Sprachbrocken 36/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Lit­er­at­en kom­men im Sprachlog sel­ten zu Wort, aber warum eigentlich? Schließlich stolpere ich bei mein­er Suche nach Sprach­brock­en ständig über Hin­weise auf deren sprach­lichen Genius, da müsste doch etwas zu holen sein. Diese Woche zum Beispiel lese ich auf nachrichten.at über den por­tugiesis­chen Schrift­steller Anto­nio Lobo Antunes, dass er mit „sein­er unkon­ven­tionellen, energievollen und dicht­en Sprache, seinen an Atmo­sphäre und Meta­phern reichen Tex­ten … Fans weltweit“ begeis­tere. Und diese Meta­phern klin­gen dann zum Beispiel so: „Ich mag es, die Buch­staben zu malen. Aufs Glas (des PC-Schirms) zu sehen, ist wie Liebe­machen mit Kon­dom. Ich schreibe ohne Kon­dom.“ Ein har­ter Kerl ist er also, der nicht lange fack­elt und seinen Kugelschreiber hin­steckt, wo er will. Und ich will nicht, das wir uns hier im Sprachlog mit textuell über­trag­baren Krankheit­en ansteck­en. Und deshalb kom­men Lit­er­at­en im Sprachlog sel­ten zu Wort.

Ein Ganzkör­perkon­dom für die deutsche Sprache wün­scht der Vere­in Deutsche Sprache – wenn sich Sprachen schon nicht davon abhal­ten lassen, miteinan­der herumzu­machen, dann doch bitte ohne den Aus­tausch von Wörter­flüs­sigkeit­en. Wie die Leser/innen des Sprachlogs wis­sen, ver­suche ich seit vie­len Jahren, darauf hinzweisen, dass die deutsche Sprache erwach­sen ist und sel­ber wis­sen muss, was sie tut. Und ab und zu finde ich damit sog­ar Gehör, wie z.B. beim ORF. Allerd­ings wird dort so getan, als gebe es unter Sprach­wis­senschaftlern einen Stre­it über Vorzüge und Gefahren von Lehn­wörtern. Den gibt es aber nicht. Es gibt nur phan­tasierte Gefahren seit­ens der Sprach­nör­gler, und seit­ens der Sprachwissenschaftler/innen die Erken­nt­nis, dass Entlehnun­gen keine Krankheit, son­dern eher eine drin­gend benötigte Bedeu­tungstrans­fu­sion darstellen.

Das Schluss­wort über­lassen wir heute einem weit­eren Lit­er­at­en, dem Schweiz­er Erzäh­ler Wern­er Ren­fer, dessen lyrisches Werk nun, wie ich aus der Neuen Zürcher Zeitung erfahren habe, ger­ade ent­deckt wird. Und in diesem lyrischen Werk geht es manch­mal sog­ar um Sprache, zum Beispiel, wenn er schreibt: „die Gram­matik / ist ein ver­brauchter, entkör­pert­er Almanach / den ich nach mein­er Art neu erschaffe“. Wo er sie neu erschafft, sagt er nicht. Jeden­falls nicht in seinen Gedicht­en, denn die fol­gen aus­nahm­s­los brav den gram­ma­tis­chen Regeln, die wir alle tagtäglich anwen­den. Aber wenig­stens kann eine „entkör­perte“ Gram­matik keine gefährlichen Reime übertragen.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

7 Gedanken zu „Sprachbrocken 36/2012

  1. Jan

    Ver­tip­per
    Ich wollte nur kurz auf einen Ver­schreiber hin­weisen. Zweit­er Absatz, zweit­er Satz: “hinzuweisen” statt “hinzweisen”.
    Kom­men­tar soll gar nicht veröf­fentlicht wer­den, bitte “weg­mod­erieren”.

  2. CB

    Der Text auf ORF.at macht Sie außer­dem zum Englän­der, je nach­dem, wie man den Satz “sagt der englis­che Sprach­wis­senschaftler Ana­tol Ste­fanow­itsch” inter­pretiert: ein Sprachen­wis­senschaftler englis­ch­er Prove­nienz oder ein Sprach­wis­senschaftler, der sich mit der englis­chen Sprache befasst.

  3. Wentus

    Lehn­wörter
    Lehn­wörter dienen meis­tens zur genaueren Unterteilung eines Wort­feldes. Der “Vere­in deutsche Sprache” möchte jedoch bei altherge­bracht­en Wörtern bleiben und eine genauere Bes­tim­mung ver­mei­den. Wenn wir ihn gewähren lassen, kommt es zu ein­er “Verein”-fachten deutschen Sprache.

  4. Markus Schäfer

    Die Sprach­wis­senschaftler vom VDS
    In der Kinder-Beilage der WAZ wurde kür­zlich der Vere­in deutsche Sprache auch mit Sprach­wis­senschaftlern gle­ichge­set­zt, die auf “die Gefahren von Wörtern aus dem Englis­chen” (oder so ähn­lich) hinweisen.
    Hof­fentlich hat das kein Kind gele­sen oder gar ernst genommen.

  5. janWo

    Zum Her­rn Ren­fer fällt mir irgend­wie nur ein einziges Wort ein: Bedeutungsschwangerschaftsabbruch

  6. phaeake

    Anto­nio Lobo Antunes’ Kugelschreiber?
    Statt zum Kugelschreiber hätte ich metapho­risch zum Kol­ben­füller gegrif­f­en. Man hat doch auch “genug Tinte auf dem Füller” und nicht etwa Paste im Kuli. auch die Assoza­tion Pen-Penis ver­langt nach einem echt-männlichen Schreib-GERÄT.

  7. Tutnichtgut

    dieser blog ist ein gutes beispiel
    dafür, was passiert, wenn jemand ein blog auf­macht und dann nach und nach durch­dreht, weil er merkt, dass man viel mehr leser haben kann, wenn man nur polemis­chen müll verzapft.
    neuerd­ings gibt es hier nichts mehr als piratenge­fäl­li­gen the­men­schrott und tage­sak­tuelle aufregerchen (passend dazu ist der autor auch mit­glied der pirat­en gewor­den, wie man zwis­chen seinen pein­lichen “tweets” nach­le­sen kann), jet­zt auch noch literatur“kritik” auf niedrig­stem niveau. soll wohl lustig sein, das. glückwunsch!

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