Ein Apfel am Tag hält den Doktor weg

Von Susanne Flach

Manch­mal glaube ich, dass nicht wir als Gesellschaft andere Prob­leme hät­ten, son­dern dass Nachricht­enredak­tio­nen die Masse an Prak­tikan­ten irgend­wie beschäfti­gen müssen. Und so schaffte es eine abkömm­liche Mel­dung auf die Start­seit­en der Onlineme­di­en, die eigentlich mit Libyen, Fukushi­ma und Knut in diesen Tagen genug zu tun haben dürften.

In der let­zten Woche besucht­en Prinz William und Kate Mid­dle­ton die Hochwasserge­bi­ete im aus­tralis­chen Queens­land und die Erd­beben­re­gion in Neusee­land. Damit wir uns nicht falsch ver­ste­hen: Der Besuch des Prinzen und sein­er Zukün­fti­gen wird den dor­ti­gen Men­schen viel bedeuten. Aufhänger für die Nachricht war in den aller­meis­ten Medi­en allerd­ings die Frage, ob das Bald-Prinzen­paar seine Flit­ter­wochen im Son­nen­staat Queens­land ver­bringt. Damit ist die Mel­dung eigentlich doch recht über­flüs­sig bis zynisch.

Aber zur sprach­lichen Seite. Heute: Idioma­tis­che Sprachverwendung.

Die Pre­mier­min­is­terin des Bun­destaates Queens­land, Anna Bligh, wird im britis­chen Sun­day Tele­graph über die Wirkung des Besuch des Prinzen so zitiert:

I’ve been to Card­well a num­ber of times since the cyclone and floods and I’ve nev­er seen so many smiles as today,” she said. “It’s been almost impos­si­ble for these peo­ple, but a lit­tle roy­al mag­ic is just what the doc­tor ordered.”

In der Agen­turmel­dung, die mit­tler­weile laut Google an etwa 400 Stellen im deutschsprachi­gen Raum wortwörtlich über­nom­men wurde, liest sich das dann so:

Mit Blick auf die Freude der von der Naturkatas­tro­phe geplagten Ein­wohn­er des Lan­des sagte sie: “Es ist fast unmöglich, aber ein biss­chen royale Magie ist genau das, was der Dok­tor verord­net hat.” (Googleergeb­nisse für genau [!] diesen Abschnitt.)*

Nun ist es sicher­lich für jeden ersichtlich, was gemeint ist: Immer­hin assozi­ieren wir Ärzte, deren Ratschläge oder Medi­zin mit Gene­sung und Gesund­heit. Das ken­nen wir auch von Redewen­dun­gen wie Lachen ist die beste Medi­zin. Wir ver­ste­hen also auch die wörtliche Über­set­zung was der Dok­tor verord­net hat, da uns die metapho­rische Erweiterung nicht vor unlös­bare Prob­leme stellt.

Die Redewen­dung funk­tion­iert also auch im Deutschen. Aber unge­lenk ist der Aus­druck den­noch. Mit anderen Worten: was der Dok­tor verord­net (hat) ist im Deutschen kein idioma­tis­ch­er Sprachge­brauch. Von nicht-idioma­tis­ch­er Sprachver­wen­dung spricht man, wenn ein Aus­druck zwar gram­ma­tisch in Ord­nung ist, er von der Sprachge­mein­schaft so aber nicht ver­wen­det wird. Ger­ade Redewen­dun­gen ein­er Sprache sind sehr in ihrer jew­eili­gen (Sprach-)Kultur ver­ankert. Für Über­set­zer beste­ht die Kun­st also darin, Texte oder Aus­sagen so zu über­set­zen, dass sie trotz der geforderten Nähe zum Orig­i­nal klin­gen, als kön­nten sie von einem Mut­ter­sprach­ler geäußert wor­den sein. Gelingt das nicht, “stolpert” man als Leser über eine Konstruktion.

Kom­men wir nun zu ein­er legit­i­men Form der Sprachkri­tik, wenn Sie so wollen. Die Agen­turmel­dung enthält keinen Über­set­zungs­fehler im eigentlichen Sinn. Es wurde ja genau das trans­portiert, was gesagt wurde. Aber Anna Bligh benutzte eine im englis­chen Sprachraum sehr gängige Redewen­dung, die wir im Deutschen nicht haben. Wir sagen je nach Kon­text genau das Richtige oder passend. Wenn’s in dieser Sit­u­a­tion eine Gesund­heitsmeta­pher sein muss, kön­nte man natür­lich auch über …und das ist ger­ade die beste Medi­zin diskutieren.

Natür­lich ist nichts per se gegen kreativ­en Sprachge­brauch einzuwen­den, je nach Tex­tart oft auch nicht in Über­set­zun­gen. Allerd­ings ist dieser sprach­lich kor­rek­te Satz nicht an den Sprachge­brauch der Ziel­gruppe angepasst wor­den. (Ich per­sön­lich glaube, dass das deut­lich­ste Zeichen, dass hier in der Nachricht­e­na­gen­tur zumin­d­est schlu­drig gear­beit­et wurde, in der Über­set­zung von doc­tor mit Dok­tor anstatt Arzt liegt, aber gut, das ist Gusto.)

Also — mit etwas mehr Zeit, Sprachge­fühl oder Lek­torat wäre dieser Aus­druck der Löschtaste zum Opfer gefall­en. Möglich ist auch, dass dem­jeni­gen die Redewen­dung gar nicht bekan­nt war oder ihm/ihr die gängi­gen Ver­wen­dungskon­texte im Englis­chen nicht geläu­fig waren. (Wäre es eine ad hoc-Bil­dung von Anna Bligh gewe­sen, dann wäre eine nahezu wörtliche Über­set­zung vertret­bar gewe­sen.) Aber es sagt doch einiges über die Arbeitsweisen in Onlineredak­tio­nen aus, dass die Mel­dung von so vie­len ein­fach in ihrer Gänze über­nom­men wurde. Irgendwem muss die uni­d­ioma­tis­che Kon­struk­tion aufge­fall­en sein, vor allem, wenn man davon aus­ge­hen möchte, dass in den Redak­tio­nen noch Men­schen (und Lek­toren) sitzen.**

Dass ich als Tex­terin die For­mulierung ablehne, sie als Lin­guistin aber inter­es­sant finde, ist kein Wider­spruch. Denn der gebotene Ver­such, sich an den kon­ven­tionellen Sprachge­brauch zu hal­ten (Arbeit­san­weisung vor allem an Jour­nal­is­ten), bedeutet nicht, dass wir die Redewen­dung nicht als passende Meta­pher schön und tre­f­fend find­en und sie deshalb in unseren Sprachge­brauch übernehmen kön­nten. Bei Nachricht­en und Agen­turmel­dun­gen haben wir es — naja, wir soll­ten zumin­d­est! — mit lek­to­ri­ert­er Sprache und nicht notwendi­ger­weise mit natür­lichem oder spon­tanem Sprachge­brauch zu tun. Wenn jet­zt die Sprachge­mein­schaft aber erken­nen sollte, dass wir die Redewen­dung was der Dok­tor verord­nete brauchen, dann kön­nte sie sich durch­set­zen, egal, wie sie in unsere Sprache kam.

Da es den anderen Onlineprak­tikan­ten nicht auffiel, ziehe ich zumin­d­est in Betra­cht, dass mein Sprachge­fühl hier eventuell fehlgeleit­et ist. Google ste­ht aber offen­bar auf mein­er Seite und liefert über­wiegend wörtliche Ver­wen­dun­gen für was der Dok­tor/Arzt verord­net. Linguee, eine Web­seite, die ver­gle­icht, wo wie was über­set­zt wurde, lis­tet für die englis­che Redewen­dung einige wörtlichen Über­set­zun­gen. Die Ten­denz: Je eher eine Web­seite bzw. deren Betreiber pro­fes­sionell (mit Sprache) arbeit­et, wie das Goethe Insti­tut, desto eher ver­mei­den sie die wörtliche Über­set­zung. Bei anderen bin ich mir sog­ar sich­er, dass eine maschinelle oder maschi­nengestützte Über­set­zung vor­liegt, wenn der Dok­tor bestellte oder verord­net hat (man beachte das Prä­ter­i­tum). Generell ist die Daten­menge hier aber zu klein, um eine vernün­ftige Aus­sage tre­f­fen zu können.

Und nun frage ich mich: Sitzen in Onlineredak­tio­nen nur Agen­turmel­dungsver­ar­beitungsrech­n­er? Ich habe ja ten­den­ziell einen eher pro­gres­siv­en Sprachge­brauch und finde vieles akzept­abel, was bei anderen durch­fällt. Aber hier tun mir die Heer­scharen an gut aus­ge­bilde­ten und arbeit­slosen Über­set­zern Leid, die es flüs­siger hin­bekom­men hätten.

*Per­sön­lich stutzig machte mich ja eigentlich die rel­a­tive Sinn- und Kohären­zfrei­heit des ganzen Absatzes und beson­ders die der For­mulierung “Es ist fast unmöglich, aber ein biss­chen royale Magie…”, die im deutschen Zitat noch weniger Sinn macht, als im mut­maßlichen Orig­i­nal. (Dort wird sie zumin­d­est noch um “for these peo­ple” präzisiert und bezieht sich auf die Schwierigkeit der Men­schen, in ihrer Sit­u­a­tion zu lächeln). Aber das würde jet­zt wirk­lich zu weit führen. Und da auch das Tele­graph-Zitat nicht das Orig­i­nal sein wird und mir dieses nicht vor­liegt, belassen wir es mal dabei.

**Nordbayern.de lieferte tat­säch­lich einen Tre­f­fer für die For­mulierung “ist jet­zt genau das richtige”. Der Link führte aber in den Raum 404 — der Google­tr­e­f­fer ver­schwand danach und ist nicht mehr zu rekon­stru­ieren. Stattdessen find­et man auf nordbayern.de an mehreren Stellen die gle­iche For­mulierung, wie ander­swo auch. Hä?

4 Gedanken zu „Ein Apfel am Tag hält den Doktor weg

  1. DrNI@AM

    Ich bin eigentlich schon bei “roy­al” hän­gen geblieben. Das Wort “königlich” klin­geldin­gelt in meinen Ohren viel her­rlich­er und edler. “Königliche Magie” — das schwebt doch gle­ich viel prinzessin­nen­gle­ich­er als “Royale Magie”, da denkt man eher an einen franzö­sis­chen Weichkäse. Dieser Weichkäse rei­ht sich ein in die end­lose Rei­he unglück­lich­er direk­ter Über­set­zun­gen, mein Lieblings-Grusel­beispiel sind die “Com­put­er­wis­senschaften” (com­put­er science).

    Ich glaube, dass für solche ‘eili­gen’ Klatschmel­dun­gen ein aus­ge­bilde­ter Über­set­zer ein­fach zu teuer ist. Und mal ehrlich, wer würde sich als guter Über­set­zer schon tagein, tagaus mit der­lei Mel­dun­gen befassen mögen?

    Sicher­lich wird in eini­gen Bere­ichen automa­tisch vorüber­set­zt und dann nur noch von Hand nachkorrigiert.

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  2. janwo

    Du glaub­st tat­säch­lich noch an so etwas wie Sorgfalt in der Branche? Lek­to­ri­eren und recher­chieren kostet Zeit, also Geld. Und dem Durch­schnittskon­sumenten fällt sprach­liche Ele­ganz eh nicht auf.

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    1. suz Beitragsautor

      @DrNi@AM: ‘roy­al’ kam mir auch schon merk­würdig vor. Danke dafür. (Ich glaube schon, dass für das entsprechende Geld auch ein gut aus­ge­bilde­ter Über­set­zer solche pro­fa­nen Mel­dun­gen über­set­zen würde. Ist immer eine Frage des Geldes, glaube ich. Und natür­lich brauchen wir die Mess­lat­te Qual­ität eigentlich nicht anle­gen. Allerd­ings sieht es schon sehr danach aus, dass es sich um eine Agen­turmel­dung han­delt. Also haben wir es mit zweifach­er Schlu­drigkeit zu tun.)

      @janwo: Nö. Dann weiß ich auch, weshalb meine Bewer­bung, die ich angesichts des miesen Gehalts nie geschrieben habe, abgelehnt werden.

      Der Klas­sik­er ist ja immer noch “Cau­casian female suf­fer­ing from amne­sia found wan­der­ing through NYC” im SPIEGEL mit “Das Mäd­chen stammt aus dem Kauka­sus” über­set­zt wurde. Da war wirk­lich men­schlich­es Ver­sagen im Spiel.

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  3. Lukas

    Ich bin auch an »roy­al« hän­gen geblieben, für mich geht dort auss­chließlich »königlich«… Der »Dok­tor« samt Anhang ist mir erst nach­her aufgefallen.

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