Sprachbrocken 23/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Eine der unsym­pa­this­chsten Aktio­nen des Vere­ins Deutsche Sprache ist die alljährliche Wahl eines „Sprach­pan­sch­ers des Jahres“. Die funk­tion­iert so: 1) Der Vere­in nominiert promi­nente Per­so­n­en wegen abstrus kon­stru­iert­er sprach­lich­er Sün­den; 2) die Promi­nenz der Nominierten sorgt für eine bre­ite Berichter­stat­tung; 3) der VDS ste­ht ohne nen­nenswerte Leis­tung als Wahrer der deutschen Sprache da. Getrof­fen hat es dies­mal Wolf­gang Schäu­ble, dessen Ver­brechen gegen die Deutschlichkeit in „unbe­holfe­nen Exkur­sio­nen ins Englis­che“ beste­he. Mit denen „mache er seit Jahren den Über­set­zern in Brüs­sel Konkur­renz und falle damit allen Ver­suchen in den Rück­en, Deutsch als echte Arbeitssprache in der EU zu verankern“.

Wem das noch nicht abstrus genug ist, der wird sich vielle­icht für die Begrün­dung der zweit­en Nominierten erwär­men kön­nen: Die DUDEN-Redak­tion. Deren Gräueltat beste­ht darin, dass sie den tat­säch­lichen Sprachge­brauch abbildet – oder, wie der VDS es aus­drückt, dass sie ihr „ein­st­mals respek­tierte Nach­schlagew­erk zum bil­li­gen Hand­langer von Mod­e­fuzzis und Amitüm­lern aller Art verkom­men und … durch das gedanken­lose Aufnehmen dum­mer Anglizis­men diesen erst den offiziellen Gütestem­pel aufge­drückt“ habe. Unter den weit­eren Nominierten ist auch der Ratsvor­sitzende der Evan­ge­lis­chen Kirche in Deutsch­land, Niko­laus Schnei­der, den ich vor zwei Jahren schon ein­mal gegen eine völ­lig aus der Luft gegrif­f­ene Sprach­mor­dan­klage vertei­di­gen musste. Lei­der beken­nen sich die Nominierten häu­fig schuldig und geloben Besserung. Ich hoffe aber, dass sie dies­mal den Mut haben, sich gegen den Schauprozess des Sprachter­ror­regimes zur Wehr zu set­zen, wie es vor zwei Jahren die Bun­de­sagen­tur für Arbeit getan hat.

Während der Vere­in Deutsche Sprache sprach­lich Abtrün­nige ver­fol­gt wie einst die Inqui­si­tion Häretik­er, hat sich deren Spon­sor, die katholis­che Kirche, in den Kampf gegen die zweite große Plage des reinen und wahren Idioms begeben: die „poli­tisch kor­rek­te Sprache“. Die, so gab Feld­herr Fran­cis­cus bekan­nt, sei „schein­heilig“ (ganz anders, also, als die katholis­che Kirche, die ja echtheilig ist). Sie habe deshalb im Sprachge­brauch von Chris­ten nichts zu suchen, denn die „sagen die Wahrheit ein­fach ger­ade­heraus“ (ganz anders, also, als die katholis­che Kirche, die sich die Wahrheit ja nur auf ver­schlun­genen Wegen ent­lock­en lässt). Ich kri­tisiere die katholis­che Kirche ja son­st dur­chaus ab und zu, aber dieses explizite Beken­nt­nis zur poli­tis­chen Inko­r­rek­theit finde ich erstaunlich ehrlich und deshalb lobenswert.

Aber nicht nur die heilige Mut­ter Kirche in ihrer Gänze kämpft gegen die Ver­ro­hung sprach­lich­er Sit­ten, auch einzelne Kirchen­män­ner tun vor Ort, was sie kön­nen. So zum Beispiel ein namentlich nicht genan­nter Diener der Her­rn in Mün­ster, der in ein­er Art nach­pf­in­gstlichen Wort zum Son­ntag die Jugend dafür ins Gebet nimmt, dass sie anstelle eines anständi­gen äh oder ähm die Phrase Keine Ahnung in ihre Sätze ein­bauen. Denn ein „schnell dahinge­wor­fenes ‚Keine Ahnung‘“ komme bei ihm „so an, als ob die Aus­sage des ganzen Satzes belan­g­los wäre.“ Ich per­sön­lich glaube ja, der wackere Hirte liegt mit sein­er Inter­pre­ta­tion hier falsch – seine jugendlichen Schäfchen beziehen sich mit ihrem keine Ahnung doch wohl vielmehr auf Matthäus 5.3: „Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Him­mel­re­ich ist ihr.“

Ein Bibel­wort, übri­gens, das, wenn es stimmt, der ver­sam­melten Sprachkri­tik­er­schar eine sehr hoff­nungsvolle Prog­nose für deren Nach­leben beschert.

13 Gedanken zu „Sprachbrocken 23/2013

  1. Tim

    Während der Vere­in Deutsche Sprache sprach­lich Abtrün­nige ver­fol­gt wie einst die Inqui­si­tion Häretiker

    Äh … Nein, tut er sich­er nicht.

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  2. Mr Ringo

    Doch, tut er. Die Inqui­si­tion set­zte zuvörder­st auf Buße der reuigen Sün­der und griff erst bei Ver­stock­theit oder Wieder­hol­ungstätern zum strafrechtlichen Instru­ment — das damals eben auch Folter und Scheit­er­haufen umfasste, dem heute aber auf­grund zivil­isatorischen Fortschritts eher die Klage entspricht (die der VDS ja auch bisweilen erwägt). Der Verge­ich ist somit his­torisch korrekt.

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  3. Statistiker

    Sehr schön geschrieben, Anatol.

    danke für diesen Beitrag, der die Big­ot­terie gewiss­er Her­ren (es sind ja nur Her­ren, komis­cher­weise) sehr schön herausarbeitet.

    Rechtschreibfehler sind mein­er klem­menden Tas­tatur geschuldet. Wie kriegt man Frikadel­lenkrümel aus ein­er Lap­top-Tas­tatur raus???

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  4. peer

    Die Kritk an Schäu­ble ist nicht nur kon­stru­iert, son­dern echte DEutsch­landtüm­melei (und ich dachte nicht, dass ich jemals etwas schreiben würde, was ihn verteidigt).
    Und der Duden wird ja immer gerne von Sprach­wächtern angegriffen.

    Was den papst bet­rifft: Nach sein­er Wahl wur­den Priester auf CNN gefragt. Mein Zweit-Lieblingskom­men­tar: “Ein ehrlich­er Mann” (Nicht so wie die ganzen Lügen­päp­ste in der Vergangenheit?)

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  5. PlantPerson

    @ Mr Ringo: “…eher die Klage entspricht (die der VDS ja auch bisweilen erwägt)”
    Echt!?! I’m shocked!!! Wann? Wo? Gegen wen?

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  6. Mr Ringo

    Also am schön­sten finde ich eigentlich, dass in der Anwärterliste auch geo­bra Brand­stät­ter auf­taucht. Nach 29 Jahren fällt es also auch dem VDS auf, dass Play­mo­bil Pro­duk­te mit englis­chen Beze­ich­nun­gen verkauft…

    @PlantPerson. beispiel­sweise hier http://www.vds-ev.de/sn-mobil/53/S9A1_nrw.html
    und hier http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62011CO0093:DE:HTML
    Aber angestrebte Ver­fas­sungsän­derun­gen rechne ich auch zu diesem Bereich.

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  7. Pingback: Meditationen über die große Hure Duden | Erbloggtes

  8. Ferrer

    Niet­zsches Ver­sion gefällt mir bess­er, kommt mir ehrlich­er vor, als das Orig­i­nal Matthäus 5:3 (nach Elfmeterschiessen?):
    “Selig sind, die da geistlich arm sind; ins­beson­dere, wenn man ihnen Recht gibt.”
    @Statistiker: Man ver­mei­det Frikadel­lenkrümel auf ein­er Lap­top-Tas­tatur indem man statt Frikadellen Bulet­ten isst. Wenn das Mal­heur schon passiert ist, empfehle ich Ihnen, an einem son­ni­gen und trock­e­nen Nach­mit­tag die Tas­tatur oder das ganze Lap­top in aus­geschal­tetem Zus­tand neben einem Ameisennest zu leg­en. Das Gerät bitte nicht wieder ein­schal­ten, bevor Sie nicht sich­er sind, dass alle Ameisen wieder fort sind.

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