Fracking/fracken [Anglizismus 2012]

Von Anatol Stefanowitsch

In den näch­sten Wochen disku­tiert die Anglizis­mus-des-Jahres-Jury die Wortkan­di­dat­en, die es in die Endrunde geschafft haben. Heute das Sub­stan­tiv Frack­ing und das dazuge­hörige Verb frack­en.

Das Wort Frack­ing (mach­mal auch: Frac­ing) ist eine Kurz­form des englis­chen Hydraulic Frac­tur­ing, der Beze­ich­nung für eine Tech­nik zur Förderung von Rohstof­fen wie Erdöl und Erdgas. Dabei wird in die Gesteinss­chicht­en, die die Rohstoffe umschließen, unter hohem Druck ein Gemisch aus Wass­er und ver­schiede­nen Chemikalien hineingepumpt, um auf diese Weise Risse zu erzeu­gen, durch die die Rohstoffe zur Bohrungsstelle fließen können.

Wer mehr über die Tech­nik selb­st erfahren will, dem sei dieser aktuelle Beitrag im Fis­chblog emp­fohlen; aus lexiko­grafis­ch­er Per­spek­tive sind zwei Dinge wichtig: In Deutsch­land lagert sehr viel Erdgas in Gesteinss­chicht­en, an die ohne diese Tech­nik derzeit kein Her­ankom­men ist (weshalb die Energiekonz­erne die Tech­nik gerne in großem Maßstab anwen­den möcht­en), und die Tech­nik hat schw­er­wiegende Kon­se­quen­zen für die Umwelt (weshalb vor allem die Men­schen in den poten­ziellen Frack­ing-Gebi­eten das unbe­d­ingt ver­hin­dern wollen). Das führt zu ein­er anhal­tenden Debat­te, die das Wort im let­zten Jahr in den all­ge­meineren Sprachge­brauch gespült hat: Im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus taucht es 2010 in nur zwei Tex­ten auf, 2011 find­et es sich bere­its 70 Mal in 25 ver­schiede­nen Tex­ten, und bis Juli 2012 (weit­er geht das Kor­pus derzeit noch nicht) waren es dann schon über 400 Tre­f­fer in mehr als 160 Texten.

Mit der Ver­wen­dung­shäu­figkeit stieg auch das Inter­esse an dem Wort stark an: Google Trends zeigt ein erstes zaghaftes Inter­esse Ende 2010, das bis Novem­ber 2011 stark ansteigt und nach einem anfänglichen leicht­en Absack­en bis Ende 2012 auf seinen bish­eri­gen Höch­st­stand klet­tert. ((Tat­säch­lich geht der Höhen­flug im Jan­u­ar 2013 weit­er, für das Wort dürfte also im laufend­en Jahr ein weit­er­er Häu­figkeit­sanstieg bevorstehen.))

Das Wort erfüllt damit klar die ersten zwei Bedin­gun­gen unseres Wortwet­tbe­werbs: Es stammt aus dem Englis­chen, und es ist im Jahr 2012 mas­siv ins Bewusst­sein und den Sprachge­brauch ein­er bre­it­eren Öffentlichkeit gelangt. Die bre­ite Ver­wen­dung des Wortes hat dazu geführt, dass es in der Online-Ver­sion des DUDEN bere­its einen Ein­trag hat.

Ölfeld im Sonnenuntergang

Nicht ganz so roman­tisch wie ein Son­nenun­ter­gang: Frack­ing.
(CC-BY-SA 3.0, Arne Hückelheim/Wikimedia)

Frack­ing ist ein typ­is­ches Lehn­wort, das als Beze­ich­nung für eine vorher nicht bekan­nte und deshalb auch nicht benan­nte Sache gemein­sam mit dieser über­nom­men wurde. Es füllt also eine wichtige Lücke im deutschen Wortschatz, denn in der Diskus­sion um das Für und Wider der Förderung immer schw­er­er erre­ich­bar­er Rohstoffe gibt es derzeit keine andere all­ge­mein akzep­tierte Beze­ich­nung für diese Tech­nik. Der Wikipedia-Ein­trag zu Hydraulic Frac­tur­ing nen­nt die (mehr oder weniger deutschen) Alter­na­tiv­en hydraulis­che Frak­turierunghydraulis­ches Auf­brechenhydraulis­che Riss-erzeu­gung und hydraulis­che Stim­u­la­tion und liefert auch Quel­len­nach­weise. Die Ver­wen­dung­shäu­figkeit­en dieser Alter­na­tiv­en sind jedoch um mehrere Größenord­nun­gen niedriger als die von Frack­ing, und sie find­en sich sel­ten in einem an Laien gerichteten Sprachgebrauch.

Das Wort hat sich in kürzester Zeit so gut in die deutsche Sprache einge­fügt, dass sog­ar schon ein davon abgeleit­etes Verb existiert: frack­en. Dieses taucht im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus 2011 erst­mals auf, als Par­tizip Per­fekt (gefrackt): Der Kun­sthandw­erk­er wohnt in Fort Worth, „dem wohl einzi­gen Ort auf der Welt, in dem mit­ten im Stadt­ge­bi­et gefrackt wer­den darf (Texas im Gas­rausch, Mannheimer Mor­gen, 04.06.2011). In 2012 find­en sich dann auch Tre­f­fer für andere For­men des Verbs, wie etwa Dabei soll sich BNK selb­stverpflichtet haben, in Wass­er- und Naturschutzge­bi­eten nicht frack­en zu wollen (Wasser­schutzge­bi­et abgelehnt, Braun­schweiger Zeitung, 22.06.2012). Und auch ein aus dem Verb abgeleit­etes Sub­stan­tiv Frack­en find­et sich im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus: Auch wenn sauberes Frack­en gelingt: Die Bohrkosten gin­gen ins Uner­messliche (Weil wir es nicht wollen!, Niederöster­re­ichis­che Nachricht­en, 08.03.2012). Das in sein­er Wort­struk­tur eingedeutschte Frack­en kön­nte mit­tel­fristig das englis­che Frack­ing erset­zen, aber derzeit ist es eine sehr rand­ständi­ge Form.

Zusam­men­fassend lässt sich sagen: Fracking/fracken ist ein stark­er Kan­di­dat für den Anglizis­mus des Jahres: Ein englis­ches Lehn­wort, das eine Lücke füllt und bere­its dabei ist, in neue Bere­iche der deutschen Gram­matik vorzu­drin­gen. Darüber hin­aus ist es — auch wenn das kein offizielles Kri­teri­um für den Anglizis­mus des Jahres ist — von hoher gesellschaftlich­er Rel­e­vanz, ste­ht es doch nicht nur für einen aktuellen Kon­flikt um eine konkrete Tech­nik, son­dern stel­lvertre­tend auch um den all­ge­meineren Kon­flikt zwis­chen der Notwendigkeit der Energiegewin­nung auf der einen und der Notwendigkeit eines sorgsamen Umgangs mit unser­er Umwelt auf der anderen Seite.

6 Gedanken zu „Fracking/fracken [Anglizismus 2012]

  1. AndreasK

    … das eine Lücke füllt und bere­its dabei ist, in neue Bere­iche der deutschen Gram­matik vorzudringen.”

    Wenn es dann noch neue Sprach­frei­heit “freiset­zt”, ist Frack­ing ja ein voller Erfolg ;o)

    Danke für die Erk­lärung, die mir nach einem WDR-Beitrag im let­zten Jahr zwis­chen­zeitlich wieder ent­fall­en war.

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