Am 8. Mai 2018 habe ich anlässlich des 85. Jahrestages der Bücherverbrennung im Literaturhaus Berlin einen Vortrag über die „Grenzen des Sagbaren“ gehalten. Der Mitschnitt zu diesem Vortrag ist nun auf Soundcloud zum Nachhören verfügbar.
Schlagwort-Archive: Diskriminierende Sprache
Nafris (ein sprachwissenschaftliches Grünen-Seminar für Rainer Wendt)
Das Wort Nafri sorgt für heftige Debatten, seit die Kölner Polizei in der Silvesternacht 2016 über den Kurznachrichtendienst Twitter folgende Beschreibung ihres Vorgehens absetzte:
#PolizeiNRW #Silvester2016 #SicherInKöln: Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft. Infos folgen. https://t.co/VYMQuT6B7u pic.twitter.com/cCVVdRwr9D
— Polizei NRW K (@polizei_nrw_k) December 31, 2016
Die Diskussion wird, wie es in Deutschland leider üblich ist, wenn es um potenziell problematische Sprache geht, sehr hitzig, faktenarm und wenig produktiv geführt. Sie wird außerdem vermischt mit der wichtigeren Diskussion um Racial Profiling und öffentliche Sicherheit, die mit dem Wort Nafri eher am Rande zu tun hat.
Eigentlich wollte ich mich deshalb aus der Diskussion heraushalten, aber dann las ich folgende Aussage des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt:
Das ist eine Abkürzung, die wir im Einsatz benutzen, beispielweise bei Funksprüchen oder wenn sich die Beamten etwas zurufen. Das braucht man nicht zu dramatisieren. Das ist eben der Unterschied zwischen einem sprachwissenschaftlichen Grünen-Seminar und einem Polizeieinsatz. (Rainer Wendt in der Jungen Freiheit, 2. Januar 2017)
Ich bin zwar kein Grüner, aber ein sprachwissenschaftliches Seminar kann ich liefern, und da die Kritik am Begriff „Nafri“ weitgehend am eigentlichen Problem vorbeigeht, habe ich Wendts Herausforderung dann doch angenommen. Weiterlesen
Flüchtlinge zu Geflüchteten?
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat in der Begründung zu ihrer Wahl von Flüchtlinge zum Wort des Jahres am Rande thematisiert, dass das Wort „für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig“ klinge, und das deshalb „neuerdings … öfters alternativ von Geflüchteten die Rede sei. Es bleibe aber abzuwarten, ob sich diese Alternative „im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen“ würde. Der Vorsitzende der GfdS, der Hannoveraner Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski, wurde gegenüber der dpa deutlicher: „Ich glaube, dass Flüchtling letztlich bleibt, dass Geflüchtete keine Chance hat“.
Beide Fragen – ob Flüchtlinge einen negativen Beiklang hat und ob das Wort Geflüchtete (oder auch Flüchtende) eine aussichtsreiche neutrale Alternative wäre, stoßen auf anhaltendes Interesse (der Sprachlog-Beitrag aus dem Jahr 2012 zu diesem Thema gehört zu den am kontinuierlichsten abgerufenen, auch der Deutschlandfunk hat in seiner Berichterstattung zum Wort des Jahres darauf verlinkt). Ich möchte die Gelegenheit deshalb nutzen, diesen Beitrag um einige Perspektiven zu ergänzen, die über die üblichen subjektiven Eindrücke hinausgehen, die die GfdS auch dieses Jahr anstelle sprachwissenschaftlicher Analysen von sich gegeben hat. Weiterlesen
Revolutionär*innen, die auf Sternchen starren
Die Grünen haben am Wochenende auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz unter anderem beschlossen, in Parteitagsbeschlüssen in Zukunft verbindlich den Gender-Stern (Student*innen, Kindergärtner*innen, Terrorist*innen) zu verwenden. Angesichts der Empfindlichkeit, mit der die deutsche Öffentlichkeit auf geschlechtergerechte Sprache reagiert, wurde diese Satzungsänderung natürlich vor, während und nach dem Parteitag in den Medien diskutiert. Die Fronten waren dabei vorhersehbar verteilt: „Gender-Gaga“ war der Beschluss z.B. für die Bild (der es dabei nicht nur um die Sprache ging: sie störte sich auch an der Idee von „Extra-Zelten für transsexuelle Flüchtlinge“). Der Cicero sah in dem Beschluss ein Zeichen für die „Rückverwandlung einer Partei in eine Krabbelgruppe“. Und die Ostthüringer Zeitung konnte es sich nicht verkneifen, in ihrer Schlagzeile von „Grün*innen“ zu sprechen. Die taz dagegen verteidigt den Beschluss sehr fachkundig, und die Süddeutsche Zeitung sagt zum Gender-Stern „Schön ist das nicht — aber richtig“.
Wer ab und zu das Sprachlog liest, wird vermuten, dass ich mich hier dem zweiten Lager anschließen und die Grünen für ihren Beschluss loben werde. Diese Vermutung muss ich aber enttäuschen – anders als die Süddeutsche finde ich den Gender-Stern schön, aber falsch. Natürlich stimme ich auch dem ersten Lager nicht zu. Das Problem ist nicht, dass der Beschluss der Grünen „Gender-Gaga“ ist, sondern, dass er nicht gender-gaga genug ist. Die Grünen entwickeln sich nicht zu einer Krabbelgruppe, sie verabschieden sich von der weltverändernden Anarchie, die jeder Krabbelgruppe innewohnt. Weiterlesen
Geschlechtergerechte Sprache und Lebensentscheidungen
Das sogenannte „generische“ Maskulinum und die Tatsache, dass es nicht wirklich generisch ist, haben wir im Sprachlog ja schon des Öfteren diskutiert. Eine interessante neue Studie bietet einen Anlass dazu, das Thema wieder einmal aufzugreifen.
Im Deutschen hat jedes Substantiv ein grammatisches Geschlecht: Maskulinum (z.B. der Stuhl, der Dill), Femininum (z.B. die Bank, die Petersilie) und Neutrum (z.B. das Sofa, das Schnittlauchdas Basilikum). Das grammatische Geschlecht ist dabei nicht völlig beliebig verteilt (ein Thema für einen anderen Tag), aber es hat nichts mit dem biologischen/sozialen Geschlecht der bezeichneten Dinge zu tun (Sitzgelegenheiten und Küchenkräuter sind ja weder männlich, noch weiblich, sondern bestenfalls alle sächlich).
Das ist anders bei Personenbezeichnungen: Hier korreliert das grammatische Geschlecht bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Mensch, Person) mit dem biologischen/sozialen Geschlecht des bezeichneten Individuums: Mann, Bruder, Mönch und Knecht sind z.B. grammatisch maskulin und biologisch/sozial männlich, Frau, Schwester, Nonne und Magd sind dagegen grammatisch feminin und biologisch/sozial weiblich. Bei den meisten Personenbezeichnungen kommt dazu, dass die weibliche Form durch die Nachsilbe -in aus der männlichen Form abgeleitet ist: der Chef – die Chefin, der Polizist – die Polizistin, der Bäcker – die Bäckerin. Weiterlesen
Die Völkerwanderung war kein Vatertagsausflug: Über 60 Wörter auf ‑in
Dies ist ein Beitrag, den ich ungefähr ein Jahr lang bewusst nicht geschrieben habe, obwohl es mich manchmal in den Fingern gejuckt hat. Es geht um das Kleine Etymologicum und wie ich darin mit Menschen umgehe. Es geht um Langobardinnen, die auch männlich sein können. Es geht um … (Achtung, Reizwort!) … geschlechtergerechte Sprache.
Viele Leute kennen die Fußnote auf Seite 11, selbst wenn ihnen das Buch offensichtlich unbekannt ist (Achtung, Link geht zur Jungen Freiheit!) — ich rufe kurz in Erinnerung:
Bei generischer Verwendung von Personenbezeichnungen (wenn keine konkreten Individuen gemeint sind) wird in diesem Buch die weibliche oder die männliche Form gebraucht. Die Zuweisung erfolgt per Zufall, über eine randomisierte Liste. Gemeint sind aber immer alle Menschen, egal welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen (oder ob sie das überhaupt tun). Auch die Fälle, in denen unklar war, ob beide Geschlechter gemeint sind, wurden großzügig den generischen Bezeichnungen zugeschlagen. Sie werden im Folgenden also auf Vorfahrinnen, Griechinnen, Lexikografinnen … stoßen, die alle Nicht-Frauen mitmeinen – und auf Ahnen, Goten und Sprachwissenschaftler, die die Nicht-Männer einschließen.
Für die Reflexempörten aus dem Link schreibe ich nicht — ich schreibe für diejenigen Leserinnen und Leser, die mir in den vergangenen Monaten E‑Mails und Briefe (und erstaunlich oft an E‑Mails angehängte Briefe) geschickt haben. Sehr höfliche Nachrichten waren das, durchgehend, mit vielen interessanten Anmerkungen, viel Lob, gelegentlich mal mit Hinweisen auf Tippfehler (in der vielfach verbesserten 2. Auflage fast alle ausgemerzt, herzlichen Dank!) und am Ende dann gelegentlich mit der Frage, Weiterlesen
Die fünf Freunde und die Rückkehr zur sprachlichen Normalität
Österreich ist ja, nach eigener Aussage, die Heimat großer Söhne – so groß, dass für große Töchter neben ihnen kaum noch Platz ist. Aber nicht nur das – es ist auch das Land der Berge, das Land am Strome, das Land der Äcker, das Land der Dome – und das Land der Hämmer. Und einen besonders großen Hammer haben 650 Expert/innen für die psycholinguistische Verarbeitung männlicher Pronomen und Personenbezeichnungen, äh, nein, für die, äh, nein, für die Struktur und Bedeutung der deutschen Gegenwartssprache – nein, ich fange noch mal an. Weiterlesen
Sprachpolizeiliche Ermittlungen [re:publica]
Hier nun also das Video meines Vortrags „Sprachpolizeiliche Ermittlungen“ von der re:publica 2014, ergänzt um die wichtigsten im Vortrag erwähnten Texte, weitere Links und Berichte zum Vortrag und eine PDF-Datei der Präsentation.
Wichtigste im Vortrag erwähnte Texte
- AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt-Universität zu Berlin: Was tun? Sprachhandeln – aber wie? W_Ortungen statt Tatenlosigkeit. [PDF (3.6 MB)] (Der Text, dessen Vorschläge in den letzten Wochen für so viel Belustigung gesorgt hat; Interview mit Lann Hornscheidt (Professur Gender Studies, HU Berlin) zu den Hintergründen).
- Stadt Wien: Leitfaden für geschlechtergerechtes Formulieren und eine diskriminierungsfreie Bildsprache (2011) [PDF (1,3 MB)] (Gutes Beispiel eines Leitfadens für geschlechtergerechte Sprache)
- S_HE: Performing the Gap: Queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung (arranca 28, 2003) (Früher Text zum Gender_Gap)
- Luise Pusch: Brauchen wir den Unterstrich? Feministische Linguistik und Queer Theory, Teil 1 (Laut & Luise, 2011) (Kritische Bewertung der Gender_Gap aus feministischer Perspektive)
Links
- Interview zum Vortrag bei dctp.tv (6.5.2014)
- Berliner Zeitung: „So war Tag eins der re:publica“ (6.5.2014)
- taz: re:publica 2014, der 1. Tag (6.5.2014)
Präsentation
Weitere Vorträge
- YouTube-Playlist mit weiteren Vorträgen von mir zu den Themen gerechte Sprache, Sprachkritik usw.
Männer sind Norm, Frauen sind Ideologie
Geschlechtergerechte Sprache ist nicht nur ein gesellschaftlich kontroverses Thema – kein Wunder in einer Gesellschaft, in der der Mann immer noch als Norm gilt –, sondern vor allem auch eines, über das sich viele Menschen schlicht noch nie Gedanken gemacht haben – ebenfalls kein Wunder in einer Gesellschaft, in der der Mann immer noch als Norm gilt. Es ist deshalb klar, dass man nicht automatisch vom Schlimmsten ausgehen sollte, wenn jemand gegen geschlechtergerechte Sprache argumentiert und etwa behauptet, das „generische“ Maskulinum sei unproblematisch, da ja alle wüssten, dass dabei auch Frauen einbezogen sind, und jede Abweichung von dieser sprachlichen Form würde Texte nur unlesbar machen. Die- oder derjenige könnte ja einfach aus einer Unkenntnis des Themas so argumentieren.
Das könnte auch für das „Komitee zur Regelung des Schriftverkehrs“ des Austrian Standards Institute gelten, das in einem Entwurf für eine Überarbeitung ÖNORM A 1080 („Richtlinien für die Textgestaltung“) vorschlägt, das „generische“ Maskulinum tatsächlich zur Norm zu erheben und damit alle Formen geschlechtergerechter Sprache für inkorrekt zu erklären (wir berichteten).
Als die österreichische Sprachwissenschaftlerin und Lektorin Karin Wetschanow, Mitautorin eines Leitfadens für geschlechtergerechte Sprache des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur (PDF) dem Komitee in der Wiener Zeitung vorwarf, „von einer ‚antifeministischen Ideologie‘ geprägt zu sein und auf die Expertise maßgeblicher Wissenschaftler verzichtet zu haben“, war ich zunächst sehr skeptisch. Weiterlesen
Der Mann als Norm
Vor einigen Wochen haben wir hier über den Versuch zweier Wikipedia-Autoren berichtet, das sogenannte „generische“ Maskulinum (also die patriarchale Praxis, männliche Personenbezeichnungen „geschlechtsneutral“ zu verwenden) als allgemeinen Standard festzulegen (in der Abstimmung scheiterte dieser Versuch spektakulär, was entweder darauf hinweist, dass die Wikipedianer/innen insgesamt mehr Bewusstsein für diskriminierende Sprachstrukturen haben als gemeinhin angenommen, oder dass sie Vorschriften noch mehr hassen als geschlechtergerechte Sprache).
Aktuell versucht nun das Austrian Standards Institute, denselben Taschenspielertrick abzuziehen. Wie der Verein österreichischer Juristinnen berichtet, schlägt das ASI im aktuellen Entwurf für die ÖNORM A 1080 („Richtlinien für die Textgestaltung“) vor, „auf weibliche Formen zu verzichten und stattdessen mittels Generalklauseln klarzustellen, dass Frauen in der männlichen Form mitgemeint seien.“ Auch das Binnen‑I und die in Österreich üblichen weiblichen Formen für akademische Titel (z.B. Dr.in, Prof.in) sollen nach der Vorstellung des ASI als inkorrekt gelten. „Auf weibliche Formen könne in schriftlichen Texten verzichtet werden, denn männliche Formen würden für beide Geschlechter gelten, so die Empfehlung.“ Weiterlesen