) seien deshalb schlecht, weil diejeni­gen, die deren Ursprungssprache nicht beherrschen, sie nicht ver­ste­hen kön­nten. Wir haben dieses Argu­ment hier im Sprach­blog schon mehrfach entkräftet (zulet­zt hier). Aber Leserin Kristin hat in ihrem Kom­metar ein tiefer­liegen­des Missver­ständ­nis hin­ter diesem Argu­ment aufgedeckt. Hier aus ihrem Kom­men­tar:

Warum wird in solchen Diskus­sio­nen eigentlich fast nur der Sender kritisiert?

Soll heißen: Wenn mich eine Botschaft erre­icht, die ich nicht ver­ste­he, dann frage ich nach. Erstens gibt man mit diesem Feed­back dem Sender die Möglichkeit, sich (aktuell) zu erk­lären und (zukün­ftig, wenn nötig) seine Wort­wahl zu ändern. Zweit­ens ist das eine pri­ma Gele­gen­heit, neue Wörter zu ler­nen. Und das gilt nicht nur für Anglizis­men, nicht nur für Fremd­wörter, son­dern für alle mir frem­den Aus­drücke (Dialekt, Jar­gon, Handw­erk­er­fach­sprech …). So lernt man eine Sprache. Ich bin mit der Sesam­straße aufgewach­sen: Wer nicht fragt, bleibt dumm.

Die Idee, man müsse die Empfänger dort abholen, wo sie ste­hen, führt lei­der häu­fig dazu, dass man sie eben nicht abholt, son­dern ste­hen lässt

Dem kann ich mich nur anschließen.

Mir ist durch diesen Kom­men­tar der blinde Fleck der Lehn­wort­geg­n­er deut­lich gewor­den: Sie sehen bei sich selb­st keine Mitver­ant­wor­tung für den Erfolg eines kom­mu­nika­tiv­en Ereigniss­es. Sie wollen sich nicht an der gemein­samen Kon­struk­tion von Bedeu­tung beteili­gen, son­dern sie wollen, dass man ihnen alles in ein­er Sprache serviert, die genau ihrem Geschmack und, schlim­mer noch, ihrem aktuellen sprach­lichen Erfahrung­shor­i­zont entspricht. Vielle­icht hat diese fehlende sprach­liche Flex­i­bil­ität auch etwas damit zu tun, dass sie sich auch mit neuen Ideen schwertun.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

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