Verwortete Jugend

Von Anatol Stefanowitsch

Das Jugend­wort des Jahres ist i bims, was in der Logik des Wet­tbe­werbs nur fol­gerichtig ist, weil es wed­er ein Wort ist, noch von Jugendlichen ver­wen­det wird. Wie jedes Jahr sind uns auch dies­mal wieder die Aufze­ich­nun­gen aus den Redak­tion­sräu­men des Schlangenei­dt-Ver­lags zuge­spielt wor­den, in denen Ober­lexiko­graf Dr. Will­helm Wortwisper­er und Assis­ten­zober­lexiko­graf Siegfried Sil­ben­säusler das Wort alljährlich küren. (Die geleak­ten Pro­tokolle der ver­gan­genen Jahre find­en Sie hier.)

In den Redak­tion­sräu­men des Wörter­buchver­lags Schlangenei­dt in München.

Anwe­send sind OBERLEXIKOGRAF DR. WILLHELM WORTWISPERER und ASSISTENZOBERLEXIKOGRAF SIEGFRIED SILBENSÄUSLER.

SILBENSÄUSLER. Wortwisper­er, Wortwisperer!

(STILLE)

SILBENSÄUSLER. Aufgewacht, Wortwisperer!

WORTWISPERER. Eider­daus, Sil­ben­säusler, wie oft habe ich Ihnen gesagt, Sie sollen mich nicht beim Nach­denken stören!

SILBENSÄUSLER. Par­don, Wortwisper­er, aber ich hat­te just den Herr Direk­tor Schlangenei­dt am Fern­sprechap­pa­rat, er fragt, wo das Jungspund­wort des Jahres bleibt!

WORTWISPERER. Er will schon wieder ein neues? Was passt ihm denn an „knorke“ nicht?

SILBENSÄUSLER. Das war 1922 Jungspund­wort des Jahres, Wortwisper­er, da brin­gen Sie etwas durcheinander.

WORTWISPERER. Hach, 1922, Sil­ben­säusler, noch ein­mal ein junger Mann von 50 sein, das wär’s!

SILBENSÄUSLER. Für­wahr, für­wahr, Wortwisperer!

WORTWISPERER. Dann auf in die Spelunke, feiern wir das heurige Jungspund­wort bei einem Kän­nchen Ersatzkaffee.

SILBENSÄUSLER. Wir haben doch noch gar kein Jungspund­wort gewählt!

WORTWISPERER. Potzblitz, Sil­ben­säusler, was passt Ihnen denn an „knorke“ nicht?

SILBENSÄUSLER. Aber Wortwisper­er, wir haben doch gar nicht mehr 1922.

WORTWISPERER. Ich füh­le mich alt, Silbensäusler.

SILBENSÄUSLER. Ach was, Wortwisper­er, man ist so jung, wie man sich fühlt.

WORTWISPERER. Ja, und ich füh­le mich alt, Silbensäusler.

SILBENSÄUSLER. Nun denn, wir müssen dem Her­rn Direk­tor den­noch ein Jungspund­wort nen­nen, son­st kommt er her und ver­anstal­tet ein Holdrio.

WORTWISPERER. Wie wäre es mit „i bims“ – wie auf dieser Facebookseite

SILBENSÄUSLER. Woher ken­nen Sie denn Face­book, Wortwisper­er, Sie kön­nen doch nicht ein­mal unseren Fern­sprech­er bedienen!

WORTWISPERER. Der Fern­sprech­er wird sich nicht durch­set­zen, Sil­ben­säusler, das Telegramm ist ein­fach zu com­fort­a­bel. Aber Face­book, ohne Face­book bekom­men Sie doch heute gar nichts mehr mit.

SILBENSÄUSLER. Na gut, aber „i bims“? Der Autor jenes Face­book-Man­u­scrip­tums ist doch kein Jungspund mehr.

WORTWISPERER. Der ist doch höch­stens im fün­fund­dreißig­sten Leben­s­jahr, Sil­ben­säusler, und außer­dem — man ist so jung, wie man sich fühlt, n’est-ce-pas?

SILBENSÄUSLER. Das ist selb­st mir zu blöd, Wortwisperer.

WORTWISPERER. Sie sind ent­lassen, Silbensäusler.

SILBENSÄUSLER. Sie kön­nen mich nicht ent­lassen, i bims seit 1952 in 1 Ruh­e­s­tand, vong Altenteil her.

WORTWISPERER. Ver­dammt, Silbensäusler.

SILBENSÄUSLER. Also auf in die Spelunke, Wortwisperer?

WORTWISPERER. Knorke, Sil­ben­säusler, und 1923 machen wir dann alles besser!

3 Gedanken zu „Verwortete Jugend

  1. kritischer Leser

    Dass ich bei Ihnen mal einen Kom­mafehler find­en würde… “wed­er ein Wort ist, noch…” — da muss das Kom­ma selb­stver­ständlich weg. 🙂

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  2. Arfst Nickelsen

    Min­destens seit 2014 wird auf Sprachlog auf die gle­iche Weise über die Benen­nung eines Jugend­wortes des Jahres gewitzelt. Ich erin­nere mich dunkel, dass ich das das erste Mal richtig lustig fand. Aber bei Wieder­hol­ung lassen Witze an Lustigkeit nach.
    Sich beschw­eren, dass als Jugend­wort mal kein Einzel­wort gewählt wird, son­dern ein Aus­druck, eine For­mulierung oder Ähn­lich­es, finde ich doch arg kleinlich.
    Ob Jugendliche “I bims” nicht ver­wen­den, kann ich nicht beurteilen. Meinen Sie denn, dass fast nie­mand das ver­wen­det, oder meinen Sie, dass fast nur Erwach­sene es ver­wen­den? Worauf stützen Sie das?
    Zu der Auswahl von “I bims” gibt es ander­swo Inter­es­san­teres zu lesen. Zum Beispiel in der Süd­deutschen vom 17. November:
    http://www.sueddeutsche.de/kultur/jugendwort-des-jahres-dem-marketing-gag-gelingt-ein-politisches-statement‑1.3754098

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  3. Achim

    Wenn schon der Tagesspiegel in der Berichter­stat­tung zu diesem Quatsch erwäh­nt, dass es sich um eine Wer­beak­tion des Ver­lages han­dele, kann man zwei Dinge festhalten:
    1. Mit empirisch­er Betra­ch­tung von Sprache hat das ten­den­ziel gar nichts zu tun.
    2. Wenn man weiß, wie es geht, bekommt man in den Medi­en jede Menge Wer­be­flächen bzw. ‑zeit gratis.
    Also in Zukun­ft nicht mal ignorieren.

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