Der Fake-Gebärdendolmetscher von Johannesburg

Von Anatol Stefanowitsch

Ein merk­würdi­ger Aspekt der gestri­gen Trauer­feier für Nel­son Man­dela in Johan­nes­burg wird heute in den Medi­en disku­tiert, nach­dem die aus­tralis­che Nachricht­e­na­gen­tur SBS ihn öffentlich machte: Der schein­bare Gebär­den­sprachen­dol­metsch­er, der neben den Redner/innen auf der Bühne stand, war gar kein­er. Die gehör­lose südafrikanis­che Abge­ord­nete Wilma Newhoudt wies per Twit­ter gle­ich zu Beginn der Feier­lichkeit­en auf diese Tat­sache hin:

Etwa: „Der mit dem ANC assozi­ierte Dol­metsch­er neben dem ANC-Vizepräsi­den­ten gebärdet Unsinn. Bitte ent­fer­nt ihn (von der Bühne)!“

Newhoudt ist immer­hin Vizepräsi­dentin der World Fed­er­a­tion of the Deaf und stel­lvertre­tende Vor­sitzende des südafrikanis­chen Gehör­losen­ver­ban­des Deaf Fed­er­a­tion of South Africa, also würde man meinen, dass irgend­je­mand ihren Hin­weis aufnehmen würde, aber der „Dol­metsch­er“ blieb.

Das fol­gende Video ein­er britis­chen Nachricht­en- und Blog­plat­tform für Gehör­lose zeigt den Mann im Ver­gle­ich mit ein­er tat­säch­lichen Gebär­den­dol­metscherin – wie man sieht, beste­ht kein­er­lei Ähn­lichkeit zwis­chen seinen Gebär­den und der echt­en Gebärdensprache:

(Inter­es­san­ter­weise hat­te ich mich gestern beim Anse­hen der Trauer­feier kurz darüber gewun­dert, dass der ange­bliche Dol­metsch­er keine Mimik ver­wen­det, wie es für Gebär­den­sprachen eigentlich typ­isch ist. Aber der Ver­dacht, dass der Mann gar keine Gebär­den­sprache beherrscht, ist mir natür­lich nicht gekommen).

Wer der Mann ist, weiß man beim ANC auf die Nach­fra­gen ver­schieden­er Nachricht­e­na­gen­turen ange­blich nicht zu beant­worten. Beson­ders glaub­haft ist das nicht, denn schließlich muss ihn ja jemand akkred­i­tiert haben; außer­dem hat er schon min­destens ein­mal zuvor für den südafrikanis­chen Präsi­den­ten Jacob Zuma „gedol­metscht“:

Die AP berichtet, dass die Deaf Fed­er­a­tion of South Africa schon damals eine Beschw­erde an den ANC gerichtet und gefordert habe, den Mann nicht mehr einzuset­zen, solange er nicht eine Aus­bil­dung zum Gebär­den­dol­metsch­er gemacht habe. Das bestätigt auch Newhoudt auf Twit­ter.

Ein falsch­er Gebär­den­dol­metsch­er bei einem Großereig­nis wie dieser Trauer­feier ist natür­lich eine dop­pelte Katas­tro­phe: Erstens kon­nten die südafrikanis­chen Gehör­losen im Sta­dion und vor den Fernse­hgeräten der Feier auf diese Weise nicht fol­gen; zweit­ens zeigt dieser zumin­d­est fahrläs­sige Umgang mit ihrer Sprache seit­ens der Organ­i­sa­tion, wie wenig man sich für ihre Teil­habe tat­säch­lich interessiert.

Bleibt die Frage, warum jemand sich wieder­holt fälschlicher­weise als Gebär­den­sprachen­dol­metsch­er aus­geben sollte. Denkbar ist, dass der Mann sich auf diese Weise wichtig machen will. Aber die Mel­dung der AP legt einen ein­facheren Grund nahe: Prof­it­gi­er. Sie zitiert die Direk­torin ein­er Johan­nes­burg­er Gehör­losen­schule, die berichtet, dass falsche Gebär­den­sprachen­dol­metsch­er ein häu­figes Prob­lem in Südafri­ka seien: Men­schen, die ein paar Gebär­den beherrscht­en, böten gegen Geld ihre Dien­ste an.

Da Artikel 6, Abs. 5 der südafrikanis­che Ver­fas­sung die Förderung und den Gebrauch der Gebär­den­sprache vorschreibt, kön­nte das ein lukra­tives Geschäft sein.

Ver­mei­den ließe sich die damit ver­bun­dene Pein­lichkeit und Her­ab­würdi­gung der Gehör­losen durch ein bre­it­eres Ver­ständ­nis der Funk­tion­sweise und Kom­plex­ität von Gebär­den­sprache, das es mehr Men­schen möglich machen würde, zu erken­nen, wann sie einem Hochsta­pler gegenüber­ste­hen. Aber ein solch­es Ver­ständ­nis fehlt nicht nur in Südafri­ka: Auch hierzu­lande begeg­net mir oft die Vorstel­lung, Gebär­den­sprache sei eine Art impro­visierte Pan­tomime, für die es keine beson­deren Fähigkeit­en braucht.

[Nach­trag: Der falsche Dol­metsch­er ist inzwis­chen iden­ti­fiziert, er hat (wie erwartet) keine Aus­bil­dung zum Gebär­den­sprach­dol­metsch­er. Er selb­st behauptet, während der Ver­anstal­tung unter Hal­luz­i­na­tio­nen gelit­ten zu haben; er habe wegen der bewaffneten Wach­posten Angst gehabt, sich auf­fäl­lig zu ver­hal­ten und habe deshalb ver­sucht, ein­fach weit­erzu­dol­metschen. Die stel­lvertre­tende Min­is­terin für Frauen, Kinder und Men­schen mit Behin­derung, Hen­dri­et­ta Bogopane-Zulu, behauptete in ein­er Pressekon­ferenz, der Mann sei dur­chaus der Gebär­den­sprache mächtig, nur han­dele es sich möglicher­weise einen ungewöh­lichen Dialekt; außer­dem sei der Mann ein Mut­ter­sprach­ler des Xhosa und mit dem Dol­metschen englis­ch­er Reden über­fordert gewe­sen. Expert/innen für die Südafrikanis­che Gebär­den­sprache hal­ten von bei­den Erk­lärun­gen nichts; die Gebär­den des Mannes hät­ten wed­er denen von Sprecher/innen mit psy­cho­tis­chen Schüben, noch denen irgen­deines Dialek­ts geäh­nelt. Die gehör­lose Abge­ord­nete Newhoudt bew­ertet die Aus­sagen der Min­is­terin auf Twit­ter als „kom­plet­ten Müll“ und stellte gegenüber dem südafrikanis­chen Vizepräsi­den­ten Kgale­ma Mot­lanthe klar, dass diese Aus­sagen „ver­let­zend, schädlich und unin­formiert“ seien. (Quellen: CBC, BBC)]

12 Gedanken zu „Der Fake-Gebärdendolmetscher von Johannesburg

  1. anubis

    Welche Gebär­den­sprache sollte es eigentlich sein? Wer­den solche Ver­anstal­tun­gen in SASL oder ASL gedolmetscht?

    (Wikipedia so: “In addi­tion to SASL and its region­al and cul­tur­al vari­a­tions, Amer­i­can Sign Lan­guage (ASL) is pop­u­lar, although since 2006 the teach­ing of ASL has been offi­cial­ly dis­cour­aged” http://en.wikipedia.org/wiki/South_African_Sign_Language)

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  2. Susanne

    Die oben benan­nte Ein­stel­lung zur Gebär­den­sprache wun­dert mich. Da muss wirk­lich absolute Igno­ranz dahin­ter steck­en. Auf mich wirken diese Zeichen immer höchst kom­pliziert. Da sieht man mal wieder, worüber sich die Men­schen so alles eine Mei­n­ung erlauben…

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  3. Lupino

    @Susanne Apro­pos „Igno­ranz“; Die Begriffe „Zeichen“ und „Zeichen­sprache“ wer­den von den Sprech­ern der Gebär­den­sprachen als abw­er­tend wahrgenom­men, wenn damit eigentlich Gebärden(sprachen) gemeint sind…

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  4. gnaddrig

    Ver­ständ­nis der Funk­tion­sweise und Kom­plex­ität von Gebärdensprache

    Viele wis­sen gar nicht, dass Gebär­den­sprachen eigen­ständi­ge Sprachen sind. Weit ver­bre­it­et ist die Vorstel­lung, dass eine Gebär­den­sprache ein­fach nur eine andere Art der “Ver­schriftlichung” ein­er bes­timmten Laut­sprache ist. 

    Und selb­st wenn es so wäre, käme man nicht mit etwas impro­visiertem Handwedeln aus.

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  5. Henrik

    Die Frage, welche Gebär­den­sprache es sein sollte stellt sich nicht.

    Auch wenn die Gegenüber­stel­lung des Zap­pel­phillips mit ein­er echt­en Gebär­den­sprach­dol­metscherin den Schluss nahelegt, es gäbe nur eine Gebär­den­sprache freut mich, dass auch “gebär­den­be­hin­derten Per­so­n­en” auffällt,dass da was nicht stimmt.

    Wenn dieser, immer­hin mutige Mann, auch viel Leute belei­digt hat muss man ihm zugute hal­ten, dass er Gehör­losen und ihren Anliegen einen Dienst erwiesen hat.

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  6. isolde

    Nicht nur, dass es hier eben­falls an Wis­sen über Gebärdensprache(n) mangelt:
    Min­destens eben­so skan­dalös wie das Engagieren falsch­er Gebär­den­sprach­dol­metsch­er finde ich die Tat­sache, dass in Deutsch­land bei Ver­anstal­tun­gen dieser Art in der Regel über­haupt kein Gebär­den­sprach­dol­metsch­er anwe­send ist.

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  7. Ferrer

    Ich lese ger­ade in der spanis­chen El País, dass der ange­bliche Dol­metsch­er geistig krank war, während der Beerdi­gung Stim­men gehört haben und kurz vor ein­er Panikat­tacke gewe­sen sein soll. Aber eigentlich soll er tat­säch­lich ein Gebär­den­sprach­dol­metsch­er sein. Das wirft eher Fra­gen zum Sicher­heitss­creen­ing in Südafri­ka auf, das The­ma ist nicht mehr lin­guis­tisch. Hätte die NSA nicht jeman­den kon­trol­lieren können/sollen/müssen, der einen Schritt hin­ter Präsi­dent Oba­ma stand? Kann es sein, dass die NSA in Sachen Gebär­den­sprache (eben­falls) inkom­pe­tent ist? Wird das The­ma somit wieder lin­guis­tisch relevant?
    So oder so ist die ganze Angele­gen­heit pein­lich für alle Beteiligten. Eines Tages wer­den wir darüber lachen können.

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