Sprachbrocken 15/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Auf dem Bun­deskongress der Alt­philolo­gen in Erfurt hat der Öster­re­ichis­che Bil­dungsmin­is­ter Karl­heinz Töchter­le eine über­raschende aber höchst plau­si­ble Lösung für die „derzeit­ige Krise“ im Bil­dungssys­tem präsen­tiert: Mehr Latei­n­un­ter­richt! Denn ger­ade in Krisen­zeit­en, so zitiert die Thüriger All­ge­meine den pro­movierten Alt­philolo­gen, seien häu­fig sprach­liche und lit­er­arische Rückbesin­nun­gen zu beobacht­en. Außer­dem ver­mutet er pos­i­tive Auswirkun­gen auf die Mut­ter­sprache der Schüler/innen: „Mit Latein kön­nen Schüler mod­ell­haft ler­nen, wie Sprache funk­tion­iert und damit die eigene Sprache mit ihrer Gram­matik bess­er ver­ste­hen.“ Nen­nt mich ver­rückt, aber kön­nten sie nicht auch anhand ihrer eige­nen Sprache(n) mod­ell­haft ler­nen, wie Sprache funk­tion­iert? Und hätte das nicht den Vorteil, dass die Unter­richt­szeit, die son­st auf das Erler­nen ein­er toten Sprache ver­schwen­det würde, für Neben­säch­lichkeit­en wie mod­erne Fremd­sprachen zur Ver­fü­gung stünde, an denen man mod­ell­haft ler­nen kön­nte, wie man sich mit Men­schen aus anderen Län­dern und Kul­turen unterhält?

Ander­er­seits kön­nte ein wenig klas­sis­che Bil­dung den einen oder anderen Shit­storm ver­hin­dern. Wir erin­nern uns, wie es dem Fir­men­sprech­er von Schleck­er (ken­nen Sie Schleck­er noch?) sein­erzeit beina­he gelun­gen wäre, durch ein klares Beken­nt­nis zu einem an der Sprachkun­st der Antike ori­en­tieren Sprach­stil die Empörung über die Tat­sache, dass er die Kun­den sein­er Fir­ma für dumm und unge­bildet hielt, schon im Keim zu erstick­en. Wie ungeschickt erscheint im Ver­gle­ich zu dieser alt­philol­o­gis­chen Ele­ganz die Antwort „roflcopter gtfo“, mit der die Piraten­partei dieser Tage auf das abso­lut nachvol­lziehbare Ansin­nen eines selb­ster­nan­nten Parteina­men­warts reagierte, sie mögen doch bitte ihren Namen in etwas weniger piratiges ändern. Dass hier kein Shit­storm los­brach, lag sich­er nur daran, dass nie­mand wusste, was dieses kryp­tis­che Akro­nym bedeuten kön­nte. Der West­en schuf flugs Abhil­fe, in dem er einen „Grund­wortschatz zum Chat­ten“ veröf­fentlichte. Darin wird aus­füh­lich disku­tiert, was roflcopter bedeutet, und auch geheimnisvolle Neuwörter wie lol, nope und sry wer­den erläutert. Was gtfo heißt, mochte man den Leser/innen wohl nicht zumuten. Wir sind weniger zim­per­lich: Es bedeutet in etwa „Extra omnes, vel pedi­cabo ego vos et irrumabo“.

Aber es gibt Hoff­nung: Zwar ver­fällt der Sprachge­brauch der Jun­gend mit zunehmender Geschwindigkeit, aber dafür, berichtet die AFP, haben franzö­sis­che Forsch­er gezeigt, dass Paviane lesen kön­nen. Na gut, nicht „lesen“, eher „Kom­bi­na­tio­nen von Buch­staben von anderen Kom­bi­na­tio­nen von Buch­staben unter­schei­den“, was aber natür­lich weniger catchy klingt. Aber immer­hin bedeutet das, dass man in der Press­es­telle der Piraten­partei einen Pavian beschäfti­gen kön­nte, um den aus­ge­hen­den E‑Mail-Verkehr auf poten­ziell injuriöse Akro­nyme zu kon­trol­lieren. Er kön­nte sog­ar das belei­di­gende GTFO vom frölich-harm­losen TGIF und das anstößige WTF vom loben­den FTW unter­schei­den. Fäkalaus­drücke im mündlichen Sprachge­brauch kön­nte so ein Pavian lei­der nicht ver­hin­dern, dafür bräuchte man min­destens einen Ältesten­rat.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich als Gast­beitrag hier, wo auch Kom­mentare dazu zu find­en sind.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

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