Denglische Patienten und eingebildete Kranke

Von Anatol Stefanowitsch

Über das ib-Klar­text-Sprach­blog habe ich ger­ade noch rechtzeit­ig von ein­er Sendung erfahren, in der die ARD gestern Nacht die Frage stellte „Wer ret­tet die deutsche Sprache?“ (die Sendung lief, wenn ich das richtig sehe, erst­ma­lig im Novem­ber 2005 im SWR und wird seit­dem peri­odisch wiederholt).

Die Sendung an sich war unspek­tak­tulär. Auf bekan­nte Art und Weise wurde von der Exis­tenz einiger englis­ch­er Lehn­wörter im öffentlichen Raum auf den Unter­gang des Abend­lan­des geschlossen. Ich kann nicht genau sagen, wie, denn immer, wenn sich jemand über die üblichen Verdächti­gen — Back­shop, Ser­vice Cen­ter, und City Call — ereifert, überkommt mich eine bleierne Müdigkeit und ich wache erst wieder auf, wenn es Pech und Schwe­fel reg­net und die Reit­er der Apoka­lypse die deutsche Sprache und Kul­tur uner­bit­tlich und unwieder­bringlich hin­wegfe­gen. Außer­dem wur­den ein paar sehn­suchtsvolle Blicke nach Frankre­ich gewor­fen, wo die Académie Française der Bevölkerung die Lehn­wörter mit Geld­strafen aus­treibt. Zu Wort kamen haupt­säch­lich Mit­glieder des Vere­ins Deutsche Sprache (VdS). Alles nichts Neues, und deshalb bin ich froh, dass ich für diese Sendung nicht extra wachge­blieben bin.

Trotz­dem bin ich froh, dass ich mir die Sendung mit meinem nagel­neuen Fest­plat­te­naufze­ich­nungs­gerät (the device for­mer­ly known as Dig­i­tal Video Recorder) aufgeze­ich­net habe und sie mir deshalb zum Früh­stück anse­hen kon­nte. Denn sel­ten habe ich Aus­sagen gehört, die so deut­lich zeigen, wie wenig es den selb­ster­nan­nten Sprach­be­wahrern eigentlich um die deutsche Sprache geht, und noch sel­tener habe ich gehört, dass sie so offen aussprechen, auf was sie eigentlich hinauswollen.

Begin­nen wir mit Diet­mar Kinder vom Vere­in Deutsche Sprache:

Wir verkaufen heute unsere See­len für Geld. Ich habe da eigentlich gar keine Aus­drücke für. Es ist mehr als ein Skan­dal. Ein Volk kann sich gar nicht mehr erniedri­gen, [als] indem es seine eigene Sprache nicht mehr spricht, son­dern die Sprache der, in Anführungsze­ichen, Sieger ein­fach übernimmt.

In diesem Zitat steckt schon fast alles, worum es im Rest der Sendung ging. Erstens, die abstruse The­o­rie, dass wir Anglizis­men aus Scham über unsere eigene Ver­gan­gen­heit ver­wen­den, und um uns bei den Amerikan­ern einzuschme­icheln. Zweit­ens, die Empörung darüber, dass wir das tun. Die Abnei­gung gegen Ameri­ka wird dann noch mit ein­er antikap­i­tal­is­tis­chen Grund­hal­tung verknüpft, etwa, wenn Académie-Mit­glied Har­ald Wein­rich über „Konz­ern­her­ren“ schimpft, die durch die Ein­führung des Englis­chen als Fir­men­sprache „die deutsche Sprache mit ein­er Min­der­w­ert­s­teuer bele­gen“, oder wenn Wal­ter Bauer, Betrieb­sratsvor­sitzen­der der Bosch AG, die englis­che Sprache mit der Auflö­sung der sozialen Net­ze in Verbindung bringt:

Den Ein­fluss von Ameri­ka, den merkt man ja auf allen Ebe­nen, auch in der Poli­tik. Unsere ganzen Sys­teme wer­den angepasst und dazu gehört auch diese ganze Forderung nach Abschaf­fung des Kündi­gungss­chutzes und, und Ameri­ka– „Heuern und Feuern“, das soll bei uns auch einge­führt wer­den. So, der Trend zum Amerikanisieren der ist ganz stark vohanden.

Die Empörung über die „Unter­wür­figkeit“ (Dieter Haller­vor­den, Ehren­mit­glied des VdS) der Deutschen wird beson­ders deut­lich von Wal­ter Krämer, dem Vor­sitzen­den des VdS, zum Aus­druck gebracht. Die Ver­wen­dung von englis­chen Lehn­wörtern mache aus der deutschen Sprache ein „Pid­gin“, und Herr Krämer lässt keinen Zweifel daran, was er von Pid­gin­sprachen und vor allem von deren Sprech­ern hält:

Pid­gin ist ja eine Sprache mit ein­er reduzierten Gram­matik, einem reduzierten Vok­ab­u­lar­i­um, 500 Wörter, einige sim­ple Regeln, mit denen man in der Karibik Fis­che kaufen kann, oder auch Bana­nen ver­laden kann irgend­wo im Hafen, aber keine Gedichte schreiben und auch keine physikalis­chen Abhand­lun­gen ver­fassen kann. Das heißt, indem wir diese Pid­gin­sprache benutzen begeben wir uns auf das Niveau von Bana­nen­händlern hinab, und wer will denn dass?

Nein, mit karibis­chen Bana­nen­händlern müssen wir uns nun wahrhaftig nicht ver­gle­ichen lassen! Das haben wir, trotz unser­er „schamgetriebe­nen Über­nahme der Siegerkul­tur“ (Mar­tin Bohus, Pro­fes­sor für psy­cho­so­ma­tis­che Medi­zin in Hei­del­berg) wirk­lich nicht nötig! Über­haupt sollte mit dem Stolz auf die deutsche Sprache auch der Stolz auf die deutsche Geschichte wieder auf­blühen, rät zum Abschluss der Sendung Adolf Muschg (schweiz­er Schrift­steller und Literaturwissenschaftler):

Die deutsche Geschichte beschränkt sich im Bewusst­sein der Öffentlichkeit ja heute, ein biss­chen schroff gesagt, auf die Geschichte des drit­ten Reich­es. Das ist der große Skan­dal und im Geiste der Auswer­tung der skan­dalös­es­ten Ele­mente jed­er Sto­ry ist Hitler natür­lich der gegebene Held der deutschen Geschichte. Das er eine Folge ein­er ganz anderen, län­geren, zum Teil auch sehr respek­tablen und auch ehrwürdi­gen Geschichte war, ist vol­lkom­men aus dem Gedächt­nis verschwunden.

Von miss­glück­ten englis­chen Lehn­wörtern zum drit­ten Reich und zurück in 45 Minuten — das schafft nur die ARD.

Der einzige Licht­blick in der Sendung war für mich der Deutschrap­per Smu­do von den oft kopierten und sel­ten erre­icht­en Fan­tastis­chen Vieren, der gezeigt hat, dass man das „zer­ris­sene Deutsch­land“ und die deutsche Sprache auch ohne falsches Pathos lieben darf. Aber das ist ein The­ma für ein anderes Post­ing einen anderen Netztagebucheintrag.

[Kor­rek­tur (15.2.2007): Har­ald Wein­rich ist nicht Mit­glied der Académie Française. Er ist Hon­o­rarpro­fes­sor des Col­lège de France und hat­te dort von 1992–1998 den Lehrstul für Roman­is­che Sprach- und Lit­er­atur­wis­senschaft inne. Ich entschuldige mich für diesen Irrtum — das Col­lège de France ist eine ern­stzunehmende wis­senschaftliche Ein­rich­tung und sollte deshalb unter keinen Umstän­den mit der Académie ver­wech­selt werden.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

7 Gedanken zu „Denglische Patienten und eingebildete Kranke

  1. Maier

    Erstaunlich, wie der gelbe Neid auf die steigen­den Mit­gliederzahlen des Vere­ins Deutsche Sprache einem die Augen verkleis­tern kann — und dann nur noch (Bre­men!) nebel­hornähn­lich­es Tröten zulässt. 

    Ein­fach grotesk, Ihr Beitrag, Herr Stefanowitsch!

  2. Basti

    @Anatol: “Trotz­dem bin ich froh, dass ich mir die Sendung mit meinem nagel­neuen Fest­plat­te­naufze­ich­nungs­gerät (the device for­mer­ly known as Dig­i­tal Video Recorder) aufgeze­ich­net habe”.

    Dies ist fast der einzige Satz, mit dem ich mit dir übere­in­stimme. Ich habe noch nie eine TV-Doku gese­hen, die so tre­f­fend die Ver­denglis­chung unser Umwelt in Bilder umge­set­zt hat. Die Bilder und die Argu­mente der Mitwirk­enden waren für mich ein Grund, mich nicht weit­er­hin pas­siv der all­ge­gen­wär­ti­gen Anglo­manie auszuliefern, son­dern aktiv dem VDS beizutreten. Tröstlich zu wis­sen, dass der Wider­stand gegen das Dengis­chun­we­sen inzwis­chen viele, höchst unter­schiedliche Unter­stützer auf den Plan gerufen hat. Die Liste promi­nen­ter VDS-Mit­glieder von Hape Ker­kel­ing bis Bas­t­ian Sick ist ein beredtes Beispiel dafür.

  3. NvonX

    Ich trage immer einen Hut aus Alu­folie, damit nie­mand meine Gedanken liest, achte streng darauf, niemals auf die Fugen zwis­chen den Gehweg­plat­ten zu treten und dachte immer, dass ich deswe­gen ein para­noi­der Neu­rotik­er wäre. Dank der Sendung „Wer ret­tet die deutsche Sprache?“ weiß ich nun, dass ich mir deswe­gen keine Sor­gen machen muss, und dank mein­er Land­sleute vom Vere­in Deutsche Sprache e.V. weiss ich nun auch, dass bei mir noch alles halb­wegs sauber tickt. Mir ist nicht ganz klar, wovor die Damen und Her­ren eigentlich Angst haben. Ver­lust deutsch­er Kul­tur, Dichtkun­st und Forschergeist wegen Beze­ich­nun­gen wie „Back­shop“, „Work Coun­cil“ oder „cash­flow“? Na, ich weiss ja nicht so recht. Ich werde anfan­gen, mir Sor­gen um die deutsche Kul­tur zu machen, wenn meine Tochter aus der Schule kommt und anfängt „The Bell“ von „Fred Glit­ter“ zu rezitieren.

  4. Voigt, Werner

    Guten Tag Herr Stefanowitsch,

    ach diese Kleingeis­ter in dem ARD-Film “Wer ret­tet die dt. Sprache?”, rück­wärts­blick­ende Bedenken­träger und Angsthasen, obwohl es keinen wirk­lichen Grund zur Sorge gibt? Also ich finde, an der Erk­lärung mit der Iden­titätsstörung ist zwar auch etwas dran, aber eine Auf­nah­me­bere­itschaft bei nicht weni­gen Leuten, beson­ders in den Domä­nen Pop­kul­tur, EDV, Sport und Unter­hal­tung gab und gibt es, und das nicht nur im geschichts­be­lasteten Deutsch­land. Allerd­ings war die Ein­fuhr von englis­chen Wörter oder dem, was man so dafür hält, bis etwa 1988 bei weit­em nicht so alles­durch­drin­gend. Deswe­gen erk­lärt eine Begeis­terung für Angel­säch­sis­ches das Geschehen keineswegs aus­re­ichend. Die zweima­lige gewaltige Steigerung in kurz­er Zeit um 1990 und 1995 (Zeit­punkt der Telekom­pri­vatisierung, ver­bun­den mit ein­er neuer­fun­de­nen Kun­de­nansprache), die durch eine Unter­suchung der Uni Han­nover nachgewiesen wurde, ließ mich schon 1996 ver­muten, dass hier nicht spon­tane Vor­liebe mod­ern­er junger Leute den Auss­chlag gab, son­dern dass dem Zeit­geist und der Moder­nität (immer wieder von den Fir­men genan­nte Fal­toren) ganz erhe­blich auf die Sprünge geholfen wurde.

    Ich habe eine ganze Rei­he auf­schlussre­ich­er Belege dafür gesam­melt, dass wir es seit Beginn der Glob­al­isierung neuen Typs mit ein­er sehr inten­siv­en, noch nicht gese­henen Förderung des Englis­chen durch ver­schiedene Macht- und Wirtschaft­szirkel zu tun haben, die aus­ge­hend vom Leit­bild des ein­heitlichen Kon­sumenten und Fir­men, die möglichst intern auf Englisch arbeit­en und an die Börse gehen sollen, damit sie u.a. bess­er fusion­iert, aufgekauft, ausgenom­men und aus­ge­lagert wer­den kön­nen. Um dieses Per­son­al liefern zu kön­nen, wer­den Schüler und Stu­den­ten in einem Maß auf Englisch aus­gerichtet, wie es in vie­len Bere­ichen (Aus­nahme Außenkom­mu­nika­tion) gar nicht nötig ist, und wenn die europäis­chen Sprachen dabei den Bach runter gehen.

    Ich beginne mal mit einem pro­gram­ma­tis­chen Artikel eines ehem. Staatssekretärs von Clin­ton, der recht deut­lich sagte, wie er sich den Sieg der besten Gesellschaft­sor­d­nung der Welt vorstellt und wie die neuen Medi­en als Ver­bre­it­er von Sprache und Ide­olo­gie seines Lan­des genutzt wer­den sollen. Das soll dann, weil manche doch nicht so begeis­tert davon wären, auch nicht mit den anerkan­nten Instru­menten der auswär­ti­gen Kul­tur­poli­tik geschehen.

    Und vor ein­er bun­des­deutschen Stiftung, vor viel Promi­nenz verkün­dete er, wer sich der kul­turellen Kon­ver­genz als Folge der Märk­te, die die Regierun­gen z.T. erset­zten, wider­set­ze, den werde das Kap­i­tal bestrafen, wer darauf hinar­beite, der werde von ihm belohnt. Ein Lands­mann von ihm beze­ich­nete in einem Buch zum The­ma die Glob­al­isierung als neue Wel­tord­nung der elek­tro­n­is­chen Finanzmärk­te, der sich alle bei Strafe des Ruins zu fügen hät­ten, als gold­ene Zwangs­jacke Amerikas für den Rest der Welt.

    Sie stört es vielle­icht nicht, wenn Herr Oet­tinger im Herb­st 2005 der Öffentlichkeit ver­ri­et, es werde die kom­mu­nika­tive Auf­gabe des kom­menden Jahres sein, den Beschäftigten klar zu machen: Englisch am Arbeit­splatz, Deutsch bleibt für Freizeit und Fam­i­lie. Genau davor hat­te Direk­tor Stick­el des Inst. f. dt. Sprache Mannheim gewarnt: Sprachen, die im All­t­ag immer weniger für anspruchsvolle Inhalte ver­wen­det wer­den, sack­en im Sta­tus ab, wer­den nicht mehr richtig weiterentwickelt.

    Ich hoffe, dann mal von Ihnen zu hören.

    Beste Grüße Wern­er Voigt

    Anmerkung des Sprach­blog-Admin­is­tra­torenteams: Wern­er Voigt ist Mit­glied des VDS und leit­et dort die Arbeits­gruppe „Deutsche Sprache in europäis­chen Insti­tu­tio­nen und Organisationen“.

  5. K. Heidtmann

    Habe heute (30.12.07) eine her­rliche Anzeige im “Weser-Report” ent­deckt: Die “Schnel­lim­biss­kette” “Sub­way” wirbt für die neue Fil­iale in Syke-Bar­rien mit dem Text:

    Bye one, get two!”

    Da kann man doch nur noch “Good buy” wün­schen, oder?

  6. Wolfgang Hömig-Groß

    Die wirkungsvoll­ste Art, etwas zu ver­hin­dern oder zu zer­stören sind immer noch Fre­unde, nicht Feinde. Die deutschen Fre­unde der englis­chen Sprache brin­gen mich glatt noch so weit, Sorge um die englis­che zu haben. Der solch­er Beispiele wie “bye one” gibt es viele …

  7. Danny

    @ Wolf­gang Hömig-Groß: Touché! Und deshalb sind die im VDZ organ­isierten Fre­unde der Deutschen Sprache in Wirk­lichkeit ihre größten Feinde. Sie wollen ihre geliebte Sprache am Gedei­hen hin­dern und hier und dort ein Zweigchen abschnei­den, welch­es ihrer per­sön­lichen Mei­n­ung nach nicht zum Stamm passt. Dieser verkrüp­pelte Wuchs ist jedoch Wort- und Blut­leer und würde langfristig nur zu ein­er Abwen­dung der Sprech­er vom Deutschen führen. Für eine gesunde Entwick­lung der deutschen Sprache sollte man sie ein­fach leben lassen. Unsere Sprache ist kräftig genug, sich selb­st zu helfen und sich von jedem über­flüs­si­gen Bal­last zu befreien.

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